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123 DIE DREI PHILOSOPHEN

Im Dokument Band 3: Von Giorgione zum frühen Tizian (Seite 124-128)

ramente: „sanguino, flemmatico, colerico“ auf den Punkt gebracht, wobei sich

„cholerisch“ eben auf den Alten bezieht.431 Er präsentiert eine helle Steintafel, die einen Viertelmond und ein radförmiges, mit dreieckigen Zacken und einigen Zahlen versehenes Instrument zeigt, ein Nocturlabium, mit dem es möglich war, bei Nacht die geografische Breite auf der Basis des Polarsterns und anderer Sterne über dem Horizont zu bestimmen; zudem hält er in seiner linken Hand einen Zir-kel.432

Der verständliche Wunsch, die drei Philosophen namentlich zu benennen, hat einen veritablen, nunmehr schon über ein Jahrhundert andauernden Wettstreit um des Rätsels Lösung entfacht. Erwähnt seien hier nur ein paar Beispiele, etwa Wischnitzer-Bernsteins Versuch, die Personen mit Aristoteles, Ptolemaios und Re-giomontanus zu identifizieren, oder De Tolnay, der sie als Abraham, Zarathustra und Kopernikus deutete.433 Und erst jüngst wurde Zeleny das Verdienst zuerkannt, den „Giorgione-Code geknackt“ zu haben. Indessen wurde die These der Autorin, den mittleren Philosophen mit Pherekydes und den rechten mit Thales, den Leh-rern des Pythagoras, zu identifizieren, von Moser umgehend und gewissenhaft ge-prüft zurückgewiesen.434 Einen höheren Grad an Wahrscheinlichkeit hat m. E. jene These, die im Alten anstatt Aristoteles (wie bisweilen behauptet wird) – aufgrund des ursprünglichen Strahlendiadems und der auf die Gesetzestafel anspielenden Steinplatte – eine Inkarnation Moses‘, im Orientalen Averroes und im Jüngling, wie schon erwähnt, einen Vertreter der „neuen Naturwissenschaft“ sieht.435 In seiner Kritik an Zeleny betont Moser, dass die Eingrenzung auf griechische Philoso-phen willkürlich ist. […] Denn wenn eine der abgebildeten Figuren abendländisch gewandet, die zweite in orientalischer Tracht und die dritte als Jude dargestellt wird, ist es dann nicht viel glaubhafter, dass es sich tatsächlich um Angehörige dreier verschiedener Kulturkreise handelt […]?“436 Dies impliziert zugleich eine Warnung vor konkreten Namensnennungen, zumal bei Giorgione „immer mit be-absichtigter Mehrdeutigkeit zu rechnen ist“, der Maler folglich „mehrere Quellen auf schöpferische Weise zu einer ganz eigenständigen Komposition amalgamiert hat“.437

Einen universaleren Standpunkt vertritt Borchhardt-Birbaumer, die – implizit da-von ausgehend, dass es sich beim Alten um Moses handelt – in den Philosophen, Astrologen, Magiern Repräsentanten der drei monotheistischen Religionen sieht.

Der Autorin zufolge „muss der Jude als Vertreter der ältesten [der drei Religionen]

den Dialog beginnen; das Herausziehen der Tafel aus dem Gewand, somit Geste und Mundstellung, verraten dies im Bild. Die Trennung des Christen von den bei-den älteren Philosophen beinhaltet – schon durch das Sitzmotiv (nach dem antiken Audienzschema) – hierarchisch die vornehmere Rolle“.438 Als Beleg dafür wird auf Ramon Lulls Toleranzschrift Das Buch vom Heiden und den drei Weisen (entstan-den 1274–1276) verwiesen, mit der zentralen Textstelle: „Währenddessen geschah es, dass drei Weise sich vor den Toren einer berühmten Stadt trafen. Einer von die-sen Weidie-sen war Jude, der andere Christ, der dritte Sarazene […]. Sie beschlosdie-sen einen geeigneten Ort aufzusuchen, an dem sie ihren Geist erfrischen könnten. Auf dem Weg dorthin erzählte jeder der Weisen von seinem Glauben und der

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MYTHOS UND RÄTSEL schaft, die er seine Schüler lehrte […]. An einem sanften Hain machten sie Halt, dort, wo eine Quelle fünf Bäume bewässerte […].“439 Dass sich diese fünf Bäume in Giorgiones Gemälde wiederfinden, beruht gewiss nicht auf einem Zufall. Nicht zuletzt mit dem Verweis auf Lulls Postulat nach Toleranz zwischen den Religionen ist es der Verfasserin m. E. geglückt, die vielleicht wichtigste Bedeutungsschicht im Philosophenbild ans Licht zu bringen. Gut vorstellbar, dass dieser versöhnliche Aspekt in Venedig beifällig zur Kenntnis genommen wurde, zumal die Republik als nach allen Seiten offen stehende Handelsmetropole in der Gewährung von Religionsfreiheit eine conditio sine qua non für ihren merkantilen Erfolg sah und dies nicht selten in Opposition zum Heiligen Stuhl in Rom, der Bestrebungen der Serenissima, auch in kirchlichen Angelegenheiten ein gewisses Maß an Unabhän-gigkeit zu wahren, stets mit Argwohn verfolgte.

