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Leitthesen der Studie – Grundlagen des Interviewleitfadens

Auf der Grundlage der Literatur lassen sich verschiedene Ansätze und Faktoren entwickeln, die zur Erklärung politischer Partizipation in links-alternativen Gruppierungen beitragen. Die-se sollen im Folgenden kurz zusammengefasst und wo nötig kritisch diskutiert und durch ei-gene Annahmen ergänzt werden, um anschließend Eingang in den Interviewleitfaden zu fin-den. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei zwar einerseits um ein syste-matisches Tableau von Faktoren handelt, diese aber zugleich prozesshaft gedacht sind. Es handelt sich hier also nicht um ein statisches Faktorenmodell, sondern um Prozesse, in dem Sinne, dass Engagement als Veränderungs- und Lernprozess verstanden wird.

3.1 Herkunft und Sozialisation

Innerhalb der Partizipationsforschung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es vor allem jüngere Menschen mit höherem sozioökonomischem Status sind, die sich politisch engagieren. In der Regel wird davon ausgegangen, dass Personen mit höherer Schulbildung eher partizipieren, als solche mit niedrigerer Bildung, da sie öfter mit anderen Menschen dis-kutieren, mehr Zugang zu den Medien haben sowie über mehr Wissen und Informationen über

177 Gensicke,, Thomas (2000): Freiwilliges Engagement in den neuen und alten Ländern, In: Braun, Joa-chim/Klages, Helmut (Hrsg.):Freiwilliges Engagement in Deutschland. Ergebnisse der Repräsentativerhe-bung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit bürgerschaftlichem Engagement, Band 2, Bonn, Seite 54/55

Politik verfügen. Zudem wird ihnen mehr Selbstbewusstsein zugesprochen, ihre Meinung zu vertreten.

Meines Erachtens stehen viele der hier genannten Aspekte, wie beispielsweise Selbstbewusst-sein, häufigere Diskussionen und der Empfang vermehrter politischer Stimuli, nicht zwangs-läufig mit dem sozioökonomischen Staus in Zusammenhang. Daher werde ich, im Rahmen der Interviews nicht explizit nach dem sozioökonomischen Status fragen, sondern das Um-feld, in dem die Person aufgewachsen ist und in dem sie sich zum Zeitpunkt ihrer Politisie-rung aufgehalten hat, in den Mittelpunkt des Interesses rücken.

Annahmen:

1. Ein politisiertes bzw. politisch interessiertes oder aufgeschlossenes Umfeld erleichtert den Einstieg in das Engagement.

2. Ein politisiertes bzw. politisch interessiertes Umfeld trägt zur Dau-erhaftigkeit des Engagements bei.

3. Das Umfeld hat Einfluss darauf in welcher Art und Weise man sich engagiert.

Zwar stimme ich der These zu, dass die Schichtzugehörigkeit Einfluss auf die Verfügbarkeit sozialer, zeitlicher und finanzieller Ressourcen hat, doch besteht auch innerhalb eines politi-schen Engagements die Möglichkeit, sich Kompetenzen anzueignen. Daher wird die Frage, welche Kompetenzen die Personen mitgebracht haben und welche sie sich erst im Verlauf ihres Engagements angeeignet haben, Eingang in den Fragebogen finden. Des Weiteren ist zu bedenken, dass innerhalb einer politischen Gruppe jede/r nach seinen Fähigkeiten aktiv wer-den kann, da es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, sich in die Gruppe einzubringen.

Neben soziodemografischen Faktoren wird immer wieder die Bedeutung der Sozialisation für politisches Handeln betont. Zwar gibt es eine Kontroverse darüber, in welcher Phase der Sozi-alisation wichtige Dispositionen für politisches Verhalten entstehen und welche Sozialisati-onsinstanzen als primär für die politische Sozialisation angesehen werden können, doch herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass im Elternhaus wichtige Grundlagen, auf die (je nach Forschungsstandpunkt) die politische Sozialisation aufbauen kann, bzw. die sich förder-lich auf politisches Engagement auswirken können, gelegt werden. Verschiedene Theoretike-rInnen bezeichnen vor allem solche Erziehungsmethoden als förderlich für politisches

