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Psychische (innere) Vorgänge und grundlegende Prozesse der Wahrnehmung

Die inneren bzw. psychischen Vorgänge bei einem Individuum können in aktivierende Prozesse und in kognitive Prozesse untergliedert werden.553 Aktivierende Vorgänge sind Vorgänge, „die mit inneren Erregungen und Spannungen verbunden sind und das Verhalten antreiben“.554 Hierzu zählen auch die in Kapitel 2.3.1 erläuterten Bedürfnisse eines Individuums. Emotion, Motivation und die Einstellung dienen daher als Konstrukt für die

547 Vgl. Vershofen, Wilhelm: Handbuch der Verbraucherforschung, Die Marktentnahme als Kernstück der Wirtschaftsforschung, Carl Heymanns Verlag KG, Berlin, 1959, S. 97.

548 Schäfer, Erich: Grundlagen der Marktforschung, 4. Aufl., Köln, 1966 zitiert nach Polkowski, Hans-Erich:

Veralterungsprozesse im Investitionsgüterbereich. Analyse des Phänomens der Veralterung als Beitrag zur Antizipation der Degenerationsphase im Lebenszyklus industrieller Produkte, Inaugural-Dissertation, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 1976, S. 20.

549 Vgl. Polkowski, Hans-Erich: Veralterungsprozesse im Investitionsgüterbereich. Analyse des Phänomens der Veralterung als Beitrag zur Antizipation der Degenerationsphase im Lebenszyklus industrieller Produkte, Inaugural-Dissertation, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 1976, S. 20.

550 Vgl. Homburg, Christian: Marketingmanagement, Strategie-Instrumente-Umsetzung-Unternehmensführung, 4.

Aufl., Springer Gabler Verlag, 2012, S. 3.

551 Naber, Daniel [Hrsg.]: OpenThesaurus, http://www.openthesaurus.de/synonyme/edit/16632, Zugriff am 14.03.2016

552 Vgl. Homburg, Christian: Marketingmanagement, Strategie-Instrumente-Umsetzung-Unternehmensführung, 4.

Aufl., Springer Gabler Verlag, 2012, S. 3.

553 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberger, Peter & Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten. 9. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2009, S. 51.

554 Vgl. ibid., S. 51.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Erklärung des Zustandekommens menschlicher Handlungen.555 Emotionen sind „innere Erregungsvorgänge (…), die angenehm oder unangenehm empfunden und mehr oder weniger bewusst erlebt werden“.556 Motivation resultiert aus „Emotionen (und Triebe[n]), die mit einer Zielorientierung (…) in Bezug auf das Verhalten verbunden sind“.557 Einstellungen sind

„Motivationen, die mit einer - kognitiven - Beurteilung eines Gegenstandes (…) verknüpft sind“.558 Emotionen richten sich auf das eigene Erleben wohingegen sich Motivationen auf ein Handeln beziehen und Einstellungen auf Objekte.559 Durch kognitive Vorgänge werden Informationen aufgenommen, verarbeitet und gespeichert.560 Es sind gedankliche Prozesse mit deren Hilfe ein Individuum „Kenntnis von seiner Umwelt und sich selbst“ erhält und die vornehmlich zur willentlichen Steuerung und gedanklichen Kontrolle des eigenen Verhaltens dienen.561

Für die Erklärung des Konsumenten- bzw. Nutzerverhaltens werden die kognitiven Prozesse, unterteilt in Gedächtnis und Lernen, sowie „Wahrnehmung“ bzw. „Informationsaufnahme“ und

„Informationsverarbeitung“, näher betrachtet.562 Das Gedächtnis und Lernen

Für das menschliche Wesen ist das Gedächtnis ein existenzieller Teil, der die grundlegende Voraussetzung dazu liefert, zu sprechen, zu schreiben oder eine Persönlichkeit auszubilden.

