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Die Integralformel f¨ ur Rechtecke

Cauchy, zudem mit einem sehr einfachen Beweis. Der Beweis verwendet jedoch an entscheidender Stelle die Voraussetzung, dass die Ableitung von f stetig ist. Eins unserer Ziele ist es, in Anlehnung an Ahlfors [1], die Inte-gralformel auch ohne diese Voraussetzung zu zeigen, und die Stetigkeit der Ableitung dann als Konsequenz der Integralformel zu beweisen.

3.2 Die Integralformel f¨ ur Rechtecke

Es ist zun¨achst n¨utzlich, den Begriff des Kurvenintegrals etwas zu verallge-meinern, indem wir auch st¨uckweise glatte Kurven zulassen.

Definition 3.14. Eine Abbildung γ : [a, b] → Ω heisst st¨uckweise glat-te Kurve wenn es eine Partition a = t0 < t1 < t2 < · · · < tN = b gibt so dass die Einschr¨ankung γi := γ|[ti−1,ti] : [ti−1, ti] → Ω glatt ist f¨ur i= 1, . . . , N. Eine st¨uckweise glatte Kurveγ : [a, b]→Ωheisstgeschlossen wenn γ(a) =γ(b) ist.

Ist Ω ⊂ C eine offene Menge, f : Ω → C eine stetige Funktion, und γ : [a, b] → Ω eine st¨uckweise glatte Kurve wie oben, so definieren wir das Integral von f ¨uber γ durch

Z Beispiel 3.15. Ein abgeschlossenes Rechteck in Ω ist eine Teilmenge R⊂Ω der Form

R={z∈C|x0 ≤Rez≤x1, y0≤Imz≤y1}

f¨ur reelle Zahlen x0, x1, y0, y1 mitx0 < y0 und x1 < y1. Der Rand ∂R von R wird im mathematisch positiven Sinn (also entgegen dem Uhrzeigersinn), von einer st¨uckweise glatten geschlossenen Kurve durchlaufen und das Inte-gral von f uber diese Kurve ist durch¨

Z

y y

0 1

x0 x1

Ω R

Abbildung 3.1: Ein abgeschlossenes Rechteck

Beispiel 3.16. F¨ur jede st¨uckweise glatte geschlossene Kurveγ : [a, b]→C zeigt man wie in Beispiel 3.8, dass R

γz dz= 0.

Dieses Beispiel ist ein Spezialfall des folgenden Satzes, welcher stetige Funktionen charakterisiert, die sich als Ableitungen von holomorphen Funk-tionen darstellen lassen, die also einekomplexe Stammfunktion besitzen. Im Fall der Funktionf(z) =z ist die Stammfunktion F(z) =z2/2.

Satz 3.17. SeiΩ⊂Ceine zusammenh¨angende offene Menge undf : Ω→C eine stetige Funktion. Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent.

(i)Es gibt eine holomorphe Funktion F : Ω→C mit AbleitungF0 =f. (ii)F¨ur jede st¨uckweise glatte geschlossene Kurveγ inΩgiltR

γf(z)dz= 0.

(iii) Das Integral von f ¨uber einer st¨uckweise glatten Kurve γ : [a, b]→Ω h¨angt nur von den Endpunktenγ(a) und γ(b) ab.

Beweis. Wir zeigen (i) =⇒ (ii). Ist F : Ω → C eine holomorphe Funktion mitF0 =f und γ : [a, b]→Ω eine st¨uckweise glatte geschlossene Kurve wie in Definition 3.14 so gilt

Z

γ

f(z)dz =

N

X

i=1

Z ti

ti−1

F0(γ(t)) ˙γ(t)dt=

N

X

i=1

F(γ(ti))−F(γ(ti−1)

= 0.

Damit ist gezeigt, dass (ii) aus (i) folgt.

