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Neben der umgangssprachlichen und populärwissenschaftlichen Verwendung des Begriffs sind es vor allem Arbeiten aus dem Bereich der Psychologie, die weiteren Aufschluss über das Phänomen der Zivilcourage geben. Wobei hier nicht nur Arbeiten zu nennen sind, die sich explizit mit dem Thema der Zivilcourage auseinandersetzen, sondern auch jene, die sich mit prosozialem Handeln beziehungsweise Altruismus, mit Ungehorsam und mit moralischem Handeln beschäftigen.

2.4.1.1 Prosoziales Handeln

116 Singer, Kurt (1992) : Zivilcourage wagen. Wie man lernt sich einzumischen. München Zürich, Seite 25

117 Singer, Kurt (1992) : Zivilcourage wagen. Wie man lernt sich einzumischen. München Zürich, Seite 118

118 Kurt Singer betrachtet in diesem Zusammenhang das Beispiel eines Mannes, der aktiv bei amnesty internati-onal arbeitet. Aufgrund seines strengen Vaters kann er sich, laut Singer, besonders gut in die Situation unter-drückter und eingesperrter Menschen hineinversetzen. Vgl. Seite 29

Im Rahmen der Prosozialitätsforschung bezeichnet U. Kuhl119 bestimmte Formen prosozialen Handelns als „Zivilcourage im Alltag“, worunter er eine prosoziale Handlung versteht, mit der eine Person zugunsten einer anderen Person interveniert, obwohl hiermit eine Bedrohung für die handelnde Person verbunden ist. Er unterscheidet vier Möglichkeiten der Bedrohung:

Zum einen die Intervention bei vitaler Bedrohung, worunter er Interventionen versteht, bei denen die helfende Person Verletzungen oder sogar den Verlust des eigenen Lebens ris-kiert. Zum anderen die Intervention bei ökonomischer Bedrohung, bei der die helfende Person finanzielle Nachteile oder auch berufliche Nachteile riskiert. Eine prosoziale Hand-lung, bei der die handelnde Person ihre sozialen Beziehungen riskiert, bezeichnet Kuhl als eine Intervention bei sozialer Bedrohung. „So kann man z.B. befürchten, dass Freunde und andere Personen über die Intervention verärgert sind.“120 Und schließlich unterscheidet Kuhl die Intervention bei einer Bedrohung des Selbstwertgefühls. Eine solche Bedrohung liegt beispielsweise vor, „wenn die Intervention zu einem verbalen Konflikt mit einer anderen Per-son führen kann und man sich nicht sicher ist, ob man dem Konflikt gewachsen ist.“121 Zu-dem kann die Bedrohung durch die Anwesenheit Dritter zunehmen, da dadurch die Angst steigt, sich zu blamieren.

Im Mittelpunkt seiner Untersuchung steht die Frage, „inwieweit Selbstsicherheit als Facette sozialer Kompetenz und spezifische persönliche Normen wichtige Determinanten des Verhal-tens in Hilfeleistungssituationen sind, bei denen es darauf ankommt, zugunsten einer Person, die sich in Schwierigkeiten befindet, gegen den Verursacher dieser Schwierigkeiten verbal zu intervenieren“122, wobei er die Intervention bei der Bedrohung des Selbstwertgefühls in das Zentrum des Interesses rückt. Diese Art der Hilfeleistungssituationen ist nach Kuhl durch drei Strukturmerkmale gekennzeichnet.

Zum einen impliziert die intervenierende Handlung einen verbalen Konflikt mit anderen und gegebenenfalls auch sozial mächtigeren Menschen. Es kann zu einer Missbilligung der Hand-lung und der eigenen Person kommen. Zum anderen bedeutet die Intervention ein Exponie-ren, womit die Handlung der Bewertung Dritter ausgesetzt ist und schließlich ist solch eine Handlung dadurch charakterisiert, dass die Entscheidung zum Handeln unter einem gewissen Zeitdruck getroffen werden muss.