Enga-gement innerhalb derer die Kinder ernst genommen und akzeptiert werden. Auch ist es wichtig, das Kind dahingehend zu unterstützen, dass es lernt, sich zur Wehr zu setzen und sein Selbstbewusstsein gestärkt wird. Auch sollten Kinder lernen, Verantwortung zu über-nehmen und die Möglichkeit haben, an Entscheidungen innerhalb der Familie mitzuwir-ken. Darüber hinaus betonen Buse et. al178, dass die Internalisierung gesellschaftlicher Nor-men und ihre Anwendung, die durch die elterlichen Erziehungstechniken beeinflusst sind, Auswirkungen auf die politischen Verhaltensorientierung im späteren Leben hat.

Die Rolle der Erziehung betont auch Kurt Singer, wobei insbesondere Mut und Einfühlungs-vermögen für ihn wichtige Voraussetzungen für Zivilcourage (diese umfasst bei ihm auch politisches Engagement), sind. „Mutig und mitfühlend werden kann, - wer als Kind in seinem persönlichen Sein angenommen wurde, - wer auch Eigen-Sinn und Eigen-Bewegung entwi-ckeln konnte, - wer die Erfahrung macht, dass er Lebensereignisse durch eigene Aktivität um-gestalten kann, - wer nicht nur lernte, zu gehorchen, sondern auch ungehorsam zu sein, - wer sittliche Werte nicht nur gesagt bekam, sondern erfahren und verinnerlichen konnte.“179

Darüber hinaus entwickelt sich in der Sozialisation das Gefühl der eigenen Kompetenz und das Vertrauen in die Wirksamkeit des eigenen Handelns. Dies ist eine wichtige Vorausset-zung dafür, politisch aktiv zu werden, denn nur wer das Gefühl hat, durch sein eigenes Han-deln auch etwas verändern zu können und Einflussmöglichkeiten zu haben, wird sich auch engagieren.

Die Neigung, politisch aktiv zu werden, wird gefördert, wenn das Kind ermuntert wird, neue und eigene Ideen zu entwickeln, sich auszudrücken, wenn es mit kontroversem Material aus-gestattet wird und ohne Angst vor Sanktionen in seiner familiären Umwelt handeln kann.

Da es sich bei politischem Engagement in links-alternativen und systemkritischen Grup-pierungen immer auch um ein Engagement aus einer Minderheitenposition heraus handelt, mit dem man sich gegebenenfalls der Kritik oder Sanktionierung anderer aussetzt, können Selbstsicherheit sowie Autonomie im Denken und Handeln als Faktoren angesehen wer-den, die ein solches Handeln begünstigen. Denn es ist davon auszugehen, dass es Menschen

178 Buse, M./Nelles, W./ Oppermann, R. (1978): Determinanten politischer Partizipation. Theorieansatz und empirische Überprüfung am Beispiel der Stadtsanierung Andernach, Meisenheim am Glan, Seite 30

179 Singer, Kurt (1992): Zivilcourage wagen. Wie man lernt sich einzumischen. München, Seite 29

leichter fällt, sich Kritik auszusetzen, wenn deren Selbstbestätigung nicht ausschließlich von der positiven Bewertung anderer abhängig ist, sondern sie aus sich heraus von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Person in ihrer eigenen Meinung und Wertüberzeugung gefestigt ist, denn nur dies ermöglicht es ihr, statt sich der Meinung der Mehrheit anzupassen, entsprechend ihren eigenen Überzeugungen zu handeln. Im Hinblick auf Selbstsicherheit weist Kurt Singer180 zusätzlich darauf hin, dass durch den Erwerb von Sachkenntnis sowohl Selbstsicherheit erworben, als auch bereits vor-handene Selbstsicherheit gestärkt werden kann, ebenso wie durch die Gruppe der Gleichge-sinnten.

Darüber hinaus ist für politisches Engagement ein Bewusstsein über soziale Zusammen-hänge und die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Fra-gen von Bedeutung, beides Faktoren, die sowohl in der Schule als auch im Elternhaus gelernt werden können. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine Voraussetzung für politisches Engagement in links-alternativen und systemkritischen Gruppierungen, denn wie der Konflikt um Gorleben gezeigt hat, kann auch die eigene Betroffenheit zum Handeln führen, aus dem sich jedoch dann eine kritische Haltung entwickelt.