Wir zeigen (ii) =⇒(iii). Sindγ0: [a0, b0]→Ω undγ1 : [a1, b1]→Ω zwei st¨uckweise glatte Kurven mit denselben Endpunkten γ0(a0) = γ1(a1) und γ0(b0) =γ1(b1), und definieren wir γ : [a, b]→Ω durch

a:=a1−b0, b:=b1−a0

und

γ(t) :=

γ1(t+b0), f¨ura1−b0≤t≤b1−b0, γ0(b1−t), f¨urb1−b0 ≤t≤b1−a0,

3.2. DIE INTEGRALFORMEL F ¨UR RECHTECKE 49 so istγeine st¨uckweise glatte geschlossene Kurve in Ω und daher gilt nach (ii)

0 =

Damit ist gezeigt, dass (iii) aus (ii) folgt.

Wir zeigen (iii) =⇒ (i). Wir w¨ahlen einen Punkt z0 ∈ Ω. F¨ur jeden

(Da der Buchstabezbereits f¨ur den Endpunkt vergeben ist, w¨ahlen wir einen anderen Namen f¨ur die Integrationsvariable. Davon wird die Definition des Integrals nat¨urlich nicht betroffen.) Nach (iii) ist dieses Integral unabh¨angig von der Wahl von γ. Wir m¨ussen zeigen, dass F komplex differenzierbar und F0 =f ist. Dazu w¨ahlen wir einen Punkt z∈Ω, eine st¨uckweise glatte

Diese Kurve nimmt Werte in Ω an, ist st¨uckweise glatt, und hat die End-punkteγh(a) =z0h(b+ 1) =z+h. Daher ist und daher, nach (3.3) und (3.11),

Also ist F an der Stellez komplex differenzierbar und es gilt F0(z) =f(z).

Damit ist gezeigt, dass (i) aus (iii) folgt.

Satz 3.18. Sei U ⊂Ceine offene Kreisscheibe und Z ={ζ1, . . . , ζm} ⊂U

eine endliche Teilmenge. SeiΩ :=U\Zundf : Ω→Ceine stetige Funktion.

Dann ist folgende Aussagen ¨aquivalent.

(i)Es gibt eine holomorphe Funktion F : Ω→C mit AbleitungF0 =f. (ii)F¨ur jedes abgeschlossene Rechteck R⊂U gilt

∂R∩Z=∅ =⇒

Z

∂R

f(z)dz = 0.

Beweis. Die Implikation “(i) =⇒ (ii)” folgt sofort aus Satz 3.17. Wir neh-men also an, dass (ii) gilt und beweisen (i) zun¨achst unter der Annahme Z = ∅. Wir w¨ahlen einen Punkt z0 = x0 +iy0 ∈ U. Ist z = x +iy ein weiterer Punkt inU, so ist das abgeschlossene RechteckRz0,z mit diagonal gegen¨uberliegenden Ecken z0 und z in U enthalten (siehe Abbildung 3.2).

Daher folgt aus (ii), dass Z

∂Rz0,z

f(ζ)dζ= 0 (3.12)

ist. Wir definieren F(z) :=

Z x x0

f(ξ+iy0)dξ+i Z y

y0

f(x+iη)dη

=i Z y

y0

f(x0+iη)dη+ Z x

x0

f(ξ+iy)dξ.

(3.13)

Hier folgt die letzte Gleichung aus (3.12). Aus der ersten Gleichung in (3.13) folgt, dass ∂F/∂y(z) =if(z) ist und aus der zweiten Gleichung folgt, dass

∂F/∂x(z) =f(z) ist. Damit istF eineC1-Funktion, die die Gleichung (2.4) erf¨ullt. Also folgt aus Satz 2.13, dass F holomorph und F0 =f ist.