Aufgrund seiner empirischen Untersuchungen an StudentInnen der Wirtschaftswissenschaften und Geographie kam Kuhl zu dem Ergebnis, dass zwischen der Selbstsicherheit der

119 Kuhl, U. (1986): Selbstsicherheit und prosoziales Handeln. Zivilcourage im Alltag. München

120 Kuhl, U. (1986): Selbstsicherheit und prosoziales Handeln. Zivilcourage im Alltag. München, Seite 6/7

121 Kuhl, U. (1986): Selbstsicherheit und prosoziales Handeln. Zivilcourage im Alltag. München, Seite 7

122 Kuhl, U. (1986): Selbstsicherheit und prosoziales Handeln. Zivilcourage im Alltag. München, Seite 2

den Personen und ihrer Bereitschaft zu Zivilcourage ein Zusammenhang besteht. „Das bedeu-tet, dass mit zunehmender Selbstsicherheit auch die Bereitschaft zu sog. zivilcouragiertem Handeln größer wird, ebenso wie mit steigender Selbstsicherheit zivilcouragiertes Handeln als zunehmend leichter eingeschätzt wird.“123 Auch fand er heraus, dass persönliche Normen eine wichtige Rolle in Bezug auf zivilcouragiertes Handeln spielen.

2.4.1.2 Altruismus

Dem Forschungsansatz von Oliner & Oliner124, der der Altruismusforschung zuzurechnen ist liegt die Frage zugrunde, was es Menschen während des Nationalsozialismus ermöglichte, Juden und Jüdinnen zu verstecken oder ihnen auf andere Art und Weise das Leben zu retten.

In dieser Studie untersuchten Oliner & Oliner anhand von 406 RetterInnen und einer Kon-trollgruppe von 126 Personen, welche Persönlichkeitszüge und Motive die Menschen zu ihrem Handeln veranlasst und befähigt haben.

Sie fanden heraus, dass die so genannten RetterInnen sowohl emotionale als auch praktische Unterstützung durch ein Netz von sozialen Beziehungen erhielten. Zudem handelte es sich um Menschen, die das Gefühl hatten, ihr Leben selbst bestimmen zu können und darüber hinaus ein ausgeprägtes persönliches und soziales Verantwortungsbewusstsein aufwiesen, welches sich nicht nur auf die eigene Gruppe beschränkte, sondern sich auch auf Menschen außerhalb dieser Gruppe bezog.

In Bezug auf die Motivation der RetterInnen arbeiteten Oliner & Oliner drei Arten der Mo-tivation heraus: Den ersten Typ bezeichnen die Autoren als die „normzentrierte Orientie-rung“. Hier spielt eine starke Gruppenbindung und eine hohe Bereitschaft, den Gruppennor-men zu folgen, eine wesentliche Rolle. Als Beispiel für diesen Typ nennen die Autoren die

„Hugenotten von La Chambon in Frankreich. Das gesamte Dorf war an der Rettung von 5000 Juden beteiligt. Sie folgten dabei ihrem moralischen Gesetz, ihrer Norm, und die schrieb ih-nen vor, Leben zu retten.“125 Als zweiten Motivationstyp nennen Oliner & Oliner die „prin-zipienzentrierte Orientierung“, worunter sie Menschen zusammenfassen, die sich in ihrem Handeln durch persönliche, moralische Prinzipien leiten lassen. Die „empathische Orientie-rung“ bildet den dritten Motivationstyp. „Ein Beispiel hierfür ist ein Mensch, der einen

123 Kuhl, U. (1986): Selbstsicherheit und prosoziales Handeln. Zivilcourage im Alltag. München, Seite 95

124 Oliner, S. & Oliner, P. (1988):The Altruistic Personality: Rescuers of Jews in Nazi Europe. New York: Free Press

125 Oliner, S. & Oliner, P. (1989): Menschen, die nicht wegsahen. In: Psychologie heute 3/89, 16. Jhg., Seite 26

ren Menschen leiden sieht und sagt: „Das könnte ich sein. Ich kann keinen Schmerz ertragen.

