• Keine Ergebnisse gefunden

Kodifizierung des unternehmerischen Ermessens

4 Die Übernahme der Business Judgment Rule in das deutsche Aktiengesetz

4.2 Kodifizierung des unternehmerischen Ermessens

Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter, mag er auch noch so verantwortungsbewusst handeln, ausgesetzt ist."181

Somit hat dieses Urteil zu einer wesentlichen Fortentwicklung der Auslegung des Sorgfaltsmaßstabs beigetragen und war für die Konkretisierung spezifischer Unternehmensentscheidungen eine große Hilfe und damit sehr begrüßenswert.182

4.2 Kodifizierung des unternehmerischen Ermessens

Als Folge zum ARAG/Garmenbeck - Urteil versuchte die Literatur die Auslegungen des Bundesgerichtshofs zu gewichten und zu systematisieren.183 Dann vertrat Ulmer184 die Ansicht, dass die BJR in § 93 dAktG aufgenommen werden soll. Dieser Meinung schlossen sich „der 63. Deutsche Juristentag im Jahre 2000 in Leipzig und auch die Regierungskommission Corporate Governance im Jahre 2001“ an.185 Acht Jahre nach dem ARAG/Garmenbeck - Urteil kam der Gesetzgeber diesen Anschauungen nach und kodifizierte die Grundsätze der BJR im Zuge des UMAG186 (Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts).187

Demnach lautet § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG wie folgt:

„Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“

181 BGHZ 135, 244, 253.

182 Ulmer, Aktionärsklage zur Kontrolle von Vorstand und Aufsichtsrat, ZHR 163 (1999), 291.

183 Lutter, GesRZ 2007, 79 (80).

184 Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 (299).

185 Lutter, GesRZ 2007, 79 (80).

186 Abrufbar unter http://www.bmj.bund.de/media/archive/797.pdf (12.5.2009).

187 Bürkle/Fecker, Business Judgment Rule: Unternehmerischer Haftungsfreiraum für leitende Angestellte, NAZ 2007 Heft 11, 589.

4.2.1 Die Prüfung im Einzelnen

Da sich der deutsche Gesetzgeber bei der Kodifizierung der einzelnen Tatbestandsmerkmale sehr an die Principles of Corporate Governance des American Law Institutes gehalten hat, gehe ich im Einzelnen nur kurz auf die folgenden Voraussetzungen ein:

Es muss, um in den Schutzbereich der BJR zu kommen, eine unternehmerische Entscheidung vorliegen. Wie in den USA liegt eine unternehmerische Entscheidung nur vor, wenn der Vorstand frei ist zu entscheiden, was bei einem Gesetzes- oder Satzungsverstoß nicht der Fall ist. 188 In diesem Sinne entschied der BGH im Fall Siemens/Nold189, dass sich der Vorstand „beim Gebrauch des genehmigten Kapitals an die Vorgaben des Ermächtigungsbeschlusses der Hauptversammlung zu halten“ hat.190

Der Vorstand muss „vernünftigerweise annehmen dürfen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ Was im Grunde dem Irrationalitätstest des ALI entspricht („rationally believes that the business judgment is in the best interests of the corporation”).

Weiters muss der Vorstand frei von Interessenkonflikten sein, was dem § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG zwar nicht klar zu entnehmen ist, aber eine unbestrittene Voraussetzung darstellt.191 Man könnte interpretieren, dass bei vorliegendem Interessenkonflikt nie zum Wohl der Gesellschaft gehandelt wird.192

Der Vorstand hat seine Entscheidung „auf der Grundlage angemessener Information“ zu treffen (näheres unter 3.5.3.).

Bei der deutschen Auslegung der BJR wird im Gegensatz zum amerikanischen System geprüft, ob der Vorstand bei seiner Entscheidung nicht ein zu großes Risiko für die Gesellschaft eingegangen ist und ihre Existenz aufs Spiel gesetzt hat.193 Der BGH meinte im ARAG/Garmenbeck - Urteil Folgendes dazu: „Wenn die Bereitschaft,

188 Lutter, 2. Teil. Kommentierung zum Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 14.

Juni 2007, RN 497e.

189 BGH v. 30.1.1995 - II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 144 f.

190 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245 (252).

191 Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts (2006), RZ 57.

192 Lutter, 2. Teil. Kommentierung zum Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 14.

Juni 2007, RN 497g.