Mit Ferriguto, der die drei Weisen als Personifikationen der scholastisch-aris-totelischen Philosophie, des arabisierenden Averroismus und der neuen humanis-tischen Philosophie identifizierte, begann eine Reihe „philosophischer“ Deutun-gen.440 Zum Teil im Gegensatz zum empirischen, strikt zwischen Theologie und logischer Beweisführung der Naturwissenschaften unterscheidenden Neono-minalismus, wie er an der Universität zu Padua gelehrt wurde, nahm der Neo-platonismus in Venedig (mit Aurelio Augurelli, Bernardo Trevisani u. a.), die Kluft zwischen religiöser Offenbarung und Naturphilosophie schließend, geradezu eine Schlüsselposition ein. Mit seinem Verweis auf Pico della Mirandolas „Conclusio-nes“ zu den Chaldäischen Orakelsprüchen lieferte Edgar Wind einen Beleg für die Einflussnahme der Neuplatoniker auf die Ikonografie der Drei Philosophen.441 Winds Ansatz ausweitend untersucht Pochat Giorgiones Gemälde „im Lichte der zeitgenössischen Naturphilosophie“. Danach spiegelt „das Gemälde mit den Drei Philosophen eine kulturhistorische Situation, in der das Verhältnis des Menschen zur Natur zum Ausdruck gebracht wird“, kurz: „eine neue Produktion von Wirk-lichkeit“. Die entscheidenden Anhaltspunkte findet der Autor u. a. bei Ficino, der sich in seinem Traktat „De vita coelitus comparanda“, unter Berufung auf Plotins

„Enneaden“ für die astrale Magie einsetzt. Demzufolge „teile sich das göttliche Wesen den kleineren Einheiten in der Natur mit, die als Spiegel das Ganze wiede-rum reflektierten“. Zudem habe Ficino „in seinen synkretistischen Bemühungen versucht, die gute natürliche Magie und die okkulten Fähigkeiten des Menschen mit der Religion in Einklang zu bringen“. Abschließend sei auf Ficinos Traktat „De Sole“ verwiesen, dessen Gedankengänge – implizit auch von Pochat gemeint – sich auch in den Drei Philosophen wiederfinden. Ficino spricht hier vom „Trinken des Geistes der Sonne“ und „vom Menschen als einem Weisen, einem Magus, der eine halbgöttliche Rolle im Gebrauch der Bilder spiele. Der Magus sei imstande, in die Sympathien, die alle Dinge zusammenhalten, einzugehen“.442

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ie Vasari in der zweiten Ausgabe seiner Vite berichtet, verlieh Giorgione – „ungefähr“ vom Jahr 1507 an („venuto poi l’anno circa 1507“) – sei-nen Werken mehr Weichheit („più morbidezza“) und größeres Relief („maggiore rilievo con bella maniera“), was implizit bedeutet, dass die Farben stärker mitei-nander verschmelzen und zugleich ein gesteigertes Maß an raumgreifender Kör-perplastizität zutage tritt. Dem Aretiner blieb offenbar nicht verborgen, dass sich zu diesem Zeitpunkt bei Giorgione eine neue Stilstufe anbahnte, welche die letzte Schaffensperiode eines allzu kurz bemessenen Künstlerlebens umfasst. Den Auf-takt dazu bildet der Auftrag zur Fassadenfreskierung des Fondaco dei Tedeschi, des Zentrums der deutschen Handelsgesellschaft in Venedig.

In der Nacht von 27. auf 28. Januar 1505 war das Kaufhaus der Deutschen einer verheerenden Brandkatastrophe zum Opfer gefallen. Angesichts der ebenso politisch wie ökonomisch überragenden Stellung der Einrichtung beschloss der Senat mit der Ausschreibung eines Architektenwettbewerbs (10. Juni 1505) und unter Einsatz erheblicher Staatsgelder den unverzüglichen Neubau des Gebäudes.

Schon am 16. Mai 1507 konnte mit der Errichtung der Dachkonstruktion begon-nen werden, zu einem Zeitpunkt, als Giorgione vermutlich bereits mit der Erstel-lung eines Freskenkonzepts für die Außenfassaden und den Innenhof beschäftigt war. Die Berufung Giorgiones lag auf der Hand, zumal sich der Künstler laut Vasari schon zuvor an insgesamt sieben Palastfassaden als Freskomaler ausgezeichnet hatte. 1507/08 dokumentiert, erhielt er mit der Produktion eines seit dem Brand von 1577 verschollenen Gemäldes für den Audienzsaal des Consiglio dei Dieci im Dogenpalast seinen ersten Staatsauftrag, woraus man folgern könnte, dass er auch anlässlich der Auftragvergabe für den Fondaco vom Dogen Leonardo Lo-redan protegiert wurde.443 Giovanni Milesio zufolge, dem Archivar des Fondaco im 18. Jahrhundert, erstreckte sich das Gros der Arbeiten auf das Frühjahr und den Sommer 1508, die einzigen Jahreszeiten, die der Fassaden-Freskotechnik die nötige Trockenheit sicherten.444 Dass Giorgione hier aufgrund des enormen Pro-jektumfangs nicht allein am Werk war, vielmehr sich der Hilfe etlicher Mitarbeiter bediente, gilt als unbestritten. Dolce war der Erste, der 1557 auf Tizian als den wichtigsten Assistenten Giorgiones hingewiesen hat. Danach habe man diesem im Alter von kaum 20 Jahren den Auftrag erteilt, die Südfassade (Merceria-Seite) des Fondaco zu freskieren.445 In Vasaris erster Viten-Ausgabe (1550) wird Tizian indes mit keinem Wort erwähnt. Erst in deren zweiter Fassung (1568) ist von einer Mitarbeit des jugendlichen Malers die Rede, für einen nicht unerheblichen Teil der älteren Forschung Grund genug, Tizian lediglich die Rolle eines Gehilfen zuzubil-ligen und Giorgione für das gesamte Freskokonzept verantwortlich zu machen.

