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Der Rückgang der Parteimitgliedschaften

4 Mitgliederparteien in der Nachwuchskrise

4.1 Der Rückgang der Parteimitgliedschaften

Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist der häufig konstatierte schwindende Rückhalt von Parteien in der Parteiendemokratie, der sich unter anderem in einer Repräsentationslücke (vgl. Jun 2011a), kontinuierlichem Mitglieder-rückgang (vgl. van Biezen et al. 2012) und fehlendem gesellschaftlichen Vertrauen in Parteien (vgl. Biehl 2013) äußert. Dieser kann nicht nur die genannten Funktionen, die Parteien leisten sollen, beeinträchtigen, sondern auch die Erfüllung der Handlungslogiken und -ziele von Parteien erschweren.

Im folgenden Abschnitt soll daher das Ausmaß des Mitgliederschwundes betrachtet werden, woraufhin der Nutzen und Schaden von Mitgliedern vor dem Hintergrund der genannten Handlungslogiken und Aufgaben von Partei-en eingeschätzt werdPartei-en soll.

Die Parteimitgliedschaften in Deutschland werden seit 2001 jährlich von Oskar Niedermayer erfasst und verarbeitet. Bei der Entwicklung der Mitglie-derzahlen seit Gründung der BRD sind verschiedene Phasen voneinander zu trennen: So lässt sich nach einem kurzen Anfangshoch 1949 ein leichter Rückgang auf ca. 1.000.000 Parteimitglieder im Jahre 1961 feststellen, wo-raufhin die Mitgliederzahlen dann stetig anstiegen und ihren Hochpunkt 1980 erreichten (vgl. Spier und Klein 2015: 90). Dieses Anfangshoch nach 1949 lässt sich auf die „existential decisions in politics and economy, which

politi-cized the electorate to a considerable extent“ (Spier und Klein 2015: 90) zurückführen. Ab diesem Zeitpunkt ist wiederum ein Abfallen der Mitglie-derzahlen zu konstatieren, das lediglich durch die ‚Übernahme‘ der Partei-mitglieder aus den Parteien der ehemaligen DDR ein kurzzeitiges Zwischen-hoch verzeichnete66. Die „highly politicized 1970s“ (Spier und Klein 2015:

91) führten zu einem raschen Zuwachs von Parteimitgliedern, die die Partei-mitgliedschaft als Ausdruck einer ideologischen Position bzw. Weltanschau-ung und zugleich als Partizipationsmöglichkeit nutzten. Die Konkurrenz durch die Neuen Sozialen Bewegungen führte in der Folgezeit zwar zu einer Verlagerung des Partizipationsangebotes (sowie der -nachfrage), doch lässt sich am lediglich leichten Rückgang der Parteimitgliedschaften in den 1980er Jahren erkennen, dass die Parteimitgliedschaft immer noch eine veritable Partizipationsoption darstellte. Nach der deutschen Wiedervereinigung befin-den sich dann vor allem die deutschen Großparteien CDU und SPD, in einge-schränkterem Maße auch die CSU, in einem kontinuierlichen Abwärtstrend, der selbst durch Wahlsiege nur temporär und wenig nachhaltig abgedämpft werden konnte. Wenngleich die CDU sowie die FDP durch die Wiederverei-nigung einen leichten ‚Mitgliederschub‘ erhielten, da ihre ostdeutschen Pen-dants in die bestehenden westdeutschen Parteiorganisationen übernommen wurden, konnte die SPD von einem solchen Effekt nicht profitieren. Es zeigte sich jedoch in den Jahren der Berliner Republik, dass vor allem ostdeutsche Parteimitglieder ihren Parteien den Rücken kehrten; der Organisationsgrad ostdeutscher Landesverbände liegt spürbar unter dem der westdeutschen Landesverbände (vgl. Niedermayer 2015: 379)67.

Bemerkenswert ist, dass bei allem Misstrauen Parteien gegenüber die Mitarbeit in ihnen als überaus wichtig zum Schutz der demokratischen Ord-nung in Deutschland betrachtet wird, auch im eher parteienskeptischen Osten (so z.B. der Sachsen-Monitor 2018; siehe dimap 2018: 37f.). In den Jahren nach der Wiedervereinigung lässt sich – die Gesamtparteimitgliedschaften in Deutschland betreffend – ein konstanter Abwärtstrend erkennen, der nur in einzelnen Parteien seine Ausreißer findet. Die FDP musste nach einem kurz-zeitigen Zuwachs 2009 im Nachgang der schwarz-gelben Koalition massive Verluste von Parteimitgliedern bis inklusive 2016 hinnehmen, konnte aber durch die Neuausrichtung der Partei unter Christian Lindner sowohl in der Wählergunst als auch in der Mitgliedschaft seit 2017 wieder deutliche Erfol-ge vorweisen68. Die Grünen, die auch aufgrund ihres Entstehungszeitpunktes nicht so unmittelbar von der Überalterung ihrer Parteimitglieder betroffen sind wie beispielsweise die LINKE, verzeichnen nicht nur stabile Mitglieder-zahlen über Jahre hinweg, sondern können in Summe Zuwächse verbuchen.