Auch um das Verhalten von Konsumenten bzw. Nutzern zu verstehen, ist es von großer Wichtigkeit zu wissen, wie das menschliche Gedächtnis funktioniert. Es existiert eine Vielzahl an Gedächtnismodellen, basierend auf dem sogenannten Mehrspeichermodell. Hier werden die kognitiven Prozesse in die Vorgänge Informationsaufnahme, Verarbeitung und -Speicherung unterteilt. Aufbauend darauf wurde das „Dreispeichermodell“ abgeleitet, das die drei Einheiten „sensorischer Speicher“, „Kurzzeitspeicher und „Langzeitspeicher“ beinhaltet.

Die aktualisierte Form dieses Modells ist das „modale Gedächtnismodell“.563 Als theoretischer Rahmen für die Darstellung der komplexen Vorgänge im menschlichen Gehirn eignet sich das modale Gedächtnismodell, trotz einiger nicht angemessener Details, gut.564

Das Langzeitgedächtnis, bzw. das dauerhaft im Gedächtnis gespeicherte Wissen, ist für die Erklärung kognitiver Vorgänge wesentlich. Es bestimmt, wie die aus der Umwelt kommenden Reize bzw. Informationen „aufgenommen, verarbeitet und gespeichert“ werden. Weiterhin beinhaltet dieses vorhandene Wissen auch gedankliche Modelle, die dazu dienen,

555 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Weinberger, Peter & Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten. 9. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2009, S. 55.

556 Vgl. ibid., S. 56.

557 Vgl. ibid., S. 56.

558 Vgl. ibid., S. 56.

559 Vgl. ibid., S. 56.

560 Vgl. ibid., S. 51.

561 Vgl. ibid., S. 274.

562 Vgl. ibid., S. 274.

563 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 307.

564 Vgl. ibid., S. 308.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

„Umweltreize zu interpretieren, einzuordnen und weiterzuverarbeiten“.565 Es gibt dabei zwei unterschiedliche Herangehensweisen in der Forschung. Zum einen den „systemorientierten Zugang“‘ und zum anderen den „prozessorientierten Zugang“. Im Zusammenhang mit dem Langzeitgedächtnis wird in der Gedächtnisforschung beim systemorientierten Zugang zwischen „deklarativem“ und „nondeklarativem“ Wissen unterschieden. Ersteres beinhaltet

„verbalisierbares Wissen“ über Ereignisse und Tatsachen. Das deklarative Gedächtnis wird weiter untergliedert in ein „episodisches Langzeitgedächtnis“ und in ein „semantisches Langzeitgedächtnis“.566 Semantisches Wissen bezieht sich auf „Sachwissen ohne zeitlich-räumliche Einbettung“, wohingegen der Ausdruck ‚episodisches Gedächtnis‘ verwendet wird, um „persönliche erfahrene, räumlich und zeitliche festgelegte Ereignisse“ zu beschreiben.

Deklaratorisches Wissen kann durch eine direkte Abfrage, bzw. durch explizite Gedächtnistests gemessen werden.567 Das nondeklaratorische Wissen, dass „bewusste und unbewusste Erfahrungen“ umfasst, ist im Gehirn gespeichert, kann aber nicht verbalisiert werden.568 Diesem Wissen, auch als perzeptuelles, prozedurales Wissen bezeichnet, gehören unter anderem auch motorische Fähigkeiten an sowie „Wissen, dass über haptische oder olfaktorische Reize gewonnen wurde“.569 Nondeklaratorisches Wissen kann, im Gegensatz zu deklaratorischem Wissen, nur implizit, also z.B. über Experimente gemessen werden.570 Beim prozessorientierten Zugang wird zum einen auf die Verarbeitungstiefe abgezielt und zum anderen auf den sogenannten „Kontexteffekt“, d.h. in welcher Situation die Information erlernt bzw. wieder abgerufen wird. Das bedeutet also, „je höher die Verarbeitungstiefe und je größer die Überlappung von kognitiven Prozessen in der Lernsituation und in der Abrufsituation (hohe Kongruenz), desto besser die Erinnerungsleistung“.571

In der Psychologie steht der Begriff „Lernen“ für den Erwerb und die Speicherung von „Wissen“

und schließt zudem das Erlernen neuer Verhaltensmuster mit ein.572

565 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 310.

