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Der Tatbestand der Business Judgment Rule

3 Die Business Judgment Rule und ihre Entwicklung in den USA

3.5 Der Tatbestand der Business Judgment Rule

3.5 Der Tatbestand der Business Judgment Rule

Im US - amerikanischen Recht untersucht die BJR Ermessensentscheidungen der D&O´s und grenzt bloß schlechte Unternehmensentscheidungen von jenen ab, die für die D&O´s als haftungsbegründende Pflichtverletzungen zu qualifizieren sind.112

Anhand welcher genauen Tatbestandsmerkmale zu prüfen ist, ist in den Einzelstaaten „als Konzept des common law, also als Richterrecht“, in verschiedenen Entscheidungen ausformuliert.113

Eine „abstrakt-generelle“ Formulierung der BJR wurde vom American Law Institute (ALI) festgeschrieben.114 Das ALI wurde 1923 gegründet und ist eine Vereinigung von Professoren, Richtern und Rechtsanwälten, die durch ihre Modellgesetze zu einer Rechtsvereinheitlichung des US- amerikanischen Rechts beitragen wollen.115 Da es in den Vereinigten Staaten keine Legaldefinition der BJR gibt, bleibt es Sache der Einzelstaaten, ob sie dieses Modell anwenden oder nicht. In manchen Urteilen wird auch nur auf Teile der ALI Formulierung eingegangen, wie zum Beispiel bei der Disney - Entscheidung in Delaware.

§ 4.01 (c) der Principles of Corporate Governance des American Law Institute lautet116:

"A director or officer who makes a business judgment in good faith fulfills the duty under this Section [duty of care] if the director or officer: (1) is not interested [§ 1.23] in the subject of the business judgment; (2) is informed with respect to the business judgment to the extent the director or officer reasonably believes to be appropriate under the circumstances; and (3) rationally believes that the business judgment is in the best interests of the corporation."

112 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

113 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245.

114 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245.

115 http://www.ali.org/doc/thisIsALI.pdf (12.5.2009).

116 Der Volltext zu § 4.01 befindet sich im Anhang.

Praktisch betrachtet handelt es sich bei den ALI Principles nicht nur um einen Ausnahmetatbestand, wann eine Handlung nicht zur Haftung führt. Es handelt sich, wenn die im Folgenden näher beschriebenen Tatbestandsmerkmale gegeben sind, um einen so genannten safe harbour, der einen gerichtlich nicht zu überprüfenden Freiraum schafft.117 3.5.1 Die bewusste Geschäftsentscheidung

Das erste Tatbestandsmerkmal, das gemäß der Principles of Corporate Governance des American Law Institute erfüllt sein muss, um in den Schutz der BJR zu kommen, ist jenes, dass die D&O´s eine bewusste Geschäftsentscheidung zu treffen haben118 („a director or officer who makes a business judgment“119). Diese bewusste Entscheidung kann in einem tatsächlichen Handeln, einem rechtsgeschäftlichen Handeln oder sogar in einem bewussten

„Nicht - Handeln“ stattfinden.120 Demnach handelt es sich auch um eine bewusste Geschäftsentscheidung wenn sich ein officer dazu entschließt, „eine sich bietende Geschäftschance nicht wahrzunehmen, ein neues Produkt nicht auf den Markt zu bringen oder einen Mitarbeiter nicht einzustellen bzw. zu entlassen.“121 Jedoch unterliegt die bloße Inaktivität nicht dem Schutzbereich der BJR und schließt den Anwendungsbereich der Rule aus.122

3.5.1.1 „Duty of Obedience“

Bei der bewussten Geschäftsentscheidung ist weiters festzuhalten, dass die D&O´s auch nach US - amerikanischem Recht an das Legalitätsprinzip gebunden sind. Wie auch in Österreich zählt bei einem glatten Gesetzesverstoß auch der Einwand nicht, dass nur im

„wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft“ gehandelt wurde.123

117 Bastian, Die Haftung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen Corporate Governance Kodex und des Umag (2008), 39.

