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2.2. Die Kaliumhomöostase beim Wiederkäuer 1. Einführung

2.2.5. Physiologische Einflussfaktoren auf den Kaliummetabolismus 1. Stress

Stress führt beim Rind – wie bei anderen Tieren auch – zur Freisetzung von Stresshormonen, v.a. Glukokortikoiden und Katecholaminen aus der Nebenniere. Die blutkaliumsenkende Wir-kung der Katecholamine wurde bereits beschrieben (Kapitel 2.2.3.2). Parker et al. (2003) be-schreiben eine signifikant niedrigere Kaliumkonzentration im Plasma von Fleischrindern, die Transportstress ausgesetzt waren, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Nach Simulation ei-ner Stresssituation mittels Cortisol-Infusion beobachten Parker et al. (2004) ebenfalls ein sig-nifikantes Absinken des Blutkaliumspiegels. Umgestallte Kälber zeigten nach Transport und Viehmarkt eine bessere Leistung, wenn der Kaliumgehalt des nach dem Transport über zwei Wochen verabreichten Futters erhöht wurde. Die Autoren berechneten einen um 20 % höheren Kaliumbedarf bei umgestalten Kälbern gegenüber nicht-transportierten Kälbern (Hutcheson et al. 1984). Bei einem Kaliumgehalt von 1,3 % im Futter war die Mortalität von Kälbern nach der Umstallung signifikant niedriger als bei einem Kaliumgehalt von 0,8 % (Cole und Hutcheson 1990). Andererseits beschreibt Gartner (1965) einen initialen Anstieg des Blutka-liumspiegels von Fleischrindern bei Aufregung durch Manipulationen bei der Blutentnahme.

Bei Milchkühen führt Stress zu einem Absinken der Milchleistung (King 1976, Rigama et al.

2010, Jacobs und Siegford 2012). Das könnte auf eine Aktivierung des Plasmin-Plasminogen-Systems im Euter einhergehen. Die gesteigerte Plasmin-Aktivität erhöht die Konzentration bestimmter Abbauprodukte von Kasein. Diese blockieren Kaliumkanäle in den apikalen Membranen von Drüsenepithelzellen im Euter und reduzieren dadurch sekundär die Milch-produk-tion (Silanikove et al. 2000).

2.2.5.2. Körperliche Aktivität

Jede Muskelkontraktion führt zu Freisetzung geringer Mengen Kalium aus den beteiligten Muskelzellen. Bei körperlicher Anstrengung entsteht daher eine transiente Hyperkaliämie (Brobst 1986, Kuhlmann et al. 1985, Veeneklaas et al. 2004, Davidson und Beede 2009).

Trockenstehende Milchkühe zeigten im Rahmen eines Belastungstests einen Anstieg des Blutkaliumspiegels um ca. 25 %, der nach der Belastung wieder auf das Ausgangsniveau sank (Davidson und Beede 2009). Der Kaliumstrom in die Zelle steigt bei Bewegung an (Jin et al.

2011). Dieser Rücktransport des Kaliums in die Skelettmuskelzellen geht wahrscheinlich auf eine Steigerung der Na/K-ATPase-Aktivität nach Ausschüttung von Katecholaminen zurück (Rosa et al. 1980, Williams et al. 1985, Mahoney et al. 2005, Benziane et al. 2012). Daneben könnte auch Laktat die Kaliumaufnahme in die Leberzellen von Ratten, aber nicht in deren Muskelzellen, anregen; der Mechanismus ist wahrscheinlich insulinabhängig (Cheema-Dhadli et al. 2012). Die Autoren sehen eine signifikante Reduktion des Plasmakaliumspiegels nach Anheben des Plasmalaktatspiegels, während der Insulinspiegel ebenfalls anstieg. Sie vermuten, dass eine postprandiale Hyperkaliämie verhindert werden könnte, indem die Enterozyten nach der Fütterung verstärkt Laktat produzieren und ins Portalvenensystem freisetzen. (Cheema-Dhadli et al. 2012) .

Aus den Muskelzellen bei Bewegung freigesetztes Kalium verstärkt die Vasodilatation der Arteriolen und fördert so lokal die Durchblutung der betreffenden Gliedmaßen (Brobst 1986, Wilson et al. 1994, Jin et al. 2011).

Auch der Säure-Basen-Haushalt veränderte sich bei Kühen unter moderater Belastung.

Gleichzeitig mit dem Anstieg des Blutkaliumspiegels führte die Bewegung zu einer ggr.

Azidose sowie zu einem deutlichen Absinken des Kohlendioxidpartialdrucks (pCO2) und der Bikarbonatkonzentration im Blut. Diese Parameter kehrten nach Ende der Belastung schnell wieder auf ihre Ausgangswerte zurück, während gleichzeitig auch der Blutkaliumspiegel wieder sank (Davidson und Beede 2009).

