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Die andere Seite – Prinzipiell parteibeitrittsbereite Bürger Bürger

4 Mitgliederparteien in der Nachwuchskrise

4.7 Die andere Seite – Prinzipiell parteibeitrittsbereite Bürger Bürger

Der folgende Abschnitt geht auf die potentiellen Parteimitglieder ein. Eine weitere große Forschungslücke neben den von Parteien genutzten Mitglied-erwerbestrategien stellen die ‚prinzipiell partizipationsbereiten Bürger‘ dar, die bereits die Verhaltensabsicht zum Parteibeitritt bekundet haben, sich jedoch bisher nicht an eine Partei binden wollten. Die Parteiaktivität ist dabei nicht die einzige Partizipationsform, bei der Verhaltensabsicht und -manifestation auseinandergehen. Das hohe Partizipations- und Engagement-potential innerhalb der Bevölkerung ist auch in anderen Partizipationsformen zu erkennen und werde unter anderem „aufgrund fehlender Information und mangelnder Gelegenheitsstrukturen nicht ausgeschöpft“ (Sarcinelli 2009:

115). Eine der wesentlichen Annahmen dieser Studie ist, dass Mitgliederwer-bung bei der Umsetzung von Intention in manifestes Handeln einen wesentli-103 Leif (2009: 260) zitiert eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2006 mit

25.000 repräsentativ ausgewählten Mitgliedern. Darin gaben 41 Prozent an, bereits neue Mitglieder geworben zu haben. Dies kollidiert jedoch mit den tatsächlichen Beitrittszahlen der CDU, vor allem, da es sich laut Leif (2009: 260) um eine repräsentative Studie handel-te. Unklar ist, ob diese Zahlen aufgrund sozialer Erwünschtheit entstanden sind oder die un-tersuchte Gruppe eventuell doch nicht repräsentativ war. Auch ist denkbar, dass die Frage-stellung implizierte, dass zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit mal ein Mitglied geworben werden konnte. Selbst dann muten die 41 Prozent jedoch sehr hoch an, genauso wie die oben genannten Werte zur SPD.

chen Beitrag leisten kann und den Transmissionsriemen zwischen Beitrittsbe-reitschaft und tatsächlichem Beitritt bildet.

Der Parteibeitritt erfordert auf individualpsychologischer Ebene gewisse Zugeständnisse: So drückt die Beitrittsentscheidung nicht nur Parteinähe oder Identifizierung aus, sondern ist ein explizites und formales Statement, eine Partei zu unterstützen (vgl. Kölln 2014: 57). Die Zahlen dieser prinzipiell partizipationsbereiten Bürger schwanken stark in der Forschung: Ein Bericht der Bertelsmann Stiftung (2011: 5) nennt einen Wert von 30 Prozent der Befragten, die bekunden, entweder bereits Mitglied einer Partei gewesen zu sein oder bei denen eine Mitgliedschaft prinzipiell noch in Frage kommt. Die unscharfe Abgrenzung von zwei unterschiedlichen Fragen in einem Item macht den erhaltenen Wert schwer interpretierbar. Kornelius und Roth (2004:

93) kommen zu dem Ergebnis, dass 13 Prozent der von ihnen Befragten be-reits in einer Partei mitgearbeitet haben und sich 31 Prozent vorstellen kön-nen, diese Möglichkeit in Zukunft zu nutzen.

Scheinen diese Werte insgesamt im Vergleich zum tatsächlichen Organi-sationsgrad der deutschen Parteien bereits recht hoch (vgl. Niedermayer 2018a), so kommt Rohrbach (2013: 257) gar auf einen Anteil von 39 Prozent der parteipolitisch ungebundenen Bevölkerung, die es sich vorstellen könnte, einer Partei beizutreten oder dort aktiv zu sein, ohne eine formale Mitglied-schaft einzugehen. Hiermit kann leicht gezeigt werden, dass die tatsächliche Manifestation der Verhaltensabsicht ‚Parteimitarbeit‘ bzw. ‚Parteibeitritt‘

selten erfolgt und der Anteil derjenigen, die einer Parteimitarbeit prinzipiell zugeneigt sind, sich aber dann zu einer Mitgliedschaft entschließen, sehr gering ist. Dieses Phänomen ist jedoch nicht ausschließlich bei der Parteimit-gliedschaft zu beobachten, sondern generell bei allen Formen konventionell-verfasster sowie unkonventionell-unkonventionell-verfasster Partizipation (vgl. Glaab 2003:

123). Auffällig sind des Weiteren die eklatanten Unterschiede in den unter-schiedlichen Studien zur Parteibeitritts- bzw. Parteiaktivitätsbereitschaft.

Nachvollziehen lässt sich die Entwicklung der Bereitschaft, in Parteien mitzuarbeiten, anhand der ALLBUS-Studien. Leider wurden die Daten nur für 1988, 1998, 2002, 2008 und 2018 erhoben, sodass durchgängige Zahlen fehlen. Hierbei wurde den Befragten ein Kartenspiel überreicht, mit der Bitte, die auf den Karten abgebildeten und für sie infrage kommenden politischen Möglichkeiten zu nennen, die sie nutzen würden, um bei Anliegen, die ihnen wichtig sind, Einfluss zu nehmen. 1988 (nur für Westdeutschland) nannten 18,3 Prozent der Bürger darunter die aktive Mitarbeit in einer Partei, 1998 nur noch 10,9 Prozent, 2002 hingegen 27,3 Prozent und 2008 wiederum nur 13,9 Prozent104. Steinbrecher (2009: 262) kann für die Werte von 1998 und

104 Bei diesen Zahlen ist Vorsicht geboten! Enthalten sind darin auch die Befragten, die bereits Mitglied einer Partei sind (, da die Frage auf eine Aktivität in der Partei nicht auf die Mit-gliedschaft im engeren Sinne abzielt). In den weiteren Auswertungen wird der Datensatz

2002 zeigen, dass Postmaterialisten, Personen mit starker Parteiidentifikation, stärkerem politischem Interesse und höherer interner efficacy eher bereit sind, in einer Partei aktiv mitzuwirken.

Auf Basis der ALLBUS 2018-Daten105 wird im Folgenden ermittelt, was die Parteibeitritts- bzw. Parteiaktivitätsbereiten sowohl sozio-demographisch als auch sozialpsychologisch ausmacht. Als sozio-demographische Merkmale wurden das Alter, Geschlecht und der Bildungsgrad der Befragten (in Anleh-nung an Hoffmann (2011: 82), die diese Merkmale für die Beigetretenen einer Partei erhoben hat) untersucht, zusätzlich wird das persönliche Netto-Einkommen verglichen (im Hinblick auf die Ressource Geld). Die Ressource Zeit wurde mittels der Berufstätigkeit operationalisiert (von nicht erwerbstä-tig bis in Vollzeit erwerbstätig). Die untersuchten sozialpsychologischen Merkmale sind das politische Interesse sowie die efficacy (wiederum in Re-kurs auf Hoffmann 2011). Zudem wurde die Parteipräferenz der Befragten erhoben, um zu messen, wie hoch das Beitrittspotential für CDU und SPD einzuschätzen ist. Mit dem Vertrauen in politische Parteien wurde des Weite-ren erhoben, inwiefern soziale Normen des Vertrauens bzw. Misstrauens gegenüber Parteien eine Auswirkung auf die Parteiaktivitätsbereitschaft ha-ben.

Werden die Parteiaktivitätsbereiten im ALLBUS-Datensatz von 2008 un-tersucht und um diejenigen gefiltert, die bereits Mitglied einer Partei sind, dann bleibt ein Wert von 11,4 Prozent der Befragten, die bereit wären, in einer politischen Partei aktiv zu werden (mit personenbezogenem Ost-West-Gewicht gewichtet: 11,9 Prozent). Im ALLBUS-Datensatz von 2018, in dem die Frage zur Parteiaktivität ein weiteres Mal gestellt wurde, hat sich diese Zahl deutlich erhöht. Insgesamt nennen 19,2 Prozent der deutschen Bevölke-rung (wenn hier und im Folgenden von der BevölkeBevölke-rung die Rede ist, handelt es sich stets um die mit personenbezogenem Ost-West-Gewicht gewichteten Werte) die Bereitschaft, in einer Partei aktiv zu werden.