118 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524.

119 § 4.01 (c) der Principles of Corporate Governance des American Law Institute.

120 Kock/Dinkel, Die zivilrechtliche Haftung von Vorständen für unternehmerische Entscheidungen - Die geplante Kodifizierung der Business Judgment Rule im Gesetz zur Unternehmensintegrität und

Modernisierung des Anfechtungsrechts, NZG 2004, 441.

121 Schneider, Unternehmerische Entscheidungen als Anwendungsvoraussetzung für die Business Judgment Rule, DER BETRIEB, Heft 13 vom 1.4.2005, 707.

122 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524.

123 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245.

Es wird wie im österreichischen Recht darauf abgestellt, ob es zwischen mehreren möglichen Entscheidungen überhaupt Handlungsalternativen gibt, dies ist nicht der Fall, wenn eine der beiden Möglichkeiten zu einem Gesetzesverstoß führt. Bei einer solchen Entscheidung spricht man von einer „gebundenen Entscheidung“.124

3.5.2 Kein Interessenskonflikt

Der Schutzbereich der BJR ist nur dann gegeben, wenn die D&O´s „not interested“ sind, sich also bei ihren Entscheidungen in keinem Interessenskonflikt befinden.125 Entscheidend ist, dass sie bei einer unternehmerischen Entscheidung für das Unternehmen

„keine finanziellen Interessen für sich oder nahe Angehörige verfolgen“.126 Dasselbe gilt auch für Interessen eines dem Verwaltungsmitglied Nahestehenden oder auch eines Dritten.127 Bei Kollektiventscheidungen von mehreren Organmitgliedern kommt es nach amerikanischer Rechtsprechung nur auf die Unabhängigkeit und Unbefangenheit der Mehrheit an, die die Entscheidung trägt („materiality“). „Ist dies der Fall und ist die nicht konfliktbefangene Mehrheit über den Interessenkonflikt eines oder mehrerer in der Minderheit befindlicher Mitglieder des board voll aufgeklärt, fällt die Entscheidung in den Schutzbereich der Business Judgment Rule“.128

Vor allem im Konzernrecht spielt die Frage des Interessenskonflikts eine große Rolle.

Angenommen jemand ist CEO von Mutter- und Tochtergesellschaft und entscheidet aufgrund der Konzernstrategie ein Produkt der Tochtergesellschaft vom Markt zu nehmen.

„Das Privileg der Business Judgment Rule steht ihm wegen des Interessenkonfliktes zwischen Mutter und Tochter nicht zu.“129

vgl zB weiters: Roth v. Robertson, 118 N. Y. S. 351, 352 (N.Y. Sup. Ct. Erie Co. 1909); Miller v. American Telephone & Telegraph Co., 507 F. 2d 759 (3rd Cir. 1974); deutlich auch In re Landmark Land Co., 76 F. 3d 553, 565 (4th Cir. 1996): "directors who intentionally participate in illegal activity ... cannot be said to have acted in good faith, even if the conduct benefits the corporation." M. ROTH (FN 3), S. 54 f. spricht im Anschluss an KNEPPER/BAILEY, Liability of Corporate Officers and Directors, 1998, § 5, treffend von der

"duty of obedience".

124 Schneider, DER BETRIEB 2005, 707.

125 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

126 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524.

127 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

128 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245.