Ich muss helfen“.“126

Einen anderen Ansatz wählte Morton Hunt127, indem er überwiegend situationsspezifische Faktoren zur Erklärung prosozialen Handelns128 heranzog. Die von Morton Hunt herausge-arbeiteten Situationsmerkmale betreffen die Eindeutigkeit beziehungsweise Uneindeutig-keit der Situation und das Empfinden von persönlicher beziehungsweise kollektiver Ver-antwortung. Zudem hat er herausgefunden, dass auch das äußere Erscheinungsbild Einfluss auf die Bereitschaft zu Hilfeleistungen hat.

Ist eine Situation nicht eindeutig als eine Situation erkennbar, in der ein anderer Mensch Hilfe benötigt, so nimmt die Bereitschaft zur Hilfeleistung ab, da potentielle HelferInnen befürch-ten, sich der Lächerlichkeit auszusetzen. Die Frage nach der Eindeutigkeit einer Situation wird verstärkt, wenn umstehende Personen nicht helfend einschreiten, da dies die Interpretati-on nahe legt, dass es sich um keine eindeutige NotsituatiInterpretati-on handelt. Zudem hat die Anwesen-heit Dritter Einfluss auf das eigene Verantwortungsgefühl, denn wenn auch andere Personen anwesend sind, die ebenfalls eingreifen können, wird die Verantwortung nicht als eine per-sönliche, sondern als eine kollektive Verantwortung empfunden.

Aber auch das Erscheinungsbild des Opfers hat, wie bereits erwähnt, Einfluss auf die Hilfsbe-reitschaft. So arbeitete Morton Hunt beispielsweise heraus, dass Menschen in der Regel eher dazu bereit sind, anderen Menschen zu helfen, wenn sie diese als zur Eigengruppe gehörig betrachten. Negativ hingegen auf die Motivation zu helfen wirkt sich nicht nur die Zuordnung des Opfers als zu einer Fremdgruppe gehörig aus, sondern auch, wenn es betrunken, schmut-zig oder entstellt ist, beziehungsweise auf eine andere Art und Weise abstoßend wirkt.

Neben diesen situationsspezifischen Faktoren haben nach Hunt aber auch persönliche Fakto-ren Einfluss auf das Hilfehandeln. Hier wären beispielsweise Einfühlungsvermögen, Selbstwertgefühl und moralische Normen zu nennen. Zudem weist er darauf hin, dass sich eine positive Stimmungslage, die Fähigkeit, eigene Gefühle auszudrücken, und ein allge-mein positives Menschenbild in Verbindung mit Verantwortungsgefühl positiv auf die Be-reitschaft, anderen Menschen zu helfen, auswirken.

126 Oliner, S. & Oliner, P. (1989): Menschen, die nicht wegsahen. In: Psychologie heute 3/89, 16. Jhg., Seite 26

127 Hunt, Morton (1992): Das Rätsel der Nächstenliebe: der Mensch zwischen Egoismus und Altruismus. Frank-furt

128 Morton Hunt definiert prosoziales Handeln als „ein Verhalten anderer, das mit gewissen eigenen Opfern verbunden ist und ohne die Erwartung einer Belohnung aus externen Quellen, oder zumindest nicht primär aufgrund einer solchen Erwartung erfolgt“. Morton Hunt (1992), Seite 19