Neben Familie und Schule kann meines Erachtens aber auch die Peer group wichtige Grund-lagen für ein späteres politisches Engagement legen. Denn hier können Kenntnisse und Fer-tigkeiten, wie die Interessenwahrnehmung, Parteilichkeit, Konfliktverhalten, Interessensamm-lung und Methoden des Konfliktaustrags, sozusagen spielerisch erworben werden. Darüber hinaus erkennt das Kind innerhalb der Peer group, dass soziale Normen und Regeln Festle-gungen sind, denen man manchmal freiwillig zustimmt, die aber in Frage gestellt, manipuliert und verändert werden können.

Darüber hinaus bilden aber auch politische Gruppen selbst ein wichtiges Lernfeld, denn von konkreten Problemen ausgehend, können beispielhaft Einsichten und Kompetenzen erworben werden, die immer allgemeinere und komplexere Zusammenhänge erschließen. Darüber hin-aus tragen sie dazu bei, Politik als Möglichkeit aktiver Umweltgestaltung kennen zu lernen.

Sie erweitern die Kenntnis von strukturellen Ursachen und Zusammenhängen. Des Weiteren kann die politische Praxis zu mehr Handlungs- und Kommunikationssicherheit führen, aber auch zu einer kritischen Reflexion der eigenen politischen Praxis. So berichtet beispielsweise

180 Singer, Kurt (1992): Zivilcourage wagen. Wie man lernt sich einzumischen. München

ein Interviewpartner bei Hess/Linder181 von „Demonstrationen der autonomen Szene von An-fang der 80er Jahre, bei denen gegen die Einrichtung von Lagern vorgegangen wurde. Aus seiner heutigen Sicht zieht er aus dieser politischen Praxis die Erfahrung, dass zwar mit einer radikalen Haltung demonstriert worden sei, indem auch mal der Zaun eingerissen wurde, aber mit den Flüchtlingen habe sich ‚gar nichts so entwickelt an Beziehung’. Ein gemeinsames Vorgehen mit den von Rassismus Betroffenen habe es nur dann gegeben, wenn diese selbst Linke gewesen wären und sie Hungerstreiks, Demos oder ähnliches gemacht und somit ins eigene autonome Weltbild gepasst hätten. Von seinem heutigen Standpunkt aus wertet er die-se Praxis kritisch, indem er darin vor allem den persönlichen Kontakt und die Infragestellung eigener Identitäten vermisst.“182

Aber auch biographische Erfahrungen können sich positiv auf politisches Engagement aus-wirken. Beispielsweise die Auseinandersetzung mit Vorbildern oder Ereignissen, die zu einer Sensibilisierung gegenüber Ungerechtigkeiten führen, aber auch das Erlebnis, durch eigenes Handeln etwas bewirkt zu haben.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Forschung zur politischen Sozialisation und auf der Grundlage meiner Kritik gehe ich von folgenden Annahmen aus:

1. In der Familie werden wichtige Grundlagen für ein späteres politi-sches Engagement gelegt. Eine Erziehung hin zu Selbstbewusstsein, Eigenverantwortung, Entscheidungskompetenz und dem Gefühl durch eigenes Handeln etwas verändern zu können, ist zwar eine sehr förder-liche, aber keine notwendige Voraussetzung dafür, dass sich eine Per-son politisch engagiert.

2. Das Umfeld, in dem sich die Person zum Zeitpunkt der Politisierung aufhält, spielt eine wichtigere Rolle als die Sozialisation innerhalb der Familie.

181 Hess, Sabine/Linder, Andreas (1997): Antirassistische Identitäten in Bewegung. Eine biographische For-schung über Identitätskonstruktionen und Praxen in der spätmodernen Gesellschaft

182 Hess, Sabine/Linder, Andreas (1997): Antirassistische Identitäten in Bewegung. Eine biographische For-schung über Identitätskonstruktionen und Praxen in der spätmodernen Gesellschaft, Seite 87

3. Die eigentliche Sozialisation hin zu einer politisierten Person findet erst nach dem Eintritt in eine politische Gruppe bzw. in das politische Engagement statt.

