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163LE CONCERT CHAMPÊTRE

Im Dokument Band 3: Von Giorgione zum frühen Tizian (Seite 164-170)

dellzeichnung säuberlich auf die Leinwand übertragen“.587 Zudem huldigt Tizian

einem klassischen Schönheitsideal, das sich von Giorgiones durch üppige Körper-lichkeit gekennzeichneter Muse deutlich unterscheidet. Seine Intention zielt auf die Darstellung eines jugendlich straffen, von den an Giorgiones Musen bemerk-baren Faltenpolstern völlig unbehelligten Körpers. Den Verlust an Dynamik in Kauf nehmend, verzichtet Tizian auf Giorgiones Segmentbogen-Motiv und entscheidet sich – einer klassischen Linienführung angemessener – für einen geraden Verlauf der rechten Körperkontur. Hinzu kommt ein Inkarnat, dessen gleichmäßige, von giorgionesken Hell-dunkel-Tönungen völlig unberührte Helligkeit einen fast schon statuarischen Eindruck hervorruft – kaum verwunderlich, wenn man an Tizians konstantes Interesse an antiken Skulpturen denkt.

Dass Tizian keinesfalls als Autor des Concert champêtre infrage kommt, hat Hornig im Vergleich mit dessen Himmlischer und irdischer Liebe, in der die stilisti-schen wie strukturellen Gegebenheiten von giorgionesken Gestaltungsprinzipien weit abweichen, folgendermaßen (hier nur auszugsweise zitiert) begründet: „Die Laubmasse zwischen den Frauen erscheint nicht als gerundeter Körper, vielmehr erfährt der Betrachter sie als vorhangartig ausgebreitete Fläche, die das Gesche-hen gegen den Hintergrund abschirmt. ZwiscGesche-hen Vorder- und Hintergrund gibt es keine erschließenden Bildmittel. Alle Gegenstände breiten sich in der Fläche aus. Die Landschaft hinten tritt als streifenartiger, dem Geschehen hinzugefügter Bildschmuck […] in Erscheinung. Es fehlt das Erlebnis des Raumes […]. Es fehlt die Einbindung der Figuren in die Landschaft. Die Frauen bewegen sich vor dieser, nicht in ihr.“ Dem folgen vergleichende Hinweise auf Tizians schon früher entstan-dene Allegorie der drei Lebensalter (ca. 1512/13; Edinburgh, National Gallery of Scotland), in der die Landschaft ebenfalls in Schichten hintereinander angeordnet ist. „Der Übergang vom Vorder- zum Hintergrund erfolgt in Sprüngen, nicht aber durch eine das gesamte Bild erschließende zusammenhängende Bewegung aus gegenläufigen Raumdiagonalen. Die Schräge des Edinburgher Bildes bleibt reiner Flächenwurf. Bei keinem der frühen Werke Tizians findet sich die für mehrere Ge-mälde Giorgiones bildbestimmende Bogenform, nirgendwo hat Tizian das bei sei-nem Lehrer immer wieder festzustellende scharf akzentuierende Hell-Dunkel.“588 Letzteres ist entscheidend für die überzeugende Raumwirkung des Konzerts. Ein signifikantes Beispiel dafür ist der Kopf des Lautenspielers, dessen Dunkel mit der Helligkeit des ihn foliierenden Terrains heftig kontrastiert. Ähnliches ist schon am stehenden Hirten in Giorgiones Allendale-Anbetung auszumachen. Auch dieser hebt sich tief verschattet gegen den lichten felsigen Grund ab. Hinsichtlich der räumlichen Verschmelzung von Figur und Landschaft im Concert champêtre spielt Giorgiones durch das Hell-Dunkel geprägte valeuristische Farbengebung, von der lediglich das partiell gesättigte Rot des Lautenspielers abweicht, eine gravierende Rolle. Beispielhaft für dieses tonige Kolorit ist der auf dem Hügel im Hintergrund situierte Landsitz, der farblich mit seiner Umgebung weitgehend verschmilzt, was, wie Hornig betont, „in diesem Maße bei keinem Frühwerk Tizians [z. B. in des-sen Noli me tangere] dagegen bei [Giorgiones] Wiener Philosophen beobachtet werden kann […]. Giorgiones Farbigkeit der feinsten Übergänge könnte man mit

