• Keine Ergebnisse gefunden

Die allgemeine Integralformel von Cauchy

Satz 4.12 (Cauchy). Sei Ω⊂ C eine offene Menge und f : Ω → C eine stetige Funktion. Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent.

(i)f ist holomorph.

(ii)F¨ur jedes abgeschlossene Rechteck R⊂Ωgilt Z

∂R

f(z)dz = 0.

(iii) F¨ur jeden Zyklus γ ∈Z(Ω) gilt

w(γ, z) = 0 ∀z∈C\Ω =⇒

Z

γ

f(z)dz = 0.

4.2. DIE ALLGEMEINE INTEGRALFORMEL VON CAUCHY 99 Bemerkung 4.13. Wir haben den Satz in dieser Form mit drei ¨aquivalenten Bedingungen formuliert, weil das f¨ur die Anwendungen hilfreich ist. Jedoch haben wir in Korollar 3.35 bereits bewiesen dass (i) und (ii) ¨aquivalent sind.

Die Implikation “(iii) =⇒ (ii)” ist klar, denn jedes Rechteck R ⊂Ω erf¨ullt offensichtlich die Bedingung w(∂R, z) = 0 f¨ur alle z ∈ C\Ω ⊂C\R. Die nichttriviale Aussage des Satzes ist also “(ii) =⇒(iii)”.

Bemerkung 4.14. Man kann in Satz 4.12 auch den Zyklus γ ∈ Z(Ω) festhalten. Dann sagt der Satz

w(γ, a) = 0 ∀a∈C\Ω ⇐⇒

Z

γ

f(z)dz= 0 f¨ur jede holomorphe Funktion f : Ω→C, wobei nur die Richtung “ =⇒” nichttrivial ist; wenn die Integrale der spe-ziellen Funktionen z7→1/(z−a) mit a∈C\Ω ¨uber γ verschwinden, dann verschwinden die Integrale aller holomorphen Funktionen auf Ω ¨uber γ.

Erste Anwendungen der allgemeinen Integralformel

Der n¨achste Satz folgt aus der allgemeinen Integralformel von Cauchy ge-nauso wie Satz 3.31 aus der Integralformel f¨ur Kreisgebiete folgt.

Satz 4.15 (Cauchy). Sei Ω ⊂C eine zusammenh¨angende offene Menge, f : Ω→C eine holomorphe Funktion, und γ ∈ Z(Ω) ein Zyklus mit Bild-menge Γ, so dassw(γ, z) = 0 ist f¨ur jeden Punkt z∈C\Ω. Dann gilt

w(γ, a)f(a) = 1 2πi

Z

γ

f(z)dz

z−a ∀ a∈Ω\Γ. (4.5) Beweis. Definiere F : Ω→C durch

F(z) := f(z)−f(a)

z−a f¨urz∈Ω\ {a}, F(a) :=f0(a).

Nach Korollar 3.37 ist F holomorph. Daher folgt aus Satz 4.12, dass 0 =

Z

γ

F(z)dz = Z

γ

f(z)−f(a) z−a dz =

Z

γ

f(z)

z−adz−2πif(a)w(γ, a), was zu beweisen war.

Ist das Definitionsgebiet Ω einfach zusammenh¨angend, so vereinfacht sich der Satz von Cauchy wie folgt und zieht gleichzeitig die Existenz einer holomorphen Stammfunktion nach sich.

Satz 4.16(Der einfach zusammenh¨angende Fall). SeiΩ⊂C eine zu-sammenh¨angende einfach zusammenh¨angende offene Menge und f : Ω→C eine stetige Funktion. Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent.

(i)f ist holomorph.

(ii)R

∂Rf(z)dz = 0 f¨ur jedes abgeschlossene Rechteck R⊂Ω.

(iii) R

γf(z)dz= 0 f¨ur jeden Zyklus γ ∈Z(Ω).

(iv)Es gibt eine holomorphe Funktion F : Ω→C mitF0 =f.

