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43FRÜHE SCHAFFENSPERIODE

In der Tat fühlt man sich, so Pochat, an Giovanni Bellinis Allegoria Sacra erinnert,

„die Giorgione sehr vertraut gewesen sein dürfte“.122 In beiden Fällen ist der büh-nenhafte Vordergrund deutlich von der Hintergrundlandschaft abgesondert. Zu-dem besteht eine bemerkenswerte Übereinstimmung bezüglich der links platzier-ten, in Seitenansicht wiedergegebenen und von Figuren flankierten Thronanlagen, deren Stufenbasis weit nach rechts ausgreift. Aus Giorgiones Kenntnisnahme der Allegoria Sacra könnte man schließen, dass die Fertigung der Feuerprobe erst nach dessen Eintritt in das Atelier Bellinis erfolgte.

11 Giorgione, Anbetung der Könige, Holz, 29 x 81 cm, London, National Gallery

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D I E V E N E Z I A N I S C H E F R Ü H P H A S E

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ie sich mit der Heiligen Familie (Benson) und der Anbetung der Hirten (Al-lendale) zur sogenannten „Allendale-Gruppe“ formierende Anbetung der Könige bildet den Auftakt zu einer neuen, mit Giorgiones Eintritt in das Atelier Giovanni Bellinis anhebenden Schaffensperiode, in der laut Pignatti „Anklänge an bellinianische Figuren“ nicht zu übersehen sind. Der stilistische Umbruch ge-genüber der parataktischen, noch ganz der Quattrocento-Tradition verpflichteten Figurenkomposition in den beiden Uffizien-Bildern ist tief greifend und schlägt sich auch in einer völlig neuen Koloritauffassung nieder. Dass die Tafel, ehe sie 1884 in die Londoner National Gallery gelangte, bei den Vorbesitzern als Werk Giovanni Bellinis galt, ist nicht ganz unverständlich. Die erstmalige Zuschreibung an Gior-gione erfolgte durch Crowe & Cavalcaselle – später durch Cook, Justi u. a. bestä-tigt.123 Indes meldeten sich alsbald Gegenstimmen, die sich, angeführt von Morelli, für die Autorschaft Catenas einsetzten – eine Zuschreibung, die sogar jüngst bei Eller mit der fragwürdigen Argumentation „für Giorgione in der malerischen Aus-führung erheblich zu schwach“ Anklang findet.124 In der abschätzigen Beurteilung der Anbetung der Könige war Fiocco noch um einen Schritt weiter gegangen, als er warnend bemerkte: „[Allein] an ihn [Giorgione] zu denken erscheint Läste-rung.“ Sein indiskutabler Vorschlag, „das Werk eher Palma Vecchio zuzuschrei-ben“, ist ein signifikantes Beispiel kunstwissenschaftlicher Fehlkalkulation.125 Erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts setzte sich die Zuweisung an Giorgione durch, wiewohl es auch in der Folge nicht an abweichenden Meinungen fehlte.126 An-gesichts des extremen Querformats der Tafel (29 x 81 cm) sahen Richter und Be-renson in ihr den ursprünglichen Teil einer Altarpredella, ohne zu bedenken, dass die Fertigung von Predellen in der venezianischen Malerei (nach G. Bellinis Pala di Pesaro) zunehmend obsolet geworden war. Auch Wilde vermag dieser These – auf Basis eines Vergleichs mit Masaccios themengleicher Predellentafel (Berlin, Gemäl-degalerie) – etwas abzugewinnen, wiewohl er auch einen cassone als Bildträger für möglich hält. Heute besteht allgemeiner Konsens, dass es sich hier um ein Andachtsbild handelt, wenngleich dem das für diese Bildgattung höchst unge-wöhnlich breit gestreckte Format zu widersprechen scheint.127

Links außen befindet sich die Geburtshöhle, gekennzeichnet durch eine im Halbdunkel liegende Felswand mit einem überhängenden Vordach. Davor kauert, begleitet von Ochs und Esel, die Gottesmutter, gehüllt in einen blauen Mantel, dessen spröde Faltendrapierung ihre Sitz-, Bein- und Armhaltung verunklärt. Justi zufolge ist ihre „bildhauerische Durcharbeitung […] noch nicht weit gediehen.