566 Vgl. ibid., S. 311.

567 Vgl. ibid., S. 311.

568 Vgl. ibid., S. 311.

569 Vgl. ibid., S. 311.

570 Vgl. ibid., S. 311.

571 Vgl. ibid., S. 313.

572 Vgl. Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 51.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Abbildung 2-16: Inhalte des Lernen 573

Lernen kann als ein „intervenierender, psychischer Vorgang“ angesehen werden, der als Folge

„eine relativ überdauernde Änderung einer Verhaltensmöglichkeit“, beruhend auf Erfahrung oder Beobachtung, aufweist.574 Grundlage für das Lernen ist also eine Umweltsituation, in der sich ein Individuum befindet und in der es Reize, wie etwa Stimuli, Signale oder Informationen aufnimmt und diese verarbeitet. Aufgrund dieser Erfahrungen resultiert daraus eine „relativ dauerhafte Verhaltensänderung“. Lernen kann aber auch als eine „veränderte Verhaltensmöglichkeit“ oder eine „Erweiterung des individuellen Verhaltensrepertoires“

aufgefasst werden und führt nicht unmittelbar zu einer Veränderung des Verhaltens.575 Auf ein Individuum wirken nur solche Reize bzw. Stimuli, die durch Sinnesorgane aufgenommen werden können. Die Menge aller Reize kann aufgeteilt werden in „dominante (…), unmittelbar reaktionsauslösende Reize“, „sonstige (…), für das Verhalten nicht relevante Reize“ und „den gesamten Reizkontext“, d.h. die „Reizsituation im weitesten Sinne“.576 Diese Reizsituation kann ausgehend „von den dargebotenen Reizen“ oder „vom reizaufnehmenden Organismus“

betrachtet werden. Je nachdem wie ein Produkt dargeboten wird, kann die Reaktion des Individuums auf diesen Reiz variieren. Ebenso spielt auch die momentane Aufmerksamkeit des Organismus für diese Reize eine Rolle. Bei der Betrachtung eines Lernprozesses mit Hilfe von Reiz-Reaktions-Folgen muss die „implizit mitbeeinflussende Reizsituation“ miteinbezogen werden.577 Sehr komplexe Einheiten sind auch die für das Verhalten von Individuen relevanten Reaktionen. Verhaltensweisen bestehen aus vielen einzelnen, voneinander unabhängigen Reaktionen die von einer unüberblickbaren und zeitlich verteilten Menge an Reizen ausgelöst werden. Beispielsweise kann der Kauf eines Gegenstandes in „mehrere gelernte Reiz-Reaktions-Beziehungen“ aufgegliedert werden, die wiederum unterschiedlichen Verhaltensbereichen, wie dem Bereich des verbalen, des emotionalen und des motorischen Verhaltens zuzuordnen sind.578

573 Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 51.

574 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 412.

575 Vgl. ibid., S. 412.

576 Vgl. ibid., S. 412.

577 Vgl. ibid., S. 412 und S. 413.

578 Vgl. ibid., S. 413.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Wahrnehmung – Informationsaufnahme und -verarbeitung

Wahrnehmung ist ein Prozess der Informationsverarbeitung, „durch den das Individuum Kenntnis von sich selbst und seiner Umwelt erhält“.579 Wahrnehmung wird zum einen sehr stark von internen Einflüssen bzw. „eigenen Erfahrungen“ des Individuums geprägt und zum anderen durch externe Einflüsse, wie „durch das Vorbild oder den Einfluss anderer Personen“

sowie ganz allgemein durch die „kulturelle Prägung“.580 Das alltägliche Handeln sowie die Wahrnehmung von Gegebenheiten werden klar von „soziale[n] Kategorien bzw. Normen“

beeinflusst.581 Wahrnehmung ist ein komplexer kognitiver Vorgang, der mit anderen kognitiven Vorgängen verknüpft ist, wie zum Beispiel „Aufmerksamkeit, Denken und Gedächtnis.“582 Aufgrund dieser Verknüpfungen ist es fast unmöglich, den Vorgang der Wahrnehmung als eigenständigen Vorgang abzugrenzen bzw. zu untersuchen. Somit ist die „Analyse der menschlichen Wahrnehmung“ gleichzusetzen mit der „Untersuchung des menschlichen Verhaltens“.583 Folglich ist, aufgrund der individuellen Erfahrungen und Erwartungen jedes Einzelnen, Wahrnehmung subjektiv.584

