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Die Mitgliederwerbestrategien der SPD und CDU:

6 Empirische Untersuchung und Analyse

6.2 Die Mitgliederwerbestrategien der SPD und CDU:

Dokumentenanalyse

In diesem Kapitel werden im Rahmen der folgenden vier Abschnitte die Mitgliederwerbestrategien von SPD und CDU untersucht. Dabei folgt das Vorgehen demjenigen aus Abschnitt 6.1. Nach einer Vorstellung des Vorge-hens sowie der Methodik werden erst einzeln die Mitgliederwerbestrategien von SPD und CDU dokumentenanalytisch erhoben, worauf in Abschnitt 6.2.4 ein Vergleich der Strategien folgt.

6.2.1 Vorgehen und Methodik

Zur näheren Bestimmung der Mitgliederwerbestrategien der Parteien wurde mithilfe einer inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse (siehe bspw. Schreier 2014: 5ff.) bestimmt, auf welche Art und Weise Parteien versuchen, neue Mitglieder zu rekrutieren. Die Codiereinheiten wurden aus forschungsprag-matischen Gründen variabel festgelegt, was bedeutet, dass kurze Sätze, aber auch ganze Passagen einem Code zugeordnet wurden. Die codierten Segmen-te wurden daher hinsichtlich der auf sie entfallenden WörSegmen-ter gezählt, um neben der Anzahl der Codes die quantitative strategische Schwerpunktset-zung der Parteien zu veranschaulichen.

Die Dokumentenanalyse ist als eine spezielle Art der Inhaltsanalyse zu bewerten (vgl. Schmidt 2017: 444). Auswertungsverfahren wie diejenigen nach Mayring (2015: 11ff.) empfehlen sich dabei weniger für dokumenten-analytische Herangehensweisen und stärker für die Analyse von Interviews.

Die Wirkung von Dokumenten für eine Organisation ist aus einer Doppelper-spektive zu betrachten: zum einen als Quelle, zum anderen als Ereignis.

„Et-wa prägte der Beschluss des VIII. Parteitages der SED zur Einheit von Wirt-schafts- und Sozialpolitik die Organisationsentwicklung in der DDR, er kann jedoch auch als Ausdruck wirtschafts- und gesellschaftlicher Entwicklungs-probleme gelesen werden“ (Schmidt 2017: 445). Ähnlich kann beispielsweise das Godesberger Programm der SPD aus dieser Doppelperspektive betrachtet werden. Wie in der Literatur empfohlen (vgl. Ametowobla et al. 2017: 777) wurde zur qualitativen Analyse der vorliegenden großen Textmengen auf Datenanalysesoftware, hier MAXQDA, zurückgegriffen.

Material wurde dabei über die Mitgliederwerbebeauftragten der Bundes-verbände sowie mittels Internetrecherchen gesammelt. Protokolle von Mit-gliederreformkommissionen konnten leider nicht akquiriert werden, sodass sich die Analyse auf Werbematerialien sowie Strategieleitfäden stützt, die entweder jeder Bürger oder das ‚einfache‘ Parteimitglied erhalten kann. Für die vorliegende Studie ist dies jedoch nicht problematisch: Wenngleich ein Einblick in die black box der Parteiorganisation sicherlich für jeden Parteien-forscher von hohem Wert ist, sollen im weiteren Verlauf diejenigen Wer-bestrategien beleuchtet werden, die auch zu den Ehrenamtlichen vordringen können. ‚Geheimpapiere‘ oder sonstige, unter Verschluss gehaltene Doku-mente, sind daher für den Fortgang der Untersuchung mit Blick auf die Onli-ne-Umfragen sowie die geführten Interviews nicht relevant.