2.4.1.3 Moralisches Handeln

Da in Zusammenhang mit Zivilcourage häufig von moralischem Handeln die Rede ist, liegt es nahe, auch moralpsychologische Aspekte in die Betrachtung des Phänomens Zivilcourage einfließen zu lassen. Lawrence Kohlberg entwickelte aufbauend auf dem kognitiven Ent-wicklungsmodell Piagets, ein Stufenmodell moralischer Urteilsstrukturen und stellte die These auf, dass die Beziehung zwischen moralischem Handeln und moralischem Urteil linear mit der Höhe der moralischen Reife zunimmt. A. Blasi129 dagegen stellte in einer Studie, in der er alle bis dato zugänglichen empirischen Studien über den Zusammenhang von morali-schem Urteil und moralimorali-schem Handeln untersuchte fest, dass zwar ein Zusammenhang be-steht, dieser jedoch je nach der Art der Handlung variiert. So stellte er beispielsweise für den Bereich „moralisches Urteil und Widerstand“ fest, dass das moralische Urteil zwar mit einer gewissen Unabhängigkeit des Handelns zusammenhängt, jedoch nur „insofern dieses Handeln in der Verteidigung von Meinungen besteht, also im Urteilsbereich bleibt. Wenn es aber um tätiges Handeln geht (z.B.: in der Milgram-Situation), ist dieser Zusammenhang weniger klar:

Personen auf den höheren Stufen widerstehen dem sozialen Druck, sich in einer gegebenen Situation gegen den eigenen Willen anzupassen, nur unter bestimmten Umständen stärker als Personen auf den niedrigeren Stufen.“130

Blasi kommt zu dem Schluss, dass die bisherigen Studien nicht ausreichen, um den Zusam-menhang zwischen Urteil und Handeln aufzuhellen, weshalb er ein Konzept des moralischen Selbst entwirft.131 Blasi geht von einer kognitiven moralischen Motivation aus, die darin besteht, dass die Person die Bedeutung der Handlung erkennt und dazu motiviert ist, entspre-chend dieses Verständnisses zu handeln. Dies bedeutet, dass die Überzeugung des Richtigen bereits einen Handlungsimpetus enthält. „Moralisch relevantes Verhalten ist immer durch ein vorwegnehmendes Urteil bestimmt, wenn dieses positiv ist, so stimmt das Handeln mit dem Urteil überein, und der Handelnde agiert, weil er dieses als moralisch richtig versteht. Im ne-gativen Fall tritt das Gegenteil ein.“132

Er betrachtet sowohl Selbstbezogenheit als auch das Bedürfnis nach Selbstkonsistenz als

129 Blasi, A. (1980): Bridging moral cognition and moral action: A critical review of the literature. In: Psycholo-gical Bulletin, 88. Vgl. auch Oser, F./ Althof, W. (1992): Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Ent-wicklung und Erziehung im Wertebereich. Stuttgart

130 Oser, F./ Althof, W. (1992): Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Entwicklung und Erziehung im Wertebereich. Stuttgart, Seite 241

131 Siehe Oser, F./ Althof, W. (1992), Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Entwicklung und Erziehung im Wertebereich. Stuttgart, Seite 241-243

132 Oser, F./ Althof, W. (1992), Seite 241/242

rale Aspekte moralischen Handelns und stellt folgende Thesen auf:

„a) moralisches Denken wird dann zuverlässiger in moralisches Handeln umgesetzt, wenn es in ein Urteil persönlicher Verantwortung überführt wird;

b) moralische Verantwortlichkeit ergibt sich aus der Integration von Moral in die eigene Identität oder das eigene Selbstempfinden;

c) aus moralischer Identität rührt die psychologische Notwendigkeit her, in Übereinstim-mung mit den eigenen Idealen zu handeln.“133

Übertragen auf das Phänomen der Zivilcourage kann demnach davon ausgegangen werden, dass eine Person zivilcouragiert handelt, beziehungsweise moralisch handelt, um das eigene moralische Selbstempfinden und die eigene moralische Integrität aufrechtzuerhalten, was ja bereits auch an anderer Stelle angeklungen ist.

