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Grenzen des unternehmerischen Ermessens

2 Der Sorgfaltsmaßstab nach österreichischem Recht

2.1 Der objektive Maßstab

2.1.1 Grenzen des unternehmerischen Ermessens

dem Vorstand haftungsbegründenden Entscheidung abgrenzen. In den USA ist genau diese Abgrenzung schon früh gelungen und in Form der Business Judgment Rule vorhanden. In Österreich hat sich der Gedanke, den Ermessensspielraum anhand eines eigenen Tatbestandes, wie in der Form einer BJR zu prüfen, noch nicht durchgesetzt.22 Auf die Rechtsfigur der BJR wird in Kapitel 3 näher eingegangen.

2.1.1 Grenzen des unternehmerischen Ermessens

Bisher war es im Gesellschaftsrecht, ganz im Gegensatz zum Verwaltungsrecht, nicht üblich, von „Ermessen“ zu sprechen. Allerdings spricht die neuere Judikatur, abgeleitet von § 70 Abs 1 AktG durchaus vom unternehmerischen Ermessen und auch neuere Regelungswerke, wie insbesondere der Österreichische Corporate Governance Kodex mit seinen „sollte“ und „kann“ Bestimmungen, billigen ein solches (näheres zum ÖCGK in Kapitel 2.1.2.1.).23

Nun ist zu betrachten, in welchen Fällen dem Vorstand kein Spielraum für unternehmerisches Ermessen eingeräumt wird.

2.1.1.1 Gesetzmäßigkeit

Nach hM sind dem unternehmerischen Ermessen zunächst dort Grenzen gesetzt, wo das Gesetz klare Regelungen trifft. Der Vorstand hat demnach für ein gesetzeskonformes Verhalten der Gesellschaft nach außen zu sorgen, auch wenn Verstöße oft Vorteile für die Gesellschaft bedeuten können.24 In § 84 Abs 3 AktG gibt es eine demonstrative Aufzählung von Pflichtverletzungen, wie insbesondere

• Verstöße gegen die verbotene Einlagenrückgewähr;

• ein vom Gesetz nicht gedeckter Erwerb eigener Aktien oder

• das Leisten von Zahlungen, obwohl die Gesellschaft bereits insolvent ist.25

Ein generelles Hinwegsetzen über gesetzliche Normen kann auch nicht aus § 70 Abs 1 AktG abgeleitet werden. Ein Beispiel: „Das Gesetz verbietet die Einleitung chemischer

22 Lutter, GesRZ 2007, 79, (80).

23 Eidam, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, NJW 2002, Heft 35, 2541.

24 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

25 Pichler/Weninger, Aktienrecht (2002), 109.

Substanzen in öffentliche Gewässer. Ordnet der Vorstand an, das chemische Abwasser in den Bach zu leiten, handelt er per se pflichtwidrig. Ein Ermessen gibt es da nicht.“ Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für die gesetzlich festgelegten Informationspflichten gegenüber dem Kapitalmarkt oder den Aktionären.26

In Fällen, in denen die Gesetzeslage nicht eindeutig ist, sind Entscheidungen anders zu beurteilen. Hier handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, wenn sich der Vorstand, möglicherweise noch unter Zuziehung eines Sachverständigen, auf die für die Gesellschaft günstigere Rechtslage beruft. Natürlich hat er auch die Nachteile, die sich aus der gegenteiligen Rechtslage ergeben würden, abzuwägen. Bei unternehmerischen Entscheidungen ist in diesem Fall immer zu prüfen, ob das Gesetz einen Ermessensspielraum zubilligt oder nicht. Als Beispiel ist dies beim Erwerb eigener Aktien gem § 65 Abs 1 Z 1 AktG wohl zu bejahen, beim Erwerb eigener Anteile durch eine GmbH wegen § 25 Abs 3 Z 1 iVm § 81 Satz 1 GmbHG nicht.27

Eine weitere Frage dreht sich um die so genannte nützliche Gesetzesverletzung. Zu dieser Thematik gibt es einen Fall aus New York. Eine Paketzustellgesellschaft wies ihre Mitarbeiter an, sämtliche Park- und Halteverbote zu ignorieren. Daraufhin kamen im Jahr zirka 1,5 Millionen Dollar an Strafen zusammen. Der Vorstand wurde in weiterer Folge von einem Aktionär auf Ersatz dieses Betrags in das Gesellschaftsvermögen geklagt und verlor. Nach österreichischem Recht wäre wohl nicht anders entschieden worden, da eine Gesetzesverletzung, auch wenn sie der Gesellschaft nützlich ist, rechtswidrig bleibt.28 Eine andere Lehrmeinung von Nowotny29 führt wiederum aus, dass nicht jeder kleine Gesetzesverstoß per se eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt. Insbesondere bei der Steuergestaltung, unter Abwägung der Risiken, sollten dem Vorstand doch gewisse Freiräume zugestanden werden. Dies gilt vor allem dann, wenn wie oben erwähnt, die Gesetzeslage möglicherweise Lücken aufweist oder die Interpretation der Normen oft unterschiedlich ist. So kommt es in der Praxis nicht selten vor, dass es zu gewissen