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DAS SPÄTWERK Erst in der jüngeren Forschung wird Tizians eigenschöpferischer Anteil am Fres-kenprogramm anerkannt. Eine Ausnahme bildet hier Eller, der eine eigenständige Mitwirkung Tizians gänzlich in Abrede stellt.446 Die Arbeiten Giorgiones endeten vor dem 11. Dezember 1508, als eine von Giovanni Bellini nominierte Kommission von drei Malern (darunter vor allem Carpaccio) zwecks Schlichtung eines Honorar-streits mit den Proveditori al Sal den Wert der von Giorgione erbrachten Leistun-gen an der Westfassade des Fondaco bestimmen sollte. Der von der Kommission vorgeschlagene Betrag von 150 Dukaten wurde von der Behörde ohne Einspruch des Künstlers auf 130 Dukaten vermindert. Diese empfindliche Honorarreduktion hatte mit Sicherheit fiskalische Gründe, zumal ein Konflikt mit der einen Tag vor der Kommissionseinberufung gegründeten Liga von Cambrai bereits absehbar war und die Republik zu einer entsprechend restriktiven Neuordnung ihres Finanzhaus-halts zwang. Bezüglich Tizians Honorar schweigen die Quellen. Gut möglich, dass Tizian mit der Realisierung seines Freskoanteils länger beschäftigt war – laut Rossi bis zum März 1509. Ein Argument dafür wäre die Überlegung, dass ihm Gior-gione, der gewiss mit der Gesamtleitung des Projekts betraut war, erst nach und nach künstlerische Autonomie zugestanden hat.

Milesio zufolge freskierte Giorgione die Westfassade zum Canal Grande, die Nordfassade und den Innenhof, wogegen Tizian die Ausgestaltung der Südfassade entlang der Merceria und der Ostfassade oblag.447 Die für die Fassaden-Freskoma-lerei äußerst ungünstigen klimatischen Bedingungen in Venedig waren Ursache dafür, dass von den Fondaco-Fresken heute nichts mehr in situ zu sehen ist. Erhal-ten geblieben sind lediglich vier Fragmente: von der Westfassade ein Stehender Frauenakt (die sogenannte Nuda; abgenommen 1937 und in die Accademia trans-feriert) sowie der schon im 19. Jahrhundert abgelöste Putto alato (Privatbesitz) und von der Südfassade die Judith, Teile eines monochrom gemalten Frieses (beide 1967 abgelöst und in der Ca’d’Oro aufbewahrt) sowie ein Compagno della Calza (Depot der Soprintendenza Speciale).448 Schon im 18. Jahrhundert war der Ver-fallsprozess so weit fortgeschritten, dass Zanetti nur noch sechs Figurendarstellun-gen – die damals noch sichtbaren Freskenreste – mittels Stichen kopieren konnte.

Diese 1760 veröffentlichten Stiche bilden bis heute für die Kritik eine wichtige Grundlage zur Erkenntnis des giorgionischen Figurenstils.449 Zanettis Stiche glie-dern sich in zwei Gruppen. Die erste umfasst drei von Giorgione stammende Dar-stellungen aus der zum Canal Grande weisenden Fassade: einen stehenden und einen sitzenden Frauenakt sowie einen sitzenden (oder an einem Pfeiler lehnen-den?) Männerakt, die zweite besteht aus zwei fragmentierten Frauengestalten, der Judith und einem Compagno della Calza, Figuren, die – an der Südfassade situiert – vom Stecher als Werke Tizians angesprochen werden. Der um 1640 von Hendrik van der Borcht gefertigte Kupferstich der Pax gibt ein weiteres Detail aus Giorgiones Freskenprogramm der Westseite wieder. Weshalb diese über einen to-ten Krieger triumphierende Frauengestalt nicht in Zanettis Stichserie aufscheint, bleibt offen. Entweder hatte sie sich nach etwa 120 Jahren vom Putzgrund gelöst, war also nicht mehr erkenntlich, oder Zanetti verzichtete insofern auf eine Repro-duktion, als von der Pax eine Stichwiedergabe – eben jene van der Borchts –

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