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2.2 Nukleinsäuren

2.2.4 Riboschalter

Bei Riboschaltern oder Riboswitches handelt es sich um regulatorisch wirksame einzelsträngige RNA. Wie schon in der Einleitung kurz ausgeführt, sind diese RNA-Strukturen in der 5’-untranslatierten Region bakterieller mRNAs zu finden.10 Sie kommen aber auch in Eukaryoten wie Hefe vor.89 Man kann sich Riboswitches als molekulare Schalter oder Maschinen vorstellen, die die Genexpression kontrollieren. Dazu besteht ein Riboswitch aus zwei Untereinheiten, dem Aptamer und der Expressionsplattform. Allerdings überlappen diese beiden Bereiche - zumindest teilweise - und sind dadurch üblicherweise nicht klar voneinander zu trennen. Der Überlappbereich wird Schaltsequenz (switching sequence) genannt.10,15,89–92

Das Aptamer kann man sich dabei als Steuereinheit des Riboschalters vorstellen. Denn es bindet üblicherweise sehr spezifisch und effizient einen Liganden. Dabei kann es sich z.B. um kleine organische Moleküle wie Nukleotide, Aminosäuren oder Vitamine, aber auch um Ionen handeln. Die Ligandenbindung löst daraufhin Änderungen in der Sekundärstruktur des Riboswitches aus. Dadurch wird auch die zweite Untereinheit, die Expressionsplattform, bzw. der Bereich der Schaltsequenz (switching sequence) beeinflusst.10,15,89–92

2.2 Nukleinsäuren Duplex vorliegt. Liegt die Ribosomenbindestelle, die Shine-Dalgarno-Sequenz, in diesem Bereich, würde die Faltung verhindern, dass ein Ribosom an den Bereich binden kann (off-switch). Dadurch würde das Ablesen der genetischen Informationen unterbunden und die Translation zum Protein verhindert werden. Im umgekehrten Fall (on-switch) würde eine stabile Faltung des Riboswitches, ausgelöst durch Ligandenwechselwirkung, dem Ribosom erst ermöglichen, an die RNA zu binden. Entsprechend repräsentiert also der gebundene oder ungebundene, beziehungsweise der gefaltete oder ungefaltete a Zustand den An- oder Auszustand (on/off-state) des Riboschalters.10,15,89–92

In Prokaryoten regulieren Riboschalter die Translationsinitiation über die Zugänglichkeit der Ribosomenbinde-stelle. Außerdem können sie Einfluss auf die transkriptionelle Termination haben und die mRNA-Degradation über ein regulierbares Ribozym steuern.93 In Eukaryoten kann über Ligandenbindung z.B. alternatives Spleißen von prä-mRNAs induziert werden. Auch das Wandern des Ribosoms (ribosomal scanning) entlang der mRNA oder die Biosynthese von siRNA kann durch Riboschalter beeinflusst werden.89

Die ersten natürlichen Riboswitches wurden 2002 in Bakterien entdeckt.11,16–18 Typische Beispiele für natürliche Riboswitches sind der adenin-, guanin-, thiamin-, Coenzym-B12- oder auch der magnesiumbindende Riboswitch.10,92 Allerdings war es schon in den 1990er Jahren gelungen, artifizielle Aptamere für eine Vielzahl von Liganden zu erzeugen. Dies geschah mittels in-vitro-Selektion und Evolution von RNA-Sequenzen, des sogenannten SELEX-Prozesses (systematic evolution of ligands by exponential enrichment).19–21

