• Keine Ergebnisse gefunden

Das Aktivitätsniveau von Parteimitgliedern

4 Mitgliederparteien in der Nachwuchskrise

4.6 Das Aktivitätsniveau von Parteimitgliedern

„Die Partizipation der Mitglieder in den Parteien bleibt in Deutschland auf konstant niedrigem Niveau“, konstatiert Holtkamp (2018: 106). Hinsichtlich der Aktivitätsformen der Mitglieder rangiert an oberster Stelle der Besuch von Parteiversammlungen, gefolgt vom Besuch von Festen und geselligen Veranstaltungen. Der Besuch von Parteiversammlungen wird von der Hälfte der Mitglieder als Aktivitätsform angegeben, der Besuch von Festen und Veranstaltungen lediglich von einem Drittel der Mitglieder. Für diese Studie relevant ist vor allem das persönliche Werben neuer Mitglieder, was 14 Pro-zent der Befragten in der Deutschen Parteimitgliederstudie als geleistete Aktivität angeben101 (vgl. Spier 2011: 109). Spier weist darauf hin, dass die-ser Wert 1998 noch bei 15 Prozent lag; dies sei „für die zukünftige Mitglie-derentwicklung natürlich eine bedenkliche Entwicklung, der die Parteien große Aufmerksamkeit widmen sollten“ (Spier 2011: 110).

Die Zahlen zeigen, dass Parteimitglieder nicht mehrheitlich darauf be-dacht sind, neue politische Weggefährten zu rekrutieren. Ältere Untersu-chungen zu diesem Thema stellen fest, dass Mitgliederwerbung von den Parteiorganisationen nur einen nachrangigen Stellenwert erhält und eher

„stiefmütterlich behandelt“ (Boll 2001: 83) wird. Wenngleich ein großer Teil der Mitglieder die Neumitgliederwerbung als sehr wichtige Aufgabe betrach-tet, so besteht auf der anderen Seite offensichtlich kein großes Reservoir an Mitgliedern, die bereit sind, aktiv Neumitglieder zu werben (vgl. Boll 2001:

83). Neuere Studien, die nicht aus der Politikwissenschaft, sondern bemer-kenswerterweise aus den Naturwissenschaften stammen, zeigen mittels ma-thematischer Modelle aus der Epidemiologie, dass „the more active the party, the more the recruits became active participants themselves, a form of positi-ve feedback“ (Jeffs et al. 2016: 370). Die Autoren konstatieren zugleich, dass die Zahl derjenigen Parteimitglieder – beispielhaft für ausgewählte britische Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg –, die aktiv Neumitglieder rekrutieren, weniger als 0,1 Prozent beträgt. Jeffs et al. (2016: 370) gehen daher davon aus, dass Mitgliederwerbung in gebündelten Phasen ausgeübt wird und kei-nen kontinuierlichen Prozess darstellt. Auf Basis dieser Zahlen ist insgesamt

101 Hierunter sind all jene gefasst, die diese Aktivität als ‚sehr häufig‘ oder ‚eher häufig‘

angeben (vgl. Spier 2011: 108).

zu erwarten, dass Mitgliederwerbung eine Aktivität darstellt, die nur von wenigen Mitgliedern ausgeübt wird und wenn, dann eher sporadisch.

Heinrich et al. (2002: 23ff.) zeigen zudem in ihrem Abschlussbericht zur Parteimitgliederstudie 1998 auf, dass 80 Prozent der Parteimitglieder noch mindestens einer weiteren Tätigkeit in einer anderen Organisation nachge-hen; im Hinblick auf die Ressource ‚Zeit‘ kann dies von maßgeblicher Be-deutung sein, ist diese schließlich kein infinites Gut. Heinrich et al. (2002:

26) heben zudem die Rolle von Parteimitgliedern als Kommunikatoren her-vor; so könne die „gezielte Aktivität einzelner Mitgliedschaften im Rahmen bestimmter gesellschaftlicher Organisationen […] dabei helfen, die Anbin-dung der Traditions-Milieus an die Parteien zu stabilisieren“. Die Autoren konstatieren, dass dieser besondere Vorteil nur genutzt werden kann, wenn die Parteimitglieder im Rahmen ihrer Parteitätigkeit aktiv sind. Ein für die vorliegende Untersuchung wesentlicher Aspekt wird hier beleuchtet: „Gerade dieser Punkt, nämlich die Mitglieder zu einem größeren Engagement in der Partei zu bewegen, beschert den Parteien Probleme“ (Heinrich et al. 2002:

28). Diejenigen Mitglieder, die aktiv in einer Partei mitarbeiten, wenden dabei zu 53 Prozent bis zu fünf Stunden monatlich für die Parteiarbeit auf, zu 37 Prozent zwischen fünf und 20 Stunden und zehn Prozent wenden 20 Stun-den und mehr für ihre Parteiaktivität auf.

An dieser Stelle lässt sich erkennen, dass die von aktiver Parteimitarbeit verursachten Kosten deutlich höher sind als jene, die durch den bloßen Bei-tritt oder eine Mitgliedschaft als ‚Financier‘ verursacht werden, was sicher-lich keines weiteren Nachweises bedarf: „Ziele wie die Übernahme von Äm-tern und Mandaten [lassen] sich nur erreichen, wenn man sich engagiert“

(Rohrbach 2013: 205) und das kostet vor allem die Ressource Zeit. Rohrbach (2013: 207) zeigt zudem, dass es insbesondere die etwas jüngeren Mitglieder sind, die sich als ‚sehr aktiv‘ beschreiben, ihr Durchschnittsalter liegt bei 51,9 Jahren und unterbietet das der anderen Aktivitätsgruppen um ca. fünf Jahre.

Geschlecht und Region weisen keinen signifikanten Zusammenhang zur Aktivitätsrate auf. Die Art der Erwerbstätigkeit (weniger als vollzeitig er-werbstätig / vollzeitig erer-werbstätig) macht keinen signifikanten Unterschied in der Aktivität aus. Verwunderlich ist, dass sich nicht vollzeitig Erwerbstäti-ge zwar stärker als ‚ziemlich aktiv‘, vollzeitig ErwerbstätiErwerbstäti-ge jedoch stärker als ‚sehr aktiv‘ (vgl. Rohrbach 2013: 208) bezeichnen. Im Rahmen einer multivariaten Analyse kann die Autorin jedoch aufdecken, dass der Koeffi-zient der Erwerbstätigkeit negativ ist, erwerbstätige Mitglieder im Gegensatz zu nicht-erwerbstätigen Mitgliedern insgesamt also weniger aktiv sind, was plausibel erscheint (vgl. Rohrbach 2013: 213); hier irritieren lediglich die Werte der von der Autorin vorher dargestellten Kreuztabellierung. Sozialpsy-chologische Merkmale wie das Politikinteresse wirken positiv auf das Enga-gement der Mitglieder, die internal efficacy und parteiinterne Beteiligung weisen keinen signifikanten Zusammenhang auf, „was überraschend ist, da

ein Gefühl politischer Selbstwirksamkeit die Selbstbehauptung eines Mit-glieds innerhalb des Organisationsgefüges begünstigen sollte“ (Rohrbach 2013: 214). Die external efficacy ist lediglich auf dem 10-Prozent-Niveau signifikant, wenngleich sie positiv mit Aktivität korreliert; dennoch ist der p-Wert zu hoch, um die Nullhypothese verlässlich verwerfen zu können. Hin-sichtlich der Anreize, die die Autorin dem General-Incentives-Modell ent-nimmt, erkennt sie, dass selektive, ergebnisbezogene Anreize eine signifikant positive Auswirkung auf die innerparteiliche Aktivität haben (vgl. Rohrbach 2013: 214); Mitglieder, die Ämter erlangen wollen, sind aktiver. Ob sich dies auf die in diesem Vorhaben untersuchte Mitgliederwerbung auswirkt, ist unklar; dazu fehlen dem Autor die Primärdaten der Parteimitgliederstudie.