Beweis. Nach Satz 4.11 erf¨ullt jeder Zyklusγ ∈Z(Ω) die Bedingung, dass w(γ, z) = 0 ist f¨ur alle z ∈ C\Ω. Also folgt aus Satz 4.12, dass (i), (ii) und (iii) ¨aquivalent sind. Die Implikation “(iii) =⇒(iv)” folgt aus Satz 3.17 und die Implikation “(iv) =⇒(i)” aus Satz 3.34.

Der folgende Satz behandelt einen in Anwendungen wichtigen Spezialfall.

Satz 4.17 (Logarithmus und Wurzel). Sei Ω⊂C eine zusammenh¨ an-gende einfach zusammenh¨angende offene Menge und f : Ω→ C eine holo-morphe Funktion, die auf Ω nirgends verschwindet. Sei n ∈ N. Dann gibt es holomorphe Funktionen g, h : Ω → C so dass exp(g(z)) = f(z) und h(z)n=f(z) ist f¨ur allez∈Ω.

Beweis. Nach Satz 4.16 gibt es eine holomorphe Funktion F : Ω → C so dass

F0(z) = f0(z)

f(z) ∀ z∈Ω.

Dann ist die Funktion

φ:=e−Ff : Ω→C

holomorph und hat die Ableitung φ0 = e−F(f0−F0f) = 0. Da Ω zusam-menh¨angend ist, ist φ konstant. Wir w¨ahlen einen Punkt z0 ∈ Ω und eine komplexe Zahlw0 so dass ew0 =f(z0) ist, und definieren g: Ω→C durch

g(z) :=F(z)−F(z0) +w0. Dann istg holomorph und es gilt f¨ur jedes z∈Ω:

eg(z)=eF(z)e−F(z0)ew0 =eF(z)φ(z0) =eF(z)φ(z) =f(z).

Nun seih: Ω→Cdurch h(z) :=eg(z)/n f¨urz∈Ω definiert. Diese Funktion erf¨ullt die Bedingung hn=f. Damit ist der Satz bewiesen.

4.2. DIE ALLGEMEINE INTEGRALFORMEL VON CAUCHY 101 Beweis der allgemeinen Integralformel

Definition 4.18. Sei Ω⊂Ceine offene Menge. Eine Kette γ =

N

X

j=1

mjγj ∈C(Ω)

heisst achsenparalleles Polygon wenn jedes γj die Form γj(t) =ajjt, 0≤t≤1, hat mit aj ∈C und λj ∈R∪iR. (Siehe Abbildung 4.4.)

Abbildung 4.4: Ein achsenparaleles Polygon

Lemma 4.19. Sei Ω ⊂ C eine offene Menge und f : Ω → C eine stetige Funktion, so dass

Z

∂R

f(z)dz= 0 (4.6)

ist f¨ur jedes abgeschlossene Rechteck R ⊂Ω. Dann gilt f¨ur jedes achsenpa-rallele Polygon σ∈Z(Ω)

w(σ, a) = 0 ∀a∈C\Ω =⇒

Z

σ

f(z)dz = 0. (4.7) Lemma 4.20. Sei Ω⊂C eine offene Menge und γ ∈Z(Ω) ein Zyklus in Ω. Dann gibt es ein achsenparalleles Polygon σ∈Z(Ω)so dass

Z

σ

φ(ζ)dζ = Z

γ

φ(ζ)dζ (4.8)

f¨ur jede holomorphe Funktion φ: Ω→C.

Beweis von Lemma 4.19. Sei σ ∈ Z(Ω) ein achsenparalleles Polygon (und ein Zyklus) so dass

w(σ, z) = 0 ∀z∈C\Ω. (4.9)

Wir betrachten nun ein System von Geraden durch die Ecken vonσ, jeweils eine parallel zur reellen Achse und eine parallel zur imagin¨aren Achse (siehe Abbildung 4.5). Diese Geraden teilen die komplexe Ebene auf in endlich viele

• RechteckeRi,i∈I,

• und unbeschr¨ankte GebieteR0j,j∈J.

