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Die Mitgliederpartei – Nutzen und Schaden von Parteimitgliedern Parteimitgliedern

4 Mitgliederparteien in der Nachwuchskrise

4.3 Die Mitgliederpartei – Nutzen und Schaden von Parteimitgliedern Parteimitgliedern

„Political parties are at the heart of democratic political institutions, and party members are at the heart of some of these parties“ (Scarrow 2007: 636).

‘Some of these parties’ sind hier vor allem die Mitgliederparteien, zu denen sich SPD und CDU nach eigenem Bekunden zählen (zur SPD vgl. Gorholt 2009: 260; zur CDU vgl. Niebuhr 2009: 251)74. Ihr idealtypisches Ziel ist es, bestehende Mitglieder zu halten und neue zu rekrutieren.

Die Mitgliederpartei wird in der Literatur verhältnismäßig wenig betrach-tet (vgl. Morgenstern 2014: 125), was damit zusammenhängt, dass eine zah-lenmäßig große Mitgliederbasis einigen Parteitypen zwar nicht fremd ist, jedoch mehr und mehr entbehrlich scheint (bspw. in der Kartellpartei, siehe Katz und Mair 1995 sowie Katz und Mair 2009). Die Ursprünge der Mitglie-derpartei finden sich in den Massen- bzw. Massenintegrationsparteien, in denen Mitglieder wesentlicher Bestandteil des Parteityps sind (vgl. Krouwel 2012: 230). Die Strukturmerkmale der Massenintegrationsparteien wurden von der Mitgliederpartei weitgehend übernommen (vgl. Wiesendahl et al.

2009: 10). Definieren lässt sich die Mitgliederpartei anhand einiger Abgren-zungsmerkmale, die Wiesendahl festlegt: so verfügt sie über einen „festen und dauerhaft organisierten Mitgliederstamm“ (Wiesendahl 2006: 17) und bedient sich „freiwilliger Mitglieder und der von ihnen bereit gestellten Res-sourcen […], um den Parteibetrieb zu unterhalten und um ihre Kernaufgaben zu erfüllen“ (Wiesendahl 2006: 20). Als strategische Organisationsressource halten die Mitglieder die Mitgliederpartei organisatorisch, finanziell und programmatisch am Leben. Demokratietheoretisch kommt eine Repräsentati-onsfunktion hinzu, wobei hier – ähnlich wie bei der ‚Volkspartei‘ – vor allem das Repräsentationsverständnis deskriptiver Repräsentation zutage tritt. Die deutschen Volksparteien zielen darauf ab, in der Sozialstruktur ihrer Mitglie-der die gesamtgesellschaftliche Sozialstruktur (vgl. Biehl 2009b: 114; Jun 2011a: 100) widerzuspiegeln75, was angesichts der Atomisierung der sozialen Milieus zunehmend diffiziler wird. Die sukzessive Erosion dieser Reflekti-ons- und Repräsentationsbeziehung wird kritisch betrachtet (vgl. Dose et al.

2012: 6f.), wenngleich von Beyme (2000: 156) schließt, dass deskriptive Repräsentation unnötig sei, wenn die inhaltliche Vertretung im Sinne einer substantiellen Repräsentationsbeziehung gewahrt werde. Biehl (2014: 113) 74 Bemerkenswerterweise nennen sich auch die anderen etablierten deutschen Parteien in ihrem Selbstverständnis ‚Mitgliederparteien‘ (vgl. zur CSU Zorzi 2009; zur FDP Beerfeltz 2009; zu der LINKEN Kahrs 2009 und zu den Grünen Lemke 2009). Auf die besondere Relevanz dieser Selbstzuschreibung hinsichtlich einer legitimatorischen Funktion wird noch einzugehen sein.

75 Um sich damit zugleich als Mitgliederparteien gerieren zu können. Zum schwierigen Verhältnis von Volksparteien zu ihren Mitgliedern siehe Wiesendahl (2011a: 65).

konstatiert, dass „in der Gesamtschau […] alle gesellschaftlich relevanten Positionen von den Parteimitgliedschaften vertreten“ werden, was die „unter Demokratiegesichtspunkten […] unverzichtbare Funktion“ (Decker und Oeltzen 2009: 264) der Parteimitglieder unterstreicht.