Aufbauend auf die Überlegungen von A. Blasi gingen A. Colby und W. Damon134 davon aus, dass moralisches Handeln davon abhängig ist, in welchem Maße eine Person moralische Ziele in ihr Selbstkonzept integriert hat beziehungsweise inwieweit moralische Ziele einen wichti-gen Bestandteil innerhalb des Selbstkonzeptes einer Person darstellen. In einer Untersu-chung, in der sie 24 Persönlichkeiten untersuchten, die sie als moralische Vorbilder eingestuft hatten135, ermittelten sie Gemeinsamkeiten der untersuchten Personen, die sie der Integration von persönlichen und moralischen Zielen zuschrieben sowie der Tatsache, dass moralische Ziele ein wichtiger Bestandteil des Selbstkonzeptes der Untersuchungspersonen waren. Zu den auffälligsten Gemeinsamkeiten gehörte „die Urteilssicherheit, das heißt, das Fehlen von Zweifeln, Zögerlichkeiten oder inneren Konflikten; eine relative Gleichgültigkeit gegenüber möglichen Gefahren oder negativen Konsequenzen; die Abwesenheit eines Gefühls besonde-rer moralischer Couragiertheit; eine positive Einstellung gegenüber dem Leben, sowie eine

133 Blasi, Augusto (1993): Die Entwicklung der Identität und ihre Folgen für moralisches Handeln. In: Edelstein, W., Nummer-Winkler, G. & Noam, G. (Hrsg.), Moral und Person . Frankfurt/Main. Seite 119

134 Colby, A. & Damon, W. (1993): Die Integration des Selbst und der Moral in der Entwicklung moralischen Engagements. . In: Edelstein, W., Nummer-Winkler, G. & Noam, G. (Hrsg.), Moral und Person . Frank-furt/Main

135 Die Einstufung erfolgte nach folgenden Kriterien:

„1.Ein anhaltendes Engagement für moralische Ideale und Prinzipien, darunter eine universalistische Ach-tung vor der Menschheit, oder wiederholte Belege für moralische Charakterstärke.

2. Die Bereitschaft, in Übereinstimmung mit den eigenen moralischen Idealen oder Prinzipien zu handeln, d.h. Konsistenz von Absichten und Handlungen und von Zielen und Mitteln eigener Handlungen.

3. Die Bereitschaft, Selbstinteressen um der moralischen Werte willen aufs Spiel zu setzen.

4. Eine Tendenz, inspirierend auf andere zu wirken und so diese zu moralischem Handeln zu bewegen.

5. Eine realitätsgerechte Einschätzung der Bedeutung der eigenen Person im Verhältnis zum Weltganzen;

eine relativ geringe Aufmerksamkeit für das eigene Ego.“ Colby, A. & Damon, W. (1993), Seite 210

tief empfundene Freude an der eigenen Arbeit.“136

2.4.1.4 Zivilcourage als Gegenstand der Psychologie und Politologie

Explizit mit dem Thema Zivilcourage befassen sich in der Psychologie die Arbeiten von Frie-der Kapp137, der hieraus hervorgegangene Aufsatz von Frieder Kapp und Brigitte Scheele138 sowie die Arbeit von Gabriele Jaschke und Preeti Purohit139.

Einige der hier bereits erwähnten Merkmale und Aspekte von Zivilcourage lassen sich auch in der Arbeit von Frieder Kapp wieder finden, da auch er sich dem Begriff der Zivilcourage über die Betrachtung seiner lexikalischen und umgangssprachlichen Verwendung genähert hat, sowie über die Betrachtung benachbarter Konstrukte wie prosoziales Handeln beziehungswei-se Altruismus, moralisches Handeln und Ungehorsam. Unter Berücksichtigung der in diebeziehungswei-sen Bereichen gewonnenen Anregungen, wertet er in einem weiteren Schritt 20 Subjektive Theo-rien qualitativ-analytisch aus und kommt zu dem Ergebnis, dass Zivilcourage definiert werden kann als: „das Vertreten der eigenen Wertüberzeugung unter bewusster Inkaufnahme negativer Konsequenzen für die eigene Person (meist in Form sozialer Repression).