−1 0 0 0 1

2

1 1

1 1 1

0 0 0

0 0

1 1 1 1 1

0 0

1 1 1

0 1 0

0

Abbildung 4.5: Polygon und Rechtecke

Wir nehmen an, dass I 6= ∅. (Andernfalls Verl¨auft unser Polygon σ ganz auf einer Geraden, parallel entweder zur reellen oder zur imagin¨aren Achse, und dann istσ sogar ¨aquivalent zum Null-Zyklus.) Wir w¨ahlen nun innere Punkte

zi ∈Ri\∂Ri, z0j ∈R0j\∂R0j,

je einen f¨uri∈I undj∈J. Wir definieren den Zyklusσ0 ∈Z(Ω) durch σ0:=X

i∈I

w(σ, zi)∂Ri. (4.10)

Wir zeigen nun, dass

w(σ, zi)6= 0 =⇒ Ri ⊂Ω. (4.11) Andernfalls gibt es ein i∈I mit w(σ, zi) 6= 0 und einen Punkta∈ Ri\Ω.

Dann gilt nach Voraussetzung w(σ, a) = 0 und as gilt dann auch w(σ, z) = 0

4.2. DIE ALLGEMEINE INTEGRALFORMEL VON CAUCHY 103 f¨ur jedes z ∈ C mit |z−a| hinreichend klein. Daraus folgt, dass es einen Punkt z ∈ Ri \∂Ri gibt mit w(σ, z) = 0. Das steht aber im Widerspruch zu unserer Voraussetzung w(σ, zi)6= 0, denn die Windungszahl vonσ ist f¨ur alle Punkte im Inneren vonRidie gleiche. Damit haben wir (4.11) bewiesen.

Wir zeigen als n¨achstes, dass σ und σ0 ¨aquivalent sind im Sinne von Definition 4.2. Dazu f¨uhren wir folgende Bezeichnungen ein. Wir nehmen an dass I ⊂Neine Menge nat¨urlicher Zahlen ist, und damit eine geordnete Menge. F¨ur zwei benachbarte Rechtecke Ri und Rk mit i < k bezeichnen wir mit σik die gemeinsame Kante dieser Rechtecke, das heisst

σik=Ri∩Rk.

Wir machen diese Menge zu einem Polygon indem wir sie so durchlaufen, dass Ri links und Rk rechts liegt. Ebenso bezeichnen wir die gemeinsame Kante eines Rechtecks Ri und eines unbeschr¨ankten Gebietes R0j mit

τij :=Ri∩R0j

und durchlaufen sie so, dass Ri links und R0j rechts liegt. Wir wissen nun, nach Konstruktion, dass sowohlσ als auchσ0zu einer (eindeutigen) Summe der σik und τij ¨auivalent ist. (Denn zwei unbeschr¨ankte Gebiete k¨onnen keine gemeinsame endliche Kante haben, solange I 6=∅ ist.) Daher gibt es eindeutig bestimmte ganze Zahlenλik, µij ∈Zso dass

σ−σ0 ≡X

i<k

λikσik+X

i,j

µijτij

ist. Wir zeigen, dass jedes λik und jedes µij gleich Null sein muss. Dazu benutzen wir die Gleichungen

w(∂Ri, zk) =

0, f¨urk6=i,

1, f¨urk=i, w(∂Ri, zj0) = 0.

Hieraus folgt nach Definition vonσ0 in (4.10) dass w(σ0, zk) =X

i∈I

w(σ, zi)w(∂Ri, zk) = w(σ, zk) und

w(σ0, z0j) =X

i∈I

w(σ, zi)w(∂Ri, zj0) = 0 = w(σ, zj0).