Innerhalb der Mitgliederpartei sollte sichergestellt sein, dass die Mitglie-der „am Prozess Mitglie-der Politikformulierung und Entscheidungsfindung nen-nenswert beteiligt sind“ (vgl. Wiesendahl et al. 2009: 12). Die Einbeziehung der Mitglieder in Entscheidungen, in die programmatische und inhaltliche Ausrichtung sowie allgemein in den organisatorischen Alltag der Partei, sollte gewährleistet sein. Den Rechten der Mitglieder, an Entscheidungen der Partei beteiligt sein zu können, stehen Pflichten wie die Entrichtung eines Mitgliedsbeitrages sowie die Bekundung, Mitglied ausschließlich der eigenen Partei zu sein, gegenüber76. Die Art und Weise und der Umfang der Integra-tion von Mitgliedern in das Parteihandeln werden in der Forschung kontro-vers diskutiert. Jun schlägt daher vor, ein parteiendemokratisches Modell von einem elektoralen Modell der Mitgliederpartei zu unterscheiden; das erste nennt er auch partizipatives Modell (siehe Jun 2018). Das parteiendemokrati-sche Modell beruht auf drei Prinzipien: (1) Mitglieder müssen eine aktive Rolle im innerparteilichen Entscheidungsfindungsprozess übernehmen kön-nen, (2) parteiinterne Ämter sind ausschließlich Mitgliedern vorbehalten, Nichtmitglieder können bei der Besetzung von Ämtern nicht berücksichtigt werden und (3) die Parteiführung ist gegenüber den Mitgliedern für ihr Han-deln rechenschaftspflichtig (vgl. Jun 2004: 99 und Jun 2013: 126). In dieser Ausprägung der Mitgliederpartei ist die Rolle der Parteibasis gestärkt. Auf der anderen Seite steht das Modell der elektoralen Mitgliederpartei, die die innerparteiliche Partizipation weitgehend vernachlässigt und nur wenige Möglichkeiten zur Beteiligung bietet. Ihr ist eher die Logik der Wählerpartei-en inhärWählerpartei-ent, dWählerpartei-en StimmWählerpartei-engewinn zum Hauptziel zu machWählerpartei-en und die Mitglie-der als nützliches Vehikel im Wahlkampf zu betrachten, die zur Mobilisie-rung der Wähler beitragen können.

Die Mitgliederpartei gilt – zumindest für deutsche Parteien – als „unhin-terfragtes Idealbild von Parteiorganisation[en]“ (Schroeder und Neumann 2010: 208)77, wobei sich die Frage stellt, welche Ausprägung für die unter-suchten Parteien SPD und CDU gegenwärtig empirisch festzustellen ist.

Reformversuche der deutschen Parteien in Richtung einer zunehmenden Mit-gliederbeteiligung weisen nur scheinbar in die Richtung der demokratischen Mitgliederpartei. Der konstatierte Misserfolg der unternommenen Partei-76 Wenngleich die Piratenpartei sowie DIE PARTEI in Deutschland prinzipiell Mehrfachmit-gliedschaften zulassen, scheitert dies daran, dass die meisten anderen Parteien Mehrfach-mitgliedschaften ausdrücklich ausschließen.

77 Siehe aus der internationalen Perspektive Scarrow (2013a: 127), die anmerkt: „The mem-bership party is no longer the dominant actual form of organization for parties in estab-lished parliamentary democracies in Europe, nor is it the ideal to which all parties pay lip-service“.

reformen der letzten Jahrzehnte (vgl. Jun 2009a; für einen weiteren Überblick siehe Neumann 2013a) ist ein Indiz dafür, dass Parteien diese Reformen halbherzig und nicht mit letzter Konsequenz durchführen. Jedoch muss da-rauf hingewiesen werden, dass – wie bei den meisten politikwissenschaftli-chen Idealtypen – die empirische Wirklichkeit sich nicht auf den Extrem-punkten zweier Pole verorten lässt, sondern Mischtypen existieren (vgl. Jun 2013: 127).