Abb. 88, S. 280

Abb. 13, S. 51

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DAS SPÄTWERK dem italienischen Begriff cromatismo umschreiben, dem die Chromatik in der Mu-sik entspricht. Hetzers Beschreibung von Giorgiones Farbigkeit als universal und Tizians als die der Polarität dürfte das Richtige treffen“.589 In Tizians frühen Wer-ken ist eine ganz andere Koloritauffassung vorherrschend. Die Farben sind „mit breitem Pinsel aufgetragen, in sich einheitlicher, großflächiger, ja flüssiger. Alle Gegensätze sind schärfer und lauter, die Farben stechender, weil das Hell-Dunkel fehlt“.590 Wird das Concert champêtre – wie die Tempesta und die Castelfranco-Madonna – insgesamt durch einen Rot-Grün-Akkord bestimmt, ist laut Hetzer beim frühen Tizian zumeist ein Blau-Rot-Farbklang vorherrschend – mit ein Grund, weshalb der führende Kenner des Tizian’schen Kolorits eine Zuschreibung des Louvre-Gemäldes an den Maler aus Cadore abgelehnt hat.591

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U M S T R I T T E N E U N D R E H A B I L I T I E R T E Z U S C H R E I B U N G E N A N G I O R G I O N E

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as Gemälde Hommage an einen Poeten (oder Dichterehrung; London, Natio nal Gallery) wird in der Sammlung Aldobrandini in Rom erstmals er-wähnt und in deren Inventar von 1603 wie folgt beschrieben: „Ein Bild mit einem lorbeerbekränzten Poeten, den drei weitere Figuren umgeben, und mit einem Tiger [korrekt: Leopard oder Gepard] und einem Pfau, von der Hand des Raffael von Urbino.“592 Abgesehen von der irrigen Zuschreibung an Raffael geht daraus immerhin hervor, welch überragende Wertschätzung dieses Werk schon damals genossen hat. Am Ende des 18. Jahrhunderts gelangte das Gemälde in die Samm-lung von Alexander Day, in deren Katalog von 1800/01 es erstmalig als Arbeit Giorgiones bezeichnet wird. Im Rückgriff auf diesen Katalog-Vermerk setzten sich erst ein Jahrhundert später Cook (1900) und A. Venturi (1900) für eine Autor-schaft Giorgiones ein, nachdem bereits kurz davor C. v. Fabriczy (1886) eine ei-genhändige Produktion des Künstlers erwogen hatte.593 Dessen ungeachtet spielt die Dichterehrung in der Forschungsgeschichte zumindest phasenweise eine eher marginale Rolle; in manchen Giorgione-Monografien wird sie nicht einmal er-wähnt. Und mehrfach werden auch andere Künstler bemüht, wie etwa Catena (Schmidt 1908; Mayer 1932), Carpaccio (Magugliani 1970) und Giulio Campag-nola (Fiocco 1948; Tschmeltisch 1975) oder Domenico CampagCampag-nola; Letzterer von Eller, der daraus auf eine Datierung um 1515 schließt.594 Besonders kurios ist der Beitrag von Holmes, der hier, wie sein Datierungsvorschlag ca. 1494 verrät, den kaum mehr als 14-jährigen Tizian am Werk sieht.595 Eine nicht unerhebliche An-zahl von Fachleuten zeigt die Tendenz, dem Bild eine eher „mittelmäßige“ Qualität zuzubilligen, und plädiert bestenfalls, wie etwa Morassi 1942 oder Coletti 1955, für „Invention von Giorgione mit Werkstattbeteiligung“ oder für „anonymer Nachfolger Giorgiones“ oder gar „anonymer Imitator Giorgiones“. Die letztge-nannte Bezeichnung stammt von Anderson und hat in den aktuellen Katalogtext der National Gallery Eingang gefunden. Besonders geringschätzig verfährt Gould mit dem Gemälde, das auf einen „Nachahmer oder Fälscher Giorgiones um 1540“

zurückzuführen sei.596 Derlei Bedenken über Qualitätsmängel wurden durch Pignatti (1969 u. 1978) zerstreut, der wohl als Erster der „hohen Qualität“ von Giorgiones Dichterehrung uneingeschränktes Lob zollt. Nur gegenüber seinem, wie sich noch zeigen wird, unbegründeten Datierungsversuch um 1507–1508 ist nachdrücklich Einspruch zu erheben.597 Zu Recht nimmt Hornig das Verdienst in Anspruch, das Gemälde erstmalig auf stilkritisch-komparatistischer Basis mit Bezug auf Giorgiones Frühwerk (mit den beiden Florentiner Bildern Salomos Urteil und Moses’ Feuerprobe sowie der Londoner Anbetung der drei Könige im Zentrum)