Betrachten wir nun den Zyklus σ −σ0 −λik∂Ri so wird hier die Grenze zwischen Ri undRk aufgehoben, das heisst, in der ¨aquivalenten Darstellung

in unserer Basis kommt der Summandσik nicht mehr vor. Daraus folgt, dass dieser Zyklus umzi undzkdie gleiche Windungszahl haben muss. Daher gilt

−λik = −λikw(∂Ri, zi)

= w(σ−σ0−λik∂Ri, zi)

= w(σ−σ0−λik∂Ri, zk)

= 0.

Ebenso zeigt man

−µij = −µijw(∂Ri, zi)

= w(σ−σ0−µij∂Ri, zi)

= w(σ−σ0−µij∂Ri, z0j)

= 0.

Daraus folgt, dass σ−σ0 ≡ 0 ist, wie behauptet. Das heisst, die Integrale vonf ¨uberσ und σ0 stimmen ¨uberein. Daraus folgt

Z

σ

f(z)dz= Z

σ0

f(z)dz =X

i∈I

w(σ, zi) Z

∂Ri

f(z)dz = 0.

Die letzte Gleichung folgt aus der Voraussetzung (4.6) und der Tatsache dass, nach (4.11), Ri ⊂Ω ist wenn w(σ, zi) 6= 0 ist. Damit ist das Lemma bewiesen.

Beweis von Lemma 4.20. Sei γ =

N

X

i=1

miγi∈Z(Ω)

ein Zyklus mit Multiplizit¨aten mi ∈ Z und glatten Kurven γi : [0,1]→ Ω.

Wir zeigen in vier Schritten, dass es ein achsenparalleles Polygonσ∈Z(Ω) gibt welches die Bedingung (4.8) f¨ur jede holomorphe Funktion φ: Ω→ C erf¨ullt.

Schritt 1.Es gibt ein ε >0 so dass

Bεj(t))⊂Ω f¨ur jedesj∈ {1, . . . , N} und jedes t∈[0,1].

Dies folgt sofort aus Lemma 3.42.

4.2. DIE ALLGEMEINE INTEGRALFORMEL VON CAUCHY 105 Schritt 2. Es gibt ein δ > 0 so dass f¨ur alle j ∈ {1, . . . , N} und alle s, t∈[0,1] folgendes gilt:

|s−t| ≤δ =⇒ |γj(s)−γj(t)|< ε.

Dies folgt sofort aus der Tatsache, dass jede stetige Funktion auf einem kompakten metrischen Raum gleichm¨assig stetig ist.

Schritt 3.Seiεwie in Schritt 1. Dann k¨onnen wir ohne Beschr¨ankung der Allgemeinheit annehmen, dass γj(t) ∈Bεj(0)) ist f¨ur alle j ∈ {1, . . . , N}

und alle t∈[0,1].

Zum Beweis w¨ahlen wirδ >0 wie in Schritt 2 und n∈N so dassn >1/δ.

Dann ersetzen wir jedes γj durch die Kurven γj,k(t) := γj(k−1n + nt) f¨ur 0≤t≤1 undk= 1, . . . , n. Dann istγ ¨aquivalent zu dem Zyklus

eγ :=

N

X

j=1 n

X

k=1

mjγj,k und eγ erf¨ullt die Bedingung von Schritt 3.

Schritt 4. Wir konstruieren σ.

j,1 j,0

σ γj

σ

Abbildung 4.6: Approximation durch ein achsenparalleles Polygon Wir nehmen an, dass jedes γj die Bedingung von Schritt 3 erf¨ullt und defi-nierenσj,0 : [0,1]→Ω undσj,1 : [0,1]→Ω durch

σj,0(t) :=γj(0) +tRe (γj(1)−γj(0)), σj,1(t) :=γj(1) + (1−t)iIm (γj(0)−γj(1)).