Eine Vielzahl an Dokumenten konnte leider keine fruchtbaren Ergebnisse für die Mitgliederwerbung liefern, sodass die Zahl der in die Analyse einbe-zogenen Dokumente bei der CDU 45 und bei der SPD 18 beträgt. Diese Do-kumente umfassen einfache Flyer und Plakate mit externer Adressatenorien-tierung (sprich: zur Ausgabe an interessierte Bürger) sowie ausführliche Handbücher mit interner Adressatenorientierung (sprich: zur Anleitung der ehrenamtlichen Arbeit innerhalb der Partei). Analysiert werden Dokumente zur Mitgliederwerbung seit der deutschen Wiedervereinigung, wobei von der Konrad-Adenauer-Stiftung Material aus den 1990er Jahren akquiriert werden konnte. Die erhaltenen Dokumente der SPD gehen zurück bis in das Jahr 2008, Pfadabhängigkeiten in der Mitgliederwerbung der SPD sollen daher mithilfe der bisher angegangenen Parteireformen sowie Parteitagsbeschlüssen dokumentiert werden. Freilich werden diese bei der CDU ebenfalls berück-sichtigt. Da die CDU sich jedoch dem Modell der partizipativen Mitglieder-partei nicht dergestalt zuordnen lässt wie es bei der SPD der Fall ist, bieten hier wiederum die nur wenigen Reformpapiere sowie mitgliederzentrierten Parteitagsbeschlüsse ein dünnes Fundament. Kompensiert werden kann dies durch die bessere Datenlage hinsichtlich der Mitgliederwerbematerialien.

Tabelle 6: Anzahl der codierten Materialien

CDU SPD

Interne Adressatenorientierung 40 17

Externe Adressatenorientierung 5 1

Gesamt 45 18

Quelle: Eigene Darstellung.

Die Überzahl der Dokumente mit interner Adressatenorientierung ist analy-tisch beabsichtigt, hilft sie doch aufzudecken, welche Mitgliederwerbestrate-gien die Parteien an ihre Mitglieder bzw. an die Gliederungen kommunizie-ren. Ausgangspunkt der Analyse bildeten die von Stock (2008)156 ermittelten Strategien, die einem ersten Analysedurchlauf zugrunde lagen. Zudem wur-den Passagen markiert, die Argumentationshilfen im persönlichen Gespräch anbieten, Textabschnitte, in denen Freiwilligenarbeit und damit das Engage-ment der Mitglieder als essentiell hervorgehoben wird sowie nicht zuletzt die Materialien und die positiven Anreize, die die Parteien den eigenen Mitglie-dern zur Verfügung bzw. in Aussicht stellen. Nach einer ersten Analyse wur-den die von Stock (2008) ermittelten Strategien deutlich verändert bzw. er-weitert, was zum einen deduktiv und zum anderen induktiv begründet werden kann: Seine Idee, eine Incentive-Strategie einzupflegen, ist hilfreich und bleibt in der vorliegenden Analyse erhalten, doch wurde die Differenzierung in die verschiedenen Beitrittsanreize, die die Deutsche Parteimitgliederstudie 2009 anbietet, vorgenommen. Des Weiteren wurde nach der ersten Codie-rungsrunde festgestellt, dass sich viele strategische Ansätze finden lassen, die Stock (2008) nicht abbilden konnte; entgegen der Empfehlung der Literatur, die „Sprache der jeweiligen Organisation als Kodierungen [zu] nutzen“

(Danner-Schröder und Müller-Seitz 2017: 90) und In-vivo-Codierungen zu verwenden, ließen sich die weiteren Kategorien auf Basis hermeneutischer Zugänge induktiv erschließen und mit analytischen Überbegriffen versehen (angelehnt an das Vorgehen von Mayring 2000: 2f.).

Die von Stock (2008) so genannte ‚Marketing-Strategie‘ wurde in zwei Elemente zerlegt: zum einen in eine Professionalisierungs-Strategie, die or-ganisationsinterne Strukturen erfasst, und zum anderen in eine – hier wurde der Begriff beibehalten – Marketing-Strategie, die die Außenwirkung der Partei beinhaltet. Mit der Professionalisierungs-Strategie wurden alle Text-segmente codiert, die Mitgliederwerbung mittels der Professionalisierung der eigenen Ehren- und Hauptamtlichen zu betreiben versuchen. Dieser Professi-onalisierungsbegriff umfasst vor allem Schulungsmaßnahmen, die in der Forschung als maßgeblich für eine professionelle und erfolgreiche Mitglie-dergewinnung betrachtet werden (vgl. Dribbusch 2003: 43). Dieser

Professi-156 Siehe dazu Abschnitt 5.1.