Ein Individuum nimmt insbesondere diejenigen Reize wahr, die seinen Bedürfnissen und Wünschen entsprechen.585

Die Informationsaufnahme ist Bestandteil des gesamten Vorgangs der Informations-verarbeitung.586 Eintreffende Reize werden von den Sinnesorganen eines Individuums aufgenommen und kommen als erstes im „sensorischen Register“, bzw. dem

„Ultrakurzzeitspeicher“, an.587 Die Information besitzt hier noch keine Bedeutung, bildet jedoch die Basis der weiteren Zuordnung.588 Im Kurzzeitspeicher, dem sogenannten

„Arbeitsgedächtnis“ findet dann eine erste Entschlüsselung statt.589 Zudem werden die Reize in „kognitiv verfügbare Informationen umgesetzt“.590 Hier wird die Information mit dem Wissen aus dem Gedächtnis verknüpft. Nach ihrer Entschlüsselung und Verarbeitung können Reize im zentralen Prozessor des Gehirns „komplexe aktivierende und kognitive Prozesse stimulieren“, d.h. sie können Gefühle hervorrufen, Assoziationen auslösen und

579 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 363.

580 Vgl. Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 189.

581 Vgl. ibid., S. 190.

582 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 366.

583 Vgl. ibid., S. 366.

584 Vgl. ibid., S. 363.

585 Vgl. Wiswede, Günther: Einführung in die Wirtschaftspsychologie, 5. Aufl., Ernst Reinhardt Verlag, München, 2012, S. 285 und S. 286.

586 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 345.

587 Vgl. Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 209.

588 Vgl. ibid., S. 209.

589 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 338.

590 Vgl. Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 209.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Entscheidungen anregen.591 Reize können aber auch schon vor ihrer exakten Wahrnehmung im Arbeitsgedächtnis zu einem direkten Verhalten führen bzw. “aktivierende Vorgänge“

auslösen.592 Dieses „aktive Gedächtnis“ stellt „die zentrale Einheit der Informationsanalyse“

dar und ist in seiner Speicherkapazität begrenzt.593 Im Gegensatz zum Kurzzeitspeicher (Arbeitsgedächtnis) hat der Langzeitspeicher eine unbegrenzte Speicherkapazität. Das Gedächtnis des Menschen ist quasi der Langzeitspeicher. Alle Informationen aus dem Ultrakurzzeitspeicher gelangen, zum Teil ohne den „Umweg“ über den Kurzzeitspeicher bzw.

der Zuordnung einer Bedeutung, in das Langzeitgedächtnis.594

Die Wahrnehmung, als konstruktiver Prozess, der durch „situative Stimuli von außen“ und

„interne Stimuli der Person“, wie z.B. Erfahrung, Motivation und Interesse, beeinflusst ist, vermittelt zwischen dem „inneren Bild“ und der „äußeren Wirklichkeit“.595 Eine zutreffende Wahrnehmung wird erst durch „das Heranziehen anderer Wissensbestandteile“ möglich.596 Hierbei sind zwei Verarbeitungsprozesse, bzw. Wahrnehmungsprozesse möglich. Der

„Bottom-up“- und der „Top-down“-Prozess. Der „Bottom-up“-Verarbeitungsprozess ist datengesteuert. Hierbei werden keine ‚im Gedächtnis verfügbaren Informationen‘ genutzt. Es wird dabei „von einfachen Merkmalen eines Musters auf eine komplexe Wahrnehmung geschlossen.“597 Beim „Top-down“-Verarbeitungsprozess erfolgt eine begriffsgesteuerte Verarbeitung d.h. eingehende Informationen werden durch interne Informationen, also ‚bereits im Gedächtnis vorhandene Informationen‘, beeinflusst.598 Der Wahrnehmungsprozess wird somit durch „auf Erfahrungen beruhende kognitive Kategorien, „Wahrnehmungsschemata“

(siehe Kapitel 2.3.2.2.2) oder Wahrnehmungshypothesen“ (siehe Kapitel 2.3.2.2.1) dominiert.599 Bei vielen Wahrnehmungen werden jedoch beide „Prozessrichtungen“ aktiviert.

