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Definition 4.35. Sei Ω ⊂ C eine offene Menge. Eine Teilmenge A ⊂ Ω heisstdiskretwenn sie keine H¨aufungspunkte inΩbesitzt, das heisst es gibt keine Folge paarweise verschiedener Punkte in A, die gegen einen Punkt in Ωkonvergiert.

Die Eigenschaft “A ist diskret” h¨angt von Ω ab. Mit anderen Worten, eine discrete Menge A⊂Ω kann durchaus eine konvergente Folge paarwei-se verschiedener Punkte enthalten, jedoch darf ihr Grenzwert dann nicht in Ω liegen. Als logische Formel kann kann man die Bedingung, dassAeine diskrete Teilmenge von Ω ist, so formulieren:

∀z∈Ω ∃δ >0 # (A∩Bδ(z))<∞.

Es gibt hier zwei F¨alle zu unterscheiden:

(a)Istz∈Ω\Aso gibt es ein δ >0 mit Bδ(z)∩A=∅.

(b)Istz∈Aso gibt es ein δ >0 mit Bδ(z)∩A={z}.

Beispiel 4.36. (i)Jede endliche Teilmenge A⊂Ω ist diskret.

(ii)Die MengeA={1/n|n∈N} ist diskret in{Rez >0}aber nicht in C. (iii)Die MengeA={1/n|n∈N} ∪ {0} ist nicht diskret inC.

Ubung 4.37.¨ Sei Ω⊂C eine offene Menge und A ⊂Ω. A ist genau dann diskret wennA∩K f¨ur jede kompakte Teilmenge K⊂Ω endlich ist.

Ubung 4.38.¨ Sei Ω⊂C eine offene Menge und A⊂Ω eine diskrete Teil-menge. Dann ist A abz¨ahlbar und Ω-abgeschlossen (das heisst A ist abge-schlossen bez¨uglich der Relativtopologie von Ω, beziehungsweis Ω\Aist eine offene Teilmenge vonC). Hier gilt die Umkehrung nicht (siehe Beispiel 4.36).

Ubung 4.39.¨ Istf : Ω→ Ceine nichtkonstante holomorphe Funktion auf einer zusammenh¨angenden offenen Teilmenge Ω ⊂ C, dann ist die Menge der Nullstellen vonf eine diskrete Teilmenge von Ω.

Beispiel 4.40. Sei Ω :=C\ {0} und f : Ω→C gegeben durch f(z) := sin

1 z

= 1 z − 1

3!z3 + 1

5!z7 − 1

7!z7 ± · · ·

f¨urz6= 0. Dann ist f(z) = 0 genau dann, wennz = 1/πk ist f¨ur ein k∈Z.

Die Menge A := {1/πk|k∈Z} der Nullstellen ist diskret in Ω, aber nicht inC, und z0= 0 ist eine wesentliche Singularit¨at von f.

4.4. DER RESIDUENSATZ 119 Satz 4.41 (Residuensatz). Sei Ω ⊂ C eine offene Menge, A ⊂ Ω eine diskrete Teilmenge, und f : Ω\ A → C eine holomorphe Funktion. Sei γ ∈ B(Ω) ein null-homologer Zyklus, dessen Bildmenge Γ zu A disjunkt ist, das heisst Γ∩A=∅ (siehe Abbildung 4.11). Dann gilt

#{a∈A|w(γ, a)6= 0}<∞. (4.23)

und 1

2πi Z

γ

f(z)dz=X

a∈A

w(γ, a)Res(f, a). (4.24)

1 2 0

−1

Abbildung 4.11: Windungszahl und Residuen

Beweis. Wir beweisen zun¨achst, dass die MengeA1:={a∈A|w(γ, a)6= 0}

endlich ist. Nach Lemma 3.25 ist die Menge

U :={a∈C\Γ|w(γ, a) = 0}

offen und es gibt ein c > 0 so dass {z ∈ C| |z| > c} ⊂ U ist. Da γ null-homolog ist, gilt ausserdem C\Ω⊂U.Daraus folgt, dass K := C\U eine abgeschlossene und beschr¨ankte, und damit kompakte, Teilmenge von Ω ist.