Sowohl die durch Belastungstests ausgelöste Hyperkaliämie als auch die Störungen im Säure-Basen-Haushalt verringerten sich innerhalb von 60 Tagen bei gleichmäßigem Training signifikant. Die Blutkaliumkonzentration der trainierten Tiere lag schon nach 30 Tagen Training unter derjenigen von nicht trainierten Tieren. Auch die Laktatfreisetzung im Belas-tungstest sank bei den trainierten Tieren signifikant (Davidson und Beede 2009). Bei

afrikanischen Zugrindern (Kühe und Bullen) steigerten bereits kurze Trainingseinheiten über 8-15 Tage die Expression der Na/K-ATPase in der Skelettmuskulatur und reduzierten tenden-ziell die Kaliumfreisetzung aus der Muskulatur während der Arbeit (Veeneklaas et al. 2004).

Die interstitielle Kaliumkonzentration im Muskel gilt inzwischen als besserer Hinweis für die Ermüdungsgrenze als die Laktatkonzentration (Spurway 1992, Overgaard et al. 1999).

Ein ähnlicher Trainingseffekt wie bei Rindern wird auch beim Menschen und anderen Säuge-tieren beobachtet: Die Aktivität der Na/K-ATPase in der Skelettmuskulatur von Ratten und Menschen steigt durch Bewegung an (Overgaard et al. 1999, Mohr et al. 2007, Rasmussen et al. 2008, Bangsbo et al. 2009). Training reduziert zudem die Laktatfreisetzung, die Noradrenalinkonzentration, den Glykogenabbau und die anaerobe ATP-Produktionsrate in der Muskulatur, was auf eine Steigerung des aeroben Stoffwechsels gegenüber anaeroben Prozessen hinweist (Spurway 1992, Harmer et al. 2000).

2.2.5.3. Erhöhte Außentemperaturen

Rinder reagieren relativ unempfindlich auf niedrige Temperaturen, sind aber sehr anfällig für Hitzestress (Attebery und Johnson 1969, Carroll et al. 2012). Die Indifferenztemperatur von Milchkühen ist von der Rasse (Pereira et al. 2008, Scharf et al. 2010), vor allem aber von der Milchleistung abhängig. Hochleistende Milchkühe produzieren aufgrund ihrer hohen metabolischen Aktivität sehr viel Wärme und reagieren daher besonders empfindlich auf hohe Außentemperaturen (Berman und Meltzer 1973, West 1994). Bei trockenstehenden Kühen liegt die thermoneutrale Zone in etwa zwischen 15°C und 24°C (Berman und Meltzer 1973).

Bei laktierenden Kühe verschiebt sich dieser Temperaturbereich deutlich nach unten (um ca.

4°C pro 10 kg Fett-korrigierte Mich; Berman und Meltzer 1973). Deshalb kann es auch in gemäßigten Breiten im Sommer zeitweise zu leichteren Leistungseinbußen kommen (Igono et al. 1985). Deutlich gravierender ist das Problem natürlich in subtropischen und tropischen Regionen (Collier et al. 1982, Mallonée et al. 1985, Hammond et al. 1996, Silanikove et al.

1997, Banerjee und Ashutosh 2011).

Rinder zeigen bei Hitzestress eine reduzierte Futteraufnahme (um ca. 10-15 %; Schneider et al. 1984, Sanchez et al. 1994, Pereira et al. 2008) sowie einen Rückgang der Milchleistung (Schneider et al. 1984, Igono et al. 1985, Sanchez et al. 1994, Silanikove et al. 1997, Itoh et al. 1998, Mader et al. 2010). Es konnte gezeigt werden, dass der negative Einfluss der Hitze

auf die Milchleistung durch Zufüttern von Kaliumsalzen gemildert werden kann (Schneider et al. 1984). Schneider et al. (1984) und Schneider et al. (1986) sehen einen positiven Effekt bei einem Kaliumgehalt von 1,5 % bzw. 1,8 % im Futter gegenüber 1 % bzw. 1,3 %. Unter Hitzestressbedingungen scheint ein lineares Verhältnis zwischen der Kaliumretention (und auch der Chloridretention) im Körper und der Milchleistung zu bestehen (Mallonée et al.

1985, Silanikove et al. 1997). Silanikove et al. (1997) sehen die Kalium- und Chloridaufnahme mit dem Futter unter diesen Bedingungen daher als limitierende Faktoren für die Milchproduktion an.

Die möglichen Ursachen für den hohen Kaliumbedarf bei Hitze sind vielfältig. Rinder verlieren im Vergleich mit anderen Tieren relativ viel Kalium über den Schweiß (El-Nouty et al. 1980, Collier et al. 1982, Scharf et al. 2010). Störungen des Säure-Basen-Haushalts könnten eine Rolle spielen. Die Atemfrequenz von Rindern steigt unter thermischer Belastung stark an (Sanchez et al. 1994, Pereira et al. 2008, Scharf et al. 2010), was zu einem reduzierten Kohlendioxidpartialdruck sowie im Extremfall zu erhöhten Blut-pH-Werten und damit zu einer respiratorischen Alkalose führen kann (Schneider et al. 1986, Sanchez et al.