onalisierungsbegriff bezieht weiterhin zielgerichtete und ergebnisorientierte Maßnahmen ein, die Mitgliederwerbung effizienter gestalten sollen. Darunter fallen z.B. Rhetorik-Seminare, Schulungen, Organisation und Planung einer Kampagne sowie angeleitetes und supervisiertes Vorgehen157. Der Code umfasst zudem die Erweiterung der parteiinternen Kommunikationskanäle, den Aufbau von Adresskarteien sowie die Durchführung und Auswertung von Umfragen. Davon abgegrenzt ist die Marketing-Strategie, die auf die Verbesserung des Images158 der Parteien abzielt bzw. die Partei vor Ort ‚ins Gespräch bringt‘. Dies kann durch gezielte Pressearbeit erfolgen, durch Zei-tungsannoncen, die in lokalen Tageszeitungen geschaltet werden, oder aber durch erhöhte Präsenz der Partei vor Ort mittels Infoständen oder einer eige-nen Internetpräsenz der Orts- und Kreisverbände. Induktiv gewoneige-nen wurde eine Ansprachen-Strategie, die den Trigger sowie den direkten Kontakt der Parteimitglieder zu den Bürgern umfasst. Hierunter ist zu verstehen, dass als Mittel der Mitgliederwerbung Bürger in ein Gespräch mit Parteimitgliedern kommen sollen, das – unterstützt von Argumentationshilfen, die die Mitglie-der von Mitglie-der Partei erhalten – möglichst dazu führen soll, dass Mitglie-der angespro-chene Bürger zu einem Beitritt bereit ist. Darüber hinaus konnte in den Daten eine Netzwerk-Strategie ermittelt werden, die darauf abzielt, Parteimitglieder zu ermuntern, in ihrem eigenen sozialen Umfeld neue Mitglieder zu rekrutie-ren. Hierbei werden unter anderem Familienfeiern oder Nachbarschaftsfeste genannt, in deren Rahmen der eigene Freundes- und Bekanntenkreis zusam-mengebracht und schließlich das Thema einer Parteimitgliedschaft angespro-chen werden soll. Die Supporter-Strategie wurde ebenfalls induktiv gewon-nen. Hierbei geht es nicht darum, Bürger direkt als Vollmitglied zu werben, sondern deren Unterstützung bzw. Sympathie zu erlangen. Über den Weg einer Unterstützer- oder Gastmitgliedschaft soll dieser Bürger dann idealer-weise irgendwann den Weg zur Vollmitgliedschaft finden. Zuletzt wurde ein als Kampagnen-Strategie benannter Code in der Analyse verwendet, der dann aktiviert wurde, wenn mittel- bis langfristige Werbestrategien bzw. ‚Taktik-pakete‘ ausgemacht werden konnten, die die Integration mehrerer Einzelstra-tegien darstellt. Sie ist damit von allen StraEinzelstra-tegien zur Mitgliederwerbung durch ein besonderes Maß an Komplexität und Langfristigkeit gekennzeich-net.

Die folgende Übersicht in Tabelle 7 fasst die in der Dokumentenanalyse verwendeten Kategorien bzw. Codes nochmal zusammen und gibt eine Über-sicht über die Verteilung der Codiereinheiten. Wie sich zeigt, versammelt die Kategorie ‚Andere‘ insgesamt 6,1 Prozent der codierten Segmente. Dies sind Passagen, die zwar für die Mitgliederwerbung als relevant anerkannt wurden, 157 Supervision im Ehrenamt soll nicht Gegenstand dieses Buches sein, drückt aber Respekt für die Arbeit der Ehrenamtlichen aus und versucht zugleich, diese zu verbessern. Zu einer kri-tischen Diskussion siehe Rothenberg (2005: 133ff.).

158 Siehe zu einer Definition Fußnote 2.

sich aber weder in die sowohl deduktiv als auch induktiv abgeleiteten Kate-gorien einordnen ließen. Zugleich war es jedoch nicht möglich, aus ihnen eigene Strategien zu entwickeln, da diese zu kleinteilig gewesen.