Wir betrachten nun den Fall Z 6= ∅. In diesem Fall nennen wir eine Paar von Punkten z0, z ∈ U \Z zul¨assig, wenn ∂Rz0,z ∩Z = ∅ ist, wenn also der Rand des Rechtecks mit diagonal gegen¨uberliegenden Ecken z0, z die Ausnahmepunkteζi nicht trifft. F¨ur ein zul¨assiges Paar (z0, z) definieren wir die ZahlF(z0, z) durch (3.13). Sind die drei Paare (z0, z1), (z1, z2) und (z0, z2) alle zul¨assig so folgt aus (ii) dass

F(z0, z1) +F(z1, z2) =F(z0, z2). (3.14)

3.2. DIE INTEGRALFORMEL F ¨UR RECHTECKE 51 Wir w¨ahlen nun einen Punktz0 so dass sein Realteil von den Realteilen aller ζi verschieden ist und ebenso f¨ur den Imagin¨arteil. Istz∈U\Z, so w¨ahlen wir einen weiteren Punkt z1 ∈U, dichter anz als alle ζi, so dass die Real-und Imagin¨arteile von z1 ebenfalls von denen derζi verschieden sind. Dann sind die beiden Paare (z0, z1) und (z1, z) zul¨assig (siehe Abbildung 3.2) und

1

0

z

z

z

z0

R

z ,z

0 z

Abbildung 3.2: Die Konstruktion einer Stammfunktion wir definieren

F(z) :=F(z0, z1) +F(z1, z).

W¨ahlen wir einen weiteren Punkt z10 mit den gleichen Eigenschaften so ist das Paar (z1, z10) ebenfalls zul¨assig und daher folgt aus (3.14), dass diese Definition von F(z) unabh¨angig von der Wahl des Punktes z1 ist. Dass diese Funktion F holomorph und ihre Ableitung gleich f ist sieht man wie im Fall Z =∅. Damit ist der Satz bewiesen.

Es ist an dieser Stelle hilfreich, einen neuen Begriff einzuf¨uhren, und zwar f¨ur Funktionen, die an jeder Stelle komplex differenzierbar sind, ohne dass wir die Stetigkeit der Ableitung verlangen.

Definition 3.19. SeiΩ⊂Coffen. Eine Funktion f : Ω→C heisst analy-tisch, wenn sie an jeder Stelle z0 ∈Ω komplex differenzierbar ist.

Wie sich herausstellen wird, ist die Ableitung einer analytischen Funkti-on immer stetig und daher ist eine FunktiFunkti-on genau dann analytisch wenn sie holomorph ist. Diese beiden Begriffe haben also in der Tat gar keine unter-schiedliche Bedeutung und werden in der Literatur ¨uber Funktionentheorie auch austauschbar verwendet. Jedoch haben wir ihre ¨Aquivalenz an dieser Stelle noch nicht bewiesen. Es ist daher auf den Unterschied von “analytisch”

und “holomorph” solange peinlich genau zu achten, bis wir die Stetigkeit der Ableitung einer analytischen Funktion bewiesen haben. Wir bemerken noch, dass jede analytische Funktion nach Korollar 2.14 stetig ist.

Satz 3.20(Cauchy). SeiU ⊂Ceine offene Menge,Z ={ζ1, . . . , ζm} ⊂U eine endliche Teilmenge, und f : U \Z → C eine analytische Funktion so dass

z→ζlimi(z−ζi)f(z) = 0, i= 1, . . . , m. (3.15) Dann gilt f¨ur jedes abgeschlossene Rechteck R⊂U

∂R∩Z=∅ =⇒

Z

∂R

f(z)dz = 0.

Korollar 3.21. SeiU ⊂C eine offene Kreisscheibe,Z ={ζ1, . . . , ζm} ⊂U eine endliche Teilmenge, und f :U\Z →C eine analytische Funktion, die die Bedingung (3.15) erf¨ullt. Dann gilt folgendes.

(i)Es gibt eine holomorphe Funktion F :U \Z →C mit AbleitungF0=f. (ii)F¨ur jede st¨uckweise glatte geschlossene Kurve γ : [a, b]→U \Z gilt

Z

γ

f(z)dz= 0.