Die Frage, wie viele Mitglieder eine Partei haben muss, um Mitglieder-partei genannt zu werden, ist nicht abschließend geklärt. Jun (2004: 97) schlägt vor, dass 0,5 Prozent der Wahlberechtigten Mitglied einer Partei sein müssen, damit diese das Etikett der Mitgliederpartei tragen kann. Für 2017 bedeutet dies bei einer Zahl von 61,5 Millionen Wahlberechtigten (vgl. Der Bundeswahlleiter 2017), dass davon 307.500 Bürger in einer Partei organi-siert sein müssen, damit diese – aus der Forschungsperspektive – Mitglieder-partei heißen kann78. Die SPD sowie die CDU erfüllen diese Zielvorgabe gegenwärtig (noch). Die in Abschnitt 4.1 konstant rückläufige Zahl der Par-teimitglieder in den deutschen Großparteien (vgl. Niedermayer 2014: 420) erschwert jedoch die Einhaltung dieser Schwelle auf lange Sicht. Ob damit das „…goldene Zeitalter der Mitgliederparteien endgültig vorbei zu sein scheint“ (Niedermayer 2011: 46; auch: Niedermayer 2018b: 15), kann nicht mit Sicherheit konstatiert werden, doch zeigt der Trend deutlich in diese Richtung. Nach Alemann und Spier (2008: 40) verliert die Mitgliederpartei zwar an Profil, doch wirke sich der Mitgliederschwund nicht auf das Profil und die Arbeitsweise der Parteien aus; sie konstatieren: „Das ‚Ende der Mit-gliederpartei‘ steht uns jedenfalls in Westeuropa noch nicht ins Haus“ (Ale-mann und Spier 2008: 40).

Um den Nutzen von Mitgliedern bewerten zu können, müssen mehrere Aspekte berücksichtigt werden. Parteien benötigen schon aus einer organisa-torischen Notwendigkeit heraus Mitglieder, um Posten zu besetzen. Machnig (2001: 106) spricht in einer älteren Publikation für die SPD von 70.000 zu besetzenden Posten, für die Mitglieder rekrutiert werden müssen (zu dieser Notwendigkeit siehe auch Decker 2015: 242). Andererseits entsteht durch Konkurrenz unter Umständen ein ‚Postengerangel‘ auf lokaler Ebene, das zur Wahrung einer geschlossenen Außenwirkung der Partei vor Ort unbedingt vermieden werden sollte. Neueren Erkenntnissen zufolge ist dieser Streit um Ämter jedoch eher ausgeschlossen. Dose und Fischer (2013: 894) gehen davon aus, dass Parteien aufgrund ihrer Rekrutierungsschwächen erhebliche Probleme dabei hätten, Ämter und Mandate zu besetzen.

Des Weiteren bieten Mitglieder insbesondere in ‚Krisenwahlen‘ (vgl. von Beyme 2000: 120f.) eine ‚sichere Bank‘, da sie zum großen Teil die eigene 78 Auf Landesebene betrachtet kann die CSU diese Marke ebenfalls erfüllen. Da sie jedoch nicht bundesweit operiert, soll sie nicht Gegenstand dieser sowie weiterer Betrachtungen sein.

Partei wählen. Mitglieder können aber auch – vor allem, wenn sie unzufrie-den und frustriert sind – als negativer Multiplikator dienen und zu unvorher-gesehenen Handlungen neigen. Wenngleich Scarrow (2007: 648) nachweisen kann, dass Mitglieder im Wahlkampf eine spürbar positive Wirkung entfalten und sie vor allem in Wahlen mit knappen Ausgang entscheidend sein können (vgl. Lees-Marshment und Pettitt 2014: 246), können sie im Vergleich zu Wählern „als extremer in ihren Werthaltungen sowie politischen Positionen“

(Jun 2004: 76) 79 gelten und damit den Erfolg ihrer Partei gefährden; zudem lassen sie sich von der Partei nicht vollständig steuern (vgl. Neumann 2013b:

125). Obschon Wahlkämpfe heutzutage eher kapital- denn arbeitsintensiv sind, bleibt das ‚grassroots-campaigning‘ dennoch ein wesentliches Element, um zum Wahlsieg beizutragen (vgl. Scarrow 2015: 103). Im Wahlkampf sind die Mitglieder besonders wertvoll: Sie werben unentgeltlich an Wahlständen für ihre Partei und können durch face-to-face-Kontakt das erreichen, was Ware (1992: 75) als „winning hearts and minds“ bezeichnet. Ohne die Ehren-amtlichen müssten Parteien auf bezahlte Kampagnenhelfer zurückgreifen – wie z.B. in den USA (vgl. Nielsen 2012: 26) –, was das finanzielle Budget der Parteigliederungen schnell aufzehren könnte.

