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Das letzte Kapitel vorliegender Master Thesis soll nun einen Überblick über die zentralen Ergebnisse in Bezug auf folgende dreigliedrige Forschungsfrage geben:

1) Wie erleben Frühförderinnen das Phänomen des digitalen Medienkonsums in den betreuten Familien während der Frühfördereinheit,

2) auf welche Weise deuten sie diesen Verhaltensausdruck und

3) welche Möglichkeiten und Herausforderungen ergeben sich durch die Konfrontation mit Medienkonsum für die beziehungsfördernde Arbeit mit den Familien?

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Literatur und Studien einerseits und im Zuge der Untersuchung andererseits stellte sich heraus, dass der Diskussion um den Einzug von Smartphone und Co. in die Frühfördereinheit bisher noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die bereits existierenden Abhandlungen und Untersuchungen beschäftigen sich weitgehend mit dem Medienkonsum im Familienalltag sowie mit den Auswirkungen auf die Entwicklung und Beziehung. Die Frage, was die digitale Eroberung der Welt der Allerkleinsten für das Arbeitsfeld der Mobilen Frühförderung – und hier insbesondere für das Wirkungsziel der Beziehungsförderung – bedeutet, wurde bislang nur unzureichend Aufmerksamkeit geschenkt.

Aktuelle Kindermedienforschung beschäftigt sich vorranging mit dem Nutzungsverhalten von Kindern und Erziehungspersonen sowie den Auswirkungen auf die Kindesentwicklung und die Beziehungsgestaltung in den Familien. Jüngste Studien weisen in den genannten Punkten auf einen Zusammenhang zwischen kindlicher Mediennutzung und Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten sowie auf die negativen Auswirkungen von Medienkonsum auf die Beziehungen hin (BLIKK 2018, Life CHILD 2018, miniKIM 2014, Krasnova et al. 2015, Poulain et al.

2018, Radesky et al. 2016, Spitzer 2018). Die Familienforschung nimmt die medialen Praktiken von Kindern und Eltern im Alltagsleben in den Blick (Lange 2014, Schulz 2014, Theunert 2007) und betrachtet Medienhandlungen von Familienmitgliedern als einen integralen Bestandteil des Familienalltages. Die neuere praxistheoretisch inspirierte Familienforschung beleuchtet die Medienpraktiken in den Familien unter zwei zentralen Aspekten: einerseits der mediengeleiteten Alltagsorganisation aufgrund von zeitlicher und räumlicher Entgrenzung von Familien- und Arbeitsstrukturen und andererseits unter dem Blickwinkel des Konzepts des Doing Family, welches Familie als etwas beschreibt, das man tut und nicht als etwas, das man hat. Hinsichtlich

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des Doing Family sind mediale Praktiken in den Familien in unterschiedlichsten Ausprägungen sozialisiert.

Ausgehend von den Hinweisen auf die beeinträchtigenden Auswirkungen des Smartphones auf die (Eltern-Kind)-Beziehung (McDaniel/Radesky 2018, Krasnova et al. 2015, Spitzer 2018), wurde in vorliegender Arbeit weiters der Blick auf die Bedeutung und den Stellenwert der Beziehungsarbeit in der Mobilen Frühförderung und Familienbegleitung gerichtet (Fries et al.

2005, Thurmair/Naggl 2010, Speck 2003). Eine erfolgreiche Beziehungsanbahnung ist wesentlich abhängig von der Mentalisierungskompetenz der Frühförderin, also der Fähigkeit eines angemessenen Verstehens der inneren Welt ihres Gegenübers (Datler 2009), sowie von einer feinfühligen und adäquaten Wahrnehmung und Interpretation von kindlichen Signalen (Ainsworth 2003, Bowlby 1975, Ziegenhain 2004). Im Zuge einer qualitativen Untersuchung wurde die Wahrnehmung von medialen Familienpraktiken der Frühförderinnen und die daraus resultierenden Überlegungen und Herangehensweisen für die beziehungsfördernde Arbeit mit Kindern und Eltern erfragt.