129 Lutter, GesRZ 2007, 79, (83).

Gelingt dem Kläger der Nachweis eines Interessenkonflikts, obliegt es dem Beklagten zu beweisen, dass die Entscheidung dennoch fair to the corporation war. Kontrollmaßstab ist ein Fremdvergleich (arm's-length transaction with a stranger).130 Hält die Entscheidung dem Fremdvergleich stand, war sie trotz des Interessenkonflikts in Ordnung, denn ein grundsätzliches Verbot mit Nahestehenden Verträge zu schließen, besteht nicht.131

3.5.3 Die sachkundige Entscheidung

Ein weiteres, sehr wichtiges Tatbestandsmerkmal bei der Prüfung der BJR ist jenes der sachkundigen Entscheidung. Die D&O´s haben sich bei ihren Entscheidungen soweit zu informieren, „wie es vernünftigerweise unter den gegebenen Umständen als angemessen erscheint.“132 Diese „duty to be informed“ wurde erstmals bei der Leitentscheidung Smith v Van Gorkom133 judiziert und verwehrt den D&O´s den safe harbour der BJR, wenn die Informationsbeschaffung für eine Entscheidung unzureichend war. Die D&O´s sind demnach verpflichtet, alle Informationsquellen, die ihnen zur Verfügung stehen, zu nutzen und ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Diese strenge Argumentation wird dahingehend etwas gelockert, dass man die Dringlichkeit der Entscheidung einbezieht.134

Sollten die D&O´s für ihre Entscheidung einen Sachverständigen einbeziehen, müssen sie bei der Auswahl des Experten darauf achten, dass ihnen keine culpa in eligendo vorwerfbar ist.135

Wann genügend Information vorhanden ist, um eine Entscheidung treffen zu können, ergibt sich nicht nur aus der Art und der Intensität der Informationsbeschaffung, sondern auch nach der Erfahrung, dem „Gespür für künftige Entwicklungen und Gefühl für die Märkte“ des jeweiligen directors oder officers in der vorliegenden Situation.136 Nach US - amerikanischer Rechtsprechung sind die D&O´s verpflichtet, jene Informationen, die wesentlich für die Entscheidungsfindung sein könnten „und in vernünftiger Weise

130 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

131 Lutter, GesRZ 2007, 79.

132 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524 (525).

133 488 A.2d 858 (Del.1985).

134 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

135 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524 (525).

136 Thiery, Deutschland stärkt Mut zum Unternehmensrisiko, Rechtspanorama 17.10.2005, Die Presse 2005/42/03.

erfassbar sind“, einzuholen. Im Gegensatz dazu sind solche Informationen, die nur „unter unverhältnismäßigem Aufwand zu erlangen sind“, nicht zu berücksichtigen.137 Meiner Ansicht nach ist diese Definition von Rechtssicherheit weit entfernt.

Das Hauptproblem ist, dass es fast immer Zusatzinformationen gibt, die ein director oder officer noch in seine Entscheidung einfließen lassen kann. Zwar lässt sich der Aufwand der zusätzlichen Informationsbeschaffung durch ein Gegenüberstellen von voraussichtlichen Grenzkosten und Grenznutzen abstrakt berechnen,138 allerdings wann genau ein unverhältnismäßig großer Aufwand besteht, lässt sich dadurch auch nicht immer sagen.

Meiner Meinung nach sollte bei der ex post Betrachtung eines Richters die Informationsbeschaffung der Unternehmensführung nicht zu strikt ausgelegt werden, da dies ein gut funktionierendes bord of directors aus Angst vor Haftung bei ihren Entscheidungen nur lähmen würde. Auch Torggler meint dazu: “Für unternehmerisches Handeln gilt in besonderem Maße, dass zu Tode gefürchtet auch gestorben ist.“139

Allerdings ist natürlich auch klar, dass die Aktionäre ein Recht darauf haben, dass die D&O´s ihre Entscheidungen sorgfältig vorbereiten, zumal sie ja für bloß schlechte Entscheidungen sowieso durch die BJR geschützt sind. Wann auf jeden Fall zu wenig Information beschafft wurde, zeigt der Fall Smith v Van Gorkom140 aus der amerikanischen Praxis. Das Problem war, dass neben der Tatsache, dass nur zirka eine Stunde beraten wurde, „weder schriftliche Unterlagen vorgelegt, noch […] die Sitzung unter Angabe dieses Tagesordnungspunktes einberufen“ wurde.141

Die Gerichte sind der Auffassung, dass es „zwischen der Qualität der Entscheidungsfindung“ und der Qualität der Entscheidung selbst einen Zusammenhang gibt. Allerdings müsste die unternehmerische Entscheidung, wann genug Information vorhanden ist, beziehungsweise welcher Entscheidungsfindungsprozess vom jeweiligen

137 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524 (525).

vgl weiters Brehem v Eisner, 746 A.2d 244, 259 (Del.2000).