Beweis. Nach Satz 3.20 erf¨ulltf die Bedingung (ii) in Satz 3.18 und daraus folgt (i). Teil (ii) folgt aus (i) und Satz 3.17.

Beweis von Satz 3.20. Wir betrachten zun¨achst den Fall Z = ∅. F¨ur jedes abgeschlossene RechteckR ⊂U bezeichnen wir den Umfang vonRmitλ(R) und das Integral vonf ¨uber∂R mit

η(R) :=

Z

∂R

f(z)dz.

Unterteilen wirR in vier kongruente Rechtecke R(1), R(2), R(3), R(4) so gilt η(R) =η(R(1)) +η(R(2)) +η(R(3)) +η(R(4)) (siehe Abbildung 3.3).

R

(1)

R

R

R

(2)

(3) (4)

Abbildung 3.3: Die Unterteilung eines Rechtecks

3.2. DIE INTEGRALFORMEL F ¨UR RECHTECKE 53 Nehmen wir nun an es gibt ein abgeschlossenes RechteckR⊂U mit

η(R)6= 0.

f¨ur mindestens ein Rechteck in der Unterteilung vonR. Mit anderen Worten, es gibt ein zuR kongruentes abgeschlssenes RechteckR1⊂R so dass

|η(R1)| ≥ 1

4|η(R)|, λ(R1) = 1 2λ(R).

Unterteilen wir wiederumR1 in vier kongruente Rechtecke, so finden wir ein weiteres zu R kongruentes abgeschlossenes RechteckR2 ⊂R1, so dass

|η(R2)| ≥ 1

4|η(R1)| ≥ 1

16|η(R)|, λ(R2) = 1 4λ(R).

Mit vollst¨andiger Induktion erhalten wir nun eine Folge kongruenter abge-schlossener Rechtecke Es folgt nun aus dem Satz ¨uber Intervallschachtelung [6] dass der Durch-schnitt der Rechtecke Rn aus genau einem Punkt z ∈R besteht:

Nach Satz 3.17 wissen wir, dassR

Hier folgt die erste Schritt aus der Definition von η(Rn), der zweite folgt aus (3.20), der dritte aus (3.4), der vierte aus (3.18) und (3.19), der f¨unfte aus der Definition von dn als Durchmesser von Rn, der sechste aus der Tatsache dassλn=λ/2n und dn=d/2n ist, und der letzte aus (3.17). Die Ungleichung |η(Rn)| < |η(R)|/4n widerspricht aber (3.16). Damit ist der Satz im FallZ=∅bewiesen.

Wir betrachten den Fall, dass Z = {ζ} aus einem Punkt besteht. Sei R ⊂ U ein abgeschlossenes Rechteck, so dass ζ ∈ R\∂R. Sei R0 ein ab-geschlossenes Quadrat mit Mittelpunktζ, einer noch zu bestimmenden Sei-tenl¨ange 2r0, und dem Umfang

3.3. DIE WINDUNGSZAHL 55

W¨ahlen wir nun eine Unterteilung von R in abgeschlossene Rechtecke von denen eins R0 ist (siehe Abbildung 3.4), so erhalten wir nach dem ersten Teil des Beweises die Ungleichung

Abbildung 3.4: Ein Rechteck mit Singularit¨at im Inneren

der Satz in den F¨allen Z = ∅ und Z = {ζ} bewiesen. Der allgemeine Fall l¨asst sich leicht auf diese beiden F¨alle zur¨uckf¨uhren.

3.3 Die Windungszahl

Definition 3.22. Sei I ⊂ R ein abgeschlossenes Intervall und γ : I → C eine st¨uckweise glatte geschlossene Kurve. Die Menge

Γ :={γ(t)|t∈I} die Windungszahl von γ um a.