193 Lutter, GesRZ 2007, 79 (84).

unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist."194 Als Beispiel wäre hier anzuführen, dass der Vorstand bei einer risikoreichen Investition „alles auf eine Karte setzt“ und dadurch die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft riskiert.195

Einer der hervorstechendsten Unterschiede zu den Principles of Corporate Governance des American Law Institutes ist, dass in § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG der „gute Glaube“ nicht festgeschrieben ist. Einige Autoren vermissen diese Voraussetzung und wollen sie in § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG stehen haben196, andere halten nichts von einer besonderen Erwähnung.197 Ich schließe mich der Meinung von Fleischer an, der den guten Glauben sowieso als eine Art Grundvoraussetzung sieht, um in den Anwendungsbereich der BJR zu gelangen. Er meint: „glaubt der Handelnde also selbst nicht an die Richtigkeit seiner Entscheidung, verdient er keinen Schutz“. Außerdem ist er der Meinung, dass wenn nicht in gutem Glauben gehandelt wird, es am Schutzbereich der BJR sowieso bei der Prüfung eines der anderen Kriterien scheitern wird.198 Andere Autoren sprechen auch davon, dass der gute Glaube bei einer Geschäftsentscheidung sowieso internationaler Standard ist199 und damit vorausgesetzt wird.

Die wesentliche Neuerung des § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG liegt im Perspektivenwechsel bzw

„in der subjektiven Absicherung des unternehmerischen Freiraums“, da es für die gerichtliche ex post Kontrolle des Vorstandshandelns auf die Sicht des Vorstands zum Zeitpunkt der Entscheidung ankommt und nicht auf die objektive Betrachtung eines Außenstehenden.200

194 ARAG/Garmenbeck - Urteil, BGHZ 135, 244, 235 vgl weiters BGH ZIP 1997, 883.

195 Lutter, 2. Teil. Kommentierung zum Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 14.

Juni 2007, RN 497h.

196 Hauschka: Grundsätze pflichtgemäßer Unternehmensführung- Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, ZRP 2004, 65; weiters Weiß/Buchner, Wird das UMAG die Haftung und Inanspruchnahme der Unternehmensleiter verändern?, WM 2005, 162.

197 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245.

198 Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts (2006), RZ 60.

199 Block/Barton/Radin, The Business Judgment Rule (1998), 80 ff.

200 Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts (2006), RZ 48.

Von der Konzeption des § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG her verwendet der deutsche Gesetzgeber die Rechtsfigur des safe harbour. Das heißt, sind die Voraussetzungen des § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG erfüllt, ist ein Rückgriff auf § 93 Abs 1 Satz 1 dAktG ausgeschlossen, auch wenn es scheint, dass der objektive Sorgfaltsmaßstab verletzt ist.201 Die Entscheidung ist inhaltlich nicht mehr überprüfbar. Lutter bringt das mit folgenden Sätzen auf den Punkt:

„Greift die Business Judgment Rule ein, so kümmert sich das Gericht nicht um den Inhalt der Entscheidung und ihre Folgen, mögen diese auch noch so desaströs gewesen sein.

Greift die Business Judgment Rule hingegen nicht, muss das Gericht den ganzen Vorgang auf die Frage eines sorgfaltswidrig schädigenden Handelns hin überprüfen; es gilt dann

§ 93 Abs 2 Satz 1, nicht aber Satz 2 dAktG.“202

Das Problem, das bei Kollektiventscheidungen, insbesondere im Bereich des Interessenkonflikts einzelner Vorstandsmitglieder, entsteht, wird vom UMAG nicht angesprochen. Deshalb ist Paefgen der Meinung, man müsse in den § 93 dAktG eine zusätzliche Regelung aufzunehmen, „die den Schutz des unternehmerischen Ermessens bei solchen Entscheidungen an die Konfliktfreiheit der die Entscheidung tragenden, über den Interessenkonflikt der Minderheit voll aufgeklärten Mehrheit von Vorstandsmitgliedern bindet.“203 Meiner Meinung nach würde es reichen, dies, so wie beim US - amerikanischen Vorbild, einfach so zu judizieren.

4.2.2 Die Beweislast

In Deutschland sieht § 93 Abs 2 dAktG die gleiche Beweislastumkehr vor wie § 84 Abs 2 Satz 2 des österreichischen Aktiengesetzes. Demnach muss der Vorstand beweisen, dass sein Handeln nicht pflichtwidrig war.204 Im Gegensatz zum US-amerikanischen Vorbild, wo es dem Kläger obliegt, eine Nichteinhaltung der BJR zu beweisen, wird in Deutschland der Grundsatz der Beweislastumkehr auch dann nicht durchbrochen, wenn der Vorstand sich auf die BJR beruft. Dies ergibt sich daraus, dass, wenn der Vorstand unter die BJR fällt, sein Verhalten nicht pflichtwidrig war, er aber das Vorliegen des pflichtgemäßen

201 Fleischer, Die „Business Judgment Rule“: Vom Richterrecht zur Kodifizierung, ZIP 2004, 685.

202 Lutter, GesRZ 2007, 79 (84).

203 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245 (253).

204 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

Handelns beweisen muss. Somit muss er auch beweisen, dass ihm der Schutzbereich der BJR zukommt.205 Gleich wie im österreichischen Recht trägt die Gesellschaft die Beweislast für Schaden und Kausalität.

205 Habersack, Aktienrecht im Wandel (2007), 381.

4.3 Exkurs: Die Ausstrahlungswirkung der BJR auf GmbH -