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Klimatische Situation in den Kgl. Gemäldegalerien Schleißheim und München und München

und Recherche regenerierter Gemälde

1.2 Gutachten über Ursachen und Art der Trübungen

1.2.1 Klimatische Situation in den Kgl. Gemäldegalerien Schleißheim und München und München

Pettenkofers Auftrag für das Gutachten war eine klimatechnische Bewertung der Sammlungsräume im Neubau der Pinakothek44 in München und im königlichen Landschloss Schleißheim, das als Filialgalerie genutzt wurde.

Restaurators Frey sen. hatte in Schleißheim regelmäßig zwischen November und April Bilder aus 10 Sälen in der Mitte einiger Räume zusammengestellt. Seitdem dies unterlassen wurde, kam es zu besonders starken Trübungen, die Gemälde waren

„hie und da förmlich mit Eiskrusten bedeckt“45. Pecht hatte diese Missstände 1861 publiziert:

„eine sehr große Anzahl von Bildern, […] besonders in der Schleißheimer Galerie waren ganze Säle [betroffen…]; aber auch in der Pinakothek litten hunderte mehr oder weniger an dem genannten Uebel.“46

Abb.1_2 Schloss Schleißheim von der Gartenseite her gesehen [A. Bunz, München ©]

Ein Teil der Gemälde im ungeheizten Barockschloss Schließheim hing „in einigen Kabinetten des Souterrain“, auch in der Pinakothek herrschte „Grabeskälte“47. Fenster und Türen waren sehr groß und schlossen nicht mehr dicht, Lüften im Frühjahr förderte Kondenswasserbildung an kalten Innenflächen.48

44 Neubau 1838 durch den Architekten Klenze, seit Eröffnung der Neuen Pinakothek 1853 wurde der Klenzebau als Alte Pinakothek bezeichnet.

45 SCHMITT 1990 (a), S. 37; vgl. PETTENKOFER 1870, S. 19.

46 PECHT 1864 (a); vgl. PECHT 1861(a - c) und PECHT 1863 (a - c).

47 KUHN 1864, S. 22, gilt für beide Zitate.

48 PETTENKOFER 1870, S. 41.

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Es ist für die Gestalt der Schäden wichtig festzuhalten, dass mehrjährig Feuchtigkeit und Kälte in beiden Sammlungen eingewirkt hatten.

Später fasste Pettenkofer zusammen:

„selbst [...] in der Pinakothek [...] Gemälde gesehen, über welche das Wasser geradezu herunter lief, […] wenn nun dieses Wasser wieder verdunstet, so erzielt das eine gewisse Molekularveränderung in diesen Firnissen und sie verlieren allmählig mehr oder weniger ihren Zusammenhang.“49

Der Hinweis des Restaurators Frey sen. auf unterlassene Prophylaxe sowie vergleichende eigene Beobachtungen in beiden Sammlungen führten Pettenkofer dazu, die Stärke der Trübung relativ zur Raumsituation und -schale auszuwerten: in der Pinakothek waren Gemälde in nach Norden gelegenen Kabinetten am stärksten getrübt, in Schließheim bewirkte die Vertäfelung größere Unterschiede als die Lage der Räume.50 Pettenkofer hob positiv hervor, dass die in einigen Räumen vorhandene Wandisolierung, Holzleisten an der Rückseite von Leinwandgemälden und reduzierte Beleuchtung sichtbar weniger (Alterungs-)Spuren bewirkten.

Wechselnde relative Feuchte erfasste er klar als Hauptursache und die Wechselwirkung mit der Gemäldesubstanz als bestimmenden Faktor: „Die Zeit wirkt auf die Ölgemälde schneller oder langsamer, je nach [deren] hygroskopischen Eigenschaften [...] und grösserem oder geringerem Wechsel in der Temperatur und im Feuchtigkeitsgehalte der Luft der Räume, in welchem die Gemälde aufbewahrt werden.“51

1.2.1.1 Untersuchung und Beschreibung

In ihren Gutachten, verfasst im Juni 1863, beschrieben Radlkofer und Pettenkofer die Gestalt und das Verhalten der Trübungen genau und einhellig, bei ihren Schlussfolgerungen nahmen sie interessanterweise unterschiedliche Standpunkte ein. Daher werden ihre Beobachtungen getrennt betrachtet, die für diese Dissertation wesentlichen morphologischen Merkmale wörtlich wiedergegeben und ausführlich ausgewertet. Beide Gutachter hatten den angetroffenen Zustand von denselben vier Gemälden des 17.Jh.s zu diagnostizieren. Am 10. Juli notierte die Kommission, dass mehr, und zwar „ 9 Gemälde und die Gallerie inspiziert“52 worden waren.

