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Rückschlüsse für nationales Recht

5 Rückschlüsse für nationales Recht

Nun stellt sich die Frage, wie sinnvoll es wäre, die BJR ähnlich wie in Deutschland auch im österreichischen Aktienrecht zu kodifizieren und inwieweit wäre dies eine Hilfe bei der Konkretisierung von unternehmerischem Ermessen.

Wie der OGH betont hat, führt eine bloß schlechte unternehmerische Entscheidung nicht per se zur Pflichtwidrigkeit und billigt Vorstandsmitgliedern einen gewissen Ermessensspielraum zu.215 Das heißt, auch in Österreich gibt es abgeleitet von § 70 Abs 1 AktG das unternehmerische Ermessen.216 Wie bereits in Kapitel 2 ausgeführt, folgt die Literatur der Aussage des OGH und tritt für ein Bestehen des unternehmerischen Ermessens ein. Der Vorstand schuldet die Sorgfalt eines Treuhänders, trägt aber das unternehmerische Risiko nicht.217

Wenn man nun die unternehmerische Ermessensentscheidung auf ihre Pflichtwidrigkeit hin prüft, fallen einem die Gemeinsamkeiten mit dem US - amerikanischen Recht sofort auf. Damit Ermessen vorliegt, muss es sich in Österreich, wie auch nach den Grundsätzen des ALI formuliert und auch gem § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG verlangt, um eine unternehmerische Entscheidung handeln. Dies ergibt sich daraus, dass § 70 Abs 1 AktG durch Gesetz, Satzung und Anstellungsvertrag begrenzt ist. Verstößt ein Vorstandsmitglied gegen diese Grenzen, liegt kein Ermessen vor.218

Weiters ist zu sagen, dass sowohl in Österreich als auch in Deutschland vor der Einführung des § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG eine Entscheidung nur dann pflichtgemäß ist bzw war, wenn genug Informationen beschafft wurden.219 Genau wie in den USA besteht aber immer das Problem wann der Zeitpunkt erreicht ist, an dem genügend Information vorliegt.220

215 OGH 1 Ob 144/01k, GesRZ 2002, 86 = ecolex 2003/22 = wbl 2002, 325 = GeS 2002, 26 = RdW 2002/350.

216 Schlosser, Die Organhaftung der Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft (2002), 45 ff.

217 Lutter, GesRZ 2007, 79.

218 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524; vgl weiters Torggler, ZfRV 2002/9, 133..; Kindler, Unternehmerisches Ermessen und Pflichtenbindung, Voraussetzungen und Geltendmachung der Vorstandshaftung in der Aktiengesellschaft ZHR 1998, 162.

219 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

220 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524.

Aus der Treuepflicht des Vorstandsmitglieds gegenüber dem Unternehmen lässt sich ableiten, dass es bei seiner Entscheidung auch desinterested sein muss, genau wie der director oder officer der US - amerikanischen Gesellschaft.221 Torgglermeint dazu, dass in einem Fall von Eigeninteresse keine Ermessensentscheidung vorliegt, „weil Schäden, die aus der Verfolgung gesellschaftsfremder Sonderinteressen resultieren, nicht Verwirklichung des Unternehmerrisikos der Gesellschaft sind.“222

Ähnlich dem rational business purpose test des ALI und dem Erfordernis in Deutschland, dass der Vorstand keine übermäßigen Risiken für die Gesellschaft eingehen darf, ist es dem Vorstand auch in Österreich nicht erlaubt, mit einer Entscheidung den Bestand des Unternehmens zu gefährden.223

Wie bei meiner Meinung zur deutschen Rechtslage halte ich auch in Österreich eine unternehmerische Entscheidung nur dann für pflichtgemäß, wenn der Vorstand gutgläubig handelt und selbst an seine Entscheidung glaubt. Wie bereits in Kapitel 4.2.1. erwähnt, ist dies internationaler Standard.224

Auch wenn die einzelnen Tatbestandsmerkmale, die vorliegen müssen, um im Ergebnis zu einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung zu gelangen, sehr ähnlich den ALI - Prinzipien sind, ist die Literatur gespalten, wenn es um die Übernahme der Rechtsfigur BJR in das österreichische AktG geht.