600

591 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 338.

592 Vgl. ibid., S. 338.

593 Vgl. Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 209.

594 Vgl. ibid., S. 209.

595 Vgl. ibid., S. 191.

596 Vgl. ibid., S. 192.

597 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 338.

598 Vgl. ibid., S. 338.

599 Vgl. Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 192.

600 Vgl. ibid., S. 192.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Abbildung 2-17: Flussdiagramm sozialer Wahrnehmungsprozesse601

Der typische Prozess der Wahrnehmung kann in die Phasen „Sensorische Empfindungen (Sinnesphysiologie und Psychophysik)“, „Selektion“, „Organisation“ und „Klassifikation“

gegliedert werden.602

Für die Wahrnehmung bzw. die „sensorischen Empfindungen“603 stehen einem Menschen fünf Sinnesorgane zur Verfügung, wobei das Auge „das primäre Sinnesorgan der Wahrnehmung ist“ und somit der visuelle Reiz vordergründig Gegenstand psychologischer Analysen ist.604

Objektbereich Sinnesmodalitäten Reiz kognitive Prozesse

Gegenstände Vorgänge Beziehungen

Sehen Hören Tasten Empfinden Schmecken

Riechen

visueller Reiz auditiver Reiz sensorischer Reiz aromatischer Reiz olfaktorischer Reiz

Interpretation der Sinneseindrücke

Tabelle 2-2: Schema der Wahrnehmung605

Tabelle 2-2 zeigt die nach Sinnesmodalitäten gegliederten Wahrnehmungsprozesse, die damit verbundenen Reize und die zur Verarbeitung der Sinneseindrücke notwendigen kognitiven Prozesse. Für das Verständnis dieser Wahrnehmungsprozesse ist es entscheidend zu

601 Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 206.

602 Vgl. ibid., S. 195

603 Vgl. ibid., S. 195.

604 Vgl. ibid., S. 189.

605 In Anlehnung an Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 363 und Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 189.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften verstehen, dass Wahrnehmungsprozesse subjektiv sind, aktiv erfolgen und zu selektieren sind.606 Das bedeutet also, dass jedes Individuum seine Umwelt subjektiv wahrnimmt, wobei dieser Vorgang der Informationsaufnahme und -verarbeitung ein aktiver Vorgang ist, „durch den der Einzelne seine subjektive Umwelt selbst konstruiert“.607

Im Zusammenhang mit dem Konsumenten- bzw. Nutzerverhaltens bedeutet das, dass „nicht das objektive Angebot (…) das Verhalten der Konsumenten [bzw. Nutzers] [bestimmt], sondern das subjektiv wahrgenommene Angebot.“608

Da das Arbeitsgedächtnis aufgrund seiner Kapazitätsbeschränkung nur eine geringe Anzahl an Informationen gleichzeitig verarbeiten kann, muss, aus der enormen Menge der auf die Sinnesorgane einwirkenden Reize die Wahrnehmung ausgewählt bzw. selektiert werden.609 Die Aufmerksamkeit ist hierbei eine wesentliche Größe. Sie ist der erste Schritt zur Wahrnehmung und selektiert diese auch. Aufmerksamkeit lässt sich somit als ein „Zustand intensiver, gerichteter Wahrnehmung“ beschreiben.610 Insbesondere werden solche Reize wahrgenommen, die den Bedürfnissen und Anforderungen des Individuums entsprechen.611

