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Pettenkofers Konzeption – Versuche und Folgerungen

und Recherche regenerierter Gemälde

1.3 Pettenkofers Aussagen zum Verfahren

1.3.1 Pettenkofers Konzeption – Versuche und Folgerungen

Das Gutachten zeigt, dass erste Versuche an getrübten Gemälden unternommen wurden, um die Entstehung von Trübungen besser kennenzulernen. In Juni 1863 hatte Pettenkofer bereits seine neue Methode konzipiert und dafür zusätzliche Versuche unternommen. Aus ihnen erwuchsen erweiterte Zielsetzungen – ganz konkrete und nützliche weitere Einsatzarten, – die er im Gutachten 1863 noch

„Standpunkte“ nannte. 1870, in Über Ölfarbe, hat er seine Versuche am Dummy und an Gemälden dargelegt und damit seine Folgerungen erläutert. Beides wird in geordneter Form nachvollzogen, dabei werden Versuche an Dummys und an Gemälden, seine Fehlschläge bis hin zu den umfassenden Erweiterungen als Konzeption aufgefasst und getrennt von den Maßnahmen, die er tatsächlich zur Wiedergewinnung der Transparenz entwickelte – diese werden im nächsten Abschnitt behandelt.

110 PETTENKOFER 1870, S. 19, 99-104 und Pettenkofers Notizen, BSB, Handschriftenabteilung, Pettenkoferiana I.5.2 bis I.5.39.

19 1.3.1.1 Sechs Versuche am Dummy

Zur besseren Orientierung werden seine Versuche am Dummy in römischen Ziffern geordnet angeführt.111 Als Versuchsmaterial setzte er Harz, Leinöl, Farben und Ölfirnis ein und nutzte als Wirkstoffe Wasser mit unterschiedlicher Temperatur sowie Weingeist, Ammoniak oder Schwefelverbindungen in der Dampfphase.

I Veränderung im Laufe der Zeit

Die Trocknung und Reaktion studierte er an drei Filmarten: unpigmentiertem Leinöl, extrahierte (Tuben-)Farben und chemisch vorbehandelter künstlich gealterter

„Ölfirnisfläche“. Frisch getrocknete (Tuben-)Ölfarbe hat er mit „Aether und ätherischen Ölen“ extrahiert, es bildete sich eine trübe und „elastische kautschukähnliche Substanz [die] an der Luft spröde und hart“ wurde, die Ursache wäre ein Verlust ihres „physikalischen Zusammenhang[s]“.112 Die Ursache der Trübung präzisierte Pettenkofer an anderer Stelle als „molekular getrennt und daher fein porös“113. Molekularen Zusammenhang hat er ausdrücklich „nicht im Sinne des Chemikers oder Physikers“ verwendet und nach heutigem Verständnis als (Bindemittel) ohne Filmunterbrechung definiert.114

II Ursache der Trübung – Prüfung auf chemische Reaktion

1863 noch undetaillierte „weitere Versuche [zeigten, dass] das trübe Harz chemisch genau derselbe Körper ist, wie das klare“115. Daher schloss er chemische Veränderung aus und opponierte der gängigen Auffassung, dass „Farben (namentlich Oele) und die Firnisse mit der Zeit durch den Einfluss von Luft und Licht chemische Veränderungen erleiden und dadurch theils verflüchtigt, theils in undurchsichtige Körper verwandelt werden.“116

III Ursache der Trübung – Einwirkung von Wasser auf Firnisse

Wie im Gutachten erläuterte Pettenkofer 1870 das Phänomen der Trübung mit Analogien und unterschiedlichem Brechungsvermögen.117 Den Effekt von Nass-Trocken-Zyklen auf beide Filmarten nannte er „Verlust der Cohäsion“118.

111 Zählung der Verfasserin.

112 PETTENKOFER 1870, S. 10.

113 Ebd., S. 31.

114 Ebd., S.10. Der Definition widmete er eine 14-zeilige Fußnote; seine Definition korrespondiert auffällig mit der Beschreibung des spannungsfreien Auftrocknens von Copaivabalsam: „ohne Cohäsionsverlust“, s. § 3.2.