Nach ¨Ubung 4.37 ist daher die MengeA∩K ={a∈A|w(γ, a)6= 0}endlich, wie behauptet. Wir schreiben

{a∈A|w(γ, a)6= 0}={a1, . . . , aN}.

Nun w¨ahlen wir δ > 0 so dass die abgeschlossenen Kreisscheiben Bδ(aj) paarweise disjunkt und in Ω enthalten sind, und dass Bδ(aj)∩A = {aj} ist. F¨ur j = 1, . . . , N definieren wir den Zyklus γj : [0,1] → Ω\A durch γj(t) := aj +δe2πit f¨ur 0 ≤ t ≤ 1. Sei nun γ ∈ B(Ω) ein null-homologer Zyklus, der A nicht trifft und

eγ :=γ−

N

X

j=1

w(γ, ajj ∈Z(Ω\A).

Wir zeigen, dasseγ null-homolog in Ω\Aist. In der Tat gilt f¨ur jeden Punkt ist, wie behauptet. Nach Satz 4.12 gilt daher

0 = 1

Ubung 4.42.¨ Die Integralformel von Cauchy in Satz 4.15 folgt aus dem Residuensatz 4.41 f¨ur die FunktionF(z) :=f(z)/(z−a).

F¨ur Anwendungen des Residuensatzes ist es von entscheidender Bedeu-tung, dass wir Residuen explizit berechnen k¨onnen. In vielen F¨allen sind die folgenden drei Lemmas dazu hilfreich.

Lemma 4.43.SeiΩ⊂Coffen,a∈Ω, undf : Ω\{a} →Ceine holomorphe Funktion. Dann gilt

Res(f, a) = lim

z→a(z−a)f(z) (4.25)

sofern dieser Grenzwert existiert und nicht gleich∞ist. Das ist genau dann der Fall wenn limz→a(z−a)2f(z) = 0 ist.

Beweis. Ist der Grenzwert auf der rechten Seite von (4.25) gleich Null so ist a eine hebbare Singularit¨at von f und daher ist Res(f, a) = 0. Ist der

4.4. DER RESIDUENSATZ 121 Grenzwert ungleich Null, so ist a ein Pol erster Ordnung und f hat, nach Bemerkung 4.31, die Laurententwicklung

f(z) =

X

k=−1

ck(z−a)k = c−1

z−a+φ(z),

wobei φ: Ω→C holomorph ist. Also folgt aus Bemerkung 4.32 dass Res(f, a) =c−1= lim

z→a(z−a)f(z)

ist. Gilt limz→a(z−a)2f(z) = 0, so hat die Funktion z 7→ (z−a)f(z) an der Stelleaeine hebbare Singulrait¨at (siehe Korollar 3.37). Also existiert der Grenzwert in (4.25) und ist ungleich∞. Damit ist das Lemma bewiesen.

Lemma 4.44. SeiΩ⊂Coffen, p, q: Ω→C holomorphe Funktionen, und Z :={ζ ∈Ω|q(ζ) = 0}. Definiere f : Ω\Z →C durch

f(z) := p(z)

q(z), z∈Ω\Z.

Sei a∈Z eine einfache Nullstelle von q, so dassq0(a)6= 0 ist. Dann gilt Res(f, a) = p(a)

q0(a). (4.26)

Beweis. Daq(a) = 0 undq0(a)6= 0 ist, erhalten wir

z→alim(z−a)f(z) = lim

z→ap(z) z−a

q(z)−q(a) = p(a) q0(a). Damit folgt (4.26) aus Lemma 4.43.

Lemma 4.45. Sei Ω ⊂ C offen, φ : Ω → C eine holomorphe Funktion, a∈Ω, und n∈N. Seif : Ω\ {a} →C die holomorphe Funktion

f(z) := φ(z)

(z−a)n, z∈Ω\ {a}.

Dann ist

Res(f, a) = φ(n−1)(a)

(n−1)! . (4.27)

Beweis. Nach Satz 3.43 hat f die Laurententwicklung f(z) =

X

k=−n

φ(n+k)(a) (n+k)! zk

and der Stelle a. Also folgt die Behauptung aus Bemerkung 4.32.