Torggler sieht zwar auch die vielen Gemeinsamkeiten, spricht sich aber aufgrund der Beweislastverteilung im US - amerikanischen Recht gegen eine pauschale Übernahme des US - Modells aus.225 Schima kann sich nicht vorstellen, wie sich die fünfteilige BJR in die Systematik des objektiven Sorgfaltsmaßstabs des § 84 Abs 1 AktG einfügen kann, vor allem in punkto Beweislast. Er sieht keinen Bedarf, den österreichischen § 84 Abs 1 AktG ähnlich der deutschen Übernahme der BJR anzupassen und zitiert dazu einen Satz von

221 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524.

222 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

223 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524.

224 vgl Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts (2006), RZ 60;

Block/Barton/Radin, The Business Judgment Rule (1998), 80 ff.

225 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

Montesquieu: „Wenn es nicht nötig ist ein Gesetz zu machen, dann ist es nötig kein Gesetz zu machen.“226

Andere Autoren wiederum sprechen sich für die Kodifizierung aus. Kunz zum Beispiel ist für eine Verankerung der BJR im öAktG, wenn auch nicht für eine eins zu eins Übernahme von § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG.227 Ähnliches meint dazu Lutter, der auch für eine Kodifikation eintritt.228

Die Autoren Kapsch/Grama sprechen sich zwar nicht klar für eine Kodifikation aus, sind aber der Meinung, dass „auch im österreichischen Recht Geschäftsentscheidungen, die sich innerhalb der gerade aufgezeigten Grenzen befinden, solange inhaltlich nicht überprüfbar“ sein dürfen, „als sie die Unternehmensleitung bewusst, sachkundig, unbefangen und in der Überzeugung, zum Wohle der Gesellschaft gehandelt zu haben, getroffen hat.“229 Ich verstehe ihren Beitrag so, dass die Gerichte die unternehmerische Entscheidung anhand der BJR prüfen sollen, eine Kodifikation möglich wäre, allerdings nicht nötig ist, da sich die Rechtslagen auf Tatbestandsebene weitgehend decken.

Ich würde mich der Meinung von Kunz anschließen. Wenn der OGH schon die Tatbestandsmerkmale einer BJR heranzieht, würde es zu erheblicher Rechtssicherheit beitragen, diese Prüfung des unternehmerischen Ermessens auch zu kodifizieren.

Allerdings hat man dabei vorsichtig zu verfahren. Die Grenzen des Ermessensspielraumes

„dürfen […] nicht so weit ausgedehnt werden, dass Managemententscheidungen faktisch gegenüber Kritik und Kontrolle immunisiert werden.“230

Bei der Frage, wer das Vorliegen oder Nichtvorliegen der BJR zu beweisen hat, bin ich in vielen Punkten der Meinung von Schima und sehe ein US - amerikanisches Beweislastsystem mit dem österreichischen Standard des § 84 AktG, angelehnt an § 1299 ABGB, nicht für vereinbar. Die deutsche Lösung, dass dem Vorstand der safe harbour der BJR dann zukommt, wenn er das auch beweisen kann, finde ich gelungen. Dieser Ansatz wäre auch in Österreich der richtige:

226 Schima , GesRZ 2007, 93

227 Kunz , GesRZ 2007, 91.

228 Lutter, GesRZ 2007, 79.

229 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524.

230 Grundei/Werder, Die Aktiengesellschaft 2005, 825

Sollten die Tatbestandsmerkmale der BJR vorliegen, hat der Vorstand dies zwar unter den strengen Voraussetzungen des § 84 Abs 2 Satz 2 AktG zu beweisen, gelingt ihm dies, sollte die Entscheidung aber inhaltlich nicht mehr überprüfbar sein.231

Für eine zwar nach der BJR pflichtgemäße Entscheidung, die aber inhaltlich einfach schlecht war und dadurch der Gesellschaft möglicherweise auch ein finanzieller Schaden entstanden ist, gibt es für den Vorstand immer noch die Sanktionen von § 75 Abs 1 AktG (das Unterlassen der Wiederbestellung) und § 75 Abs 4 AktG (den Vertrauensentzug durch die HV).232

231 vgl Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524; Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, 381; Schima, GesRZ 2007, 93.

232 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524.