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Wie bereits aus den Studien zur politischen Partizipation hervorgegangen ist, spielen soziale Netzwerke und damit auch die Gruppe der Freunde und Gleichaltrigen eine wichtige Rol-le bei der Entscheidung, politisch aktiv zu werden. Darüber hinaus können in altershomoge-nen Gruppen Kenntnisse und Fertigkeiten wie die Interessenwahrnehmung, Parteilichkeit, Konfliktverhalten, Interessensammlung und Methoden des Konfliktaustrags bereits früh er-worben werden.

Allerdings ist im Rahmen der politischen Sozialisationsforschung die Rolle der Peer Groups bisher nur sehr einseitig untersucht worden, nämlich in Hinblick auf ihre manifeste Form, obwohl gerade auch die latente Sozialisation in Peer Groups eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Denn altershomogene Gruppen stellen einen sozialen Rahmen dar, in dem unter-schiedliche Orientierungen, Normen und Rollen angrenzender gesellschaftlicher Sektoren in variablen Mischverhältnissen so ineinander greifen, dass ein Übergang zwischen diesen Sek-toren ohne radikalen Wandel vorbereitet wird. Das Kind lernt innerhalb der Peer Groups neue Autoritätsbeziehungen kennen und wirkt im Gegensatz zur Familie am Prozess der Autori-tätsverteilung selber mit. Darüber hinaus fallen die Entscheidungen in Peer Groups erwachse-nenunabhängig und sowohl Prestige als auch Autoritätsunterschiede werden auf der Grundla-ge definierbarer LeistunGrundla-gen erworben. Das Kind erkennt in diesem Rahmen, dass soziale Regelungen Festlegungen sind, denen man manchmal freiwillig zustimmt, die aber in Frage gestellt, manipuliert und verändert werden können. In der Peer Group muss sich das Kind, um eigene Interessen durchzusetzen, durch Kommunikation und Aktion gegen andere Interessen durchsetzen. Hier entwickelt es Selbstbewusstsein und legt die Grundlage für eine autonome Reflexion und Einschätzung eigener Interessen.

Aber nicht nur die Gruppe der Gleichaltrigen kann als wichtige Sozialisationsinstanz angese-hen werden, sondern auch die Gruppe der politisch Gleichgesinnten, beispielsweise in Form einer Bürgerinitiative. Denn in ihnen „gehen motivationale mit kognitiven und affekti-ven Prozessen eine lerntheoretisch günstige Verbindung ein. Die sich in ihnen artikulierende Betroffenheit erzeugt individuelle, intrinsische Prämotivationen und praxisorientierte Hand-lungsbereitschaft mit dem sozialen Zweck, realisierte Gefahren abzuwenden oder Gestal-tungsmöglichkeiten wahrzunehmen. (...) In dieser Vermittlung von individueller Motivation und sozialem Zweck verschränken sich die äußere, gesellschaftliche und politische Wir-kungsebene mit der inneren, persönlichen und subjektiven Erfahrungsebene. Das soziale und Konfliktfeld ist zugleich Lern- und Experimentierfeld. Lern- und Handlungs-prozesse sind untrennbar aufeinander bezogen, Aktion und Reflexion bedingen sich wechsel-seitig, ermöglichen gleichsam beiläufig Interaktionslernen.“61

Bürgerinitiativen oder politische Aktionsgruppen im Allgemeinen erleichtern den Übergang von individuellem privatem Verhalten zu sozialem öffentlichen Engagement, denn die häufig kleinen, lockeren und überschaubaren Gruppen erzeugen wenig Bindungsangst. Gleichzeitig stabilisieren sie aber als soziale Bezugsgruppe praxisorientierte Motivation und umweltbezo-gene Ich-Stärke.

Politische Gruppen eröffnen innerhalb der Gruppe basisdemokratische Beteiligungsmöglich-keiten und ein gemeinsames Übungsfeld für neue Rollenmuster und Verhaltensweisen.

Zugleich erschließen sie in der politischen Auseinandersetzung nach außen neue soziale Er-fahrungs- und Aktionsradien und erzeugen dort, wie insbesondere meine Magisterarbeit zeigt, weitreichende Sozialisationsfolgen.