115 Ebd., S. 15; vgl. SCHMITT 1990(a).

116 Ebd., S. 91.

117 PETTENKOFER 1870,S. 16 und S. 108, (Aussagen von Pecht): „Nebel, Wolken, Schaum [oder] Milch“vgl. KUHN 1864, S. 21: "Flächen vollständig mit abgestandenem Firnis und weißen Schichten überzogen"

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Mit einem „nassen Schwamme“ hat er „Firnisse […] auf Glas oder […] werthlose Oelanstriche [erneut getrocknet und sah, dass] sich allmählig alle […] trüben.“119

„Harzfirnisse [blieben] anfangs mit Wasser klar, [zunächst geht] das Trübwerden kaum sichtlich vorwärts, ab einem bestimmten Grad, macht es sehr rasche Fortschritte.“120 Diesen Versuch wiederholte er und schilderte detailliert:

„In der letzten Zeit versuchte ich […] auf blossem Mastix die Einwirkung von Wasser und von dessen Verdunstung, indem ich von Zeit zu Zeit mit einem Haarpinsel etwas destilliertes Wasser ausbreitete und an der Luft trocknen ließ.

Nachdem dies binnen 2 Tagen etwa 20 mal wiederholt worden war, war das Mastixharz ganz undurchsichtig geworden […] und ließ sich mit einem Pinsel als Pulver vom Glas abkehren.“121

Das Ergebnis dieses Versuches III nannte Pettenkofers Schüler Pfänner-Büttner zu Thal 1897 „Krepieren Lassen“122. Der Begriff Krepierung ist anschaulich und wird bis heute als Effekt von alternierenden Zyklen von Wasser/Feuchtigkeit und Trocknen verstanden und trifft auch ausreichend für Pettenkofers Beobachtungen zu. In diesem Sinne werden „krepiert“ und „kontrollierte Krepierung“ künftig verwendet.

Im Unterschied zum Harz beobachtete er an „Ölfirnis“:

„bleihaltige [wurden] sofort weiss und undurchsichtig, aber an der Luft [trocknen sie] anfangs immer wieder durchsichtig […] zuletzt […] bleibend trüb“. [Sie bildeten] einen kreideweissen, undurchsichtigen Fleck genau von der Ausdehnung des [aufgebrachten] Wassers. […] Ein solcher Fleck lässt sich mit Oel oder Firnis (durch bloßes Austränken) nur mehr unvollständig zum Verschwinden bringen.“123

Die tatsächlich verwendete bleihaltige „Ölfirnisfläche“ hat er eigens präpariert (siehe Versuch VI) und nach dem Trocknen „wiederholt mit Wasser befeuchtet“.124

IV Bedampfung von Harzfirnis

Er goss etwas Weingeist in ein Reagenzglas, ließ ihn indirekt auf eine invers darüber gehaltene Malschicht einwirken und verfolgte drei Aspekte:

- Ausführlich schilderte er eine Erweichung und Quellung:

„die Luft im Rohre über dem Weingeist musste sich mit einer der Temperatur der Luft und der Tension des Alkoholdampfes entsprechenden Weingeistmenge sättigen und das Harz des Firnisse [...] aus dieser Weingeisthaltigen Luft einen bestimmten Theil absorbiren, und darin, wenn auch nicht sich auflösen, aber doch aufquellen, sodass diese Quellung [...]

hinreichend sein würde, die molekularen Zwischenräume der getrennten Harzteilchen wieder aufzufüllen, und diese mit der darunter liegenden Oelfarbe [...] verbinden […die Behandlung war] nach 2 Minuten“ erfolgreich, die zuvor künstlich getrübte „Farbe erschien…vollkommen klar …sogar viel lebhafter, als

118 Ebd., S. 10, vgl. S. 35: Öl „verlor nach längerer Zeit gleichfalls seine Cohäsion“.

119 Ebd., S. 15.

120 Ebd.

121 PETTENKOFER 1870, S. 41. Laut seiner Schilderung 1870 von Versuch IV war dieser Film 1864 erstellt, also sechs Jahre alt.

122 Pfänner-Büttner zu Thal entwickelte daraus eine alternative Maßnahme zur Firnisabnahme.

123 PETTENKOFER 1870, S. 17, 18; vgl. ebd. S. 103 mit der Notiz „wie Kalk“ zu SCHALKEN Lautenspielerin, Kat.-No. 845 sowie den Abschnitt Diagnose und Benennung.