Die Großparteien CDU, CSU und SPD, die von den Mitgliederzuwächsen in 66 Davon waren jedoch nicht alle Parteien gleichermaßen betroffen.

67 Mit Ausnahme der LINKEN.

68 Siehe dazu auch Abschnitt 7.6 dieses Buches.

den 1970er Jahren deutlich profitieren konnten, müssen sich gegenwärtig damit konfrontiert sehen, dass die zu diesem Zeitpunkt Eingetretenen ‚weg-sterben‘. Das Ausbleiben von Jungmitgliedern verschärft diese Lage noch, der Überalterung der Parteimitglieder auf der einen Seite steht eine „Unter-jüngung“ (Munimus 2012: 79) auf der anderen entgegen. Hinzu kommen die freiwilligen Austritte von Mitgliedern aufgrund von Unzufriedenheit, zu hohen Kosten oder mangelndem Interesse, die aber von den genannten Par-teien (nahezu) durch Neueintritte kompensiert werden können (vgl. Nieder-mayer 2015: 390). Werden in diese Rechnung jedoch die Todesfälle inkludi-ert, wird schnell deutlich, warum sich der Mitgliederschwund fortsetzt.

Tabelle 1: Entwicklung der Parteimitgliedschaften in der BRD seit 1947

Jahr CDU CSU FDP SPD GRÜNE LINKE AFD

Quelle: Angaben in Tsd. Niedermayer (2018a: 351); Niedermayer (2020: 425)

Im Vergleich zu 1990 haben die deutschen Parteien eine fast durchweg dra-matische Ausdünnung ihrer Mitgliedschaft erfahren. So verlor die CDU von 1990 bis 2017 ca. 48 Prozent ihrer Mitglieder, die SPD sogar 56 Prozent.

FDP und LINKE mit Verlusten von ca. 61 bzw. 82 Prozent konnten lediglich einen existentiellen ‚Sockel‘ halten. Nur die CSU kann mit Verlusten von ca.

25 Prozent noch einen gewissen ‚Teilerfolg‘ im Gegensatz zu den Mitglieder-rückgängen anderer Parteien verbuchen und allein die Grünen als einzige – mittlerweile – im bundesdeutschen Parteiensystem etablierte Partei können mit einem Mitgliederzuwachs von ca. 140 Prozent seit 1990 von einer wahren Erfolgsgeschichte sprechen. Für die AfD als noch recht junge Partei lassen sich keine langfristigen Trends erkennen, doch gelang es ihr, in den letzten Jahren (mit Ausnahme von 2015) ihre Mitgliederbasis zu vergrößern.

Insgesamt ist der Tenor in der Literatur, dass die sinkenden Mitglieder-zahlen Ausdruck der zunehmenden Unattraktivität von Parteien seien. Eine andere Perspektive auf diese Entwicklung ist, Parteimitglieder als ‚Exoten‘

der Partizipation zu betrachten (vgl. van Deth 2013a: 16). Aus dieser Per-spektive müssten dann die Goldenen 1970er Jahre der Partizipationsbereit-schaft als zufälliges Kurzzeithoch gedeutet werden, das auch durch das nur geringe Angebot an überhaupt verfügbaren Partizipationsmöglichkeiten be-dingt war. Zudem zeigt die Literatur: “[D]emocratic parties with large indi-vidual memberships have been relatively rare“ (Scarrow 2015: 67), was diese These stützt.