„Der Wahrnehmungsprozess wird [also] durch die Erwartungen des Individuums mitbestimmt.“612 Zudem gibt es auch die sogenannte „unbewusste Wahrnehmung“. Diese liegt dann vor, wenn Reize entweder nicht bewusst wahrgenommen werden können, selbst wenn die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist (z.B. sehr schwache Reize, wie etwa „visuelle Reize, die nur wenige Millisekunden“ gezeigt werden) oder wenn sie bewusst wahrgenommen, jedoch nicht bewusst verarbeitet werden können, da die Aufmerksamkeit nicht voll auf diese Reize gerichtet ist.613 Wahrnehmung umfasst neben der Entschlüsselung von aufgenommenen Reizen bzw. Informationen auch deren „gedankliche Weiterverarbeitung bis zur Beurteilung des wahrgenommenen Gegenstandes“.614 Die Einstellung zu einem Gegenstand ist „das gelernte und verfestigte (gespeicherte) Ergebnis“ vorheriger Vorgänge der Wahrnehmung.615 Die Beurteilung eines Produktes bzw. eines Gegenstandes ist somit als kognitiver Prozess der Informationsverarbeitung zu sehen, der bestimmt wird aus den zur Verfügung stehenden Informationen und den Programmen zur Verarbeitung dieser Informationen.616 Diese

„kognitiven Verarbeitungsprogramme“ können als „Konstruktionsregel der Wahrnehmung“

606 Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 363.

607 Ibid., S. 364.

608 Ibid., S. 364.

609 Vgl. ibid., S. 364.

610 Vgl. Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 196.

611 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 368.

612 Vgl. ibid., S. 364.

613 Vgl. ibid., S. 368.

614 Vgl. ibid., S. 371.

615 Vgl. ibid., S. 371.

616 Vgl. ibid., S. 371.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

aufgefasst werden. Entsprechend dem Schemakonzept (siehe auch Kapitel 2.3.2.2.1) ist Wahrnehmung auch als ein „mehrstufiger Prozess des ‚Mustervergleichs‘“ aufzufassen.617 Der Prozess der Wahrnehmung ist gleichzeitig auch immer ein Organisations- bzw.

Klassifikationsprozess. Während die „allgemeinen Prinzipien der Wahrnehmungsorganisation“

stark reizbezogen bleiben, dominieren bei den Klassifizierungstendenzen die Wahrnehmungskategorien und Schemata über die situativen Reize.618

Ebenso strebt auch die reizbezogene bzw. datengeleitete Wahrnehmung auf „Strukturierung bzw. Organisation“.619 Anstelle einzelner Linien, Kurven oder Farben werden „Gestalten“

aufgenommen, wobei wichtige Gesetzmäßigkeiten hier „Ähnlichkeit, Nähe, Symmetrie, gemeinsames Schicksal, gemeinsame Bewegung [und] geschlossene Form“ sind.620 Über diese „‘gestalthafte‘ Organisation“ hinaus haben die Mehrzahl der Gegenstände eine

„spezifische Bedeutung“. Erst die „spezifische Konstellation“ einzelner Elementen in Klassen ergibt eine relevante Information für die wahrnehmende Person.621 Bei der Klassifizierung werden Objekte kognitiven Kategorien zugeordnet, wobei sowohl Bottom-up-Prozesse als auch top-down-Prozesse beteiligt sind.622 Oftmals herrschen die kognitiven Konzepte, „die durch die Sozialisation, soziale Beeinflussung (Konformität) oder auch durch eigene Erfahrungen erlernt wurden“ vor.623

Im Zuge der Wahrnehmung wird von einer „ersten Bewertung“ eines situativen Reizes ausgegangen. Hierbei finden „aufmerksamkeitssteuernde (selektive) Prozesse“ statt.624 Dadurch werden genügend Informationen bereitgestellt, um zu entscheiden, ob der Gegenstand der Wahrnehmung „eine kategoriale Wahrnehmung im Sinne der konzeptgesteuerten Wahrnehmung zulässt oder aber den aufwendigen datengeleiteten Wahrnehmungsprozess erfordert“.625 Im Fall der konzeptgesteuerten Wahrnehmung erfolgt die Wahrnehmung relativ schnell, da diese von bisherigen Lernerfahrungen, wie Wissen und Erwartungen, sowie durch Motivation gesteuert ist. Die erlernten Kategorien bzw. Schemata stellen somit die „Organisationsprinzipien der Wahrnehmung“ dar, wodurch die Interpretation sowohl beschleunigt als auch beeinflusst wird. Wenn solche Schemata dazu führen, dass auf

„nicht beobachtete“ bzw. „nicht beobachtbare Elemente der Wirklichkeit“ geschlossen wird, wird dies als „Inferenz“ bezeichnet. Datengesteuerte Wahrnehmung hingegen lässt die Wahrnehmung einzelner Elemente zu, jedoch ist hier eine weitere Interpretation schwierig.626

617 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten.10. Aufl., Verlag Franz Vahlen GmbH, München, 2013, S. 372.