Der SELEX-Prozess startet mit einer großen Anzahl ungepaarter RNA-Oligonukleotide (≈1015 Sequenzen), die zufällige Sequenzen aufweisen. Zu dieser Oligonukleotid-Bibliothek (auch Oligonukleotid-Pool genannt) wird dann der Ligand gegeben, für den ein Aptamer bzw. ein Riboswitch gesucht wird. Die verschiedenen Oligonukleotide gehen nun unterschiedlich gute Bindungen mit dem Liganden ein (Selektion). Der Ligand, inklusive eventuell gebundener RNA, wird im Anschluss wieder isoliert (Separation). Um diesen Schritt zu vereinfachen, werden die Liganden häufig auf (eventuell magnetischen) Kügelchen oder durch Bindung an Biotin immobilisiert. Nichtbindende oder nur unspezifisch bindende RNA-Sequenzen werden also bei dem Separationsschritt aus der Oligonukleotid-Bibliothek entfernt. Die gebundenen RNA-Sequenzen, also die Sequenzen der reduzierten Bibliothek, werden im Anschluss mittels reverser Transkription und der Polymerase-Kettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR) vervielfältigt (Amplifikation). Durch Duplikationsfehler bei der PCR entstehen dabei kleinere Mutationen der bindenden Oligonukleotide. Diese Fehler sind aber häufig erwünscht, weil es dadurch quasi zu einer Nachoptimierung der selektierten Oligonukleotide kommen kann. Der dreistufige Prozess (Selektion, Separation, Amplifikation) wird vielfach wiederholt. Dadurch wird die Vielfalt des Oligonukleotid-Pools immer weiter reduziert. Gleichzeitig wird die Bindung der verbleibenden Oligonuklotide an den Liganden immer besser und spezifischer wodurch letztendlich ein entsprechendes Aptamer isoliert werden kann.89,92–94

Die so gefundenen bzw. erzeugten artifiziellen bzw. synthetischen Aptamere können vielfältig eingesetzt werden.

Beispielsweise werden sie als Biosensoren, Marker zur Visualisierung von RNA- und Proteinverteilungen in lebenden Zellen, als Arzneimittel oder zur Genregulation verwendet.89 Allerdings kann nur ein Bruchteil der so gefundenen Aptamere auch direkt als Riboswitch eingesetzt werden. Die meisten über SELEX, also in-vitro, gefundenen Aptamere sind also in-vivo nicht regulatorisch wirksam.15 Nichtsdestotrotz ermöglichen sie mechanistische Rückschlüsse auf die Funktion von Aptameren und eventuell auch von Riboswitches.

a Hierbei kann es sich auch um verschiedene Faltungen bzw. Faltungszustände handeln.

Theoretische Grundlagen

2.2.4.1 Neomycinbindendes Aptamer

Einer der kleinsten synthetischen, regulatorisch wirksamen Riboswitches ist das neomycinbindende Aptamer (N1, Abbildung 2.3).15 Es setzt sich aus nur 27 Nukleotiden zusammen und bindet mit sehr hoher Affinität (Kd=10 ± 2,0 nM) das Aminoglycosid und Breitbandantibiotikum Neomycin B (Neo).95

Abbildung 2.3. a) NMR-Struktur (NDB/PDB-ID: 2KXM) des N1-Aptamers mit gebundenem Liganden (hier Ribostamycin).96 b) Strukturformel von Neomycin B. Die rot markierte NH3+-Gruppe nimmt an den Wasserstoffbrückenbindungen zum N1-Aptamer teil.95,96 c) Sekundärstruktur des N1-Aptamers ohne (-Neo) und mit (+Neo) gebundenem Liganden.95,96

Das Aptamer wurde durch eine Kombination aus in-vitro-Selektion (SELEX) und in-vivo-Screening gefunden.15 Dazu wurde, in über sechs Runden einer in-vitro-Selektion, ein Pool aus Neomycin-B-Aptameren geschaffen.97 Diese wurden vor einen GFP-Reporter (green flurescent protein, grün fluoreszierendes Protein) in einen Hefe-Vektor eingebaut und über Eschericha coli (E. coli) vervielfältigt. Anschließend wurde die so entstandene Bibliothek (≈5∙104 Sequenzen) in Hefe-Zellen übertragen. Dabei zeigte sich, dass es nur bei einem Bruchteil (≈2500 Sequenzen) der Kandidaten überhaupt möglich war, GFP zu exprimieren. Dieser Bruchteil wurde wiederum auf regulatorische Fähigkeiten getestet, wodurch die Bibliothek auf 30 Kandidaten eingeschränkt werden konnte. Über Sequenzanalyse konnten letztlich zehn zum Teil sehr ähnliche Sequenzen identifiziert werden. Diese Sequenzen konnten anschließend weiter verkürzt werden (Kürzungsanalyse, truncation analysis), wodurch letztlich das N1-Aptamer gefunden wurde.15