Der Mitgliederschwund ist dabei insgesamt nicht einseitig durch ausblei-bende Eintritte sowie Todesfälle bedingt (vgl. Dose et al. 2016: 23), wie die Überalterung der Parteien vermuten lässt, sondern auch durch freiwillige Abgänge. Dose et al. (2016: 23ff.) fassen die bisherigen Entwicklungen in den Mitgliederzahlen als „stetigen Mitgliederschwund“ zusammen, die künf-tigen subsumieren sie unter dem Schlagwort des „dramatischen Mitglieder-schwundes“. Wiesendahl et al. (2018: 323f.) sprechen auf Basis einer Zeitrei-henanalyse von einer „Stabilisierungschance auf niedrigem Niveau“, womit sich eine Normalisierung im Anschluss an den steten Rückgang der Mitglied-schaft ergebe. Für SPD und CDU läge dieses Niveau jedoch bei unter 300.000 Mitgliedern um das Jahr 2030, womit ihr Status als Mitgliederpartei aus quantitativer Perspektive gefährdet wäre.

Tabelle 2: Zahl der Eintritte in SPD und CDU

seit 1990: 20.389 2002-2015: 21.841 -3.111 ØÜbrige Jahre seit 2000: 15.878

seit 1990: 17.756 seit 2000: 14.392 1.486

Ø Alle Jahre seit 2000 16.590,65 16.254,15 336,5

Quelle: Eigene Berechnungen. Daten bereitgestellt von CDU und SPD sowie Niedermayer (2017; 2018a; 2020) [WK = Wahlkampf]. Kursiv markiert sind Wahlkampfjahre

Die für diese Untersuchung besonders relevanten Eintrittszahlen lassen deut-lich erkennen, dass die CDU in absoluten Zahlen in Nicht-Wahlkampfjahren – bis auf die Jahre 2010 bis 2013 sowie das Jahr 2018 – insgesamt mehr Mitglieder rekrutieren konnte als die SPD. In Wahlkampfjahren kann die SPD hingegen im Durchschnitt mehr Eintritte verzeichnen, was aber an dem Ausreißer im Jahr 2017 liegt. Nach der Verkündung der Kanzlerkandidatur und der Übernahme des Parteivorsitzes von Martin Schulz gewann die SPD allein in den ersten vier Monaten 17.000 neue Mitglieder hinzu (vgl. Grunden

et al. 2017: 99), was den Durchschnitt der oben genannten Eintrittszahlen deutlich übersteigt. Auch nach dem SPD-Sonderparteitag im Januar 2018, dem ein erneuter Mitgliederentscheid zur großen Koalition folgte, konnte ein kurzfristiges Mitgliederplus festgestellt werden. Medienträchtige Personal-entscheidungen und Sachfragen scheinen daher – zumindest in Relation zu den sonstigen Eintrittszahlen – wahre ‚Mitgliedermagnete‘ zu sein. Dass die SPD davon jedoch nicht nachhaltig profitieren konnte – wie in Tabelle 1 sichtbar – ist durch die hohe Zahl an Austritten in den Jahren 2018 und 2019 bedingt (Niedermayer 2020: 440).

Äußerst bemerkenswert sind die von der CDU zu verzeichnenden insge-samt höheren Eintrittszahlen, die einer ersten Vermutung zufolge auf größere Anstrengungen in der Mitgliederwerbung zurückzuführen sein können. Die Tatsache, dass die CDU in Bayern im Gegensatz zur SPD nicht aktiv bzw.

existent ist und ihr somit ca. 9,5 Millionen Wahlberechtigte (vgl. Der Bun-deswahlleiter 2017) nicht als Rekrutierungsreservoir zur Verfügung stehen, zeigt, dass die SPD im Vergleich zur CDU in relativen Zahlen weniger rekru-tierungsfähig ist.

Zuletzt ist anzumerken, dass der Mitgliederschwund aus der Perspektive der Parteienforschung für die SPD kritischer betrachtet wird als für die CDU.

So entscheide die „Entwicklung der Mitgliederzahlen […] mittlerweile über einiges mehr, nämlich darüber, ihren Charakter als lebendige, attraktive Mit-gliederpartei zu erhalten“ (Wiesendahl 2017a: 6). Die kurzfristigen Eintritts-wellen, die sich nach der Abstimmung zum Koalitionsvertrag 2013 und vor allem nach dem Schulz-Hype (siehe zum Begriff Hilmer und Gagné 2018:

374) feststellen ließen, sind eher thematisch bzw. personell bedingt und damit eben nicht mittel- oder langfristiger Natur. Es bedarf jedoch insbesondere sich verstetigender hoher Eintrittszahlen, um den Mitgliederschwund dauer-haft zu bekämpfen. Dies resultiert nicht zuletzt aus den Altersstrukturen ins-besondere der in dieser Studie untersuchten Parteien (vgl. Wiesendahl et al.

2018).

4.2 Gründe für den gesellschaftlichen Relevanzverlust der