Vier Gemälde stammten aus Schleißheim:

49 PETTENKOFER 1887, S. 3.

50 PETTENKOFER 1870, S. 19, s. a. 18, 32-33.

51 BSB Pettenkoferiana I.5.34. Beide Gutachten sind im Wortlaut publiziert, s. SCHMITT 1990 (a), S. 62-66.

52 GHA, MK 14259.

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• SCHLICHTEN, Lautenspielerin, Inv.-Nr. 2160, [Kat.-]No. 75, auf Eisenblech53;

• VELDE, Landschaft, Inv.-Nr. 272954 [Kat.-]No. 472, auf Fichtenholz;

• NICKELEN, Felsengarten, Inv.-Nr. 272655, auf Leinwand;

• NICKELEN, Landschaft, Inv.-Nr. 272756, auf Leinwand;

16 Tage verspätet, am 26.6.1863 bewertete Pettenkofer in seinem Gutachten die fünf zusätzlichen Gemälde, drei Gemälde des 17. Jh.s aus der Pinakothek in München und zwei Gemälde aus Privatbesitz:

• BORCH, Brief, Inv.-Nr.206, [Kat.-]No. 470, auf Eichenholz;

• ADAM (Benno), Pinscherkopf aus dem Jahr 1858, Privatbesitz;

• ROMBERG (Hanno), Alchimist aus dem Jahr 1844, Privatbesitz;

• LORRAIN, Seehafen57, Inv.-Nr. 381 [Kat.-]No. 39958, auf Leinwand;

• LORRAIN, Verstoßung59, Inv.-Nr.694, [Kat.-]No. 407, auf Leinwand;

Der häufigen Verweise wegen werden für die Gemälde hier und künftig Bezeichnungen verwendet, die den Titel zum Schlagwort verkürzen. Die Titel und die Zuschreibungen wandelten sich im Laufe der Katalogeditionen, die vollständigen aktuellen Titel finden sich im Katalog der untersuchten Gemälde.60

Radlkofers Gutachten fokussierte und bewertete gemäß seiner Profession vorrangig einen mikrobiologischen Befall, den er nur an den Leinwandgemälden, nicht an den Gemälden auf Holz und Eisenblech erkannte. Neun Tage früher als Pettenkofer beschrieb Radlkofer zunächst präzise die Charakteristika Farbton, Oberflächenstruktur, Auftreten und Lage und prüfte das Verhalten gegenüber Flüssigkeiten. An einem Gemälde, das 1988 untersucht und für die Dissertation auch analysiert wurde, und zwar SCHLICHTEN Lautenspielerin Inv.-Nr. 2160 auf Eisenblech, hielt Radlkofer fest:

53 Es wird darauf hingewiesen, dass Radlkofer in seinem Gutachten dieses Gemälde versehentlich als auf Holz gemalt vermerkte.

54 Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Inventar 1988: Nr. 215.

55 Angabe ohne [Kat.-] No., im Inventar 1905 als Nr. 3215 ausgewiesen, 1988 Alte Pinakothek Depot.

56 Angabe ohne [Kat.-] No.

57 Die Titel beider Gemälde von Lorrain hat 1863 ausschließlich Kuhn genannt und beide als

„Morgen“ bezeichnet. Daher werden die Schlagworte aus dem eindeutigen heutigen Titel entnommen: Titel nach Bestandskatalog Bayerische Staatsgemäldesammlungen 1986, S.

302: Ein Seehafen bei aufgehender Sonne. https://www.sammlung.pinakothek.de abgerufen am 20.08.2018.

58 KUHN 1864, S. 25; vgl. PETTENKOFER 1864 (a) mit Bezug auf PECHT und PETTENKOFER 1870, S. 53.

59 Titel nach Bestandskatalog Bayerische Staatsgemäldesammlungen 1986, S. 300: Die Verstoßung der Hagar. https://www.sammlung.pinakothek.de abgerufen am 20.08.2018.

60 Für untersuchte Gemälde finden sich die vollständigen Angaben im Katalog, s. Anhang 7.1.1. Belege zu nicht untersuchten Gemälden werden einzeln angemerkt.

