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6 E RKENNBARE K OMPETENZEN DURCH DIE W EITERENTWICKLUNG SOZIALER

6.14 Reflexionsfähigkeit

Die Reflexionsfähigkeit ist ein spezieller Bereich, in dem die befragten Studierenden eine Weiterentwicklung ihrer Sozialkompetenzen sehen: Einerseits kam es im Laufe des Physiotherapiestudiums dazu, dass die Fähigkeit zur Selbstreflexion gesteigert werden konnte, andererseits war diese Veränderung ausschlaggebend dafür, dass die Studierenden einige andere sozialen Eigenschaften weiterentwickeln konnten oder sie bei sich selbst überhaupt Weiterentwicklungen im Bereich der sozialen Kompetenz erkennen konnten.

Die Fragebogenerhebung zeigte bei 42% der befragten Studierenden eine sehr starke bzw. bei 46% eine starke Steigerung in der Fähigkeit zu reflektieren. Lediglich 12% der Befragten sahen bei sich in diesem Bereich keine oder nur wenig Weiterentwicklung.

Abb.26: Fähigkeit zur Selbstreflexion. Quelle: Eigene Darstellung.

Zusätzlich merkten die Studierenden im Fragebogen an, dass sie mittlerweile geübt darin sind, Situationen und vor allem das eigene Verhalten oder Auftreten kritisch zu reflektieren, wenn sie im beruflichen oder auch privaten Umgang mit anderen Menschen erkennen, dass etwas nicht ganz rund läuft, und versuchen mögliche Verbesserungen auszumachen.

In die Selbstreflexion beziehen sie laut den befragten Studierenden in den Interviews auch die Überlegungen zu alternativen Herangehensweisen mit ein, um mit einer Situation umzugehen oder reflektieren im Austausch mit anderen Menschen

42%

46%

10%

2% 0%

Fähigkeit zur Selbstreflexion

sehr stark stark wenig gar nicht nicht beurteilbar

verschiedene Verhaltensmöglichkeiten (IP2; IP1). So machen sich die Studierenden auch mehr Gedanken darüber, was hinter Verhaltensweisen anderer Menschen stecken könnte und überlegen bzw. hinterfragen, warum jemand etwas macht (IP3).

Aus Sicht der Lehrenden bestehen zwar deutliche Unterschiede im Ausmaß der Selbstreflexionsfähigkeit (IPL5), im Durchschnitt erleben sie aber bei allen Studierenden eine bessere Reflexionsfähigkeit bzw. in dieser mehr Tiefgang (IPL1; IPL5; IPL7) und eine gewisse Reife (IPL8).

In den folgenden Unterkapiteln wird beschrieben, wie sich die gesteigerte Reflexionsfähigkeit der Studierenden bezüglich ihrer Handlungen und Defizite sowie die eigenen Erfahrungen konkret zeigen:

6.14.1 Reflexion der eigenen Handlungen

Als Vertreter*innen des physiotherapeutischen Berufs sind die Studierenden in der Lage, das Bild, welches sie als Professionsangehörige abgeben, zu reflektieren und gegebenenfalls zu adaptieren (IPL5). Sie können aufgrund der Reflexionsfähigkeit bewusst auswählen, „etwas zu tun oder nicht zu tun“ und demnach ihre Kompetenzen bewusst leben und nutzen sowie physiotherapeutische Maßnahmen gezielt einsetzen (IPL1). Die Steigerung der Reflexionsfähigkeit zeigt sich den Studierenden und Lehrenden nach darin, dass die Studierenden im Vorfeld ihrer Handlungen darüber nachdenken, was sie tun (IP3:5-5) bzw. wie sie an so eine Fallbearbeitung herangehen (IPL5). So sind sie in der Lage zu reflektieren, wen sie vor sich haben (IPL6) und wie sie auf Menschen zu- bzw. mit ihnen umgehen (IP5; IPL4). Auch überlegen die zukünftigen Therapeut*innen, wie es auf andere wirkt, wenn sie auf sozialer Ebene diesen oder jenen Weg in der Kommunikation (IPL4; IPL6) oder Berührung wählen, bzw. wenn sie im Umgang mit Körperlichkeit die Nähe und Distanz auf eine bestimmte Weise einschätzen (IPL6).