Eine charakteristische (analytische) Voraussetzung für Zivilcourage besteht in dem Druck einer Mehrheit oder Machtinstanz als situationale Bedingung. Die Absicht von Zivilcourage besteht zum einen darin, den eigenen Wertüberzeugungen gerecht zu werden (die sich zu-meist auf andere Personen beziehen), zum anderen in der Aufrechterhaltung der eigenen Integrität bzw. Authentizität. Zudem ist typisch für Zivilcourage, dass dabei in Kauf ge-nommen werden muss, eventuell nichts bewirken zu können. Zivilcouragiertes Handeln lässt sich als eine Form des Protestes interpretieren, mit dem einerseits für eine Wertüberzeugung eingetreten wird, zum anderen aber auch, aufgrund des situationalen Kontextes, gegen eine (mächtige) Gegenposition (und die durch sie repräsentierten Normen) Widerstand geleistet

136 Colby, A. & Damon, W. (1993), Seite 225

137 Kapp, Frieder (1993): Zivilcourage. Explikation eines Konstrukts unter heuristischer Perspektive mit Hilfe Subjektiver Theorien. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg,

138 Kapp, Frieder/ Scheele, Biggi (1996): Was verstehen Sie unter Zivilcourage? Annäherungen an eine Psycho-logie des ’aufrechten Gangs‘ mit Hilfe Subjektiver Theorien. In: Gruppendynamik Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie. Heft 2, 27. Jahrgang 6/96

139 Jaschke, Gabriele/ Purohit, Preeti (1996): Was fördert oder verhindert Zivilcourage? Hypothesengenierung über ein Konzept. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg

wird.“140

Darüber hinaus arbeitet Frieder Kapp verschiedene Persönlichkeitsmerkmale heraus, die eine zivilcouragierte Persönlichkeit kennzeichnen, wie beispielsweise Verantwortungsbe-wusstsein, Selbstsicherheit und Konfliktbereitschaft, aber auch ein Wissen um die eigenen Fähigkeiten und eine Sicherheit bezüglich der eigenen Wertüberzeugungen141, wobei er davon ausgeht, dass diese Persönlichkeitsmerkmale wiederum von der Auseinandersetzung mit Vorbildern, dem Erleben von Zivilcourage sowie von der Auseinandersetzung mit gesell-schaftlichen Fragen abhängen.

Wie andere AutorInnen auch, weist Frieder Kapp darauf hin, dass zivilcouragiertes Handeln nicht nur Nachteile für die eigene Person mit sich bringt, sondern auch zur Zufriedenheit und Achtung vor sich selbst und anderen Menschen beitragen kann.

Aufbauend auf der Arbeit von Frieder Kapp haben sich Gabriele Jaschke und Preeti Purohit142 neben der Konzeptklärung mit den Beweggründen und Hintergründen zivilcouragierten Han-delns beschäftigt. Anhand von ebenfalls 20 subjektiven Theorien sind sie der Frage nachge-gangen, welche Faktoren sich hinderlich beziehungsweise förderlich auf zivilcouragiertes Handeln auswirken, wobei sie von folgender Arbeitsdefinition ausgingen:

„ 1. ZC ist eine mutige Handlung, der eine Wertüberzeugung zugrunde liegt.

2. Sie erfolgt, wenn ein zentraler Wert oder eine Person in Gefahr ist und/oder negative Kon-sequenzen für diesen Wert oder die Person antizipiert werden.

3. Dabei muss es sich um einen zentralen Wert im Sinne der Menschenrechte oder des ökolo-gischen Überlebens von Mensch, Tier und Natur handeln. Die Person kann jede sein, so-bald sie Opfer wird, egal welcher Nationalität sie angehört oder welchen sozioökonomi-schen Status sie besitzt.

