Unendliche Produkte
Sei (pn)n∈N eine Folge komplexer Zahlen. Wir sagen, dasunendliche Pro-dukt Q∞
n=1pn konvergiert, wenn h¨ochstens endlich viele pn gleich Null sind und die FolgeQ
k≤n,pk6=0pkgegen eine von Null verschiedene komplexe Zahl konvergiert. In diesem Fall konvergiert auch die FolgeQn
k=1pk und ihr
bezeichnet. (Dieser Grenzwert kann auch Null sein.) Wir sagen das Produkt Q∞
n=1pn konvergiert absolutwenn gilt:
n→∞lim pn= 1,
Hier ist log der Hauptzweig des Logarithmus.
Ubung 4.81.¨ Beweisen Sie folgendes.
(a)Wenn das ProduktQ∞
n=1pn konvergiert, dann konvergiert pn gegen 1.
(b) Wenn das Produkt Q∞
n=1pn absolut konvergiert, dann konvergiert es und der Grenzwert ist unabh¨angig von der Reihenfolge der pn.
(c)Sei (zn)n∈N eine Nullfolge in C. Das ProduktQ∞
n=1(1 +zn) konvergiert genau dann (absolut), wenn die ReiheP∞
n=1zn (absolut) konvergiert.
Ubung 4.82.¨ Beweisen Sie
∞
Ubung 4.83.¨ Seih∈Cmit|h|<1. Zeigen Sie, dass das unendliche Produkt θ(z) := eine holomorphe Funktion θ : C → C auf der ganzen komplexen Ebene darstellt und dass diese Funktion die folgende Gleichung erf¨ullt:
θ(z+ 2 log(h)) =h−1e−zθ(z). (4.46)
4.6. DIE RIEMANNSCHE ZETA-ZUNKTION 137 Die Gamma-Funktion
Ubung 4.84.¨ Zeigen Sie, dass das unendliche Produkt G(z) :=
absolut und gleichm¨assig auf jeder kompakten Teilmenge vonCkonvergiert.
Zeigen Sie, dass jede negative ganze Zahl eine einfache Nullstelle von G ist (und dass Gkeine anderen Nullstellen hat). Beweisen Sie:
G0(z)
Ubung 4.85.¨ Beweisen Sie die Formeln π2
Hinweis: Die rechte Seite in (4.49) konvergiert gleichm¨assig auf jeder kom-pakten Teilmenge K ⊂ C, nach Fortlassen der Summanden mit n ∈ K.
Zeigen Sie, dass die Differenz g der beiden Seiten in (4.49) an jeder Stelle n ∈ Z eine hebbare Singularit¨at hat und daher auf ganz C holomorph ist.
Zeigen Sie, dass g(z) f¨ur |Imz| → ∞ gleichm¨assig gegen Null konvergiert.
Schliessen Sie daraus, dass g beschr¨ankt und daher konstant ist. F¨uhren Sie (4.50) auf (4.49) zur¨uck, indem Sie den Cotangens differenzieren.
Ubung 4.86¨ (Das Eulersche Sinus-Produkt). Beweisen Sie die Formel sin(πz) =πzY
Hinweis: Zeigen Sie, dass eine holomorphe Funktion g :C → C existiert, die die Gleichung
sin(πz)
π =eg(z)zG(z)G(−z)
f¨ur allez∈Cerf¨ullt, wobeiG:C→Cdurch (4.47) definiert ist. Verwenden Sie (4.48) und (4.50) um zu zeigen, das g konstant ist.
Ubung 4.87¨ (Die Eulersche Konstante). Zeigen Sie, dass die holomor-phe FunktionG:C→Cin (4.47) die Gleichung
G(z−1) =eγzG(z) (4.52)
f¨ur alle z∈Cerf¨ullt, wobei γ dieEulersche Konstante ist:
γ := lim
Diese hat ungef¨ahr den Wert γ = 0,57721566490153286060651209. Hin-weis: Zeigen Sie zun¨achst unter Betrachtung der Nullstellen, dass es eine holomorphe Funktion γ : C → C gibt, die die Gleichung (4.52) erf¨ullt.