124 Ebd., S. 17.

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sie zuvor gewesen war […die frisch regenerierte Stelle] fühlte sich anfangs etwas weich an, war aber nach einigen Minuten so hart, wie seine trübe Umgebung und blieb vollkommen klar.“125

- Zur Ermittlung von Menge und Dauer des Weingeistes in Harzpulver unternahm er einen Vorversuch. So konnte er „bestimmen, wie viel Alkohol die Harze [...] (Mastix und Dammar), bei gewöhnlicher Zimmertemperatur (14 R. [17,5°C]) aus einer mit Weingeist gesättigten Luft zu condensieren vermöchten“126. Er streute Harzpulver auf ein Uhrglas und setzt dieses ohne Erwärmung verdunstendem Alkohol aus.

Unter Abschluss einer luftdicht schließenden

„Glasglocke [...] nahm [das Harzpulver] allmälig die Consistenz eines dicken Firnisses an, der weiter keinen Weingeist mehr aus der Luft merh zu condensieren vermochte. Nach zweimal 24 Stunden hatte das Harz 70 - 80 Procent seines Gewichts Alkohol aus der Luft der Glocke condensirt. [...]

Der Umstand ist wichtig, dass die Harze von selbst aufhören, Alkohol aus der Luft zu condensiren, wenn sie eine bestimmte Menge einmal aufgenommen haben, d. h. dass sie einen natürlichen Sättigungspunkt haben.

Damit fallen alle [...] Gefahren weg, die sonst ein Ueberschreiten der hinreichenden Dauer der Einwirkung mit sich bringen könnte.“127

Diese Versuchsanordnung hat Petra Demuth mit verschiedenen Alkoholen nachgestellt.128

- In seinem Gutachten war er von der Haltbarkeit einer Bedampfung noch überzeugt:

nach Einwirkung des Verfahrens erneut künstlich gealtert, fand er „die Veränderung nicht mehr halb so groß, als das Erstemal [er folgerte, sein Verfahren sei] völlig reif für zur praktischen Anwendung.“129 Pettenkofer datierte seinen oben genannten Versuch auf Uhrglas auf den 12.Okt.1864 und berichtete: „An der Luft verdunstete der absorbierte Alkohol rasch und

das [...] Mastixharz [...] blieb als harter, klarer Firnis zurück.

Er wurde nach einiger Zeit an der Luft rissig, und in einem auffallenden Grade, als ich ihn öfter anhauchte […] beschlug [er] sich immer mit etwas Wasser.“130 1870 fuhr er fort:

„In letzter Zeit versuchte ich auf rissig gewordenen,

aber immer noch ziemlich klar gebliebenem blossen Mastix“131 – dies wird der Film von 1864 gewesen sein.

Nach der Bedampfung traten am Harzfilm Risse auf, und die erzielte Transparenz ließ etwas nach – zwischen seinen Beobachtungen lagen ein und danach sechs Jahre, demnach trat Filmunterbrechung innerhalb eines Jahres auf, die Trübung erst später.

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V Einwirkung von Copaivabalsam auf bedampftem Mastixpulver und dessen Resistenz gegen Wasser

1864 hat er den bedampften, ein Jahr alten rissigen Mastixfilm auf Uhrglas weiter bestrichen: „zur Hälfte mit Hilfe eines Borstpinsels, der möglichst wenig Copaivabalsam enthielt, liess die andere Seite unberührt.“132 Beide Flächen wurden erneut bedampft. Nach dem Abtrocknen folgten am Mastixfilm Transparenz und Rissbildung, auf der Hälfte mit Copaivabalsam zeigten sich keine Risse mehr bis 1870. Eine darauf folgende künstlich Trübung (vgl. Versuch III) „widerstand diesem Einfluss des Wassers bisher fast noch ganz“133.

VI Trübung und Risse im Ölfirnis

Zunehmende Eintrübung beobachtete er an einem undurchsichtigen, gefirnissten Ölbild „unter die Glasglocke über Schwefelsäure und Chlorcalcium, d. i. in eine wasserfreie Luft gebracht“ und widersprach deren Glasartig-hart-Werden134.

Diesen Versuch hat er fortgesetzt. Um Ölfirnis zu simulieren, nutzte er getrocknete Aufstriche „solange sie noch etwas weich [waren, auf Glas gestrichene reine Filme von] Siccatif de Courtrais, [...] ein sehr viel Blei und Mangan haltender Oelfirnis in Terpentinöl gelöst. [Er trocknete zu einer] sehr klaren, durchsichtigen, schwach bräunlichgelben Schichte [auf], die sich unter gewöhnlichen Umständen lange unverändert erhält“135. Diese Filme setzte er indirekt einer Lösung von Ammoniak oder Schwefelverbindungen in der Dampfphase136 aus.