Tabelle 7: Verwendete Strategien und Auftreten in der Dokumentenanalyse

Code Beschreibung Häufigkeit

absolut Häufigkeit in Prozent Andere (AND) Segmente, die nicht eindeutig den

genannten Codes zuzuordnen sind 42 6,1 Ansprachen-Strategie

(ANS) Direkte Ansprache, Triggering als

Mittel der Mitgliederwerbung 132 19,2 Framework-Strategie

Issue-Strategie (ISS) Werbung mittels Politikinhalten und

-erfolgen 34 5,0

Linkage-Strategie (LIN) Nutzung von Vorfeldorganisationen und Netzwerken (z.B. Vereinen,

(NET) Nutzung eigener Netzwerke (v.a.

persönliche bzw. familiäre) zur Mitgliederwerbung

25 3,6

Professionalisierungs-Strategie (PROF) Anbieten von Ausbildungs- und Schulungsmöglichkeiten sowie

Zur Incentive-Strategie wurden auf Basis der Deutschen Parteimitgliederstu-die von 2009 weitere Subcodes entwickelt, Parteimitgliederstu-die bei der Analyse der Materia-lien berücksichtigt wurden. Die Erklärung der einzelnen Codes ist an dieser Stelle obsolet, da sie die Parteibeitrittsanreize spiegeln, die in den vorange-gangen Kapiteln ausführlich dargestellt wurden. Auffällig ist hier die hohe Zahl der mit ‚Andere‘ codierten Segmente, was aufzeigt, dass die aus der Forschung bekannten Parteibeitrittsanreize nicht passgenau auf die Anreiz-setzung durch die Parteien innerhalb des Mitgliederwerbematerials gelegt werden können. Grund für die hohe Zahl ist des Weiteren, dass Parteibei-trittsanreize von den Parteien im Rahmen von Argumentationskarten ge-mischt wurden, sodass weder eine trennscharfe Abgrenzung noch eine Über-lappung von Codes dem empirischen Befund gerecht geworden wäre.

Tabelle 8: Incentives in der Mitgliederwerbung

Incentive-Codes Beschreibung Häufigkeit

absolut Häufigkeit in Prozent

Andere (INC-AND) Nicht eindeutig zuzuordnen 55 43,4

Selektive,

Anreize (KOL) Einflussstärkung der Partei,

Durchset-zung gemeinsamer Ziele 22 17,8

Normative Anreize

(NOR) Beitritt aufgrund von Erwartungsdruck, der vom sozialen Umfeld formuliert wird

0 0,0

Altruistische Anreize

(ALT) Parteimitgliedschaft als Beitrag zum

Erhalt der Demokratie 2 1,6

Ideologische Anreize (IDEO)

Parteimitgliedschaft als Möglichkeit, den politischen Kurs der Partei zu beeinflussen und / oder einen

6.2.2 Die Mitgliederwerbestrategien der SPD

Die Mitgliederwerbestrategien der SPD sollen im folgenden Teil erst hsichtlich ihrer quantitativen Verteilung dargestellt und dann qualitativ in-haltsanalytisch betrachtet werden. Die folgenden Kreisdiagramme zeigen dabei die Zahl codierter Passagen bzw. die Zahl der Wörter dieser Passagen auf:

27

40

2 19 7 10

52 1

36 2

19 Andere

Ansprache-Strategie Framework-Strategie Incentive-Strategie Issue-Strategie Linkage-Strategie Marketing-Strategie Netzwerk-Strategie Professionalisierungs-Strategie

Kampagnen-Strategie Supporter-Strategie

2.658

3.967

47183 448707 6.203

18 2.744

381.400 Andere

Ansprache-Strategie Framework-Strategie Incentive-Strategie Issue-Strategie Linkage-Strategie Marketing-Strategie Netzwerk-Strategie Professionalisierungs-Strategie

Kampagnen-Strategie Supporter-Strategie

Abbildung 8: Strategien in der Mitgliederwerbung der SPD

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 9: Strategien in der Mitgliederwerbung der SPD – Worthäufigkei-ten

Quelle: Eigene Darstellung

12

0 3

2 00

2 0

Andere

Selektive, ergebnisbezogene Anreize

Selektive, prozessbezogene Anreize

Kollektive politische Anreize Normative Anreize

Altruistische Anreize Ideologische Anreize

280

0 58 87

00

47 0

Andere

Selektive, ergebnisbezogene Anreize

Selektive, prozessbezogene Anreize

Kollektive politische Anreize Normative Anreize

Altruistische Anreize Ideologische Anreize

Abbildung 10: Incentives in der Mitgliederwerbung der SPD

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 11: Incentives in der Mitgliederwerbung der SPD – Worthäufig-keiten