Abb. 47, S. 167

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ZUSCHREIBUNGEN AN GIORGIONE untersucht und damit letzte Zweifel an der Urheberschaft des Künstlers ausge-räumt zu haben.598 Ihm folgten u. a. Ballarin, der die Dichterehrung als das frü-heste Werk Giorgiones ansieht und (m. E. zu früh) mit ca. 1494/95 datiert, weiters Lucco und Pedrocco.599

Der mit einem Lorbeerkranz bekrönte und dadurch als poeta laureatus gekenn-zeichnete Mann thront, ähnlich wie Moses und Salomo asymmetrisch an den Bild-rand gedrängt, auf einem zweistufigen Podest. Über ihm schwebt baldachinartig ein aufgespannter, wie am Bildrahmen befestigter Schirm, der als Ehrenzeichen sonst lediglich den venezianischen Dogen zugedacht war. Vom Thron ist nur eine Seitenlehne zu sehen, verhüllt mit einem orientalischen Teppich, wie man ihm in Gemälden Carpaccios häufig begegnet. Die auch durch die vier auf den Thron-stufen verstreuten Bücher als Dichter charakterisierte Gestalt ist in Dreiviertelan-sicht wiedergegeben, den Kopf frontal zum Betrachter gedreht. Auffallend sind die geradezu winzigen Hände – ein giorgioneskes Charakteristikum, dem man im gesamten Œuvre des Künstlers bis zum Concert champêtre (etwa an der linken Muse) fortwährend begegnet. Die Haar- und Barttracht sowie der bekümmerte Gesichtsausdruck des Poeten erinnern an das leidvolle Antlitz einer Christusdar-stellung, vor allem dann, wenn man sich den Lorbeerkranz durch eine Dornen-krone ersetzt vorstellt. Dem scharfgratig gebrochenen Faltenwurf des Mantels – dessen Gelb-Orange-Akkord eingeschlossen – begegnet man in analoger Weise auch am Josef der Londoner Anbetung der Könige, wo sich der Farb-Zweiklang an der Beinkleidung des Trossknechts rechts außen wiederholt.600 Auf der unteren Podeststufe ist ein im Profil dargestellter Knabe postiert, der in respektvoll stram-mer Haltung seiner Unterweisung in die Kunst der Poesie entgegensieht, wobei das Grau seiner Kleidung für einen beruhigenden Ausgleich der ihn umgebenden Licht- und Farbkontraste sorgt. Zu Füßen des Thronpodests kniet ein junger Mann, der dem Poeten eine mit Blüten gefüllte Schale als Ehrengabe darreicht. Die drei Figuren sind auf gleicher Raumebene angeordnet, die Köpfe der Höhe nach ab-gestuft. Wie in den beiden Uffizien-Bildern dominiert auch hier das Gesetz der parataktischen Reihung. Hinzu kommt das bei Giorgione so häufig anzutreffende Kompositionsprinzip des Diagonalenkreuzes, das aus der Überschneidung der bild-parallel ansteigenden Figuren durch die raumgreifend schräg verlaufenden Podest-stufen resultiert. In den Vordergrund gerückt, sitzt ein Jüngling auf der unteren Thronstufe, hingebungsvoll in sein Lautenspiel vertieft. Da auch Giorgione laut Vasari ein in venezianischen Adelskreisen viel begehrter Lautenist war, ist Hornig zufolge in der Tat nicht ganz auszuschließen, dass sich der Künstler unter Verweis auf seine Doppelbegabung hier selbst porträtiert hat.601 Obwohl räumlich von der Dreifigurengruppe abgehoben, schließt sich der Musizierende mit dieser zu einer dreieckigen Struktur zusammen, worin sich Giorgiones Neigung zu geometrischen Konstellationen einmal mehr bestätigt.

