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2.7 Reaktionskinetiken

Wie schon in der Einleitung beschrieben wurde, beschäftigt sich diese Arbeit mit den Bindungsmechanismen von Aptameren. Im Besonderen wurde hierbei die Bindungskinetik des neomycinbindenden Aptamers untersucht, wobei die Reaktionsgeschwindigkeit sowie die Reaktionsordnung entscheidende Rollen spielen.

Dementsprechend werden in den folgenden Absätzen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige Kinetikgrundlagen besprochen. Für entsprechende Details sei allerdings auf die einschlägigen Lehrbücher verwiesen.132,135,162,163 Aus diesen Büchern wurden auch die Informationen für die folgenden Unterkapitel entnommen.

2.7.1 Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit

Die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion hängt ganz allgemein von der chemischen Zusammensetzung und der Temperatur des Reaktionsgemisches ab. So nimmt die Geschwindigkeit der meisten chemischen Reaktionen mit steigender Temperatur zu. Als Faustregel wird in diesem Zusammenhang häufig die van’t-Hoff’sche Regel genannt. Diese wird häufig auch Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur-Regel, kurz RGT-Regel, genannt und besagt, dass eine Temperaturerhöhung um 10 K eine Verdopplung bis Verdreifachung der Reaktionsgeschwindigkeit verursacht. Besser wird der Zusammenhang von Reaktionsgeschwindigkeit und Temperatur durch die Arrhenius-Gleichung beschrieben.135

𝑙𝑛𝑘 = 𝑙𝑛𝐴 −𝐸𝐴

𝑅𝑇 Formel 2.48

Hier ist k die Reaktionsgeschwindigkeitskonstantek, A der präexponentielle Faktor, EA die Aktivierungsenergie, R die ideale Gaskonstante und T die Temperatur in Kelvin.

2.7.2 Reaktionsordnungen

Bei konstanter Temperatur, wie es bei den meisten der hier gezeigten Experimente der Fall ist, hängt die Reaktionsgeschwindigkeit allerdings von der Konzentration der Reaktionspartner ab. Allgemein kann deshalb die Reaktionsgeschwindigkeit v mit dem folgenden Geschwindigkeitsgesetz beschrieben werden:135

𝑣 = 𝑘[𝐴]𝑎[𝐵]𝑏… Formel 2.49

In den eckigen Klammern stehen die Konzentrationen der Reaktanten. Die Potenzen beschreiben die Ordnung der Reaktion in Bezug auf den entsprechenden Reaktionspartner. Die Summe all dieser Ordnungen (a+b+…) wird Gesamtordnung der Reaktion genannt. Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass die Reaktionsordnung nicht ganzzahlig sein muss und auch den Wert null annehmen kann. In diesem Spezialfall spricht man von einer Reaktion nullter Ordnung und das Geschwindigkeitsgesetz vereinfacht sich wie folgt:135

𝑣 = 𝑘 Formel 2.50

Viele katalytische, enzymatische oder photochemische Reaktionen weisen diese Reaktionsordnung auf. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist konzentrationsunabhängig und ändert sich dementsprechend auch nicht über die Zeit.135 Einige simple Reaktionsschemata mit zugehörigen Reaktionsordnungen sind beispielhaft in Tabelle 2.2 zusammengestellt.

Tabelle 2.2. Schematische Reaktionsgleichungen für Reaktionen nullter, erster und zweiter Ordnung.

Ordnung Reaktionsgleichung Kommentar

0. A → B z.B. katalytische oder photochemische Reaktionen

1. A → B + C z.B. (radioaktive) Zerfallsreaktionen

2. A + A → B bimolekulare Reaktion, zwei gleiche Reaktionspartner

2. A + B → C bimolekulare Reaktion, zwei unterschiedliche Reaktionspartner

k Die Einheit von k hängt von der Ordnung der Reaktion ab.