Quelle: Eigene Darstellung

Wie in den Abbildungen 8 bis 11 sichtbar, nimmt in den Materialien der SPD zur Mitgliederwerbung die Marketing-Strategie mit deutlichem Abstand den höchsten Stellenwert ein. Die SPD setzt zudem auf direkte Ansprache und Professionalisierung, was – in Kombination mit der Marketing-Strategie – vermuten lässt, dass die organisationale Schlagkraft nach innen sowie nach außen erhöht werden soll. Supporter-Strategie, Incentive-, Issue- und Frame-work-Strategie nehmen einen geringen Raum in der Mitgliederwerbung ein, die Fokusse der SPD scheinen klar verteilt, was mithilfe der folgenden quali-tativen Beschreibung des Materials erläutert werden soll. Über die bloße deskriptive Beschreibung hinaus wird im weiteren Verlauf die inhaltsanalyti-sche Einordnung der verwendeten Strategien folgen, bei der nicht alle codier-ten Passagen abgebildet werden können, sondern Schlaglichter gebildet wer-den, die illustrativ und unterstützend wirken sollen. Des Weiteren werden charakteristische Besonderheiten der Mitgliederwerbung herausgestellt, die mithilfe von Memos im Laufe des Codierprozesses festgehalten wurden und keinem Code zugewiesen werden konnten.

Die wohl wichtigste Quelle der SPD zur Analyse der Mitgliederwerbung stellen die Werbe- und Ortsvereinshandbücher dar, die relativ umfassend (auf ca. 45-130 Seiten) Handreichungen, Material, Tipps und Best-Practice-Beispiele anbieten. In diesen geht die Partei auf die Wichtigkeit neuer Mit-glieder ein: Sie versteht sich selbst als „moderne MitMit-gliederpartei“ (SPD 2013a: 8; SPD 2009a: 8; SPD 2008: 4), die Mitglieder seien „ein Schlüssel, um Mehrheiten für sozialdemokratische Politik zu gewinnen und zu sichern“

und dienen nicht zuletzt dazu, die Partei durch ihre Mitgliedsbeiträge finanzi-ell zu unterstützen (vgl. SPD 2013a: 8; gegen die Relevanz von Mitgliedsbei-trägen siehe Arnim 2011). Die Erhöhung organisationaler Schlagkraft ist ein weiteres, explizit artikuliertes Ziel der Partei, um „die anfallenden Arbeiten auf viele Schultern [zu] verteil[en]“ (SPD 2011a: 14). Mitgliederwerbung wird sodann zur Tagesaufgabe erklärt (SPD 2009a: 8), die dauerhaft und kontinuierlich betrieben werden soll. Die SPD verklärt dabei nicht die Schwierigkeit der Mitgliederwerbung: Mit fiktiven Gesprächen eines Unter-bezirksvorsitzenden mit einem Ortsvereinsvorsitzenden oder der Aufzählung persönlicher, politischer und organisatorischer Hindernisse zur Mitglieder-werbung (vgl. SPD 2014a: 3-6) soll auf sprachlich illustrative Weise – im Modus eines simulierten Rollenspiels – gezeigt werden, dass die Probleme, die an der Parteibasis existieren, auch in den übergeordneten Ebenen bekannt sind.

Im Gegensatz zur CDU gibt es für die SPD mit der Studie von polis+sinus (2010) einen empirischen Ausgangspunkt, der aus einer bundesweiten Orts-vereinsbefragung resultiert. Bei der Frage nach der Art der Mitgliederwer-bung und -betreuung wird von einem Großteil der Ortsvereine angegeben, dass Neumitglieder auf Veranstaltungen besonders begrüßt und damit wert-geschätzt werden. Etwas mehr als die Hälfte der Ortsvereine besuchen