Die genaue Struktur des Aptamers wurde mittels NMR-Methoden aufgeklärt und eingängig untersucht (Abbildung 2.3a). Allerdings wurde dabei als Ligand nicht Neomycin (Abbildung 2.3b), sondern das strukturell sehr ähnliche Ribostamycin (Rio) verwendet. Bei Ribostamycin befindet sich am C3 der Ribose kein Ring-IV, sondern eine OH-Gruppe. Es konnte allerdings gezeigt werden, dass Ring-IV nicht an der Ligandenerkennung des Aptamers beteiligt ist.15

Strukturell besteht das N1-Aptamer (vgl. Abbildung 2.3a,c) aus einem Stamm (closing stem), einer internen Schleife (internal loop) sowie einer Haarnadelstruktur (terminal loop, terminale Schleife).95,96,98 Die interne Schleife und die Haarnadelstruktur sind wiederum über eine kurze helikale Stammstruktur verbunden. Laut den NMR-Studien wird die eigentliche Ligandenbindetasche des Aptamers durch die interne Schleife und die Haarnadelschleife gebildet. Wenn Neomycin gebunden ist, bilden die beiden Schleifen quasi eine durchgängige A-Form-Helix. Dies wird begünstigt durch Stacking-Effekte zwischen den Basen G5:C23 und G9:C22.95,96 Allerdings ist die A-Form-Helix nicht perfekt, sondern wird durch einen Teil der internen Schleife unterbrochen, der sich nach außen wölbt (bulge). Dieser Bulge und die Helix formen schließlich die eigentliche Bindetasche, die man sich wie eine Art Klammer vorstellen kann. Die Haarnadelschleife, genauer gesagt die Base A17, bildet dabei eine Art Klappe, die über die Bindetasche reicht.95 Der untere Teil der internen Schleife ist für die Ausbildung des Bulges verantwortlich. Diese strukturelle Änderung im ligandengebundenen Zustand ist für die regulatorischen Eigenschaften des Aptamers essenziell.99

Der Ligand selbst besteht aus mehreren Ringen (Abbildung 2.3b). Im gebundenen Zustand werden Ring I und Ring II zwischen den Basenpaaren G5:C23 und U13:U18 sozusagen eingeklemmt.95 Außerdem ist eine NH3+ -Gruppe des Liganden (rot markiert in Abbildung 2.3) über Wasserstoffbrücken zu den Basen G9 und U10 am Aptamer gebunden. Darüber hinaus gibt es noch elektrostatische Wechselwirkungen zwischen dem Liganden und den Basen G9 und A17 des Aptamers.95

2.2 Nukleinsäuren Liganden sind in Lösung wahrscheinlich beide Faltungen zu finden. Allerdings bindet der Ligand über Konformationsauswahl (conformational selection) spezifisch an die vorgeformte Bindetasche.95,96,100

Die Struktur des neomycinbindenden Aptamers ist also sehr gut untersucht, was auch weitreichende Schlüsse auf den Mechanismus der Ligandenbindung zulässt. Allerdings fehlen Informationen zur Bindungsdynamik, die es erlauben würden, den Bindungsmechanismus weiter und genauer zu charakterisieren. Dementsprechend ist dies eine im Rahmen dieser Arbeit, mithilfe von fluoreszenzmarkierten Aptamerproben, bearbeitete Fragestellung.

2.2.4.2 Purinebindende Riboschalter

Im Unterschied zum neomycinbindenden Aptamer handelt es sich bei dem adenin- (adenine sensing riboswitch, ASW) sowie bei dem guaninbindenden Riboswitch (guanine sensing riboswitch, GSW) um natürliche Riboswitches, die in der mRNA von Bacillus subtilis gefunden wurden (Abbildung 2.4).101–105 Die beiden Riboswitches sind typische Beispiele für die Genregulation durch nichtkodierende RNA. So haben ASW und GSW Einfluss auf Purin-Transport- und Biosyntheseprozesse in den bakteriellen Zellen.101,106