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„vorzugsweise in dem Umfange der Figur und gegen diese ziemlich scharf abgegrenzt, sowie an den Rändern eines Vorhanges weiße und gelblichweiße Flecken mit matter, nicht glänzender Oberfläche [...]. An einzelnen dieser Flecken in der Mitte rissigen Firniß gleich gelbe Schuppen aufgelagert und ringsum gelbliche und bläuliche Farbtöne ähnlich wie auf angelaufenem Stahle. [...]‚Newton’sche Farbenringe’ bezeichnet [...] hervorgerufen [...] durch dünne Lage des von seiner Unterlage abgehobenen Firnißes [...] wie [...]

dünne Oxydlagen. An den meisten Flecken ist eine Trennung des Firnisses von der Unterlage nicht bemerkbar.“61

Am Bildträger aus Metall gab es am Firnis kaum Delamination, vereinzelt das Phänomen Irisieren. Radlkofer folgerte am selben Gemälde einen Bezug zur Farbschicht:

„Daß solche Flecken hauptsächlich an den dunkleren, stärker untermalten, als Schatten wirkenden Stellen (wie hier an den Contouren der Hauptfigur des Bildes) auftreten, deuten darauf hin, dass der Firnis zu verschiedene Farben sich ungleich verhält, und zwar zunächst wohl mit Rücksicht auf seine Adhäsion.“62

Der Hinweis entspricht nicht dem Fachgebiet eines Biologen und lässt einen Dialog mit einem Restaurator annehmen.

An dem Gemälde von VELDE, Landschaft, Inv.-Nr. 215 auf Fichtenholz stellte Radlkofer eine andere Verteilung fest:

„… über dunkle u. helle Stellen verteilt, [liegen] weißgelbe Flecken ohne scharfe Grenzen [teilweise delaminiert] besonders in der Höhe der zahlreichen Sprünge welche den Firniß allwärts durchsetzen.“63

Zu dem dritten und vierten Gemälde von NICKELEN, Felsengarten Inv.-Nr. 2726 sowie Landschaft, Inv.-Nr. 2727, beide auf Leinwand, fuhr Radlkofer fort:

„Auf der ganzen Oberfläche mit Ausnahme des Himmels theils gelblich, theils weißgraue Flecken. Die gelblichen sind scharf umgrenzt, [...] als ob eine dünne Lage trockenen Leimes auf dem Bilde läge. [...] hier hat sich [...] der ziemlich dick aufgetragene, gelbliche Firnis von seiner Unterlage abgehoben u.

zwischen ihm und der Unterlage … ist … Luft eingedrungen. Der Firniß hat sich förmlich abgeschuppt, ohne aber abgefallen zu sein: zugleich hat derselbe an diesen Stellen zahlreiche Risse.“64

Mit Unterlage ist hier die Farbschicht gemeint. Am Leinwandgemälde Felsengarten differenzierte Radlkofer zusätzlich einen Zusammenhang von Verteilung und Farbigkeit der Flecken:

„Die weißgrauen … waren … weniger scharf abgegrenzt [wie verschimmelte Tapete. Verglichen mit gelblichen Stellen] … ist … die Ablösung des Firnisses hier weniger vollständig.“ 65

61 Gutachten Radlkofer in: SCHMITT 1990 (a), S. 62.

62 Ebd.

63 Ebd.

64 Ebd., S. 63.

65 Gutachten Radlkofer in: SCHMITT 1990 (a), S. 63.

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Der Biologe charakterisierte Art und Verteilung der Trübung und erwähnte zum Vergleich das Irisieren als Indiz. Das Phänomen Newton’sche Farbenringe tritt an Schichtsilikaten, wie Glimmer66, von Natur aus auf. Schichten waren demnach in Lagen aufgetrennt, 30- bis 50-mal dünner als eine durchschnittliche Firnislage von 10 μm. Sehr bemerkenswert ist die Differenzierung des Biologen: Er erkannte die Morphologie der getrübten Firnisse als Versprödung und eine von der Konzentration der Risse und dem Bildträger abhängige Richtung der Filmunterbrechungen.

Horizontale Schichtentrennung war auf Leinwandgemälde und Stellen konzentrierter Rissbildung sowie die Mitte von Flecken beschränkt. Schichtentrennung von Firnis und Farblagen traten seiner Beobachtung nach an den Bildträgern Holz und Metall nur vereinzelt auf. Radlkofer konstatierte, dass die Verteilung der Trübungen vom Zustand der Firnisse abhängig war, bewertete diese Beobachtung an nur wenigen Stücken mit Bedacht nicht.

An zwei Gemälden prüfte der Biologe die Eigenschaften der getrübten Firnisse durch einfache Tests. An der Eisenblechtafel Lautenspielerin waren dies die Reaktion auf Wasser und Alkohol:

„Vorzugsmäßige Schuld … scheint eine wiederholte Benetzung mit Wasser zu tragen … Nach wiederholtem Auftropfen und] jedesmaligem Abtrocknen […

provozierte] allmälig einen weißen Fleck. … Wenn durch Auftropfen von Alkohol der Firnis allmälig gelöst wird … verschwinden … beiderlei Flecken, [irisierend] farbige und weisse … und es tritt die ursprüngliche Farbe des Bildes in ziemlicher Klarheit wieder hervor. [Er trocknete] in Form einer glänzenden, durchsichtigen Schichte und die Stelle hat nun dauernd ihr normales, ursprüngliches Aussehen wieder gewonnen.“67