4. Selbstsicherheit und Autonomie im Denken und Handeln fördern die Bereitschaft zu politischem Engagement.

5. Es wirkt sich förderlich auf politisches Engagement aus, wenn eine Person in ihrer Meinung und ihrer Wertüberzeugung gefestigt ist.

6. Es wirkt sich förderlich auf politisches Engagement aus, wenn die betreffende Person ein Wissen um eigene Fähigkeiten und Hand-lungsmöglichkeiten besitzt.

7. Die Erfahrung, durch eigenes Handeln etwas bewirken zu können, fördert die Bereitschaft, politisch aktiv zu werden.

8. Ein Bewusstsein über soziale Zusammenhänge und die kritische Aus-einandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Fragen fördert die Bereitschaft zu politischem Engagement.

Zentral ist, dass es sich bei den genannten Faktoren, die in der Sozialisation erworben werden können, lediglich um förderliche Faktoren handelt, die nicht notwendig als Voraussetzungen für politisches Engagement betrachtet werden können. Vielmehr können diese auch im Laufe des Engagements erworben werden.

3.2 Lern- und Veränderungsprozesse

Bei politischem Engagement handelt es sich immer auch um Lern- und Veränderungs-prozesse, was in der Literatur so bisher keine Berücksichtigung findet.

In diesem Zusammenhang gehe ich von folgenden Annahmen aus:

1. Die im vorherigen Abschnitt genannten Faktoren erleichtern den Einstieg in ein politisches Engagement.

2. Die im vorherigen Abschnitt genannten Eigenschaften und Fähigkeiten werden im Laufe des politischen Engagements erworben, so dass mit politischem Engagement immer auch ein persönlicher und intellektueller Lernprozess verbunden ist. Politi-sches Engagement ist mit einer persönlichen Bereicherung und einem persönlichen Wachstum verbunden.

3.3 Auslösender Moment

Als wichtige Voraussetzung und letztendlich Auslöser von politischer Partizipation wird in-nerhalb der Literatur Betroffenheit betrachtet. Hierbei kann es sich um direkte persönliche Betroffenheit handeln, aber auch um Betroffenheit, die entsteht, weil ein für die Person wich-tiger Wert verletzt wird. Buse et. al183 betonen, dass, damit Betroffenheit auch in tatsächliches Handeln umgesetzt wird, die Personen erkennen müssen, dass ein Konflikt besteht, wie er beschaffen ist, dass sie und in welchem Maße sie von ihm betroffen sind und welche Beteili-gungsmöglichkeiten bestehen.

Insgesamt findet meines Erachtens innerhalb der Forschung eine Überbetonung des Zu-sammenhangs zwischen Betroffenheit und dem ausreichenden Verständnis für allgemei-ne Funktionszusammenhänge des politischen Systems statt, indem immer wieder betont wird, dass Betroffenheit alleine nicht zu politischem Engagement führt. Wichtiger in diesem Zusammenhang scheint mir der Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Betrof-fenheit zu sein, denn von der Umweltverschmutzung sind objektiv alle Menschen betroffen, aber nur wenige fühlen sich auch wirklich betroffen. Wichtiger ist auch wann und wodurch Betroffenheit in Handeln umgesetzt wird.

Ich gehe in diesem Zusammenhang von zwei Annahmen aus:

1. Der Einstieg in das politische Engagement setzt kein besonderes Wissen voraus, sondern wird überwiegend „aus dem Bauch“ heraus vollzogen.

2. Betroffenheit bedarf eines auslösenden Momentes, um zum Handeln zu führen.

Dieser kann moralischer oder emotionaler Natur sein oder in sozialen Kontakten bestehen.