Theoretische Grundlagen

2.7.2.1 Reaktionen erster Ordnung

Allgemein handelt es sich aber bei den Geschwindigkeitsgesetzen für die verschiedenen Ordnungen um Differenzialgleichungen. Durch Integration ist es dementsprechend möglich, die Konzentrationen in Abhängigkeit von der Reaktionszeit zu beschreiben. Folgende Differenzialgleichung beschreibt eine Reaktion erster Ordnung:135,164

𝑣 =𝑑[𝐴]

𝑑𝑡 = −𝑘[𝐴] Formel 2.51

Diese Gleichung kann wiederum folgendermaßen gelöst werden:135 𝑙𝑛 ([𝐴][𝐴]

0) = −𝑘𝑡 bzw. Formel 2.52

[𝐴] = [𝐴]0𝑒−𝑘𝑡 Formel 2.53

Hierbei ist [A] die Konzentration des Stoffs A zu einem beliebigen Zeitpunkt t und [A]0 die entsprechende Konzentration zum Zeitpunkt t=0. Die Halbwertszeit hängt hier nicht von der Konzentration des Reaktanten ab.135 Dementsprechend sind typische Beispiele für Reaktionen erster Ordnung der radioaktive Zerfall oder auch der thermische Zerfall chemischer Verbindungen.163

Von einer Reaktion pseudo-erster Ordnung spricht man, wenn eine Reaktion eigentlich von der Konzentration mehrerer Substanzen abhängig ist, aber alle bis auf einen Reaktanten in großem Überschuss vorliegen. Allgemein kann, wenn Reaktanten in großem Überschuss vorliegen, deren Konzentration als konstant genähert werden.

Dementsprechend hängt die Reaktionsgeschwindigkeit hier nur noch von der Konzentration des nicht im Überschuss vorliegenden Reaktionspartners ab. Diese sogenannte Isoliermethode kann zur Bestimmung des Geschwindigkeitsgesetzes von Reaktionen verwendet werden.135

2.7.2.2 Reaktionen zweiter Ordnung

Für eine Reaktion zweiter Ordnung gelten im simpelsten Fall, also bei zwei identischen Reaktionspartnern, folgende Gleichungen:135,163,164

Bei unterschiedlichen Reaktionspartnern wird die Reaktionsgeschwindigkeit dagegen folgendermaßen beschrieben:162,164

𝑣 = −𝑑[𝐴]

𝑑𝑡 = −𝑑[𝐵]

𝑑𝑡 =𝑑[𝐶]

𝑑𝑡 = 𝑘[𝐴][𝐵] Formel 2.57

Im Unterschied zu Reaktionen erster Ordnung hängt hier die Halbwertszeit von der Konzentration der Reaktanten ab. Ein Beispiel einer Reaktion zweiter Ordnung ist z.B. die Reassoziation komplementärer Nukleinsäureeinzelstränge.163

2.7 Reaktionskinetiken

2.7.3 Reaktionsmechanismen

Viele chemische Reaktionen laufen nicht in einem einzelnen Schritt ab, sondern weisen einen Mechanismus bestehend aus mehreren Schritten auf, die auch Elementarreaktionen genannt werden.

Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Molekularität der Elementarreaktionen. Diese bezeichnet die Anzahl der Teilchen, die gleichzeitig miteinander zusammenstoßen müssen damit eine Elementarreaktion abläuft. Dementsprechend wird bei einer unimolekularen Reaktion kein Reaktionspartner benötigt. Die Reaktion ist erster Ordnung. Bei einer bimolekularen Reaktion dagegen sind zwei Reaktionspartner nötig. Deshalb ist diese Elementarreaktion zweiter Ordnung.135

Unabhängig von Molekularität und Ordnung der Elementarreaktionen muss außerdem bei vielen Reaktionsmechanismen berücksichtigt werden, dass es nicht nur Hin- sondern auch Rückreaktionen gibt. Es müssen also Gleichgewichtsreaktionen mit zwei Geschwindigkeitskonstanten k1 und k-1 betrachtet werden.

Dementsprechend kann für die Reaktionen das Massenwirkungsgesetz aufgestellt und eine Gleichgewichtskonstante K berechnet werden, womit eine Verbindung zur Thermodynamik hergestellt wäre.163 Allgemein also auch für mehrstufige Reaktionen gilt, dass sich die Gleichgewichtskonstante einer chemischen Reaktion durch die Geschwindigkeitskonstanten der einzelnen Reaktionsschritte ausdrücken lässt.135,163