Ziel dieser Master Thesis war es, einen Einblick in die Erfahrungen von Frühförderinnen mit der Begegnung von digitalem Medienkonsum in ihrem Arbeitsalltag zu gewähren und so einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion zu leisten. Für die Darstellung der subjektiven Erfahrungen der Frühförderinnen wurden drei problemzentrierte Interviews nach Witzel durchgeführt und die erhobenen Daten nach der Methode der inhaltlichen Strukturierung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Aufgrund der geringen Anzahl von Interviews können aus der für diese Master Thesis durchgeführten Untersuchung keine allgemeingültigen Aussagen abgeleitet werden. Es soll vielmehr ein Versuch sein, durch die Verknüpfung der Untersuchungsergebnisse mit den bereits existierenden Abhandlungen und Untersuchungen erste Überlegungen in Bezug auf den Umgang mit digitalen Medien im Arbeitsfeld der Mobilen Frühförderung und Familienbegleitung anzustellen. In weiterer Folge soll dafür nun noch einmal auf die Forschungsfragen Bezug genommen und mögliche Antworten auf diese formuliert werden. Abschließend werden Überlegungen zu möglichen Anknüpfungspunkten für weiterführende Untersuchungen zum Thema angestellt.

Zur Beantwortung des ersten Teiles der Forschungsfrage wurde das Erleben von Medienkonsum in zweierlei Hinsicht erfragt: Einerseits konnte durch die Befragung Aufschluss darüber gewonnen werden, was – im Sinne von Fallbeispielen und Situationsbeschreibungen – Frühförderinnen in ihrem Arbeitsalltag erleben. Andererseits wurde in den Gesprächen darauf geachtet zu erfahren, wie Frühförderinnen Medienkonsum in der Frühfördereinheit erleben – im Sinne von: welche

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Gefühle und Impulse dadurch ausgelöst werden. Die Begegnungen mit Medienkonsum erwiesen sich als äußerst facettenreich. Anwesende Eltern benutzen ihr Smartphone sowohl in ausgrenzender Weise indem sie sich in ihre Touchscreens vertiefen, die ein gefühltes „Bitte nicht stören“-Schild vermitteln, als auch in einbeziehender Weise, indem sie der Frühförderin Fotos und Videos aus dem Familienkreis zeigen. Von den Interviewpartnerinnen wird das als Anknüpfungspunkt für beziehungsintensivierende Gespräche oder Teilhabe am Familienalltag aufgegriffen. Kindlicher Medienkonsum wird von den befragten Personen als ein selbstverständlich gewordener Teil des Familienalltages – und somit auch Frühförderalltages – mit hoher Anziehungskraft auf Kinder beschrieben, der von Frühförderinnen als ein Störfaktor in der Beziehung erlebt wird, auch zwischen den Familienmitgliedern untereinander. Die befragten Frühförderinnen empfinden sich oftmals in Konkurrenz mit dem Gerät und sehen sich selbst und ihr Angebot als chancenlos gegenüber der Attraktivität des Smartphones. Frust, Ärger, Ratlosigkeit und empfundene Geringschätzung sind die daraus entspringenden Gefühle, die in diesem Zusammenhang von den Gesprächspartnerinnen erwähnt werden. Eine dezidiert gegensätzliche Auffassung herrscht gegenüber den von Eltern behaupteten Lerneffekten, die die Frühförderinnen als bedeutungsloses Nachsprechen oder Nachsingen jener Videosequenzen verstehen, die sich Kinder auf den Smartphones der Eltern ansehen. Diese Selbsttäuschung der Eltern über den vermeintlichen Kompetenzerwerb des Kindes zu relativieren, stellt Frühförderinnen vor eine besonders große emotionale Hürde.

Die Befragung zum zweiten Element der Forschungsfrage fokussierte auf die Art und Weise, wie Frühförderinnen den elterlichen Medienkonsum während ihrer Anwesenheit als Verhaltensausdruck für innerpsychische Prozesse deuten und interpretieren. Weiters wurde der Frage nachgegangen, ob es im Arbeitsfeld der Mobilen Frühförderung und Familienbegleitung Raum und Zeit für eine diesbezügliche Auseinandersetzung gibt und ob diese dafür genützt wird.