(Siehe Abbildung 4.6.) Dann istσj,0j,1−γjeine st¨uckweise glatte geschlos-sene Kurve in der offenen Kreisscheibe Bεj(0))⊂Ω. Daher verschwindet,

nach Korollar 3.21, das Integral jeder holomorphen Funktion φ : Ω → C

¨uber dieser Kurve, das heisst Z

Also erf¨ullt das achsenparallele Polygon σ:=

Beweis von Satz 4.12. Die Implikation “(i) =⇒(ii)” folgt aus Satz 3.20, die Implikation “(ii) =⇒ (i)” folgt aus Korollar 3.35, und “(iii) =⇒ (ii)” ist offensichtlich. Wir beweisen “(i) =⇒ (iii)”. Sei also f : Ω → C holomorph und γ ∈ Z(Ω) ein Zyklus so dass w(γ, z) = 0 ist f¨ur alle z ∈C\Ω. Nach Lemma 4.20 gibt es ein achsenparalleles Polygon σ ∈ Z(Ω) so dass (4.8) gilt f¨ur jede holomorphe Funktion φ : Ω → C. Mit φ(ζ) = 1/(ζ −z) folgt

f¨ur jedesz ∈ C\Ω. Ausserdem verschwindet das Integral von f uber dem¨ Rand jedes abgeschlossenen RechtecksR⊂Ω nach Satz 3.20. Also folgt aus Lemma 4.19, dass

Z

σ

f(z)dz= 0

ist. Daf holomorph ist, k¨onnen wir (4.8) aufφ=f anwenden und erhalten damit

Die allgemeine Integralformel von Cauchy in Satz 4.12 zeigt, dass f¨ur zusam-menh¨angende offene Mengen Ω, die nicht einfach zusammenh¨angend sind, die Zyklen, deren Windungszahlen um alle Punkte im Komplement von Ω verschwinden, eine besondere Rolle spielen. Es sind dies genau die Zyklen, f¨ur die Cauchy’s Integralformel gilt. Im einfach zusammenh¨angenden Fall sind es einfach alle Zyklen. F¨ur allgemeine Mengen Ω f¨uhrt dies zu folgender Definition.

4.2. DIE ALLGEMEINE INTEGRALFORMEL VON CAUCHY 107 Definition 4.21. Ein Zyklus γ∈Z(Ω) heisstnull-homolog wenn

w(γ, z) = 0 ∀z∈C\Ω.

Zwei Zyklen α, β ∈ Z(Ω) heissen homolog, wenn ihre Differenz null-homolog ist, das heisst

w(α, z) = w(β, z) ∀z∈C\Ω.

F¨ur α, β∈Z(Ω)schreiben wir α∼β wennα und β homolog sind.

F¨ur glatte geschlossene Kurven ist der Begriff“null-homolog”schw¨acher als “zusammenziehbar”. Mit anderen Worten, jede zusammenziehbare ge-schlossene Kurve ist null-homolog ( ¨Ubung), aber die Umkehrung gilt nicht f¨ur jedes Gebiet Ω (siehe Abbildung 4.7).

0

α 1

0

−1

β

Abbildung 4.7: Eine nicht zusammenziehbare null-homologe Schleife Bemerkung 4.22. Es ist gar nicht so einfach, zu zeigen, dass die in Abbil-dung 4.7 dargestellte glatte Schleife nicht zusammenziehbar ist. Ein Beweis mit den Methoden der Differentialtopologie kann etwa wie folgt gef¨uhrt wer-den. Man w¨ahle zwei disjunkte glatte eingebettete Kurvenα, β : [0,1]→Ω, die die beiden inneren Randkomponenten mit der ¨ausseren verbinden. Wei-ter w¨ahle man zwei invertierbare Matrizen A, B ∈GL(2,R), die nicht mit-einander kommutieren. Eine Schleife γ : R/Z → Ω heisst zu α transversal wenn ˙α(s) und ˙γ(t) immer dann linear unabh¨angig sind, wenn α(s) =γ(t) ist. Sei nun γ : R/Z → Ω eine zu α und β transversale Schleife und seien 0 ≤ t1 < t2 < · · · < tN < 1 die Schnittpunkte von γ mit α und β. Ist γ(ti) = α(s) und bilden ˙α(s),γ˙(ti) eine positive Basis von C so definieren wir Ψi :=A, und im Falle einer negativen Basis definieren wir Ψi := A−1. Gilt das gleiche mit β statt α so definieren wir Ψi := B beziehungsweise Ψi :=B−1. Wir erhalten dann eine Matrix

Ψ(γ) := Ψ1Ψ2· · ·ΨN.