Die Wirkung der Parteimitglieder als „gesellschaftliche Seismographen“

(Niedermayer 2011: 30) erklärt sich aus der Linkage-Funktion der Parteien, die den Kontakt der Partei zu den Wählern, die sie repräsentieren will, über die Parteibasis aufrechterhalten kann. Dem steht entgegen, dass die Linkage-Funktion der Parteien national wie international seit den 1960er Jahren deut-lich nachgelassen hat (vgl. Allern und Verge 2017: 128). Problematisch für die Ausrichtung der Partei kann dies werden, wenn die Parteiführung die Seismographen-Funktion der Mitglieder überschätzt und sich an „radikalen Parteiaktivisten“ (Detterbeck 2009: 292) orientiert.

Mitglieder dienen vor allem als Legitimierungsinstanz für die Partei (vgl.

Detterbeck 2005a: 67; Vielhaber 2015: 87f.; Jun 2004: 77) und für das ge-samte demokratische System. Parteien, die eine hohe Zahl an Mitgliedern vorweisen können, verweisen damit auf ihre besondere gesellschaftliche Verwurzelung, die in den großen Mitgliederbeständen ihren Ausdruck finde.

Die kontinuierliche Abnahme dieser Bestände kehrt diesen Effekt um, sodass die Legitimationsbasis der Mitgliederparteien Stück um Stück erodiert. Dass die Großparteien sich vom Modell der Mitgliederpartei nicht lösen, hat nach Bukow (2009: 223) daher insbesondere normative Gründe.

Die Funktion der Parteimitglieder als Geldgeber ist hingegen umstritten:

Parteimitglieder finanzieren zwar durch Beiträge und Spenden die Partei, verursachen aber erhebliche Kosten durch den bürokratischen Aufwand, der durch die Verwaltung und Aktualisierung der Mitgliederkarteien entsteht.

Hinzu kommen die Organisation und Finanzierung von Parteitagen sowie

79 Siehe grundlegend May (1973) und dazu wiederum Quinn (2005: 28) mit einer Kritik.

regelmäßige Anschreiben in Form von Briefen und Newslettern (siehe dazu Wiesendahl 2006: 112). Finanziell besonders aufwendig sind innerparteiliche Partizipationsmöglichkeiten für Parteimitglieder, weshalb z.B. die Parti Soci-aliste in Frankreich 2011 eine ‚Partizipationsgebühr‘ erhoben hat, um die zusätzlichen Kosten für eine Urwahl zu decken (siehe zu den Kosten inner-parteilicher Demokratie Scarrow 2013b). Zu beachten ist für deutsche Partei-en die relative FinanzierungsobergrPartei-enze, die besagt, dass staatliche ZuwPartei-en- Zuwen-dungen die Mittel, die Parteien aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen erwirt-schaften, nicht übersteigen dürfen (vgl. Poguntke 1994: 204). Klein und Spier (2011a: 211f.) weisen daher auf die Wichtigkeit der Mitgliedsbeiträge hin.

Dose und Fischer (2013: 893) schließen, dass der Wegfall der Mitgliedsbei-träge gar „zu einer substantiellen Schwächung der Parteien“ führe. Andere Autoren merken jedoch an, dass Parteien ihre finanziellen Ressourcen aus anderen Quellen erschließen können. Dies betrifft vor allem staatliche Res-sourcen (vgl. Arnim 2011), die die Querfinanzierung durch parteinahe Stif-tungen und Fraktionsmittel der Parteien einschließen, womit diese den Mit-gliedsbeiträgen daher relativ gleichgültig gegenüber stehen können (vgl.

Wiesendahl 2009b: 39).

Hinsichtlich der Mitgliederwerbung erfüllen bestehende Mitglieder eine essentielle Funktion, indem sie neue Mitglieder werben (vgl. Niedermayer 2011: 31). Die Einkapselung der Mitglieder in ihren Ortsverbänden kann jedoch abschreckend wirken und die Attraktivität für Neumitglieder deutlich senken (vgl. Jun 2009a: 194). Gemeinsam mit der Überalterung der Parteien verstärkt sich dieser Effekt noch. „[T]he[…] ‚senior centre charm‘ has a deterrent effect on the already lagging recruitment of up and coming young members“ (Jun 2011b: 210).

Zuletzt können Parteimitglieder Politikinnovationen anstoßen; diese Funktion ist heutzutage jedoch zu vernachlässigen (vgl. Jun 2009b: 249) und soll daher nicht weiter ausgeführt werden.

Tabelle 3: Nutzen und Schaden von Parteimitgliedern

Parteimitglieder… Möglicher Nutzen Möglicher Schaden

…als Humanressource Rekrutierung von Amts- und Mandatsträgern bzw.