Prozessorientierte Anreize haben ebenfalls einen „signifikant positiven Einfluss auf das parteiinterne Engagement […]. Die Motive, die unter den prozessorientierten Anreizen zusammengefasst wurden, sind ausnahmslos selektiv, da sie exklusiv für das Mitglied nutzenstiftend sind“ (Rohrbach 2013: 216); für die generelle Aktivität in Parteien zeigt sich, dass aktive Par-teimitglieder auf Rational-Choice-Argumenten aufbauend Parteiarbeit aus-führen. Dieser Logik folgt die Annahme, dass Anreize, die nicht auf indivi-duellen Vorteilen beruhen, auch keinen Effekt auf die innerparteiliche Aktivi-tät haben; und wie Rohrbach zeigt, ergeben sich weder für normative noch für politische Anreize signifikante Auswirkungen auf die innerparteiliche Aktivität (vgl. Rohrbach 2013: 216). Ein positiver Einfluss bürgerlicher Normen auf die innerparteiliche Aktivität kann also ausgeschlossen werden, was hinsichtlich der Theorie des geplanten Verhaltens verwundert: Nicht die sozialen Normen scheinen es zu sein, die das eigene Verhalten begünstigen, sondern der als positiv erwartete Nutzen aus innerparteilicher Arbeit102.

Zuletzt ist noch auf die Ergebnisse einer weiteren Studie hinzuweisen:

Eine nicht repräsentative Untersuchung des Marktforschungsinstitutes polly-tix strategic research unter 1.016 Mitgliedern der SPD in der Region Mittel-rhein kommt zu dem Ergebnis, dass 47 Prozent der aktiven Mitglieder ohne Amt oder Mandat neue Mitglieder geworben haben. 29 Prozent der aktiven Mitglieder ohne Amt und Mandat haben dies bisher nicht gemacht, halten es aber für vorstellbar (vgl. Hartl und Faus 2016: 20). Von denjenigen Mitglie-dern, die weder ein Amt noch ein Mandat innehaben und bisher keine Partei-aktivität ausüben, artikulieren 35 Prozent, dass sie es sich vorstellen können, neue Mitglieder zu werben. Insbesondere diese Zahlen sollten aus schon mehrfach genannten Gründen mit äußerster Vorsicht betrachtet werden. Die Theorie des geplanten Verhaltens, die hier heranzuziehen ist, lässt den 102 An dieser Stelle muss zwischen Anreizen und Motiven getrennt werden, was auch die Parteienforschung nicht immer hinreichend macht. Es kann daher sein, dass normative An-reize auf der einen und soziale Normen auf der anderen Seite aus psychologischer Perspek-tive getrennte Konzepte darstellen und nicht miteinander in Beziehung gesetzt werden kön-nen. Dies zu erforschen kann aber nicht das Anliegen der vorliegenden Untersuchung sein.

Schluss zu, dass diese 29 bzw. 35 Prozent der Mitglieder nicht mit Sicherheit das von ihnen geplante Verhalten auch ausführen werden. Zudem ist die geschlossene Frageform der Umfrage, die der Studie zugrunde liegt, proble-matisch im Hinblick darauf, dass Mitglieder zum einen auf ein Verhalten angesprochen werden, das ihnen von selbst vielleicht nicht eingefallen wäre und sich zum anderen Effekte sozialer Erwünschtheit bei der Beantwortung der Frage einstellen könnten (siehe zu den Auslösern sozialer Erwünschtheit Stocké 2004; vor allem das von ihm genannte Anerkennungsmotiv kann hier der erklärende Faktor für die hohen Werte sein, siehe Stocké 2004: 304).

Dennoch ist die Zahl von 47 Prozent der Mitglieder, die angeben, neue Mitglieder geworben zu haben, beachtlich. Sie kollidiert jedoch mit der re-präsentativen Deutschen Parteimitgliederstudie, die für das Jahr 2009 den bereits genannten Wert von 14 Prozent der Parteimitglieder ausweist, die neue Mitglieder geworben haben (vgl. Spier 2011: 109)103. Die nicht reprä-sentativen Zahlen der pollytix-Studie sind daher für dieses Buch nicht zu gebrauchen, sie legen jedoch nahe, dass anscheinend deutliche regionale Unterschiede in der Bereitschaft, neue Mitglieder zu werben, existieren.

4.7 Die andere Seite – Prinzipiell parteibeitrittsbereite