Zeigen Sie dann durch Differentiation, dass diese Funktion konstant ist. Be-weisen Sie, dass die Konstante γ durch (4.53) gegeben ist, indem Sie die Gleichung (4.52) an der Stellez= 1 auswerten.
Sei G : C → C die durch (4.47) definierte Funktion und γ ∈ R die Eulersche Konstante. DieGamma-Funktion ist die durch
Γ(z) := 1 definierte meromorphe Funktion Γ :C→C.
Ubung 4.88.¨ Beweisen Sie, dass die Gamma-Funktion die Gleichungen Γ(z+ 1) =zΓ(z), Γ(z)Γ(1−z) = π
Ubung 4.89.¨ Beweisen Sie die Identit¨at d
Beweisen Sie, dass die aus der Analysis bekannte Formel Γ(z) =
Z ∞ 0
tz−1e−tdt (4.58)
f¨ur Rez >0 dieselbe Funktion definiert. (Hinweis:Verwenden Sie die Cha-rakterisierung der Gamma-Funktion durch den Satz von Bohr–Mollerup als die einzige logarithmisch konvexe Funktion F : (0,∞) → (0,∞), die die BedingungenF(x+ 1) =xF(x) und F(1) = 1 erf¨ullt.)
4.6. DIE RIEMANNSCHE ZETA-ZUNKTION 139 Ubung 4.90.¨ Zeigen Sie, dass die Gamma-Funktion keine Nullstellen hat.
Zeigen Sie, dass jede nichtpositive ganze Zahl ein einfacher Pol der Gamma-Funktion ist, und dass sie keine weiteren Pole hat. Beweisen Sie, dass die Residuen der Gamma-Funktion durch
Res(Γ,−n) = lim
z→n(z+n)Γ(z) = (−1)n n!
f¨urn∈N∪ {0} gegeben sind. Hinweis:Gleichung (4.55) und Γ(1) = 1.
Ubung 4.91.¨ Beweisen Sie dieLegendresche Verdoppelungsformel
√πΓ(2z) = 22z−1Γ(z)Γ(z+ 1/2) (4.59) f¨urz∈C.Hinweis: Beweisen Sie mit Hilfe von (4.57) die Gleichung
d integrieren Sie diese, und substituieren Siez= 1 und z= 1/2.
Das Buch von Ahlfors [1] enth¨alt einen Beweis derStirling-Formel
z→∞lim
der auf der Gleichung (4.57) und dem Residuensatz beruht. Ahlfors verwen-det dann die Stirling-Formel, um die Gleichung (4.58) herzuleiten.
Die Riemannsche Zeta-Funktion
F¨ur Res >1 ist der Wert der Riemannschen Zeta-Funktion an der Stelle s durch
Ubung 4.92.¨ Beweisen Sie die Produkt-Formel ζ(s) =Y
p
1
1−p−s (4.63)
f¨ur Res > 1, wobei das Produkt ¨uber alle Primzahlen p zu verstehen ist.
(Hinweis:Multipliziert manζ(s) mit dem endlichen ProduktQ
p≤N(1−p−s) so erh¨alt man die Summe P
mm−s ¨uber alle nat¨urlichen Zahlen m, die keinen Primfaktor p≤N enthalten.)
Ubung 4.93.¨ Beweisen Sie die Formel ζ(s)Γ(s) =
Z ∞ 0
xs−1
ex−1dx (4.64)
f¨urs∈Cmit Res >1. (Hinweis: Multiplizieren Sie die Formel (4.58) mit n−s und summieren Sie ¨uber alle n∈N.)
Ubung 4.94.¨ F¨ur 0< ε < 2π sei γε :R→C die st¨uckweise glatte Kurve, die durch
γε(t) :=
−1−t+εi, f¨urt≤ −1, εexp πi 1 +t2
, f¨ur −1≤t≤1, 1−t−εi, f¨urt≥1,
(4.65)
gegeben ist. Beweisen Sie die Formel ζ(s) =−Γ(1−s)
2πi Z
γε
(−z)s−1
ez−1 dz (4.66)
f¨ur s ∈ C mit Res > 1, wobei (−z)s−1 := e(s−1) log(−z) f¨ur z ∈ C\[0,∞) mit|Im log(−z)|< π. Schliessen Sie daraus, dass ζ sich zu einer meromor-phen Funktion auf der ganzen komplexen Ebene fortsetzen l¨asst. (Hinweis:
betrachten Sie den Grenzwertε→0.)