Beispiel 4.46. Wir betrachten die Funktion anwenden. In diesem Fall folgt aus Lemma 4.45 dass Res(f, a) =ceca ist.

Berechnung von Integralen

Beispiel 4.47. Wir beweisen die Formel Z π

0

a+ cos(θ) = π

√a2−1, a >1. (4.28) Die Grundidee ist es, die Formel

cos(θ) = e+e−iθ 2

zu verwenden und das Integral damit in das Kurvenintegral einer geeigneten holomorphen Funktion ¨uber dem Rand des Einheitskreis zu verwandeln. Wir repr¨asentieren diesen Rand durch den Zyklusγ(θ) :=e, 0≤θ≤2π. Damit wobei die letzte Gleichung aus Satz 4.41 folgt mit

f(z) := 1 z2+ 2az+ 1.

4.4. DER RESIDUENSATZ 123 Die singul¨aren Punkte von f sind die Nullstellen des Nenners. Es gilt aber z2+ 2az+ 1 = 0 genau dann wenn (z+a)2 =a2−1 ist und die L¨osungen an der Stelleα. Dies ist ein einfacher Pol und nach Lemma 4.43 erhalten wir

Z π Hier ist das allgemeine Prinzip hinter Beispiel 4.47. SeiR eine Funktion zweier komplexer Variablen, wobei wir hier zun¨achst den genauen Defini-tionsbereich und die Eigenschaften dieser Funktion dahingestellt sein lassen.

Wir interessieren uns f¨ur das Integral I :=

Z 0

R(cos(θ),sin(θ))dθ.

Dazu setzen wir die Ausdr¨ucke cos(θ) = e+e−iθ

2 , sin(θ) = e−e−iθ 2i

in den Integranden ein und erhalten, wiederum mit γ(θ) :=e, die Formel I = definiert ist. Hieraus ergibt sich also die Bedingung an R, dass dieser Aus-druck (4.29) eine holomorphe Funktion auf einer Umgebung des abgeschlos-senen Einheitskreises mit endlich vielen singul¨aren Ausnahmepunkten defi-niert. Die Summe ist dann ¨uber diese Ausnahmepunkte zu verstehen.

Beispiel 4.48. Wir berechnen das Integral I :=

Z 0

cos4(θ) + sin4(θ) =π√

8. (4.30)

In diesem Beispiel ist

R(cos(θ),sin(θ)) = 1

cos4(θ) + sin4(θ) und daher

f(z) = 1 zR

z+ 1/z

2 ,z−1/z 2i

= 1

z

16

(z+ 1/z)4+ (z−1/z)4

= 16z3

(z2+ 1)4+ (z2−1)4

= 8z3

z8+ 6z4+ 1.

Die Pole dieser Funktion sind die vierten Wurzeln der L¨osungen wder qua-dratischen Gleichung

w2+ 6w+ 1 = 0.

Die L¨osungen sindw=−3±√

8 und nur die L¨osungw=√

8−3 liegt inD. Ist

z4 =√ 8−3 so erhalten wir, nach Lemma 4.44 mit

p(z) := 8z3, q(z) :=z8+ 6z4+ 1, dass

Res(f, z) = p(z)

q0(z) = 8z3

8z7+ 24z3 = 1

z4+ 3 = 1

√ 8. Also sind alle vier Residuen gleich und damit ergibt sich

I = 2πX

z∈D

Res(f, z) = 8π

√ 8 =π

√ 8, wie eingangs behauptet.

4.4. DER RESIDUENSATZ 125 Korollar 4.49. Seien p, q:C→C Polynome so dass

deg(q)≥deg(p) + 2, q(x)6= 0 ∀x∈R. (4.31) Dann gilt

Z

−∞

f(x)dx= 2πi X

Imz>0

Res(f, z), f(z) := p(z)

q(z). (4.32)

r

−r

Abbildung 4.12: Lokalisierung eines Integrals

Beweis. Wir betrachten den Zyklusγr:=γr,0r,1 wobeiγr,0 : [−r, r]→C und γr,1 : [0, π]→Cdie folgenden Kurven sind (siehe Abbildung 4.12):

γr,0(t) :=t, −r ≤t≤r, γr,1(t) :=reit, 0≤t≤π.