Gould, der das Bild als „Fälschung“ sieht, kritisiert die „Naivität“ der Figuren, den Bruch bei deren Größenmaßstab und die „Fehler“ der Perspektive bei der Treppenanlage.602 In der Tat wirkt der Dichter wie ein Riese unter Zwergen – mit gutem Grund, zumal ihm Giorgione, gemäß seiner inhaltlichen Prominenz, nach

Abb. 11, S. 44

47 Giorgione, Hommage an einen Poeten, Holz, 59 x 48 cm, London, National Gallery

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ZUSCHREIBUNGEN AN GIORGIONE dem von alters her überlieferten Prinzip der Bedeutungsgröße dargestellt hat. Im Übrigen ist dieser Wechsel im Figurenmaßstab bisweilen auch in anderen Werken aus Giorgiones Frühzeit manifest, etwa in der Londoner Anbetung der Könige, wo Josef, obwohl um eine Raumstufe zurückversetzt, merklich größer als die im Vor-dergrund befindliche Madonna wiedergegeben ist. Zudem sind auch Bedenken gegenüber einer vermeintlichen Unkenntnis der Perspektive zu zerstreuen. Wohl kompositionell begründet, hat der Künstler die Thronpodeststufen nicht zentral-perspektivisch fluchtend, sondern nach dem Gesetz der, grob gesprochen, auf Parallelverschiebung beruhenden Isometrie angelegt. Auch Hornig widerspricht Gould, indem er dessen Argumente als „Beweismittel für und nicht gegen Gior-gione“ ansieht. Nennenswert dabei auch seine propädeutische Mahnung: „Ein Kunstwerk ist jedoch nicht nach rationaler ‚Richtigkeit‘ seiner Teile sondern nach der künstlerischen Stimmigkeit des [gestaltlichen] Ganzen zu beurteilen.“603

Im hochgesättigten Scharlachrot am Mantel des Lautenspielers manifestiert sich der stärkste Buntfarbwert im Bild. Das Rot steht zum Gelb/Orange des Dichters in einer Farbe-an-sich-Kontrast-Beziehung, in der sich – im Sinne des Paragone-Streits – sowohl das Konkurrenzverhältnis zwischen Musik und Poesie als auch die Affinität zwischen Poesie und Malerei (Horaz: „ut pictura poesis, ut poesis pictura“) spiegeln.604 Gemäß dem hohen Sättigungsgrad des Scharlachs sind am Lautenisten nur geringfügige Reaktionen auf das von links einfallende Licht er-kennbar. Im Widerspruch dazu die Situation am Knieenden, dessen Kleid lediglich an der dem Dichter zugewandten Schattenseite einen geringen Anteil an Karmin-rotwerten aufweist, wogegen sich die gesamte Rückenpartie, vom Licht getrof-fen, in grelles Weiß verwandelt. Diese inkonsequente Farbe-Licht-Behandlung ist in Giorgiones Frühwerk nicht ungewöhnlich. Man findet sie auch in der Londo-ner Anbetung der Könige, wo der Maler an den im Vordergrund knieenden Kö-nigen neuerlich den Scharlach-Karmin-Akkord anschlägt und die beiden Farben qualitativ kontrastieren lässt. Während das Scharlachrot am Mantel des jungen Königs über einen hohen Reinheitsgrad verfügt und sich dadurch als

lichtresistent-„eigenwertig“ erweist, ist der Umhang des Nachbarn in einem Karminton gehal-ten, der, durch einen großen Weiß-Anteil gebrochen, das von links einströmende Licht reflektiert. Nach der Terminologie von Strauss konkurriert hier das noch der Tradition des Quattrocentos folgende koloristische Prinzip mit dem zukunftwei-senden luminaristischen Prinzip, in dem sich laut Vasari Giorgiones Stilwandel zur

„maniera moderna“ ankündigt. Letzteres könnte als entscheidendes Argument dafür dienen, die Dichterehrung bald nach den beiden Uffizien-Bildern – also um 1500 – zu datieren, darin Hornigs Datierungsvorschlag folgend.605

Links erstreckt sich in etwa halber Bildbreite ein olivgrüner Wiesengrund mit akribisch gemaltem Pflanzenwuchs. Darin ein Gepard, der, anstatt sich von Fleisch zu ernähren, sich mit vegetarischer Kost zu begnügen scheint. Darüber ein in das Bild ragender verdorrter Ast, auf dem ein Pfau sitzt. Von beiden Tieren wird im ikonologischen Kontext noch die Rede sein. – Die Szene spielt auf einem bühnen-haften Areal, gleichsam innerhalb eines Proszeniums, das von einem dunkelgrü-nen, über die gesamte Bildbreite verlaufenden heckenähnlichen Gebüschstreifen

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