138 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

139 Torggler, ZfRV 2002/9, 133.

140 488 A.2d 858 (Del.1985).

141 Kock/Dinkel, Die zivilrechtliche Haftung von Vorständen für unternehmerische Entscheidungen - Die geplante Kodifizierung der Business Judgment Rule im Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, NZG 2004, 441.

director oder officer angewendet wird, ebenfalls wieder dem safe harbour der BJR unterliegen.142

3.5.4 Der „Irrationalitätstest“

Der „Irrationalitätstest“ ist nach den ALI Principles ein weiteres wichtiges Tatbestandsmerkmal, das vorliegen muss, um in den Schutzbereich der BJR zu fallen:

„rationally believes that the business judgment is in the best interests of the corporation”.143 Nach US - amerikanischer Rechtsprechung sind mit diesem Test Entscheidungen erfasst, denen jeder rationale und nachvollziehbare Bezug zu den Gesellschaftsinteressen fehlt. Das Informationsprinzip sowie das Loyalitätsprinzip machen diesen Test nicht überflüssig, da D&O´s, wenn auch selten, Entscheidungen treffen, die schlichtweg verantwortungslos und für niemanden mehr nachzuvollziehen sind, obwohl alle anderen Voraussetzungen für den Schutz der BJR vorliegen.144

Bezeichnet wird dieser Test auch als business-judgment-standard oder auch rational business purpose test145, der allerdings nur von Gerichten angewendet wird, die den ALI Bestimmungen folgen. Von diesen Gerichten146 wird also eine gewisse rationale Entscheidungsgrundlage (rational base) gefordert. Den Gerichten, die „der Rsp des Delaware Supreme Court folgen“ genügen zur Prüfung der Ermessensentscheidung anhand der BJR die ersten drei Tatbestandsmerkmale und der im nächsten Punkt beschriebene Gute Glaube.147

3.5.5 Guter Glaube

Die letzte Voraussetzung um in den Anwendungsbereich der BJR zu kommen, ist das

„Gut-Glaubens-Element“ (good faith).148 Dieses Tatbestandsmerkmal hat in der US - amerikanischen Rechtsprechung verschiedene Bedeutungen. Es wird zum einen mit der

142 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524 (525).

143 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245.

144 Paefgen , Die Aktiengesellschaft 2004, 245.

145 Lohse, Unternehmerisches Ermessen (2005), 245.

146 Der Bundesstaat Pennsylvania folgt diesem ALI Vorschlag; vgl Cuker v Mikalauskas, 692 A.2d 1042 (Pa.1997).

147 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524 (525).

148 Kapsch/Grama, ecolex 2003, 524 (525).

duty of loyalty verbunden, zum anderen aber auch mit der duty to be informed, dem Irrationalitätstest oder auch dem Legalitätsprinzip.149 Nicht gutgläubig handelt ein director oder officer, wenn er mit der Absicht die Gesellschaft zu schädigen handelt, oder weiß, dass er gegen ein Gesetz verstößt150, allerdings verstoßen diese Handlungen zugleich wieder gegen die duty of loyalty und die duty of obedience.

Deshalb ist dieses Tatbestandsmerkmal eher als „zusammenfassende Umschreibung“ der oben genannten Voraussetzungen zu qualifizieren, 151 trotzdem bietet es den Gerichten bei ihren Entscheidungen eine flexible Anwendung der BJR.152