Schneidetγ die Kurvenα und β nicht, so setzen wir Ψ(γ) := 1l. Sind zwei glatte Schleifen γ0, γ1 : R/Z → Ω zu α und β transversal und zueinander homotop, so sind Ψ(γ0) und Ψ(γ1) zueinander konjugiert:

γ0 ∼γ1 =⇒ Ψ(γ0)∼Ψ(γ1).

F¨ur eine zusammenziehbare Schleife gilt daher Ψ(γ) = 1l

und f¨ur die in der Abbildung 4.7 dargestellte glatte Schleife γ :R/Z → Ω erhalten wir die Matrix

Ψ(γ) =ABA−1B−16= 1l.

Damit istγ nicht zusammenziebar. Der schwierige Teil dieses Arguments ist es, zu zeigen, dass die Konjugationsklasse der Matriz Ψ(γ) tats¨achlich eine Homotopieinvariante ist. Man kann, bei einer geschickten Wahl der Matri-zenAund B, auch zeigen, dass zwei glatte Schleifenγ0 und γ1 genau dann ohne festen Endpunkt homotop sind wenn Ψ(γ0) und Ψ(γ1) zueinander kon-jugiert sind, und dass sie genau dann mit festem Endpunkt homotop sind, wenn Ψ(γ0) = Ψ(γ1) ist. Daraus folgt dann, dass die sogenannte Fundamen-talgruppe des in 4.7 abgebildeten Gebietes Ω (die Gruppe der Homotopie-klassen glatter Kurven in Ω mit einem festen Endpunkt) die freie Gruppe von zwei Erzeugern ist. Dies alles geht weit ¨uber das Thema des vorliegenden Manuskripts hinaus und die Beweise werden hier nicht erbracht.

Wir haben nun auf der Gruppe Z(Ω) aller Zyklen in Ω zwei ¨ Aquiva-lenzrelationen≡und∼. Zwei Zyklenα, β∈Z(Ω) sind ¨aquivalent, wenn die Integrale allerstetigenFunktionenf : Ω→C¨uberαundβ ¨ubereinstimmen:

α≡β ⇐⇒

Z

α

f(z)dz= Z

β

f(z)dz f¨ur jede stetige Funktionf : Ω→C. Diese ¨Aquivalenzrelation h¨angt nicht von Ω ab ( ¨Ubung!). Im Gegensatz dazu sindαundβ homolog, wenn ihre Windungszahlen um jeden Punkt im Kom-plement von Ω ¨ubereinstimmen. Nach Satz 4.12 heisst das, dass die Integrale allerholomorphen Funktionenf : Ω→C¨uber α undβ ¨ubereinstimmen:

α∼β ⇐⇒

Z

α

f(z)dz= Z

β

f(z)dz f¨ur jede holomorphe Funktionf : Ω→C. Diese Relation h¨angt sehr stark von Ω ab.

4.2. DIE ALLGEMEINE INTEGRALFORMEL VON CAUCHY 109 Die Menge der null-homologen Zyklen wird mit

B(Ω) :={γ ∈Z(Ω)|w(γ, z) = 0∀z∈C\Ω}

bezeichnet. Dies ist eine Untergruppe von Z(Ω). F¨ur einen Zyklus α be-zeichnen wir die Menge aller Zyklen die zuα homolog sind mit

[α] :={β∈Z(Ω)|α∼β}=α+B(Ω).

Diese Menge heisst Homologieklasse von α. Die Menge der Homologie-klassen wird mit

H(Ω) :={[α]|α ∈Z(Ω)}= Z(Ω)

B(Ω) =Z(Ω)/∼ (4.12) bezeichnet und heisst (erste) Homologiegruppe von Ω. Da B(Ω) eine Untergruppe von Z(Ω) ist, ist auch der Quotient H(Ω) = Z(Ω)/B(Ω) eine Gruppe. Man addiert zwei Homologieklassen indem man zwei zugrun-deliegende Repr¨asentanten addiert, d.h.