Diejenigen aus der Bevölkerung, die parteiaktivitätsbereit sind, sind im Mittel 46,57 Jahre alt (SD: 16,7), sie haben zu 41,5 Prozent als höchsten Bildungsabschluss einen Volks- und Hauptschulabschluss oder die mittlere Reife. 53,6 Prozent verfügen über die Fachhochschul- oder die Hochschulrei-fe. 55,3 Prozent der Aktivitätswilligen sind männlich, 44,7 Prozent weiblich.

28,9 Prozent der befragten Aktivitätswilligen sind nicht erwerbstätig106, 54,7 gefiltert, um die bereits organisierten Mitglieder bereinigt und für Gesamtdeutschland ge-wichtet.

105 Hier wurde der Datensatz ZA5270_v2-0-0 verwendet. Die Daten wurden mit dem perso-nenbezogenen Ost-West-Gewicht gwichtet.

106 Mit Blick auf die Variable dw03 im Datensatz, Status der Nichterwerbstätigkeit, kann die Nichterwerbstätigkeit der parteiaktivitätsbereiten Befragten folgendermaßen aufgeschlüs-selt werden: 19,1 Prozent sind Schüler und Studenten, 58,4 Prozent Rentner, 6,5 Prozent Arbeitslose, 9,6 Prozent Hausfrauen bzw. Hausmänner, 2,2 Prozent Wehrpflichtige bzw.

Zivildienstleistende und 4,3 Prozent nicht Berufstätige. Hier ist zu beachten, dass von

ins-Prozent hauptberuflich ganztags erwerbstätig. Diese Befragten scheinen trotz einer hohen Auslastung durch die Erwerbstätigkeit dennoch die Zeit zur Par-teiarbeit aufwenden zu wollen. 10,9 Prozent sind hauptberuflich halbtags erwerbstätig, 5,5 Prozent nebenher berufstätig. Von denjenigen Bürgern, die eine Parteipräferenz genannt haben, nennen 34,1 Prozent die CDU/CSU und 25,1 Prozent die SPD107; bedauerlicherweise sind CDU und CSU in den ALLBUS-Daten gleichgesetzt. 54,9 Prozent der Befragten sind ‚stark‘ oder

‚sehr stark‘ politisch interessiert, 61,3 Prozent von ihnen stimmen der Aussa-ge eher oder voll zu, dass Politiker sich nicht um ihre Gedanken kümmern;

dennoch erwägen sie eine Parteimitgliedschaft. 62,1 Prozent von ihnen trauen sich eher oder voll zu, in einer politischen Gruppe aktiv werden zu können.

Nur 26,0 Prozent stimmen eher oder voll zu, dass Politik zu komplex für sie sei. Kombiniert mit der Fähigkeit, in einer politischen Gruppe aktiv zu wer-den, deuten diese Werte ein hohes Beitrittspotential bei diesen Befragten an108. Zuletzt stimmen 54,6 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Poli-tiker die Interessen der Bevölkerung vertreten. Zusätzlich wurde das Vertrau-en in ParteiVertrau-en als Indikator für eine geplante VerhaltVertrau-ensabsicht einbezogVertrau-en.

Hier kommen die Befragten auf einen Mittelwert von 3,7 – auf einer Skala, die von 1 (gar kein Vertrauen) bis 7 (großes Vertrauen) reicht, womit bei den Befragten in Relation zu einer Normalverteilung kein überdurchschnittliches Vertrauen in Parteien zu konstatieren ist.

gesamt 152 Fällen nur 56 gültig sind und damit Probleme in der Repräsentativität vermutet werden können.