183 Buse, M./Nelles, W./ Oppermann, R. (1978): Determinanten politischer Partizipation. Theorieansatz und empirische Überprüfung am Beispiel der Stadtsanierung Andernach, Meisenheim am Glan

Ebenfalls als förderlich, kann die Nähe zum Problem und die Eindeutigkeit der Situation betrachtet werden. In Anlehnung an Morton Hunt184, der von bystander-Studien berichtet, nach denen die Eindeutigkeit beziehungsweise Uneindeutigkeit einer Situation Einfluss auf die Bereitschaft zu Hilfeleistungen hat, ist davon auszugehen, dass sich auch situationsspezi-fische Faktoren auf politisches Engagement auswirken. Somit könnte man davon auszuge-hen, dass die Bereitschaft, sich für oder gegen etwas zu engagieren, steigt, je deutlicher der betreffende Missstand wird. Des Weiteren weist Hunt darauf hin, dass die Bereitschaft zu Hil-feleistungen steigt, wenn das Opfer als zur Eigengruppe gehörig identifiziert wird. Übertragen auf den Bereich des politischen Engagements ist demnach davon auszugehen, dass die Nähe zum eigenen Lebensbereich eine Rolle spielt. So führt räumliche Nähe beispielsweise oft dazu, dass Menschen überhaupt auf ein Problem oder einen Missstand aufmerksam werden.

Annahmen:

1. Die Eindeutigkeit eines Missstandes fördert politisches Engagement.

2. Die räumliche oder persönliche Nähe zu einem Missstand fördert politisches Engage-ment.

3.4 Sachkenntnis

Während also für den Einstieg in das Engagement oder für eine einmalige, spontane Teilnah-me an einer Aktion im Grunde die eigene Empörung ausreicht, komTeilnah-men Wissen bzw. Sach-kenntnisse bei dauerhaftem Engagement eine andere Bedeutung zu. Denn nur Sachkenntnis ermöglicht eine fundierte Argumentation und befähigt so unter anderem dazu, gegebenenfalls den Gegner, aber auch unschlüssige BürgerInnen von der eigenen Position zu überzeugen.

Zudem ermöglicht sie das Aufzeigen möglicher und realistischer Alternativen und fördert das eigene Selbstbewusstsein, indem sie zu mehr Sicherheit im Umgang mit Argumenten beiträgt und so die Gefahr einer emotionalen und damit häufig unsachlichen Reaktion in der Ausei-nandersetzung mit dem politischen Kontrahenten vermindert.

184 Hunt, Morton (1992): Das Rätsel der Nächstenliebe: der Mensch zwischen Egoismus und Altruismus. Frank-furt

Sachkenntnis ist jedoch nicht nur hinsichtlich der von der Gruppe bearbeiteten Problematik von Bedeutung, sondern politisches Engagement erfordert auch ein Wissen über das politi-sche System in dem sie stattfindet sowie um die eigene Position innerhalb dieses Systems.

„Ist das nicht der Fall, dann ist es einem unter Umständen nicht bewusst, dass man einen al-lergischen Punkt des Systems trifft. Man ist erstaunt über die Gegenreaktion und fühlt sich unschuldig und harmlos, da man doch nichts Böses wollte und nun trotzdem zum Objekt von harter Aggression geworden ist.“185

In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu wissen, welche Methode des Protestes in der gegebenen Situation angemessen ist in dem Sinne, dass sie dem Gegner die Möglichkeit zur Veränderung lässt.

Wobei ich von drei Annahmen ausgehe:

1. Die engagierten Personen hatten zu Beginn ihres Engagements nur oberflächliches Wissen auf dem jeweiligen Themengebiet.

2. Es gibt ein analytisch-theoretisches und ein strategisch-praktisches Wissen. Ein gewisses Maß an strategisch-praktischem Wissen ist eine Voraussetzung für den Beginn des Engagements, denn die betreffende Person muss zumindest wissen, wo sich eine Gruppe trifft oder wann eine Demonstration ist, d.h. welche Möglichkeiten des Engagements gegeben sind.

3. Weitere Sachkenntnis wird im Verlauf des Engagements erworben.

3.5 Motive und subjektive Begründungen des Handelns

Wie bereits mehrfach angeklungen, besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Wert-prioritäten einer Person und politischem Engagement. In der Literatur wird immer wieder hervorgehoben, dass sich in links-alternativen Gruppierungen vor allem Menschen engagie-ren, die so genannte postmaterialistische Werte vertreten. Wobei hier die Zuordnung zu Ma-terialisten und PostmaMa-terialisten meines Erachtens zweitrangig ist. Wichtiger erscheint mir in

185 Bauriedl, Thea (1988):Das Leben riskieren. Psychoanalytische Perspektiven des Politischen Widerstands.

München, Zürich: Piper. Seite 13

diesem Zusammenhang das Maß, in dem Werte in das Selbstkonzept einer Person integ-riert sind, beziehungsweise einen wichtigen Bestandteil des Selbstkonzeptes bilden.