Im Detail kontrolliert GSW das xpt-Gen. Dieses Gen ist für eine Xanthin-Phosphoribosyltransferase sowie eine spezifische Permease verantwortlich. Ab einer bestimmten Guanin-, Hypoxanthin- oder Xanthin-Konzentration (KD<50 nM) wird die Expression des Gens durch GSW unterbunden (off-switch). Allerdings kann auch Adenin, wenn auch wesentlich schwächer, von GSW gebunden werden (KD>300 nM).101

Das ASW kontrolliert wiederum die Expression des pbuE-Gens, welches eine Purin-Effluxpumpeb codiert. Hier startet allerdings eine entsprechende Adeninkonzentration (KD≈0.3 µM) die Genexpression (on-switch). Die Bindung von Guanin (KD>10 µM) bzw. von Hypoxanthin (KD>100 µM) ist wiederum wesentlich schwächer.101

Abbildung 2.4. Sekundärstrukturen des adeninbindenden (a) und des guaninbindenden (b) Aptamers.101–105 Strukturformeln der Liganden Adenin (c), Guanin (d), Xanthin (e) und Hypoxanthin (f).

Wie in Abbildung 2.4 zu erkennen ist, sind sich ASW und GSW sequenziell und folglich auch strukturell sehr ähnlich. Dieses RNA-Motiv wird auch G-Box genannt. Strukturell entspricht die G-Box einer Kreuzung aus drei RNA-Stammregionen (P1, P2, P3; three-stem-junction). Dabei sind die Stämme P2 und P3 jeweils von einer Schleife (L2, L3) abgeschlossen. Die so gebildeten Haarnadelstrukturen sind untereinander sowie mit dem offenen Stamm P1 über einzelsträngige RNA-Regionen verbunden. Die Sequenzen dieser verbindenden Regionen unterscheiden sich für ASW und GSW lediglich an der eigentlichen Bindestelle. So befindet sich bei ASW an Position C74 eine Uracilbase, um mit Adenin paaren zu können. An der gleichen Stelle befindet sich beim GSW eine Cytosinbase, um mit Guanin binden zu können.101

Mittels Kristallstrukturanalysen von GSW und ASW konnte eine genauere Analyse der jeweiligen Bindungssituation vorgenommen werden.102,103,105 Dabei zeigte sich, dass die dreidimensionalen Strukturen der beiden Aptamere aufgrund der sequenziellen Ähnlichkeit im Großen und Ganzen nahezu identisch sind.103 Dabei

b Eine Effluxpumpe pumpt Ionen oder Moleküle (hier Purin) aus der Zelle heraus.

Theoretische Grundlagen

konnte gezeigt werden, dass die Aptamere jeweils eine Bindetasche ausformen, die wiederum den gebundenen Liganden fast vollständig umschließt: Im ligandengebundenen Zustand werden Wasserstoffbrücken zwischen den Schleifen L2 und L3 ausgebildet, wodurch die Stämme P2 und P3 parallel zueinander stehen. Durch die zusätzliche Bindung von Kationen werden dabei auftretende elektrostatische Abstoßungen verringert. Um die Ligandenbindestelle an Position 74 (U74 bei ASW; C74 bei GSW) bilden sich mehrere Basentripletts aus, die den Liganden einschließen. Die Positionen U22, U47, U51 und C74 bzw. U74 formen dadurch einen Quadrupel, der auf die P1-Helix gestackt ist und in dessen Zentrum der Ligand über Wasserstoffbrücken gebunden ist. Dabei kommt es zu Wechselwirkungen zu allen funktionellen Gruppen des Liganden, was die Bindungsspezifität des Aptamers erklärt.102,105

Die fast vollständige Umschließung des Liganden durch das Aptamer lässt direkte Rückschlüsse auf den Bindemechanismus zu. So muss die Ligandenbindung größere strukturelle Änderungen hervorrufen, die schließlich zu der oben beschriebenen gefalteten Struktur führen. Ein Konformationsauswahlmechanismus (conformational selection) kann ausgeschlossen werden, da der Ligand keinen Zugang zur Bindetasche hätte, wenn das Aptamer schon ohne Ligand (vor-)gefaltet wäre.102,105