Neumitglieder zuhause; die Betreuung von Neumitgliedern scheint auf Basis dieser Zahlen zu funktionieren. Interessanter sind die Werte zur Mitglieder-werbung: Hier geben lediglich 19 Prozent der Ortsvereine an, regelmäßig und gezielt Aktionen zur Gewinnung neuer Mitglieder durchzuführen, nur 15 Prozent verfügen über einen Neumitgliederbeauftragten. Diejenigen Ortsver-eine, die Neumitgliederwerbeaktionen durchführen, beurteilen diese ambiva-lent: 45 Prozent der Ortsvereine geben an, dass die Aktion erfolgreich verlau-fen sei, 46 Prozent bezeichnen sie als nicht erfolgreich. Die Arbeit des Neumitgliederbeauftragten wird hingegen von ca. zwei Dritteln der Ortsver-eine als erfolgreich betrachtet (vgl. polis+sinus 2010: 32-33). Außerdem sollte an dieser Stelle angemerkt werden, dass die Rücklaufquote der Befra-gung nur 44 Prozent betrug, sodass zu mehr als der Hälfte aller SPD-Ortsvereine keine Daten vorliegen. Es kann gemutmaßt werden, dass insbe-sondere die Ortsvereine, die sich nicht an der Befragung beteiligt haben, eher träge sind – wenn sie denn überhaupt noch über eine funktionierende Struktur verfügen – und die tatsächliche Zahl der Ortsvereine, die Mitgliederwerbeak-tionen durchführen und einen Neumitgliederbeauftragten haben, noch deut-lich geringer ist. Da wiederum nur 15 Prozent der befragten Ortsvereine überhaupt einen Neumitgliederbeauftragten haben, sollte strategische Mit-gliederwerbung in einem ersten Schritt bei der großflächigen Installation von Neumitgliederbeauftragten ansetzen (siehe auch SPD 2012).

Diese Zahlen können nun mit den Erkenntnissen aus der Dokumentenana-lyse in Zusammenhang gebracht werden. Ausgangspunkt der AnaDokumentenana-lyse bildet das Handbuch Mitglieder werben aus dem Jahre 2008 (siehe SPD 2008). Hier lassen sich, wie auch in den anderen Handbüchern, gleich mehrere Strategien finden: ANS159, LIN, MAR, NET, PROF und SUPP. Des Weiteren leitet das Handbuch mit dem bereits erwähnten Selbstverständnis ein: „Die SPD ist eine moderne Mitgliederpartei. Damit dies so bleibt, muss die Mitglieder-werbung zur ‚Tagesaufgabe‘ werden“ (SPD 2008: 4). Die MitgliederMitglieder-werbung baut dabei auf mehreren Säulen auf: So sollen zum einen Gastmitgliedschaf-ten als Form der unverbindlichen ‚Test‘-Mitgliedschaft aktiv kommuniziert, Sympathisanten langfristig betreut, durch die Betreuung gebunden und Nachbarschaftsgespräche durchgeführt werden, bei denen „ein bekanntes Ortsvereinsmitglied seine unmittelbaren Nachbarn zu einem Treffen mit dem jeweiligen Bundes- oder Landtagsabgeordneten“ (SPD 2008: 22) einlädt.

Zum anderen soll die unpersönliche Ansprache über Postwurfsendungen und Flugblätter erfolgen. An potentielle Neumitglieder, die vorher erfasst wurden, sollen spezielle Einladungsbriefe verschickt werden, die eine persönliche Note besitzen (also die namentliche Ansprache sowie eine eigenhändige Unterschrift des Gliederungsvorsitzenden oder eines Mandatsträgers beinhal-ten). Bei der unpersönlichen Ansprache soll eine zielgruppenorientierte und

159 Zur Erläuterung der Abkürzungen siehe Tabelle 7.

themenzentrierte Ansprache erfolgen. Es „sollte im Ortsverein oder Unterbe-zirk überlegt werden, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen. Dafür können sich Anhaltspunkte aus der Mitgliederstrukturanalyse oder aus der Bevölkerungsstruktur vor Ort ergeben“ (SPD 2008: 32), wobei das Maß dieser Vorarbeit einen einzelnen Ortsverein durchaus überfordern kann, sind dabei doch zumindest rudimentäre statistische Kenntnisse sowie ein erhebli-cher Zeitaufwand zur Erhebung, Aufbereitung und Auswertung der Mitglie-derstruktur notwendig. Dass der „Unterbezirk mit den Möglichkeiten der EDV, vor allem der MAVIS, behilflich sein [kann]“ (SPD 2008: 7), mag da sicher unterstützend wirken, die Hilfe muss aber auch tatsächlich gewährt werden.