Darüber hinaus ermöglichen Bürgerinitiativen ein exemplarisches Lernen. Ihr Ausgangs-punkt ist häufig ein begrenztes Handlungsfeld, das natürlich nicht zufällig entsteht, sondern strukturell bedingt ist und deshalb exemplarischen Charakter hat. In dieser Nahwelt mit ihrer unmittelbaren Erfahrbarkeit und ihren begrenzten Risiken wird die in der Initiative aufge-brachte Ich-Stärke nicht gleich im Ansatz überfordert. Konfliktängste können leichter über-wunden werden. Vom konkreten Problem ausgehend, können beispielhaft fortschreitende Einsichten und Kompetenzen erworben werden, die wiederum immer allgemeinere und kom-plexere Zusammenhänge erschließen.

61 Armbruster, B: Bürgerinitiativen und ihr Beitrag zur politischen Sozialisation, in: Claußen, B.(1996), Die Politisierung des Menschen und die Instanzen politischer Sozialisation: Problemfelder gesellschaftlicher All-tagspraxis und sozialwissenschaftlicher Theoriebildung, Seite 50

M. und R. Gronemeyer62 sehen in Bürgerinitiativen vor allem folgende partizipations-fördernde Sozialisationsmomente: „Die oft persönlich einsichtige und erfahrbare Betroffen-heit von Problemen, die im Vergleich zur Berufsphäre herabgesetzten persönlichen Risiken bei aus Engagement erwachsenen Konflikten, ihre vergleichsweise partizipationsintensive Organisationsstruktur, die entsprechenden gruppendynamischen Abläufe und ihre erlebbaren Erfolgsdimensionen.“63

Bürgerinitiativen haben beispielsweise gegenüber dem politischen Unterricht in der Schule den Vorteil, dass es in ihnen nicht um theoretische Belehrung geht, die man aufnimmt oder nicht, sondern um Lernen durch Erfahrung, durch Handeln und durch Ausprobieren. In die-sem Zusammenhang spielt die Gruppe eine wichtige Rolle, denn man lernt „innerhalb der Gruppe, z.B. neue Rollen, und man lernt als Gruppe gemeinsam, durch die eigene Arbeit. In solchen gruppendynamischen Abläufen können sich zum einen selbst Lernprozesse vollzie-hen. Zum anderen wirken sie sich auf die Handlungs- und Lernmotivation aus (...).“64

Durch die Mitarbeit in Bürgerinitiativen, lernen die aktiven BürgerInnen Politik als Möglich-keit aktiver Umweltgestaltung zu begreifen und zu vollziehen. Sie erkennen Umweltprobleme nicht nur als individuelle, sondern auch als soziopolitische Probleme und erhalten so Kennt-nisse über strukturelle Ursachen und Zusammenhänge. Dies ermöglicht es ihnen, politische Verflechtungen und Zusammenhänge auch über die eigene Person hinaus zu durchschauen und mit ihnen umzugehen.

Darüber hinaus verweisen aktive BürgerInnen aber auch auf Lernprozesse im persönlichen Bereich.“(...) also mein ganzes Leben hat Gorleben bestimmt, weil, ich wär' nie so ein, denke ich mal, ich weiß es nicht, aber ich setze es mal voraus, dass ich ohne Gorleben nie ein so kritisch denkender Mensch geworden wär'. Ich bin offen für viele Dinge, aber eben auch sehr, sehr kritisch, (...) und das hat mein ganzes Leben bestimmt (...) aber eben auch positiv, nur positiv denke ich (...) es hat mir eben diese Selbstsicherheit gegeben, dass ich vor keinem Angst habe (...).“65

62 vgl. Armbruster (1979): Lernen in Bürgerinitiativen – Ein Beitrag zur handlungsorientierten politischen Bildungsarbeit, Baden-Baden, Seite 54

63 Armbruster, B (1979): Lernen in Bürgerinitiativen – Ein Beitrag zur handlungsorientierten politischen Bil-dungsarbeit, Baden-Baden, Seite 55

64 Armbruster, B. (1979): Lernen in Bürgerinitiativen – Ein Beitrag zur handlungsorientierten politischen Bil-dungsarbeit, Baden-Baden, Seite 57

65 Vgl. Joest, A. (1998) Zivilcourage und Ziviler Ungehorsam am Beispiel des Wendlandes, unveröffentlichte Magisterarbeit, Seite 87