Diese Behandlung erzeugte ein

„zuerst sich trüben, dann bei längerer Einwirkung sich zusammenziehen, springen und reissen [...]; auf diese Art, [...] namentlich bei Anwendung von schwefliger Säure, [entstanden] binnen weniger Minuten Risse, die mehrere Millimeter massen.“

Nach dieser Behandlung trockneten die Filme aus dem Malmittel Siccatif de Courtrais glasartig auf und blieben ganz durchsichtig, er bezeichnete sie als Ölfirnisflächen und nutzte sie für Versuch III.137An Dummys hat er mit sehr verschiedenen Substanzen Schäden provoziert, die ihm eine grundlegende Orientierung gaben. Da er zugleich auch die Wirkung seines Verfahrens prüfen wollte, nutzte er alle ihm verfügbaren unterschiedlichen Arten Gemäldestruktur: junge

132 Ebd., S. 40.

133 Ebd., S. 41.

134 Ebd., S. 66.

135 Ebd., S. 17, gilt für alle Zitate im Abschnitt.

136 PETTENKOFER 1870, S. 17, „z. B. Schwefelwasserstoffwasser, Schwefelammonium, Ammoniak, mit schwefliger Säure gesättigtes Wasser“.

137 CARLYLE 2011, S. 48-50; sie bestätigt diese Metallgehalte für Sikkativ de Courtrais.

Allerdings sollte man für eine sachgerechte Trocknung nicht mehr als 2% zusetzen, sonst wird die Farbe zu spröde. (Mitteilung Fa. Boesner, Köln 20.8.2018).

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Farbstruktur, namentlich Ölskizzen, Gemälde aus Privatbesitz sowie gealterte Gemälde aus der Filialgalerie Schleißheim und der Pinakothek in München.

1.3.1.2 Versuche an Gemälden

Hinsichtlich des Alters der Gemälde machte Pettenkofer die interessante Aussage:

„[Bei der Konservierung] verlangen junge Gemälde, oder alte, mit frischem Oel genährte mehr Sorgfalt, als alte, völlig ausgetrocknete, mit Harzfirnissen bereits gesättigte. Ist dieser Schwindungsprozess der trocknenden Oele einmal ganz vorüber, dann wird die Substanz eines Gemäldes ruhiger und unveränderlicher.“138

Von den im Gutachten verfügbaren sieben alten Gemälden unternahm Pettenkofer nur an zweien Versuche:

- am Gemälde von VELDE, Landschaft, [Kat.-]No. 472, auf Fichtenholz, vollzog er anhand von drei Teilflächen am selben Bild den Vergleich der Weingeisteinwirkung mit Firnisauftrag, mit und ohne vorherige Firnisabnahme und bewertete unter Punkt 2.) die Regenerierung „als die günstigste“139;

- am Gemälde von BORCH, Trompeter, Inv.-Nr. 206, auf Eichenholz präzisierte er wichtige Indizien für Öleinreibung: „zuvor [war der Überzug] wenn auch trüb aber doch noch durchscheinend [Öleinreibung war] leicht daran zu erkennen, dass der Regenerationsprozess die ungekehrte Wirkung hat, [sie waren] danach glanzlos und rauh“. 140

Ausführlicher experimentierte Pettenkofer mit den beiden zeitgenössischen Gemälden von befreundeten Malern, Benno Adam (1812–1892)141 und Hanno Rhomberg (1819–1864). Dabei achtete er darauf, dass die Gemälde gefirnisst waren und unterschiedliches Alter hatten (frisch gemalt, fünf und 20 Jahre alt)142. An diesen vergleichsweise jungen Gemälden erzeugte er Trübung mit Wasserdampf und entdeckte die präventive Wirkung. Seine Versuchsanordnung beschrieb er ausführlich: In einem 10 Grad Réaumur kalten Raum goss Pettenkofer 60 bis 70 Grad Réaumur warmes Wasser [75-87,5°C] in eine Schüssel, „hielt ein Gemälde darüber“ und brachte es danach zum Trockenen in „wärmere Räume“ und wiederholte dies mehrfach. Die normale Raumtemperatur gab er mit 14 Grad

138 PETTENKOFER 1870, S. 44

139 PETTENKOFER 1870(a), S. 65-66.

140 PETTENKOFER 1870(a), S. 65-66.

141 Benno Adam war der älteste Sohn des Malers Friedrich Adam, von dem Pettenkofer ein Gemälde aus der königlichen Sammlung regenerierte (s. Katalog untersuchter Gemälde:

ADAM, Radetzky, Inv.-Nr. WAF 11).