Auf das (vermeintliche oder tatsächliche) Problem der überalterten und meist verschlossen wirkenden Ortsvereine – die in der Literatur so bezeichne-ten Closed Shops – geht das Handbuch ebenfalls ein, indem es empfiehlt, eine grundsätzliche Offenheit zu gewährleisten: „Die Bereitschaft, neue Mit-glieder von Anfang an in die Parteiarbeit mit einzubeziehen, muss spürbar sein“ (SPD 2008: 6). Die Gliederungsebenen sollen hierbei sicherstellen, ansprechbar zu sein: Infoblätter mit Kontaktinformationen sollen gewährleis-ten, dass Interessenten den Weg zum Ortsverein finden. Des Weiteren wird die Einrichtung von Bürgertelefonen empfohlen, die den Bürgern eine direkte Kontaktmöglichkeit zur Partei vor Ort bieten sollen. Inwieweit die Ortsverei-ne dies leisten könOrtsverei-nen, bleibt unklar, setzen die genannten Elemente doch ein erhebliches Maß an Freiwilligenarbeit voraus. Der geeignete Initiator und Begleiter solcher Aktionen, der Mitgliederbeauftragte, existiert, wie bereits genannt, in maximal ca. jedem siebten Ortsverein.

Um die ‚Trägheit‘ der Parteimitglieder in der Mitgliederwerbung zu überwinden, empfehlen die verschiedenen Handbücher, einen Wettbewerb der Werber zu initiieren, der den erfolgreichsten Werbern (oder den komplet-ten Ortsvereinen) Prämien zukommen lassen soll. Hierbei sollen zudem Mandatsträger in die Planung der Mitgliederwerbung einbezogen werden, die durch ihre Bekanntheit zum einen auf die potentiellen Neumitglieder positiv wirken und zum anderen die eigenen Mitglieder aktivieren und als zusätzli-cher Motivationsfaktor dienen sollen. Weiterhin werden Ortsvereine im Handbuch zu Pressekonferenzen angehalten; diese setzen jedoch ein erhebli-ches Maß an Vorbereitung und Freiwilligenarbeit voraus. Darüber hinaus empfiehlt das Handbuch Maßnahmen, die leichter durchzuführen sind und vor allem in Wahlkampfzeiten an einen schon bestehenden Infostand ange-koppelt werden können wie beispielsweise ein ‚umgekehrter Infostand‘, an dem Menschen ihre eigenen Probleme vortragen sollen. Mit einem Best-Practice-Beispiel wird darauf verwiesen, dass Mitglieder „mit guten Argu-menten und rhetorisch geschult“ (SPD 2008: 20) den Gang in die Öffentlich-keit wagten, damit aber auf positive Resonanz stießen. Der nur scheinbar einfach zu gestaltende umgekehrte Infostand ist daher recht ressourcenlastig,

verfügt doch nicht jeder Ortsverein über rhetorisch versierte Mitglieder oder solche, die ein Rhetorik-Seminar belegen würden. So werden dann auch tatsächlich leichter zu realisierende Mittel wie die ‚Bodenzeitung‘ empfohlen, eine großflächige Abdeckfolie, auf der Bürger eigene Gedanken schriftlich hinterlassen können.

Weiterhin werden die bestehenden Mitglieder im Handbuch dazu ange-halten, bei jeder Gelegenheit die Adressen und Kontaktdaten von Sympathi-santen zu sammeln und in Werbe- sowie SympathiSympathi-santendateien zu spei-chern. Datenschutzrechtlich ist dies nach Inkrafttreten der

Weiterhin werden die bestehenden Mitglieder im Handbuch dazu ange-halten, bei jeder Gelegenheit die Adressen und Kontaktdaten von Sympathi-santen zu sammeln und in Werbe- sowie SympathiSympathi-santendateien zu spei-chern. Datenschutzrechtlich ist dies nach Inkrafttreten der