[α] + [β] := [α+β]

und die Summe h¨angt nicht von der Wahl der Repr¨asentanten ab. Das neu-trale Element ist die Klasse [0] =B(Ω) der null-homologen Zyklen. Andere Bezeichnungen f¨ur die HomologiegruppeH(Ω) sind H1(Ω) oder H1(Ω;Z).

Man kann nun die Frage stellen, ob sich diese Homologiegruppen auch berechnen lassen. Dies ist in der Tat sehr einfach, wie die folgenden repr¨ asen-tativen Beispiele zeigen.

Beispiel 4.23. Sei Ω ⊂ C eine zusammenh¨angende offene Menge. Nach Satz 4.11 ist Ω genau dann einfach zusammenh¨angend wenn w(γ, z) = 0 ist f¨ur alle γ ∈ Z(Ω) und alle z ∈ C\Ω. Nach Definition 4.21 heisst das, dass jeder Zyklus in Ω null-homolog ist, was sich wiederum in der Formel B(Ω) =Z(Ω) ausdr¨ucken l¨asst. Also gilt

Ω ist einfach zusammenh¨angend ⇐⇒ H(Ω) = 0.

Beispiel 4.24. Wir betrachten den offenen Kreisring

U :={z∈C|R0<|z−a|< R1}, a∈C, 0≤R0< R1 ≤ ∞.

(Siehe Abbildung 4.8.) In diesem Fall ist H(U)∼=Z.

a γ0

Abbildung 4.8: Die Homologie eines Kreisrings

Zum Beweis w¨ahlen wir eine Zahl R0 < r < R1 und betrachten den Zyklusγ0 : [0,1]→ U, der durch γ0(t) :=a+re2πit definiert ist. Er hat die Windungszahl w(γ0, a) = 1 und f¨ur jeden Zyklusγ ∈Z(U) gilt:

γ ∼w(γ, a)γ0. (4.13)

In der Tat hat die Differenz

eγ :=γ−w(γ, a)γ0

die Windungszahl w(eγ, a) = 0. Hieraus folgt, dass w(γ, z) = 0 ist f¨e ur jedes z ∈ C mit |z−a| ≤ R0; und im Fall |z−a| ≥ R1 ist w(eγ, z) = 0 nach Lemma 3.25. Also isteγ null-homolog, wie behauptet. Daraus folgt, dass die Abbildung

H(U)→Z: [γ]7→w(γ, a)

ein Gruppenisomorphismus ist. Nun folgt aus (4.13) und Satz 4.12, dass Z

γ

f(z)dz= w(γ, a) Z

γ0

f(z)dz (4.14)

f¨ur jede holomorphe Funktion f : U → C und jeden Zyklus γ ∈ Z(U).

Wenn also das Integral vonf uber¨ γ0 verschwindet, so verschwindet es ¨uber jedem Zyklus inU und damit hat f eine holomorphe Stammfunktion, nach Satz 3.17. Zusammenfassend haben wir gezeigt:

Es existiert eine holomorphe

Funktion F :U →Cso dass F0 =f ⇐⇒

Z

γ0

f(z)dz= 0.

Insbesondere ist das Integral der Funktionf(z) := 1/z ¨uber γ0 gleich 2πi.

Also besitzt die Funktion 1/z keine Stammfunktion in C; das heisst, die Logarithmusfunktion l¨asst sich nicht auf C definieren.

4.2. DIE ALLGEMEINE INTEGRALFORMEL VON CAUCHY 111 Beispiel 4.25. Sei Ω ⊂ C eine offene Menge, deren Komplement C\ Ω genau n+ 1 Zusammenhangskomponenten hat, das heisst

C\Ω =A0∪A1∪ · · · ∪An,

wobei jede der Mengen Ai abgeschlossen und zusammenh¨angend ist. Wir nehmen ohne Einschr¨ankung der Allgemeinheit an, dass∞ ∈A0 ist. (Siehe Abbildung 4.9.)