1994, Goff und Horst 2003). Diese hat wiederum eine verstärkte Kaliumaufnahme in die Zellen zur Folge. So erklärt sich auch, warum eine Kaliumsubstitution in Form von Kaliumbikarbonat keinen positiven Effekt auf Hitzetoleranz, Futteraufnahme oder Leistung von Milchkühen (Schneider et al. 1984) oder Fleischrindern (Mader et al. 2010) hatte.

Zudem könnte ein Kaliumverlust durch die reduzierte Futteraufnahme oder eine mangelnde Resorption im Magen-Darm-Trakt entstehen (Schneider et al. 1986). Hitzestress kann die Pansen- und Darmmotorik herabsetzen (Attebery und Johnson 1969) sowie die Durchblutung der Portalvene um 50 % verringern (Sanchez et al. 1994). Außerdem wurden bei moderat hitzegestressten Rindern erhöhte Blutinsulinwerte (gepaart mit tendenziell geringeren Glukosewerten) gemessen (Itoh et al. 1998). Insulin fördert die Kaliumaufnahme in die Zellen (Zierler und Rabinowitz 1964, De Fronzo et al. 1978, Brobst 1986, Cohen et al. 1991, McDonough et al. 2002, Chen et al. 2006, Nguyen 2011).

Die Kaliumkonzentration im Urin ist bei Hitzestress oft reduziert (El-Nouty et al. 1980, Collier et al. 1982, Shebaita und Pfau 1983). Dies wird wahrscheinlich über eine reduzierte Aldosteronausschüttung in Folge der Kaliummangelsituation vermittelt (Collier et al. 1982).

Im Unterschied zu anderen Tierarten wird der Harn bei Rindern unter Hitzebelastung in der

Niere allerdings nicht notwendigerweise stärker konzentriert (El-Nouty et al. 1980). Die Wasseraufnahme steigt bei Hitze stark an und ein Teil des zusätzlichen Wassers wird über die Nieren ausgeschieden (El-Nouty et al. 1980: 22 %). Damit steigt die absolute Urinmenge deutlich an (El-Nouty et al. 1980) und es könnten trotz der geringen Aldosteronwirkung vergleichsweise große Mengen Kalium über den Harn verloren gehen.

Darüber hinaus sind erhöhte Werte für die Schilddrüsenhormone (Collier et al. 1982) und für Prolaktin (Collier et al. 1982, Farooq et al. 2010, Scharf et al. 2010) beschrieben. Prolaktin könnte einen Einfluss auf den Kaliumhaushalt haben (Farooq et al. 2010); bei der Ratte steigert es möglicherweise die Kaliumsekretion im distalen Colon (Deachapunya et al. 2012).

Im Pansen führt Hitzestress zu einem Absinken des pH (Collier et al. 1982, Schneider et al.

1986). Hierzu könnte sowohl die reduzierte Rohfaseraufnahme und Wiederkauaktivität (Attebery und Johnson 1969) als auch eventuell eine durch die verstärkte Abatmung von CO2

reduzierte Pufferkapazität des Blutes beitragen (Schneider et al. 1986). Der niedrige Pansen-pH könnte die Kaliumresorption beeinträchtigen und so die Kaliummangelsituation verschärfen. Hinzu kommt, dass im Pansen unter Hitzebelastung erniedrigte Kalium- und Natriumkonzentrationen gemessen werden (Collier et al. 1982).

Der Blutkaliumspiegel ist unter Hitzebedingungen besonders tagsüber teilweise signifikant erniedrigt (Banerjee und Ashutosh 2011). Dieser Effekt wird auch bei anderen Säugetieren beobachtet und wird durch körperliche Anstrengung verschärft. Im Zusammenhang mit hohen Außentemperaturen konnte starke Muskelaktivität bei Hunden sogar zu klinisch relevanter Hypokaliämie mit Rhabdomyolyse führen (Knochel und Schlein 1972). Abweichend wird bei Rindern unter Hitzestressbedingungen teilweise auch ein Anstieg der Blutkaliumkonzen-tration beobachtet (Shebaita und Pfau 1983, Kume et al. 1998). Möglicherweise maskiert die respiratorische Alkalose eine gleichzeitig vorliegende metabolische Azidose. Beide Störungen des Säure-Basen-Haushalts hätten dann konkurrierenden Einfluss auf den Elektrolythaushalt und besonders auch auf den Kaliumbedarf der betroffenen Tiere (Sanchez et al. 1994).