Die Studierenden können ihre eigenen Fähigkeiten erkennen und gezielt anwenden (IPL4), und gleichzeitig ihr Handeln wie z.B. das Anleiten einer Übung oder die Durchführung einer Technik, selbstreflexiv bewerten (IPL1; IPL4). So können sie im Nachhinein beurteilen, was gut gelaufen ist (IP3; IPL8), nützlich und zielführend war, sodass es beibehalten werden kann (IPL2; IPL4) bzw. was zu kritisieren ist und deshalb das nächste Mal verändert werden muss (IP3). Infolgedessen ist den Studierenden selbst auch bewusst, dass sie zwar vielleicht nicht die optimale Lösung gefunden haben, die Patient*innen jedoch trotzdem gut behandelt werden können (IP3).

Die Reflexion der eigenen Defizite wird im nächsten Kapitel extra beleuchtet.

6.14.2 Reflexion der eigenen Defiziten

In der Reflexion über misslungene Therapiesituationen, bedenken die Studierenden ihren Beitrag dazu und geben nicht automatisch anderen die Schuld, wenn etwas nicht funktioniert (IPL8). Sie reflektieren die eigenen Perspektiven und Möglichkeiten (IP2:9-9) sind in der Lage, eigene Fehler zu erkennen bzw. sich diese einzugestehen (IP1:20-20) und fragen nach bzw. um Hilfe, auch wenn ihnen bewusst ist, dass sie das Erfragte bereits wissen oder können sollten (IPL4). Die angehenden Therapeut*innen kennen laut eigenen Angaben die Grenzen ihres Wissen, ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten (IP1; IP2) und können besser mit eigenen Unzulänglichkeiten und Defiziten umzugehen (IP2), da ihnen bewusst ist, dass sie nie alles wissen, ihr Können einem steten Lernprozess unterworfen ist, und es immer wieder neue schwierige Situationen oder Patient*innen geben kann, bei denen Herausforderungen zu bewältigen sind (IP1).

Des Weiteren geben die Studierenden bezüglich der Aneignung von Wissen an, infolge der verbesserten Selbstreflexionsfähigkeit sich selbst besser einschätzen und deshalb abschätzen zu können, zu wieviel sie wofür lernen oder tun müssen (IP1). Sie können den Lernaufwand mit ihrem tatsächlichen Wissen abgleichen und an der Erwartungshaltung „wieviel sollte ich wissen“ messen (IP2).

Bezüglich ihrer Eindrücke und Ansichten zu Lehrveranstaltungen und Lehrpersonen beschreiben die Studierenden laut einer Lehrperson am Anfang oft nur ein Bauchgefühl wie „die ist gemein und die ist lieb“, das sie dann im Laufe der Zeit durch ihr Reflexionsvermögen differenzierter argumentieren und erkennbar machen können, warum sie in einem Unterricht oder von einem/ einer Lehrenden nicht mehr gelernt haben bzw. können auch ihr eigenes Engagement für das Gelingen ihres Lernprozesses selbstkritisch reflektieren (IPL8).

6.14.3 Reflexion von Erfahrungen

In der Auseinandersetzung mit ihren Erfahrungen aus den Praktika ist es den Studierenden aus Sicht der Lehrpersonen möglich, deutlich differenzierter und reflektierter über ihr Erleben der vielen dramatischen Schicksale der Patient*innen zu sprechen. So können sie in ihrer Selbstreflexion besser beschreiben, was es mit ihnen gemacht hat, beispielsweise schwer verletzte Brandopfer oder ein todkrankes Kind zu sehen (IPL8). Die zukünftigen Therapeut*innen können dabei mit mehr Respekt davor,

dass ein Mensch hinter den Diagnosen und Symptomen steht, von ihren Erfahrungen erzählen, aber auch mit einem gewissen therapeutischen Abstand sich selbst eingestehen, dass diese Erlebnisse bei ihnen etwas auslösen (IPL8).