Die Gesprächspartnerinnen nennen geschlossen die Möglichkeit einer thematischen Auseinandersetzung im Zuge der wöchentlichen Fallbesprechungen und in den Supervisionseinheiten. Meist wird dieses Thema nur im Anlassfall besprochen – nämlich dann, wenn seitens der Frühförderinnen Sorge, Ohnmacht, Ratlosigkeit oder Ähnliches im Zusammenhang mit Medienkonsum in den Familien auftaucht. Die Interpretationen des elterlichen Medienkonsums drücken sich in Zuschreibungen unterschiedlicher Gefühlszustände der Eltern aus, die eine (Schein-)Beschäftigung mit dem Smartphone notwendig machen, um eine Situation für sie aushaltbar zu machen. Die seitens der Frühförderinnen geäußerten Annahmen waren hier die Angst vor etwas Neuem, ein Gefühl von Bedrohung oder Unsicherheit oder ein aus unterschiedlichen Gründen hervortretendes Unvermögen, ihre Aufmerksamkeit der Beobachtung des Spiels zwischen Frühförderin und Kind zu widmen. Hierfür wurden von den

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befragten Personen ebenfalls verschiedene Möglichkeiten in Erwägung gezogen, wobei hier nur die am eindrücklichsten geschilderten Varianten genannt werden: Frühförderinnen vermuten, Eltern ertrügen die im Spiel sichtbar werdende Beeinträchtigung ihrer Kinder nicht und müssten sich deshalb von der Situation abwenden oder mit der Zuwendung zum Smartphone einen emotionalen Sicherheitsabsand schaffen. Oder die Eltern schützen sich zum Beispiel im Gruppenangebot vor vermeinlich verächtlichen Blicken der anderen, indem sie ihre Aufmerksamkeit dem Smartphone widmen und so – bildhaft ausgedrückt – eine mediale Knautschzone erzeugen.

Das dritte Glied der Forschungsfrage fand seine Beantwortung in den Erzählungen der befragten Frühförderinnen darüber, ob sie einen Zusammenhang zwischen der steigenden Präsenz des Smartphones im Familienalltag und den Herausforderungen und Möglichkeiten für das Wirkungsziel der Beziehungsförderung sehen und welche Handlungsstrategien sich daraus ergeben. Zwei Tendenzen sind dabei allen gemein: Einerseits der als unerreichbar eingeschätzte Wunsch nach einer völligen Absenz des Smartphones im kleinkindlichen Alltag und andererseits die Überzeugung, dass ein Aussprechen eines Handyverbotes kontraproduktiv für einen Beziehungsaufbau wäre und weder als zielführend noch als nachhaltig bewertet und daher nicht ausgesprochen wird. Daraus erwachsen unterschiedliche Herangehensweisen der Frühförderinnen, die alle zum Ziel haben, den Handykonsum aus der Frühfördereinheit zu eliminieren. Eine Unterscheidung in adäquates und inadäquates kindliches Medienverhalten für die Altersklasse der betreuten Frühförderkinder27 konnte aus den Befragungen nicht herausgearbeitet werden. Der von allen Gesprächspartnerinnen geschilderte diesbezügliche Interventionsversuch gegenüber den Eltern bestand in einer fachlichen Beratung hinsichtlich der Notwendigkeit von begrenzten Nutzungszeiten und kontrollierten Inhalten. Da die Verantwortungszuschreibung für kindliches Medienhandeln aus der Sicht der befragten Frühförderinnen ausschließlich bei den Eltern liegt, sind die Reaktionen darauf weitgehend auf die Eltern gerichtet. Am ehesten gelingt ein Kontakt mit einem medienabsorbierten Kind nach den Einschätzungen der Gesprächspartnerinnen, wenn man entweder konsequent beim individuellen (analogen) Angebot der Frühförderung bleibt und so durch konstante, wöchentliche Wiederholung das Interesse und die Spielzeit durch eine Intensivierung der Beziehung auszudehnen versucht. Oder man greift die digitalen Inhalte des kindlichen Interesses in Form eines analogen Spiels auf und kann so die Zuwendung der Aufmerksamkeit auf die Frühförderin ziehen.