4. Es muss eine individuelle Toleranzgrenze des noch Erträglichen bezüglich der Gefährdung oder Verletzung des zentralen Wertes überschritten sein.

5. Die Handlung muss ein individuelles Sich-Einmischen sein, unabhängig von der Aufforde-rung durch andere und ohne Antizipation von Hilfe oder gar Belohnung.

140 Kapp, Frieder (1993): Zivilcourage. Explikation eines Konstrukts unter heuristischer Perspektive mit Hilfe Subjektiver Theorien. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Seite 192

141 Kapp, Frieder (1993): Zivilcourage. Explikation eines Konstrukts unter heuristischer Perspektive mit Hilfe Subjektiver Theorien. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Seite 174

142 Jaschke, Gabriele/ Purohit, Preeti (1996): Was fördert oder verhindert Zivilcourage? Hypothesengenierung über ein Konzept. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Ruprecht-Karl Universität Heidelberg

6. Es werden im Gegenteil eher negative Konsequenzen für die eigene Person antizipiert.

Außerdem handelt es sich um eine öffentliche Tat, die von anderen beobachtet, bewertet und auch nachträglich noch sanktioniert werden kann.

7. Zumeist ist ZC mit einem Konflikt mit einer Gegenposition verbunden und findet trotz Druck einer Mehrheit oder Machtinstanz statt.“143

Diese Arbeitsdefinition wurde von den Subjektiven TheoretikerInnen weitgehend bestätigt, eine Ausnahme bildet hier lediglich die angenommene Wertegebundenheit zivilcouragierten Handelns, die im Übrigen auch Frieder Kapp nicht nachweisen konnte.

Aufbauend auf die hier genannten Arbeiten hat Gerd Meyer144 eine Pilotstudie zu Zivilcou-rage im Alltag von BerufsschülerInnen durchgeführt. Im Vordergrund der Studie steht die Frage, was förderlich beziehungsweise hinderlich für zivilcouragiertes Handeln ist.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich moralische Überzeugungen und die eigene Nähe zum Problem förderlich auf zivilcouragiertes Handeln auswirken. Gleiches gilt für Selbstsi-cherheit und soziale Kompetenzen wie beispielsweise Empathie, Artikulations- und Ar-gumentationsfähigkeit und Reflexionsfähigkeit. Darüber hinaus wird zivilcouragiertes Handeln durch das Gefühl sich selbst und der Umwelt gegenüber verantwortlich zu sein ge-fördert. Aber auch die Unterstützung und Bestärkung der sozialen Umwelt, sowie eine bestärkende Sozialisation wirken sich positiv auf die Bereitschaft zivilcouragiert zu handeln aus. Neben situativen Faktoren werden diese personalen Einflussfaktoren auch in einer wei-terführenden Arbeit, der verschiedene empirische Untersuchungen zu Grunde liegen bestä-tigt.145

2.4.1.5 Zivilcourage und Politik

Betrachtet man Zivilcourage nicht nur im individuellen Bereich, worunter beispielsweise das Eingreifen zugunsten einer sexuell belästigten Frau in einem öffentlichen Verkehrsmittel

143 Jaschke, Gabriele/ Purohit, Preeti (1996) ): Was fördert oder verhindert Zivilcourage? Hypothesengenierung über ein Konzept. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Ruprecht-Karl Universität Heidelberg, Seite 9

144 Meyer, Gerd/ Hermann, Angela (1999): „normalerweise hätt’ da schon jemand eingreifen müssen,“ Zivilcou-rage im Alltag von BerufsschülerInnen, Schwalbach/Ts.

144 Meyer, Gerd/ Hermann, Angela (1999): „normalerweise hätt’ da schon jemand eingreifen müssen,“ Zivilcou-rage im Alltag von BerufsschülerInnen, Schwalbach/Ts.