A A A

A

A

1

0 3

2 4

Abbildung 4.9: Eine f¨unf-fach zusammenh¨angende offene Menge Ist γ ∈ Z(Ω) ein Zyklus mit Bildmenge Γ, so ist jedes Ai in einer Zusammenhangskomponente vonC\Γ enthalten. Nach Lemma 3.25 ist also die Funktion a 7→ w(γ, a) auf Ai konstant. Da ∞ ∈ A0 ist, gilt w(γ, a) = 0 f¨ur a∈A0∩C. Nun zeigt der Beweis von Satz 4.11 mit A = Ai und B =S

j6=iAj, dass f¨ur jedes i ∈ {1, . . . , n} ein Zyklus γi ∈ Z(Ω) existiert, so dass

w(γi, a) =

1, f¨ura∈Ai, 0, f¨ura∈Aj, j6=i.

W¨ahlen wir nun Punkteai ∈Ai f¨uri= 1, . . . , n, so folgt wie in Beispiel 4.24, dass die Abbildung

H(Ω)→Zn:γ 7→ w(γ, a1), . . . ,w(γ, an)

ein Gruppenisomorphismus ist. Mit anderen Worten, jeder Zyklusγ ∈Z(Ω) ist homolog zu Pn

i=1w(γ, aii und daher gilt, nach Satz 4.12, f¨ur jede ho-lomorphe Funktion f : Ω→C, dass

Z

γ

f(z)dz =

n

X

i=1

w(γ, ai) Z

γi

f(z)dz.

Nach Satz 3.17 folgt daraus Es existiert eine holomorphe

Funktion F : Ω→C so dassF0 =f ⇐⇒

Z

γi

f(z)dz= 0, i= 1, . . . , n.

Lemma 4.26. Seien U und γ0 wie in Beispiel 4.24. Sei f : U → C eine holomorphe Funktion undc∈C. Dann sind die folgenden Aussagen ¨ aquiva-lent.

(i)Es gibt eine holomorphe Funktion F :U →C so dass F0(z) =f(z)− c

z−a ∀z∈U (ii)Es gilt

c= 1 2πi

Z

γ0

f(z)dz Beweis. Nach Beispiel 4.24 gilt (i) genau dann wenn

0 = Z

γ0

f(z)− c z−a

dz=

Z

γ0

f(z)dz−2πic, und dies ist ¨aquivalent zu (ii).

Im Fall R0 = 0 kann man die Zahlc in Lemma 4.26 (ii) als Obstruktion betrachten f¨ur die Existenz einer lokalen Stammfunktion in der punktierten KreisscheibeBR1(a)\ {a}. Das f¨uhrt zu der folgenden Definition.

Definition 4.27. Sei Ω⊂C eine offene Menge, a∈Ω und r >0 so dass Br(a)⊂Ω, und

γ0(t) :=a+re2πit, 0≤t≤1.

Ist f : Ω\ {a} →C eine holomorphe Funktion mit einer isolierten Singula-rit¨at an der Stellea, so heisst die Zahl

Res(f, a) := 1 2πi

Z

γ0

f(z)dz (4.15)

das Residuum von f and der Stelle a.

Die Residuen isolierter Singularit¨aten spielen in der Funktionentheorie eine besondere Rolle. Im zweiten Teil dieses Kapitels (also in den n¨achsten drei Abschnitten) werden wir ausf¨uhrlich der geometrischen und analyti-schen Bedeutung der Residuen nachgehen, zeigen wie man sie berechnet, den Residuensatz beweisen, und in Anwendungen sehen, wie man diesen Satz unter anderem auf elegante Weise f¨ur die Berechnung von Integralen benutzen kann, oder auch f¨ur die Bestimmung der Anzahl der Nullstellen einer holomorphen Funktion.