142 Vgl. PETTENKOFER 1870, S. 20. vgl. Gutachten unter 4.) Pinscherkopf 1858, 5 Jahre alt;

sowie Alchymist von Hanno Rhomberg 1844, 20 Jahre alt.

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Réaumur an [17,5°C].143 Da das fünf Jahre alte Bild von Adam „alle Zufälligkeiten, [wie] an wirklich alten derartigen Bildern“ zeigte, leitete er ab, er könnte „die Einflüsse eines Jahrhunderts darauf in dem Zeitraum einiger Tage“ simulieren.144

1.3.1.3 Fehlschläge bei Regenerierungen von Gemälden

Seine Einsichten und der Bruch mit ausschließlicher Bedampfung erwuchsen aus Fehlschlägen. Unter Pettenkofers 50 kleinformatigen Testgemälden aus Schleißheim vermerkte er 1864 zu zweien „komplett verdorben“145. Am Gemälde von BORCH, Brief, Inv.-Nr.206146 blieb „im Bettvorhang […] eine bedeutende Trübung zurück, was nach dem Ergebnis einer chemischen Untersuchung von erhärtetem Öle herrührte.“147 Pettenkofer führte stellvertretend für „einige auffallende Beispiele von kurzer Dauer […] in der neuen Pinakothek“148 das Gemälde von Abrecht Adam an (s.

§ 2.2.3):

„Höchst auffallend ist mir das Verhalten eines Gemäldes von Albrecht Adam, das Bildniss des Feldmarschalls Radetzky zu Pferd (No. 195 Cabinet XIV), welches fast jedes Jahr regenerirt werden muss. Um Ross und Reiter herum, die stets klar geblieben sind, breitet sich eine Trübung aus, die alles unkenntlich macht. In alkoholhaltiger Luft verschwindet sie wieder vollständig, ist aber bis jetzt nach einiger Zeit immer wieder zurückgekehrt, auch nachdem das Gemälde vor- und rückwärts Copaivabalsam erhalten hatte. Ich hoffe, dass diese Bewegung bald gänzlich zum Stillstand kommen wird, denn der Umfang und die Intensität der Trübung hat jedesmal etwas abgenommen. Es wäre gewiss sehr lehrreich zu wissen, was der Künstler ursprünglich verwendet hat, wodurch diese hartnäckige Erscheinung bedingt ist, was das Hinderniss für eine länger bleibende Aufhebung der molekularen Trennung, für ein vollständiges Eindringen des Copaivabalsams ist.“149

Zwei weitere negative Fallbeispiele aus dem 19. Jh. waren „zwei Gemälden aus neuerer Zeit …[daran zogen sich] durch längere Einwirkung der alkoholhaltigen Luft einzelne Stellen der Farbe runzlig […] zusammen […] auf älteren Gemälden [wäre dies] nicht ein einzigesmal vorgekommen.“150

143 Der Temperaturunterschied bei Pettenkofer betrug Δ 50°Réaumur, das entspricht Δ 62,5°C. Pettenkofer ließ das 10°R. kühle Bild bei 14 °R. trocknen, das ergibt einen Unterschied Lufttemperatur von 4°R. (entspricht 5°C). Verwendet hat er das Gemälde Fanghund von Benno Adam, 20 Jahre alt.

144 S. SCHMITT 1990 (a), S. 64-66.

145 BGBS Eintrag Inventarband 1863.

146 S. Anhang 7.1A, Katalog untersuchter Gemälde.

147 PETTENKOFER 1870, S. 56.

148 Ebd., S. 47.

149 PETTENKOFER 1870, S. 47.

150 Ebd.; 1870, S. 37. Der 1870 ungenannte zweite Fall, Runzelbildung nach Bedampfen über Nacht an einem Gemälde von Danby, ist mit Skizze publiziert, vgl. SCHMITT 1990 (a), S. 43.