618 Vgl. Fischer, Lorenz & Wiswede, Günter: Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München, 2009, S. 199.

619 Vgl. ibid., S. 199.

620 Vgl. ibid., S. 199.

621 Vgl. ibid., S. 203.

622 Vgl. ibid., S. 203.

623 Vgl. ibid., S. 203.

624 Vgl. ibid., S. 205.

625 Vgl. ibid., S. 205.

626 Vgl. ibid., S. 205 und S. 206.

Kapitel 2: Stand der Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Insbesondere bei unbekannten Objekten der Wahrnehmung erfolgt solange ein „Wechselspiel“

von konzept- und datengesteuerter Wahrnehmung bis eine Lösung gefunden wurde.627 Die Hypothesentheorie

Hierbei wird davon ausgegangen, dass durch frühere Erfahrungen des Individuums mit vergleichbaren bzw. ähnlichen Reizsituationen Wahrnehmungserwartungen bzw. Hypothesen entstehen. Bei den Hypothesen, bzw. den „Annahmen über Aspekte der Wirklichkeit“, können drei Kategorien identifiziert werden. Kausalhypothesen, sogenannte Attributionen, Erwartungen in Form von „Wahrscheinlichkeitsurteile[n] über Ereignisse in der Zukunft“ und Einstellungen, d.h. „bewertete permanente Hypothesen“.628 Die Stärke der Hypothese hat maßgeblichen Einfluss auf den Wahrnehmungsprozess. Faktoren die Einfluss auf die Hypothesenbildung, bzw. Hypothesenstärke haben sind u.a. die Häufigkeit mit der die Hypothese bestätigt wurde, die „motivationale Unterstützung“, d.h. die Intensität der eigenen Erfahrungen für diese Hypothese, die Übereinstimmung der Hypothese mit den Hypothesen anderer, eine geringe Anzahl an alternativen Hypothesen und „je stärker sie in ein sich gegenseitig stützendes Hypothesensystem eingebunden ist“.629 Die Konsequenzen einer starken Hypothese sind demnach, dass die Aktivierung einer Hypothese und ihr dispositives Einwirkung auf das Verhalten umso wahrscheinlicher ist, je stärker eine Hypothese ist.

Ebenfalls kann „die Menge der unterstützenden Stimulus-Informationen, die notwendig sind um (…) [eine] Hypothese zu bestätigen“ bei starken Hypothesen geringer sein.630 Konkurrierende (schwächere) Hypothesen werden von starken Hypothesen eher verdrängt, zudem sind stärkere Hypothesen änderungsresistenter.631

Die Schematheorie

Das Wissen eines Individuums besteht zu einem großen Teil „aus standardisierten Vorstellungen, wie eine Sache typischerweise aussieht“.632 In Allgemeinen wird diese Struktur des Wissens als „Schemata“, bezeichnet. Die Schematheorie überschneidet sich mit der Hypothesentheorie, bzw. können „Schemata als eine Teilmenge der Hypothesen“ angesehen werden.633 Schemata sind hierarchisch organisiert, überwiegend abstrakt und „geben die

Das Wissen eines Individuums besteht zu einem großen Teil „aus standardisierten Vorstellungen, wie eine Sache typischerweise aussieht“.632 In Allgemeinen wird diese Struktur des Wissens als „Schemata“, bezeichnet. Die Schematheorie überschneidet sich mit der Hypothesentheorie, bzw. können „Schemata als eine Teilmenge der Hypothesen“ angesehen werden.633 Schemata sind hierarchisch organisiert, überwiegend abstrakt und „geben die