…als Wahlkämpfer Mitglieder mobilisieren Wähler in Wahlkampfzeiten

…als Legitimierungsinstanz Mitglieder legitimieren den demokratischen Anspruch der

wer-ben neue Mitglieder Mitglieder pflegen meist selbstbezogene Rituale auf

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Jun (2015: 21)

Wenngleich die neuere Forschung Parteimitglieder als wertvolle Ressource für Parteien anerkennt (vgl. Kölln 2014: 202), lässt sich am möglichen Scha-den von Mitgliedern ableiten, dass es sowohl vom Parteientyp als auch vom Selbstbild einer Partei abhängt, ob Mitglieder für sie nützlich oder hinderlich sind. Aufgrund der besonderen legitimatorischen Funktion von Mitgliedern kann davon ausgegangen werden, dass Mitgliederparteien bestehende Mit-glieder binden und neue rekrutieren möchten, da sie damit sowohl funktionel-len als auch pragmatischen Ansprüchen gerecht werden. Der dabei von den Parteien betriebene Aufwand – vor allem sichtbar an der Parteireform der SPD im Jahr 2011 – kann als Indiz dafür gelten, dass die Mitgliederparteien ihr Etikett als ebensolche wahren möchten. Morgenstern (2014: 103) schließt

in ihrer soziologischen Untersuchung ebenfalls, dass die Gewinnung vieler Mitglieder für Mitgliederparteien „ein große[s] Thema und neben der Macht-beteiligung eines der wichtigsten Ziele [sei]“.

Ausgehend vom Typus professioneller Wählerparteien (siehe dazu von Beyme 2000) liegt es hingegen nahe, den Schaden, den Mitglieder anrichten können, potentiell höher zu bewerten. Vielhaber (2015: 89) weist darauf hin, dass Mitglieder in diesen störend wirken, die inhaltliche Flexibilität und Ausrichtung der Parteispitze beeinträchtigen und Mandatsträger wertvolle Zeit und Aufmerksamkeit kosten können (siehe dazu ebenfalls Schmid und Zolleis 2009: 282). Das bedeutet aber nicht, dass die Vergrößerung der Party on the Ground stets Nachteile für den gesamten restlichen Parteiapparat bringt. Die Annahme von Micus (2011: 22f.), dass vor allem die mittlere Hierarchieebene Leidtragende einer Stärkung der Party on the Ground sei (siehe azcg Totz 2011: 5) und die hohen Führungsebenen wiederum von einer Revitalisierung der Basis profitieren können, erklärt, warum Parteien die Basis stärken können, ohne zugleich einen Machtverlust in der Führungs-ebene befürchten zu müssen. Widerstände in der mittleren FührungsFührungs-ebene wiederum können dann dafür verantwortlich gemacht werden, dass Parteire-formen die Macht der Parteibasis inkrementell, aber nicht substantiell stär-ken80.

Insgesamt ist die Mitgliederpartei bzw. die Bedeutung des Mitglieder-stammes in der Forschung also nicht unumstritten. Mit ihrem Typus der Kar-tellpartei zeigen Katz und Mair (1995) die Trennung von professionellen Parteimitarbeitern und Mandatsträgern zur Party on the Ground auf, die ihrer Ansicht nach zunehmend irrelevant geworden ist. Grund dafür sei, dass sich die Funktionen, die sie erfüllt, outsourcen lassen (vgl. dazu auch das

‚Restatement‘ von Katz und Mair 2009: 759; Bolleyer 2009: 561). Die Kar-tellpartei reiht sich damit typologisch in die Abschiedsgesänge auf die Mas-senmitglieder- und Volksparteien ein. „Im Zentrum der meisten Krisendiag-nosen steht der Niedergang der Volksparteien als Mitgliederparteien“ (Lied-hegener 2011: 234). Die ältere Parteienforschung legte diesen Trend zur Entwertung der Mitgliedschaft bereits offen, indem sie darauf hinwies, dass Parteieliten im Sinne der Oligarchisierung von Entscheidungsstrukturen den Mitgliedern Stück für Stück Entscheidungs- und Gestaltungsräume nehmen würden (siehe dazu z.B. Duverger 1954: 133-135; Kirchheimer 1965: 32, Panebianco 1988). Andere Autoren zeigen ebenfalls auf, dass der Mitglieder-stamm von Parteien in der Forschung als bedeutungslos anerkannt wird, wie Wiesendahl (2009b: 36) modernen Parteitypen attestiert und Jun (2000: 352) der Forschung zu Parteien in Westeuropa entnimmt. Vor allem in der anglo-amerikanischen Forschung findet sich häufig die Feststellung wieder, dass Parteimitglieder eher nutzlos seien (vgl. Scarrow 1994: 41), bedingt durch