Zwischen Maria und dem Kind besteht kein rechter Zusammenhang“.128 Wie im Madonnenbild von Bergamo führt das unsicher sitzende Jesuskind den

Zeigefin-Abb. 11, S. 44

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DIE VENEZIANISCHE FRÜHPHASE ger im Sinne einer Logos-Geste an den Mund. Der Felswand entspringt ein vom oberen Bildrand angeschnittenes und etwa drei Viertel der Bildbreite einnehmen-des Mauerwerk, einnehmen-dessen „architektonische Elemente in einer weitgehend von der Wirklichkeit [abgehobenen] Form als rhythmische Gliederungsmittel zur Verfesti-gung des Aufbaus und Hervorhebung von Haupt- und Nebenfiguren dienen […]

sie gehorchen ausschließlich künstlerischen Gesetzen und […] rein gestalterischen Zielsetzungen“.129 Indessen ist evident, dass der fragmentarische Eindruck der Ar-chitektur durch die geringe Höhe des Bildformats präjudiziert ist und nicht nur, wie Hornig meint, als „Durchbruch zur Kunstform des Cinquecentos, das heißt [als]

Überwindung des ‚Realismus‘ des 15. Jahrhunderts“ anzusehen ist.130 Die Struktur des in warmen Brauntönen gehaltenen und dem Figurenensemble im Wechsel von Hell und Dunkel als foliierender Grund dienenden Mauerwerks setzt sich aus Hochrechtecken zusammen, die als Mauerkanten oder gestaffelte Wandpfeiler die Figuren, vereinzelt wie als geschlossene Gruppe, akzentuieren, rahmen und zu-gleich voneinander trennen. Von Maria deutlich entfernt, mit ihr zu-gleichwohl durch das Blau seines Kleides und seiner ähnlich schräg orientierten Dreiviertelansicht korrespondierend, thront Josef in erhöhter Lage, hinterfangen sowie eingegrenzt durch das Dunkel eines Durchgangs und einen räumlich davon abgesetzten Pfeiler.

Abweichend von der ikonografischen Tradition ist ihm eine besonders hervorge-hobene Stellung zugedacht. Dafür sorgen seine weiträumige Isolation, der Kom-plementärakkord Bau/Gelborange seiner Kleidung sowie der Umstand, dass er in größerem Maßstab als die anderen Gestalten dargestellt ist – alles Faktoren, die sein Wahrnehmungsgewicht verstärken und ihm eine zentrale Bildposition sichern;

auch die hervorstechende Leuchtkraft des gelborangen Mantels leistet dazu einen entscheidenden Beitrag. Josef neigt sein halb verschattetes Antlitz, versunken in eine meditative Betrachtung jenes Goldgefäßes, das ihm zuvor der mittlere der drei Könige überreicht hatte.

Der Ausdruck stillen Sinnens kennzeichnet auch die Könige, die alle kniend dargestellt und in Abkehr von der Bildtradition des Quattrocentos ungewöhnlich weit von der Heiligen Familie entfernt sind. Zusammen mit ihrem sie überragen-den Gefolge bilüberragen-den sie eine kompakte Figurenmasse, strukturell gesehen eine

„Figurenkugel“ (Hornig), deren Volumen aus zahlreichen Überschneidungen und eng gestaffelten Raumschichten resultiert. Mit dieser interferierenden Figurenver-dichtung, die mit den vereinzelt beziehungsweise isoliert positionierten Gestalten Mariens und Josefs kontrastiert, betritt der Künstler gestalterisches Neuland, von dem in der nur etwa ein bis zwei Jahre zuvor geschaffenen Feuerprobe des Moses mit ihrem locker und gleichmäßig verteilten Figurenensemble noch kaum etwas zu bemerken ist. Rechts außen bewachen zwei Gefolgsleute die Pferde der Könige, in deren Braun der farbliche Grundton des Mauerwerks seinen Widerhall findet.

Am vorderen Pferdeknecht, der in Rückenansicht und ausgreifender Schrittstellung wiedergegeben ist, hat Giorgione erstmalig vom Haltungsmotiv des Kontraposts Gebrauch gemacht. In dynamischer Drehbewegung blickt er auf sein frontales Pendant: einen teilnahmslos dastehenden, modisch gekleideten Knappen. Analog zur räumlich isolierten Position Josefs öffnet sich zwischen den beiden Figuren ein

Abb. 10, S. 37

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