F¨urr > 0 hinreichend gross sind alle Nullstellen vonq mit positivem Ima-gin¨arteil in dem vonγr eingeschlossenen Gebiet

Gr:={z∈C|Imz >0,|z|< r}

enthalten. Nach Satz 4.41 erhalten wir damit folgende Gleichung 2πi X

Imz>0

Res(f, z) = Z

γr

f(z)dz

= Z r

−r

f(x)dx+ Z π

0

p(reit)ireit q(reit) dt.

Da deg(q)≥deg(p) + 2 ist, gilt limz→∞p(z)z/q(z) = 0. Daraus folgt 2πi X

Imz>0

Res(f, z) = lim

r→∞

Z r

−r

f(x)dx= Z

−∞

f(x)dx, was zu beweisen war.

Beispiel 4.50. Wir betrachten die rationale Funktion f(z) := 1

1 +z2 = i/2

z+i− i/2 z−i

Diese hat einen einfachen Pola=i in der oberen Halbebene mit Residuum

−i/2. Daher folgt aus Korollar 4.49, dass Z

−∞

dx

1 +x2 = 2πiRes(f,i) =π. (4.33) Beispiel 4.51. Die rationale Funktion

f(z) = 1

(z2+z+ 1)2 = 1

(z−ω)2(z−ω)2 mit

ω :=e2πi/3=−1 2 +

√3

2 i, ω=e−2πi/3 =−1 2−

√3 2 i, hat ebenfalls einen Polω in der oberen Halbebene. Es gilt

f(z) = φ(z)

(z−ω)2, φ(z) := 1 (z−ω)2 und daher folgt aus Lemma 4.45, dass

Res(f, ω) =φ0(ω) =− 2

(ω−ω)3 =− 2

3i3 = 2 3√

3i. Damit ergibt sich aus Korollar 4.49, dass

Z

−∞

dx

(x2+x+ 1)2 = 2πiRes(f, ω) = 4π 3√

3. (4.34)

Korollar 4.52. Seien p, q:C→C Polynome so dass

deg(q)>deg(p), q(x)6= 0 ∀x∈R. (4.35) Dann gilt

Z

−∞

f(x)dx= 2πi X

Imz>0

Res(f, z), f(z) := p(z)

q(z)eiz. (4.36)

4.4. DER RESIDUENSATZ 127

Abbildung 4.13: Lokalisierung eines Integrals

Beweis. F¨ur positive reelle Zahlen a0, a1, b betrachten wir das Rechteck R(a0, a1, b) mit den Ecken−a0,a1,−a0+ib,a1+ib(siehe Abbildung 4.13).

W¨ahlen wira0, a1, bhinreichend gross, so liegen alle Nullstellen vonqmit po-sitivem Imagin¨arteil inR(a0, a1, b). In dem Fall erhalten wir f¨ur das Integral von f uber den Rand dieses Rechtecks den Wert¨

2πi X

Da der Grad des Polynomsq gr¨osser ist als der Grad vonp, gibt es positive reelle Zahlen c, rso dass f¨ur alle z∈C gilt, dass

Ubung 4.53.¨ Beweisen Sie, dass die Formel (4.36) auch f¨ur die Funktion f(z) := p(z)

q(z)eimz

mitm >0 gilt.Hinweis: Verwenden Sie die Gleichung Z

−∞

p(x)

q(x)eimxdx= 1 m

Z

−∞

p(x/m) q(x/m)eixdx.

Welche Formel ergibt sich im Fallm <0?

Beispiel 4.54. Nach Korollar 4.52 gilt Z

−∞

x

1 +x2eixdx= 2πiRes zeiz

1 +z2,i

= 2πilim

z→i

zeiz z+i = πi

e. Daraus folgt

Z

−∞

xcos(x)

1 +x2 dx= 0,

Z

−∞

xsin(x)

1 +x2 dx= π

e. (4.37)