107 Diese Daten sind mit Vorsicht zu betrachten, da nur insgesamt 64,7 Prozent der Aktivitäts-bereiten eine Antwort auf die Frage gegeben haben. Der Rest hat die Antwort verweigert oder war Teil einer Subpopulation, die die Frage nicht erhalten hat.

108 Eine Korrelationsanalyse zeigt, dass die Befragten dieser Gruppen statistisch signifikant zusammenhängen. Die selbst zugeschriebene Fähigkeit, in einer politischen Gruppe aktiv zu werden, korreliert damit, Politik nicht als zu komplex wahrzunehmen.

Tabelle 4: Vergleich soziodemographischer und sozialpsychologischer

110 1 = Ohne Abschluss; 2 = Volks-/Hauptschule; 3 = Mittlere Reife; 4 = Fachhochschulreife;

5 = Hochschulreife.

111 1 = hauptberuflich ganztags; 2 = hauptberuflich halbtags; 3 = nebenher erwerbstätig; 4 = nicht erwerbstätig. Niedrige Werte indizieren damit mehr Zeit, die im Beruf verbracht wird.

112 1 = Überhaupt nicht interessiert; 2 = wenig interessiert; 3 = mittel interessiert; 4 = stark interessiert; 5 = sehr stark interessiert. Die Daten aus pa02a (Politisches Interesse) wurden transformiert, damit niedrige Werte auch ein niedriges Interesse indizieren.

113 1 = CDU/CSU; 2 = SPD; 3 = FDP; 4 = Die Grünen; 5 = DIE LINKE; 6 = AfD; 7 = Andere Partei (Ausgangswerte wurden in die genannte Skala transformiert). Bei der Interpretation der Werte ist die o.g. Skalierung zu beachten: Kleinere Werte indizieren eine Parteipräfe-renz für die großen Parteien, große Werte für die kleineren Parteien.

114 Erfasst über das ALLBUS 2018-Item „Politik ist zu komplex für mich“ (pe04) mit: 1 = stimme voll zu; 2 = stimme eher zu; 3 = stimme eher nicht zu; 4 = stimme gar nicht zu und

„Weiß wenig über Politik“ (pe06) mit: 1 = stimme voll zu; 2 = stimme eher zu; 3 = stimme eher nicht zu; 4 = stimme gar nicht zu. Aus beiden Items wurde ein Index gebildet. Niedri-ge Werte in Tabelle 4 bilde niedriNiedri-ge efficacy ab, hohe Werte hohe efficacy.

115 Erfasst über das ALLBUS 2018-Item „Politiker kümmern sich nicht um meine Gedanken“

(pe01) mit: 1 = stimme voll zu; 2 = stimme eher zu; 3 = stimme eher nicht zu; 4 = stimme gar nicht zu und „Kann in einer politischen Gruppe aktiv werden“ (pe02) mit: 1 = stimme voll zu; 2 = stimme eher zu; 3 = stimme eher nicht zu; 4 = stimme gar nicht zu. Aus beiden Items wurde nach Variablentransformation eine Skala gebildet. Zudem wurden die Werte aus pe02 so transformiert, dass die 1 niedrige efficacy ausdrückt, 4 hingegen hohe efficacy.

Niedrige Werte in Tabelle 4 bilden damit insgesamt niedrige efficacy ab, hohe Werte hohe efficacy. Sicherlich existieren validere Messungen als diese. Beierlein et al. (2012) machen einen efficacy-Skalen-Vorschlag, der jedoch auf die Daten des ALLBUS 2018 nicht über-tragbar war bzw. mit diesen nicht gemessen werden konnte.