27 Null- bis sechsjährige Kinder, längstens bis zum Kindergarteneintritt

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Gegenüber dem elterlichen Medienkonsum herrscht unter den Gesprächspartnerinnen vorwiegend Respekt vor der Abwehr von belastenden Gefühlen, die ihren Ausdruck in der Zuwendung zum Smartphone zu finden scheint. Ist die Intention für dieses Verhalten für die Frühförderin erkennbar, so wird kaum interveniert. Besonders während der ersten Hausbesuche lassen Frühförderinnen bewusst die elterliche Zuwendung zum Smartphone zu, da sie dies der Nervosität aufgrund der neuen Situation zuschreiben. Überwiegt der Eindruck bei den Frühförderinnen, dass Eltern die Zeit der Frühförderung nutzen, um sich aus dem Familiengeschehen auszuklinken, so führt dies zu Ärger und Gefühlen der Geringschätzung seitens der Frühförderinnen. Die Problematisierung des elterlichen Medienkonsums in der Frühfördereinheit im direkten Austausch mit den Eltern erfolgt entweder zögerlich oder gar nicht.

Das Zögern ergibt sich aus der Frage nach dem richtigen Zeitpunkt des Ansprechens und der Befürchtung, Widerstände seitens der Eltern auszulösen und dadurch die Frühförderbeziehung zu gefährden. Das Arbeiten im Zuhause der Familien wird hinsichtlich der Thematisierung eines inadäquaten, elterlichen Medienverhalten von zwei der befragten Personen als ein Hemmnis angesehen, da bezüglich des Medienkonsums die Respektierung der Familiengewohnheiten und -regeln im Spannungsfeld mit dem pädagogischen Credo der Frühförderinnen steht.

Obwohl alle Gesprächspartnerinnen es als Teil ihres beruflichen Selbstverständnisses sehen, einen Beitrag zur Sensibilisierung für adäquaten Medienkonsum in den Familien zu leisten, konnte eine gelungene Intervention, anhand derer nachhaltige Veränderungen festgemacht werden könnten, von den Frühförderinnen nicht dargestellt werden – eher sprachen sie von der Fruchtlosigkeit der Versuche, eine Veränderung im Medienverhalten zu bewirken. Die Frage nach einem diesbezüglichen Unterstützungsbedarf in Form von Beratung oder Fortbildung stieß nach einem Moment des Staunens dennoch weitgehend auf Verneinung.

Aufgrund der relativ kleinen Stichprobe wäre weiterführende Forschung in diesem Bereich erstrebenswert, um ein umfassenderes Bild der Vielschichtigkeit von Überlegungen zu und Herangehensweisen an die Konfrontation mit Medienkonsum in der Frühfördereinheit dokumentieren zu können. Weiters könnten künftige Studien mit der Fragestellung anschließen, wie es um die medienpädagogische Kompetenz der Frühförderinnen bestellt ist. Zwischen den von den Frühförderinnen geäußerten Empfehlungen und Hinweisen zum digitalen Medienkonsum (insbesondere der Kinder) in der Frühfördereinheit und den tatsächlichen Interaktionen oder Interventionen ist eine Diskrepanz erkennbar, die ein weiteres Forschungsfeld eröffnen könnte. Auffallend waren überdies die Schilderungen der Frühförderinnen über die speziellen Herausforderungen im Medienverhalten autistischer Kinder, die eine besonders intensive Affinität zu digitalen Medien zu haben scheinen. Der Blick auf den Zusammenhang

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zwischen dem Medienkonsum und der Behinderung eines Kindes im Allgemeinen – und jenem von autistischen Kindern im Besonderen – hätte den Rahmen vorliegender Master Thesis gesprengt. Weiterführende Untersuchungen mit dem Fokus auf die Bedeutung von digitalen Medien für Kinder mit Beeinträchtigung und deren Eltern werden hinsichtlich der Zielgruppe der Mobilen Frühförderung und Familienbegleitung als hilfreich erachtet.

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