Im Rahmen dieser Arbeit liegt der Fokus auf Ligandenbindungsreaktionen. Bei diesen Reaktionen bindet ein biologisches Makromolekül A, wie z.B. ein Aptamer, einen Liganden L an sich, weshalb in der Folge einige bimolekulare Reaktionen näher betrachtet werden sollen. Die Hinreaktion wird in diesem Zusammenhang Assoziation und die Rückreaktion Dissoziation genannt. Prinzipiell unterscheidet man bei solchen Bindungsreaktionen zwischen zwei Modellen (Abbildung 2.12): So kann der Ligand durch Konformationsauswahl (conformational selection) oder durch einen induzierten Anpassungsmechanismus (induced fit) an das Makromolekül binden. Tatsächlich ist allerdings eine klare Unterscheidung zwischen beiden Modellen nicht immer möglich.87,135,165

Abbildung 2.12. Vergleich der Bindungsmechanismen der Konformationsauswahl (conformational selection) und der induzierten Anpassung (induced fit). A = Aptamer, L = Ligand, A* = Aptamer in bindungsbereiter Konformation, AL* = Zwischenzustand, AL = Aptamer mit gebundenem Liganden.165

Bei der Konformationsauswahl geht man davon aus, dass die Strukturen von Ligand und Makromolekül perfekt zusammenpassen. Dementsprechend sind zur festen spezifischen Bindung des Liganden keine größeren strukturellen Umlagerungen nötig. Allerdings kann sich der Ligand dadurch natürlich auch, ohne strukturelle Änderungen zu provozieren, wieder vom Makromolekül lösen. Deshalb kann dieser Bindungsmechanismus als einstufige reversible Bindungsreaktion beschrieben werden.l Im entsprechenden Reaktionsschema wird das Makromolekül mit gebundenem Liganden dabei mit AL abgekürzt:87,135

𝐴+ 𝐿 𝐴𝐿

l Das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Konformationen des Makromoleküls wird in diesem Fall nicht berücksichtigt.

Theoretische Grundlagen

Beim induzierten Anpassungsmechanismus (induced fit) dagegen passen die Bindestelle im Makromolekül und der Ligand zunächst nicht perfekt strukturell zusammen. Allerdings löst eine mehr oder weniger unspezifische Bindung des Liganden eine konformationelle Änderung des Makromoleküls hervor. Erst dadurch wird der Ligand fest gebunden. Dementsprechend verläuft der Reaktionsmechanismus hier zweistufig über einen Zwischenzustand AL* unter folgendem Reaktionsschema: 87,135,162

Zur Beschreibung von Enzymkinetiken wird diese Gleichung häufig zum sogenannten Michaelis-Menten-Mechanismus vereinfacht:87,135,162

Hier wird die Rückreaktion des zweiten Reaktionsschrittes vernachlässigt. Dies ist bei Enzymreaktionen möglich, da hier der erste Schritt die Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes AL* darstellt, während der zweite Schritt eine irreversible Umsetzung des Substrats beschreibt.

Allerdings ist dieses klassische Bindungsmodell nicht ohne Weiteres für die Beschreibung von Aptamerbindungsprozessen geeignet, da es in diesem Fall nicht zu einer Produktbildung kommt. Andererseits könnte der irreversible zweite Schritt im Fall von Aptameren größere strukturelle Änderungen im Aptamer beschreiben.

Allgemein wird die Geschwindigkeit der Bildung des Endprodukts AL für den Michaelis-Menten-Mechanismus mit der gleichnamigen Gleichung beschrieben:162

𝑑[𝐴𝐿]

𝑑𝑡 = 𝑘2[𝐴𝐿] = 𝑘2

[𝐴]0∙ [𝐿]

𝐾𝑀+ [𝐿] Formel 2.62

Wobei [A]0 die Anfangskonzentration des Makromoleküls und KM die Michaelis-Konstante ist.162 𝐾𝑀=𝑘−1+ 𝑘2

𝑘1

Formel 2.63

Neben einstufigen und zweistufigen Bindungsmechanismen sind natürlich viele weiterer Mechanismen denkbar.

Diese lassen sich allerdings prinzipiell auf die beschriebenen Modelle herunterbrechen oder an diese annähern, weshalb auf deren Beschreibung an dieser Stelle verzichtet wird.

3 Material und Methoden

In diesem Unterkapitel sollen die im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Materialien und Methoden kurz erklärt bzw. genannt werden. Insbesondere soll hier auf die entsprechenden Anlagen und Messbedingungen, sowie auf Auswerte- und Korrekturmethoden eingegangen werden. Auch die jeweiligen Probenpräparationen werden in diesem Kapitel beschrieben.