Ubung 4.95.¨ Beweisen Sie, dass ζ ihren einzigen Pol an der Stelle s = 1 hat, und dass dies ein einfacher Pol mit Residuum 1 ist:
Res(ζ,1) = lim
s→1(s−1)ζ(s) = 1. (4.67) Ubung 4.96.¨ Beweisen Sie die Formel
ζ(−n) = (−1)n n!
2πi Z
|z|=1
dz
zn+1(ez−1) = (−1)nBn+1
n+ 1, (4.68) f¨ur n ∈ N∪ {0}, wobei die Bn+1 die Bernoulli-Zahlen sind (siehe Bei-spiel 3.51). Insbesondere giltζ(0) =−1/2 und
ζ(−2n) = 0
f¨ur allen∈N. Dies sind dietrivialen Nullstellender Riemannschen Zeta-Funktion.
4.6. DIE RIEMANNSCHE ZETA-ZUNKTION 141 Die Zeta-Funktion erf¨ullt eine wichtige Funktionalgleichung
ζ(s) = 2sπs−1sinπs 2
Γ(1−s)ζ(1−s) (4.69) f¨ur alle s ∈ C. Diese Gleichung liefert eine Symmetrie, die es erlaubt, das Verhalten der Zeta-Funktion in dem Gebiet Res <0 in Bezug zu setzen zu ihrem Verhalten in dem Gebiet Res >1, wo die Formeln (4.62) und (4.63) gelten. Noch deutlicher wird diese Symmetrie, wenn man die Funktion
ξ(s) := 1
2s(1−s)π−s/2Γs 2
ζ(s) (4.70)
betrachtet. Es folgt leicht aus (4.69), dass ξ eine holomorphe Funktion auf ganz Cist und die Gleichung
ξ(s) =ξ(1−s) (4.71)
f¨ur alles∈Cerf¨ullt. Das Buch von Ahlfors [1, Seite 216] enth¨alt einen Beweis von (4.69), der auf dem Residuensatz beruht, und den wir hier wiederholen.
Beweis von Gleichung (4.69). Da beide Seiten der Gleichung (4.69) mero-morphe Funktionen auf ganz C sind, gen¨ugt es nach dem Identit¨atssatz (Korollar 3.57), diese Gleichung f¨ur Res < 0 zu beweisen. Wir betrachten dazu die meromorphe Funktion fs:C\[0,∞)→C, die durch
fs(z) := (−z)s−1 ez−1
definiert ist, wobei (−z)s−1 :=e(s−1) log(−z) und log :C\(−∞,0] → C der Hauptzweig des Logarithmus ist mit|Im log(−z)|< π. Nach ¨Ubung 4.94 gilt dann
ζ(s) =−Γ(1−s) 2πi
Z
γ
fs(z)dz,
wobei γ = γπ : R → C\[0,∞) durch (4.65) mit ε = π definiert ist. Wir ersetzen nun das Integral ¨uber γ durch das Integral ¨uber einer Kurveγn in C\[0,∞), die die Pole±2πikvonfs mit|k| ≤numl¨auft. Diese Kurve setzt sich zusammen aus den Halbachsen
γn−: (−∞,−(2n+ 1)π]→C, γn−(t) :=−t+πi, γn+: [(2n+ 1)π,∞)→C, γn+(t) :=t−πi,
π 2n iπ
2 i
Abbildung 4.15: Beweis der Funktionalgleichung und der Ketteγn0 welche den Rand des Quadrats
Qn:={z∈C| |Rez| ≤(2n+ 1)π, |Imz| ≤(2n+ 1)π}
mit Ausnahme des Intervalls Rez= (2n+ 1)π,|Imz|< πdurchl¨auft (siehe Abbildung 4.15). Da sich das Integral ¨uberγ auch als Summe von Integralen
¨uberγn−,γn+ und einer Ketteγn,0 schreiben l¨asst, ist die Differenz der
Hier haben wir die Gleichung log(±2πik) = log(2πk)±πi/2 verwendet. F¨ur Res < 0 folgt damit aus der Definition der Riemannschen Zeta-Funktion die Gleichung