80 Siehe dazu noch ausführlicher Abschnitt 4.4.1.

den Ausbau der Massenmedien und vor allem des Fernsehens. Die massen-mediale Kommunikation kompensiere dabei die einstigen Aufgaben der Mit-glieder als Mittler und Multiplikatoren, den MitMit-gliederparteien werde daher der „Totenschein“ (Wiesendahl 2009b: 37) ausgestellt. Der Kontakt, den Parteimitglieder zu Bürgern herstellen können, ist aber deshalb so wirkungs-voll, weil er eben nicht über die Massenmedien gefiltert wird, sondern im persönlichen Gespräch authentisch vermittelt wird, ein Aspekt, auf den schon Epstein (1967: 114) hinweist81. Eine experimentelle Studie von Gerber und Green (2000: 662) weist auf die positiven Effekte des persönlichen Ge-sprächs auf die Entscheidung, wählen zu gehen, hin. Und so erkennt auch die Parteienforschung – das schließt zumindest Wiesendahl (2009b: 45) –, dass der Nutzen einer zahlenmäßig großen Mitgliedschaft, die im Wahlkampf auf lokaler Ebene entscheidenden Stimmen mobilisieren könne, lange unter-schätzt wurde und erst langsam wieder in der Forschung wahrgenommen wird.

Zuletzt soll damit ein Ausblick auf die Zukunft der Mitgliederpartei ge-geben werden. Der stetige Rückgang der Mitgliederzahlen bei gleichzeitig angenommenem Nutzen von Parteimitgliedern birgt die Gefahr, dass Mit-gliederparteien das eigene Überleben nicht mehr sicherstellen können. Partei-en müssPartei-en in einem Feld harter KonkurrPartei-enz agierPartei-en und sich ihrer marktähn-lichen Umwelt anpassen, um zu überleben (vgl. Kölln 2014: 97; 187). Mit-gliederparteien, die den organisatorischen Status Quo erhalten wollen, müs-sen Austritte daher mindestens durch Eintritte kompensieren können, wollen sie ihre organisationale Schlagkraft wahren (siehe dazu Wiesendahl et al.

2018: 310). Die Aktivitäten der SPD und CDU auf allen Ebenen im Rahmen von Wahlen, öffentlicher Präsenz, Regierungsverantwortung und medialer Präsenz zeigen, dass die untersuchten Parteien ihre organisationalen Ziele und Kernfunktionen anscheinend aufrechterhalten können. Die Aufstockung der Parteienfinanzierung in der ‚Sommerpause‘ 2018 hingegen lässt vermu-ten (vgl. FAZ 2018), dass sich vor allem bei der SPD allmählich finanzielle Probleme ergeben, die sich nicht auf Misswirtschaft zurückführen lassen.

Inwieweit der prognostizierte Mitgliederrückgang zum Problem werden kann und wann eine gewisse kritische Schwelle unterschritten wird, unter der die Mitgliederparteien in ihrer Arbeit gelähmt werden und das Überleben als gefährdet betrachtet werden muss, ist in dieser Studie nicht zu klären.

Abschließend wird konkludiert, dass der Nutzen von Parteimitgliedern für Mitgliederparteien die Kosten durchaus übersteigt. Die Mitgliederpartei gewinnt den besonderen Nutzen aus einer Massenmitgliedschaft vor allem durch legitimatorische und normative Vorteile, kann jedoch ebenso von der kostenlosen Arbeitskraft, die Mitglieder insbesondere im Wahlkampf zur Verfügung stellen, profitieren. Zugleich bedroht die Normalisierungstendenz 81 Wenngleich Epstein (1967: 118) ebenso wie andere Autoren den Gesamtnutzen einer

Massenmitgliederbasis infrage stellt.

der Mitgliederzahlen auf niedrigem Niveau genau diese Vorzüge. Hinsicht-lich der Zukunft der Mitgliederparteien stellt sich daher die Frage, was die Parteien zuerst aufgeben: die Massenmitgliedschaft oder aber den Anspruch, Mitgliederpartei zu sein.