Wie die Mittelwertvergleiche der untersuchten Variablen zeigen, unterschei-den sich die Aktivitätswilligen deutlich von unterschei-den Nicht-Aktivitätswilligen. Sie sind nicht nur signifikant jünger und männlicher, sondern auch gebildeter, eher hauptberuflich in Vollzeit oder Teilzeit erwerbstätig, verfügen über ein höheres Nettoeinkommen, sind politisch interessierter und haben sowohl mehr internal als auch external efficacy. Des Weiteren vertrauen sie Parteien signifikant stärker als Nicht-Aktivitätswillige. Basierend auf der Theorie des geplanten Verhaltens ist dies ein Indikator für die Umsetzung von geplantem in manifestes Verhalten, wenngleich der Mittelwert auch bei den Aktivitäts-bereiten nicht übermäßig hoch ist. Es kann daher nicht konstatiert werden, dass die Parteiaktivitätsbereiten Parteien einen in absoluten Zahlen hohen Vertrauensvorschuss geben würden. Hinzukommen die signifikanten Unter-schiede in der Parteipräferenz der Parteiaktivitätsbereiten: Hier scheinen die kleineren Parteien stärker von Aktivitätsbereiten zu profitieren als die in dieser Arbeit untersuchten Parteien, was die Mitgliederwerbung für letztere potentiell erschwert.

Zusätzlich wurden die Mitgliedschaften in Vereinen und ehrenamtlichen Organisationen einem Mittelwertvergleich unterzogen; aufgrund der vielen einzelnen Items sollen diese hier nicht explizit ausgewiesen werden. Es zeigte sich jedoch, dass die Parteiaktivitätsbereiten signifikant häufiger in Organisa-tionen neben der Partei wie Kultur-, Sport-, Hobby- oder Wohltätigkeitsver-einen engagiert sind als die Nicht-Parteiaktivitätsbereiten – somit ist die In-tegration in soziale Netzwerke als drittes wesentliches Element des CVM bei diesen Befragten stärker vorhanden. Was den parteiaktivitätsbereiten Befrag-ten zur tatsächlichen Aktivität oder gar zum Beitritt zu fehlen scheint, ist der Trigger durch gezielte und direkte Ansprache; es sei nochmal darauf hinge-wiesen, dass die Literatur diesen Trigger als essentiell für alle Arten politi-scher Partizipation betrachtet (bspw. Ekman und Amna 2012: 297 sowie Handy und Cnaan 2007: 41) – der Parteibeitritt bildet dabei sicherlich keine Ausnahme.

Da Parteien vor allem Jugendliche und jüngere Bürger rekrutieren sollten, um die Überalterung zu stoppen und dem Bild entgegenzuwirken, Politik würde nur noch von ‚den Alten‘ für ‚die Alten‘ gemacht (vgl. Seils 2014), lohnt der Blick in die Parteiaktivitätsbereitschaft von Jugendlichen, die in weiteren Umfragen neben den ALLBUS-Daten erhoben wurden. Gaiser und Gille (2013: 65) zeigen, dass es für 22 Prozent der 18-29-Jährigen in Frage käme, in einer Partei aktiv mitzuarbeiten. In einer älteren Shell-Jugendstudie konstatiert Schneekloth (2010: 147), dass sich 17 Prozent der 12-25-Jährigen vorstellen könnten, in einer Partei oder einer politischen Gruppe mitzuarbei-ten. In der Shell-Jugendstudie von 2019 ist ein weiterer bemerkenswerter Befund enthalten: So haben sich über die Jahre 2002, 2006, 2010 und 2015 stets 2 Prozent oft oder gelegentlich in Parteien aktiv gezeigt, im Jahr 2019 waren es jedoch 4 Prozent (Schneekloth und Albert 2020: 101). Dass auch

die Mitgliederzahlen der Jugendorganisationen der Parteien sinken, zeigt, dass an dieser Stelle die Verhaltensintention zum Beitritt mehrheitlich nicht manifest wird. Das ist vor allem deswegen problematisch, da gerade die Ju-gendorganisationen essentiell bei der Werbung neuer Mitglieder sind (vgl.

Hooghe et al. 2004: 195).

Insgesamt kann auf Basis dieses Abschnitts festgestellt werden, dass ein Reservoir an Parteiaktivitätsbereiten zur Verfügung steht, dem alle partizipa-tionsfördernden Ressourcen zur Verfügung stehen, auch aus sozialpsycholo-gischer Perspektive. Die stärkere Einbindung in soziale Netzwerke stellt einen idealen Ausgangspunkt dar, um die parteiaktivitätsbereiten Befragten aus dem vorpolitischen in den politischen Raum zu führen. Was zu fehlen scheint, ist letztlich die direkte Ansprache auf ein parteipolitisches Engage-ment, um diese begünstigenden Ausgangsbedingungen auch in parteipoliti-sche Aktivität umzusetzen.