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Eines davon war ein Studienkopf von Carl von Piloty, der drastische Regenerierschaden wurde nachträglich mit Copaivabalsam konsolidiert.151 1870 bekannte Pettenkofer sachgerecht, dass ihm kein angemessenes Lösemittel zur Verfügung stand:

„Ich habe vielfach nach flüchtigen Stoffen gesucht, […] einstweilen dienen uns nur flüssige oder flüssig gemachte Harze dazu, die im erhärteten Oel entstandenen Zwischenräume auszufüllen.“152

Als Ergebnis seiner frühesten Versuche notierte Pettenkofer bereits in seinem Gutachten, dass die Bedampfung ausschließlich in einigen Fällen versagte (das Zitat dazu kommt im Wortlaut unter 3.).

1.3.1.4 Maßnahmen, die den Begriff Regenerations-Verfahren umfassten

Pettenkofers primäres Anliegen war pragmatisch, er wollte die Undurchsichtigkeit der Gemälde tilgen. Unerwartet schien der Schaden nur die Oberfläche zu betreffen, rasch differenzierte er die verschiedenen Lagen und Eigenschaften, die betroffen waren, erkannte, dass sie verschiedene Behandlung erforderten, und fokussierte 1863 fünf Punkte. Seine Zählung mit arabischen Ziffern wird übernommen. Diese Aufgaben bezeichnete er ausdrücklich als „mehr als meine Pflicht“ als Gutachter, sie folgten der Prämisse „zu regenerieren, ohne an [der] Substanz die geringste Änderung zu machen“153. Seine fünf Anliegen werden der Reihe nach belegt und kommentiert. Da Pettenkofer letztlich zwölf Maßnahmen zu seinem Verfahren zählte, werden sie durchlaufend gezählt angefügt, dabei diente die sechste Maßnahme noch der Wiedergewinnung der Transparenz. Die minutiöse Auflistung ist sinnvoll, da begleitend die beobachten/benutzten Dummies/Gemälde angeführt werden. Die Behandlungen selbst werden dabei zunächst ausgeklammert und illustrieren im folgenden Abschnitt seine neu benannten Maßnahmen zur Transparenzgewinnung.

(s. § 1 bis 3.2).

1.) An alten Gemälden vor jeglicher Restaurierung Regenerieren

Die an dem Gemälde von VELDE, Landschaft, Inv.-Nr. 215, [Kat.-]Nr. 472 erreichte Transparenz fand er nützlich, um eine Diagnose des allgemeinen Zustandes treffen zu können. Die Option wandelte er unmittelbar in eine Pflicht: Jeder Restaurierung

151 S. Punkt 8.) S.31.

152 PETTENKOFER 1870, S. 23.

153 SCHMITT 1990(a), S. 63-66.

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hatte zuerst die Regenerierung vorauszugehen154. Der Schaden des Gemälde lieferte später neue Einsichten (vgl. Ziel 6).

2.) Mehr Transparenz als durch Firnisauftrag erreichen, ohne und mit vorheriger Firnisabnahme

Für diesen Vergleich behandelte er dasselbe Gemälde von Velde in drei Teilflächen.155 Ein Überschuss an Lein- oder Mohnöl im Bindemittel ließe die getrockneten Farben trüb erscheinen, „diesen Mangel an Klarheit [könne] auch ein darüber gestrichener Firnis […] nicht mehr so ganz […] ersetzen, [nach Auskunft von Künstlern, namentlich Maler August Löffler (Lebensdaten)156, war die Klarheit] mit Firniss oder Copaivabalsam vermischt aufgetragen […] merklich“ [besser]157. Entsprechend lag es nahe, das geeignete Mal- und Bindemittel mit dem so geeigneten Brechungsindex als Regeneriermittel zu erproben.

3.) Auf alten Gemälden auch sogenannte Öl-Einreibung und -Firnis regenerieren Zu diesem Punkt wird eine längere Passage aus dem Gutachten im Wortlaut zitiert, sie liefert ein gutes Beispiel für seinen Ausdruck, Denkweise und Geheimhaltung:

„Es gibt Bilder, welche sich nicht ohne weiteres nicht mehr regenerieren lassen.