Annahmen:

1. Je mehr eine Person einen Wert internalisiert hat, desto eher wird sie sich gegen die Verletzung dieses Wertes zur Wehr setzen, da ein Nicht-handeln für sie einen inneren Konflikt und damit verbunden ein schlechtes Gewissen zur Folge hat, beziehungsweise das Handeln zu einem guten Gewissen führt.

2. Politisches Handeln ermöglicht die Aufrechterhaltung der eigenen In-tegrität.

3. Dieses schlechte bzw. gute Gewissen ist eine Erklärung dafür, warum sich Menschen über viele Jahre hinweg politisch engagieren.

4. Auch rein materialistische Werte können zu politischem Engagement führe; diese werden jedoch im Verlauf des Engagements, durch zuneh-mende Kenntnisse der Zusammenhänge, durch postmaterialistische Werte in den Hintergrund gedrängt.

So haben beispielsweise im Rahmen meiner Magisterarbeit verschiedene InterviewpartnerIn-nen darauf hingewiesen, dass sie erst durch den drohenden Wertverlust ihres Eigentums auf die Problematik des Atommüllstandortes Gorleben aufmerksam geworden sind und ihnen erst durch die Teilnahme an Aktionen und die nähere Beschäftigung mit der Problematik deutlich geworden ist, welche Gefahren von der Atomenergie ausgehen und auf welche Art und Weise der Staat versucht sein Atomprogramm zu verwirklichen.

Neben der Aufrechterhaltung der eigenen Integrität gibt es jedoch auch noch andere Motive für politisches Engagement. Insbesondere die von A. Hereth186 interviewten Personen beto-nen, dass sie ihr politisches Engagement als persönliche Aufgabe betrachten. Dies begründen sie damit, eine Forderung an sich selbst erfüllen zu müssen bzw. einen Entschluss in die Tat umsetzen zu müssen. Darüber hinaus erwähnen sie, dass das politische Handeln dem Leben

186 Hereth, A. (1995): Parameter politischer Partizipation in Gruppen der neuen sozialen Bewegungen. Eine differentialpsychologische Studie auf handlungstheoretischer Basis, Frankfurt a.M.

einen Sinn gibt oder aber aus einer Trotzdem-Haltung heraus ausgeführt wird sowie, dass die politische Handlung als Kennzeichen der eigenen Persönlichkeit angesehen wird.

Zudem ermöglicht das gemeinsame Handeln mit Gleichgesinnten dem Einzelnen Identifika-tionsmöglichkeiten und soziale Kontakte, die über den Familien- und Freundeskreis hinaus-gehen bzw. diesen erweitern.

Insgesamt wird die Frage nach den Motiven politischen Engagements innerhalb der Partizipa-tionsforschung jedoch eher vernachlässigt, so dass sich hier ein Blick auf neuere Untersu-chungen zum bürgerschaftlichen Engagement lohnt. In diesem Bereich herrscht eine Dis-kussion über den Wandel von Engagement und Partizipation, die sich im wesentlichen um zwei Aspekte dreht: Zum einen um den Rückgang der Partizipation in den klassischen Orga-nisationen sozialer und politischer Teilhabe wie beispielsweise Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Parteien und zum anderen die starke Zunahme kleiner,

Insgesamt wird die Frage nach den Motiven politischen Engagements innerhalb der Partizipa-tionsforschung jedoch eher vernachlässigt, so dass sich hier ein Blick auf neuere Untersu-chungen zum bürgerschaftlichen Engagement lohnt. In diesem Bereich herrscht eine Dis-kussion über den Wandel von Engagement und Partizipation, die sich im wesentlichen um zwei Aspekte dreht: Zum einen um den Rückgang der Partizipation in den klassischen Orga-nisationen sozialer und politischer Teilhabe wie beispielsweise Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Parteien und zum anderen die starke Zunahme kleiner,