4.6. DIE RIEMANNSCHE ZETA-ZUNKTION 143 Dar¨uber hinaus ¨uberzeugt man sich leicht davon, dass der Betrag des Nen-ners ez−1 der Funktion fs auf dem Rand von Qn gleichm¨assig von unten beschr¨ankt ist durch eine Konstante, die nicht vonnabh¨angt. Andererseits gibt es eine Konstante cso dass
(−z)s−1
=eRe((s−1) log(−z))≤cnRes−1
ist f¨ur allez∈∂Qn\ {(2n+ 1)π}. Da die L¨ange vonγn0 durch eine Konstante mal nbeschr¨ankt ist, folgt daraus im Fall Res <0, dass
n→∞lim
ist. Verbinden wir diese Beobachtung mit den Gleichungen (4.66) und (4.72) so ergibt sich
Ubung 4.97.¨ Beweisen Sie, dass die meromorphe Funktionξin (4.70) keine Pole hat (also auf ganz C holomorph ist) und die Gleichung (4.71) erf¨ullt.
Hinweis: Ersetzen Sie s durch 1−s in (4.69) und beweisen Sie, mit Hilfe der Legendreschen Verdoppelungsformel (4.59), die Gleichung
cos Hilfe der Funktionalgleichung (4.69) folgt daraus, dass die Zeta-Funktion neben den trivialen keine weiteren Nullstellen mit Res < 0 haben kann.
Also liegen alle nichttrivialen Nullstellen der Riemannschen Zeta-Funktion in dem sogenannten kritischen Streifen 0 ≤ Res ≤ 1. Die Riemannsche Vermutung besagt, dass alle nichttrivialen Nullstellen der Zeta-Funktion den Realteil 1/2 haben. Dies ist eines der wichtigsten offenen Probleme in der Mathematik. In einer Arbeit von 1896 zeigte Hadamard, dass die Rie-mannsche Zeta-Funktion keine Nullstellen mit Re s= 1 hat, und gr¨undete darauf seinen Beweis des Primzahlensatzes. Dieser sagt, dass
x→∞lim
π(x) log(x)
x = 1
ist, wobeiπ(x) f¨urx >0 die Anzahl der Primzahlenpmitp≤xbezeichnet.
Kapitel 5
Der Riemannsche Abbildungssatz
Der Ausgangspunkt dieses Kapitels ist ein tiefliegender Satz von Riemann, der sagt, dass sich jede nichtleere zusammenh¨angende einfach zusammen-h¨angende offene Teilmenge der komplexen Ebene, die nicht gleich C ist, biholomorph auf die Einheitskreisscheibe abbilden l¨asst. Man kann diesen Satz verstehen als einen grundlegenden Schritt hin zur Klassifizierung ein-dimensionaler komplexer Mannigfaltigkeiten. Der Uniformisierungssatz sagt, dass jede nichtleere zusammenh¨angende einfach zusammenh¨angende ein-dimensionale komplexe Mannigfaltigkeit zu C, S2, oderD biholomorph ist.
Eine wichtige Klasse eindimensionaler komplexer Mannigfaltigkeiten bilden die offenen Teilmengen von C, und darum geht es im Riemannschen Abbil-dungssatz. Wir untersuchen dann das Randverhalten der Riemannschen Ab-bildung mit Hilfe des Schwarzschen Spiegelungsprinzips und beweisen eine Formel von Schwarz und Christoffel f¨ur Mengen mit polygonalen R¨andern.
Diese f¨uhrt hin zur Theorie der elliptischer Funktionen, die hier nur kurz andiskutiert wird. Wir zeigen schliesslich, wie sich der Riemannsche Abbil-dungssatz auf mehrfach zusammenh¨angende Gebiete ausdehnen l¨asst.