In der folgenden Abbildung 6 ist wiedergegeben, welche Parteibeitritts-faktoren sich aus der Partizipations- und Parteienforschung bündeln lassen und wie Mitgliederwerbung darauf idealtypisch wirkt (bzw. wirken sollte).

Es existieren zum einen allgemeine Parteibeitrittsfaktoren, die sich aus dem CVM ableiten lassen. Diese werden durch spezifische Parteibeitrittsfaktoren erweitert, die aus den Anreizen des General-Incentives-Modells bzw. dem erweiterten Anreizkatalog der Deutschen Parteimitgliederstudie bestehen.

Des Weiteren wurde ihnen der partizipative Anreiz hinzugefügt, also die Bereitstellung von Instrumenten innerparteilicher Demokratie. Gegenüber stehen die Hemmnisse, die den Parteibeitritt verhindern können. Als Vermitt-ler zwischen den Anreizen und den Hemmnissen steht die Mitgliederwer-bung, die im Rahmen der direkten Ansprache idealiter die Wirkung der An-reize durch Persuasion verstärkt und diejenigen der Hemmnisse schwächt.

Diese Annahme basiert zum einen auf Basis der partizipationstheoretischen Annahmen aus den vorangegangenen Abschnitten, zum anderen aber auch aus Studien, die einen Effekt des Party Contacting auf die Wahlbeteiligung sowie auf Campaign Activities nachweisen (vgl. Wielhouwer und Lockerbie 1994: 225ff.; siehe ähnlich dazu auch Rosenstone und Hansen 1993: 36;

230). Es wird angenommen, dass ähnliche Effekte auch für die Mitglieder-werbung zu erwarten sind116.

116 Siehe dazu auch Morales (2009: 122): „On the one hand, mobilisation by organisations reduces the transaction costs of joining them, while also reducing the costs of obtaining in-formation about the existing political organisations, what they offer, how they work, their location, etc.”.

Abbildung 6: Allgemeine und spezifische Parteibeitrittsfaktoren

Quelle: Eigene Darstellung117

117 Konzeptionell betrachtet stellt die efficacy sowohl eine Ressource als auch die Grundvo-raussetzung zur Partizipationsmotivation dar, weswegen sie in beiden Rubriken gelistet ist.

5 Mitgliederrekrutierungsstrategien und die Rolle von Recruitern

Im Folgenden werden sowohl soziologische als auch psychologische Er-kenntnisse und Konstrukte zum Tragen kommen, um theoretische und kon-zeptionelle Ausgangspunkte für die empirische Untersuchung zu schaffen. Da die Politikwissenschaft selbst nur wenig zur Arbeit von Mitgliederwerbern beigetragen hat, ist der interdisziplinäre Blick unabdingbar.

Zunächst sollen Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten strate-gischer Mitgliederwerbung dargestellt werden, die Parteien zur Verfügung stehen (Abschnitt 5.1). In einem zweiten Schritt soll es um die Mitglieder-werber gehen, die anknüpfend an die Ehrenamtsforschung sowie die Psycho-logie auch als Recruiter bezeichnet werden (Abschnitt 5.2). Hier soll erarbei-tet werden, mit welchen psychologischen Konstrukten erklärt werden kann, warum bestehende Parteimitglieder überhaupt neue Mitglieder werben.

Schließlich werden die Aktivitäten und Aktivitätsniveaus von Parteimitglie-dern vor diesem Hintergrund reevaluiert (Abschnitt 5.3), woraufhin ein Zwi-schenfazit die Erkenntnisse bündelt und zum empirischen Teil überleitet (Abschnitt 5.4).

5.1 Herausforderungen, Handlungsmöglichkeiten und Arten