26 Lutter, GesRZ 2007, 79, (79).

27 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

28 Fleischer, Aktienrechtliche Legalitätspflicht und „nützliche“ Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern, ZIP 2005, 141.

29 Nowotny in Doralt, Kommentar zum Aktiengesetz (2003), § 84, Rz 10.

Normen verschiedene Lehrmeinungen und es auch noch eine unterschiedliche Rechtsprechung verschiedener Senate gibt.30

Im Ergebnis gesehen wird eine nützliche Gesetzesverletzung bei gleichzeitig eindeutiger Rechtslage auch unter Betrachtung der Wichtigkeit der Norm schwer zugunsten des Vorstandes auszulegen sein. Hingegen sobald auch nur ein geringster Zweifel über die Interpretation besteht, wäre nach meiner Meinung die Entscheidung nicht per se pflichtwidrig bzw wäre dem Vorstand hier Ermessen zuzubilligen.

2.1.1.2 Geschäftsführungsbefugnis

Durch die Geschäftsführungsbefugnis ist der Ermessensspielraum zusätzlich beschränkt.

Zu beachten sind primär die Grenzen, die der Unternehmensgegenstand steckt.31 Entscheidungspflichten, die sich aus der Satzung oder dem Anstellungsvertrag ergeben, können niemals Ermessensentscheidungen sein, hier hat der Vorstand das zu befolgen, was festgeschrieben steht.32 Als Beispiel lässt sich hier anführen: Die Satzung der Gesellschaft bestimmt, dass bei Investitionen über fünf Millionen Euro ein Beschluss des Gesamtvorstands benötigt wird. Investiert ein einzelnes Vorstandsmitglied über diesen Betrag hinaus, ist sein Verhalten satzungswidrig und damit per se pflichtwidrig.33

2.1.1.3 Vertragspflichten

Nun stellt sich die Frage, wie es mit Pflichten aus Kontrakten aussieht, die die Gesellschaft mit Dritten abgeschlossen hat. Ist der Vorstand verpflichtet, sich an Pflichten aus solchen Vereinbarungen zu halten oder nicht bzw führt eine Verletzung dazu, dass sein Handeln eine Pflichtverletzung per se darstellt? Nach hM ist dies nicht der Fall34, da der Vorstand auch dahingehend Ermessen haben muss, zwischen den Nachteilen einer Vertragserfüllung und denen einer möglichen Schadenersatzpflicht zu entscheiden.35

30 Kunz, Würde die Übernahme des § 93 Abs 1 dAktG in das österreichische Aktienrecht zu mehr Rechtssicherheit in Bezug auf nützliche Gesetzesverletzungen führen?, GesRZ 2007, 91.

31 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

32 Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts (2006), § 7 Rn 53.

33 Lutter, GesRZ 2007, 79 (81).

34 Fleischer , ZIP 2005, 141 (144).

35 Lutter, GesRZ 2007, 79 (82).

2.1.1.4 Ergebnis zu den Grenzen unternehmerischen Ermessens

Abschließend ist Folgendes festzuhalten: Eine unternehmerische Entscheidung ist dann gegeben, wenn der Vorstand die freie Wahl hat, so oder auch anders zu entscheiden. Nur dann kann man von einem Freiraum für Ermessen sprechen. Er kann eine Investition tätigen oder es sein lassen, er kann Mitarbeiter einstellen oder auch nicht, manchmal, wie etwa bei der Aufnahme eines Darlehens, kann er auch entscheiden nichts zu tun, auch das ist eine unternehmerische Entscheidung. Anders ausgedrückt, eine unternehmerische Entscheidung des Vorstands liegt dann vor, wenn er bewusst aus „mehreren tatsächlichen Möglichkeiten und rechtlich zulässigen Verhaltensalternativen“ auswählen kann.36 Genau das ist eben nicht gegeben, wenn das Gesetz oder die Satzung oder ein Anstellungsvertrag eine zwingende Handlung vorschreibt. Man kann hier nicht von einer unternehmerischen Entscheidung sprechen, die einen Ermessensspielraum zulässt.