An diesen Bildern hat sich zur bloßen Molekularveränderung der Oberfläche auch noch eine Substanzveränderung gesellt, die ihren Grund in einer theilweise gemischten Zusammensetzung des Harzes, oder in manchen Fällen auch in einer nachträglichen Beimischung fremder Stoffe, (z. B. Mohnöl) haben kann, was manchmal mit kurz dauerndem Erfolg angewandt wird, geschieht, wenn man einem trüb gewordenen Bild wieder Leben zu geben versucht: Diese Veränderung ist leicht daran zu erkennen, dass der Regenerationsprozeß die umgekehrte Wirkung hat, indem er ein solches Bild anstatt glänzend, wie gewöhnlich, danach glanzlos und rauh erscheinen lässt, während es vor dem Regenerieren, wenn auch Trüb, doch noch durchscheinend ist, und sich glatt anfühlt. Diese Fälle sind die bedenklichsten und solche Bilder sind bei der Restaurierung bisher natur notwendig verputzt worden.

Die regenerierte Fläche wurde aber wieder sehr schön klar, wenn man sie mit einem frischen dünnen Mastixfirnis übergeht. Dies ist um so merkwürdiger, als der nämliche Firniß auf die unregenerierte noch glänzende Fläche noch ohne sichtbare Wirkung bleibt. Mit Zuhilfenahme einiger mechanischer Mittel lässt sich das Bild in der ursprünglichen Kraft wiederherstellen wie ich an einigen Stellen desselben gezeigt habe.“158

154 Ebd., S. 63.

155 Ebd., S. 64.

156 PETTENKOFER 1870, S. 30.

157 Ebd., 1870, S. 14.

158 Gutachten Pettenkofer in: SCHMITT 1990 (a), S. 65.

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Der sperrige Ausdruck „theilweise gemischte Zersetzung“ übersetzte er 1870 in:

„verschiedene Harz- und Oelfirnisse übereinander oder Gemenge von solchen“159. Mit „trüb durchscheinend“ differenzierte er die charakteristische Halbtransparenz gealterter Ölfilme.

Der Auftrag von Copaivabalsam hatte sich im Gutachten 1863 noch als

„mechanische Mittel“ verborgen. Pecht hatte 1864 die symptomatischen

„leichten grauen Nebel [ausschließlich auf Überstreichungen] mit heißem oder kaltem Öl [zurück geführt, und hielt Bilder ohne Schäden in der Farbschicht mit] keinerlei Öleinreibung [für] eh schon selten“160.

Daher war Pettenkofer bekannt, dass Restauratoren die „Oberfläche des Gemäldes vielleicht mit etwas frischem Oel eingerieben, dieses trocknen lassen, und [man]

danach frisch gefirnisst“ haben161. Obwohl solche Aufträge „schlecht löslich“ wurden, geschahen sie

„sehr häufig […], weil man von der Vorstellung ausging, dass das trockene Aussehen der Farben wesentlich von einer V e r f l ü c h t i g u n g des Oeles herrührte.“162

Da ölhaltige Überzüge auch bei der Analyse der untersuchten Gemälde relevant waren, werden die Arten, die Pettenkofer bei seinen Untersuchungen erkannte, hier belegt. Aus den Versuchen am Dummy kannte er die Trübung verschiedenartiger getrockneter Ölfilme und ergänzte:

„Wo Gemälde [mit] Harzfirnis […] oft stellenweise [zusätzlich] mit Oel oder einem ölhaltigen Firniss (z. B. Malbutter, Robersons Medium u. s. w.) eingerieben werden, […] dort entsteht mit der Zeit ein trüber Schleier über der Farbe, der einmal entstanden, allen Mitteln der vollständigen Wiederaufhellung trotzt und dessen Entfernung nicht gelingt, ohne darnach mit Farbe nachzuhelfen, d. h. ohne die Originalität der Stelle zu opfern […] im Laufe

„Wo Gemälde [mit] Harzfirnis […] oft stellenweise [zusätzlich] mit Oel oder einem ölhaltigen Firniss (z. B. Malbutter, Robersons Medium u. s. w.) eingerieben werden, […] dort entsteht mit der Zeit ein trüber Schleier über der Farbe, der einmal entstanden, allen Mitteln der vollständigen Wiederaufhellung trotzt und dessen Entfernung nicht gelingt, ohne darnach mit Farbe nachzuhelfen, d. h. ohne die Originalität der Stelle zu opfern […] im Laufe