Der Biologe berichtete von dem Versuch, dass mit einer künstlichen Krepierung der Effekt Trübung nachvollzogen wurde und sich mit Firnisauftrag beheben ließ. An der Holztafel NEER Landschaft Inv-Nr. 2092 erschienen „abgelöste Partien des Firnisses

… unter dem Mikroskop gelblich gefärbt.“68 Am Leinwandbild Felsengarten differenzierte der Biologe Radlkofer minutiös den Schimmelbefall und erwog den Einfluss von Kleister auf die Richtung dessen Wachstums und Eindringvermögens in die Firnisschichtung. An diesem Gemälde verglich Radlkofer den Effekt von Alkohol und „etwas fettem Öl“69. Ein Tropfen Alkohol provozierte „innig haftende“ Adhäsion und „so ziemlich wieder“ Transparenz. Durch Kapillarwirkung drang aufgetropftes Öl:

„in dem Raum zwischen Firniß u. Oberfläche des Bildes ein, verdrängt daraus die Luft u. bewirkt so, dass der gelbliche Fleck verschwindet u. die Farbe des

66 Z. B. Muskovit, KAl2[Al Si3 O10] / [(OH,F)2], zählt zu den echten Glimmern (Schichtsilikaten).

stefan@mineralienatlas.de, abgerufen 27.3.2016 (Stefan Schorn, Fritz-Arnold-Str. 7, 85614 Kirchseeon); vgl. WÜLFERT 1999, S. 223.

67 Gutachten Radlkofer in: SCHMITT 1990 (a), S. 62.

68 Ebd.

69 Ebd., S. 63.

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Bildes wieder deutlich hervortritt. Dabei bleibt aber die Oberfläche matt, da das Öl sich nicht zugleich über, sondern unter dem Firnis ausbreitet.

Noch gründlicher entfernt den gelben Fleck ein Tropfen Alkohol, welcher nicht nur die Luft unter dem Firniß vertreibt, sondern den Firniß selbst verflüssigt u.

ihn beim Verdunsten als glänzende, auf der Farbe wieder innig haftende zurück lässt.“70

Die weißgrauen Flecken waren „weniger scharf eingegrenzt … die Ablösung des Firnisses [war] hier“ geringer, dafür der mikrobiologische Befall stärker. Nach Firnisablösen mit Alkohol „blieb auf der Oberfläche der Farbe“ grauer pulveriger

„Beflug“ zurück. Die Grundierung war dreilagig, grau zwischen zwei roten Lagen.

„Unter dem Farbgrund fand sich über der Leinwand noch ein Lage von Kleister“, nachgewiesen durch Jodanfärbung, beidseitig befallen, das Leinengewebe rückwärtig stark befallen. Radlkofer nahm an, dass sich der Befall an feuchtem Standort von hinten, „zwischen den Farbrissen vordringend über die Oberfläche des Bildes … verbreitet hat“ und unzureichend entfernt „unter einer neuen Firnislage begraben“ läge. Nur an vorhandenen Schadstellen im Firnis konzentriert, beeinträchtige er die Farben. Eine mikroskopische Untersuchung weiterer Gemälde war „unzulässig“, im Unterschied zu Pettenkofer befand Radlkofer sie aber für die Bewertung jedes weiteren Gemäldes erforderlich.71

Aus restauratorischer Sicht ist interessant, dass der Biologe am selben Bild Tests mit einer polaren und einer unpolaren Flüssigkeit unternahm. Die unpolare Flüssigkeit, ein nicht spezifiziertes fettes Öl, schuf am Leinwandbild Transparenz, blieb aber matt. Auf dem Metallbildträger genügte dafür flüssiger Alkohol. In allen vier Fällen war die Transparenz72 mit gängigen Mitteln herstellbar. Dies weist auf vorhandene, gut lösliche Firnisse in ausreichender Menge, zumindest bei Neer nachweislich gealtert. Auch wenn die optische Störung nicht darauf beruhte, wies Radlkofer bei seiner präzisen mikroskopischen Voruntersuchung an den beiden Leinwandbildern Kleister als Nährboden des mikrobiologischen Befalls nach und lokalisierte ihn ausschließlich zwischen Gewebe und Farbgrund. Da die Rückseiten auch und stark befallen waren, ist anzunehmen, dass der Kleister dort teilweise abgebaut vorlag und in die Gemäldestruktur eingedrungen erhalten blieb. Welchen ursächlichen Anteil mikrobiologischer Befall an der Malschichtschädigung hat, ist in dieser Dissertation nicht verfolgt worden. Die interessante Frage ist, ob mikrobieller Befall an bestehenden Hohlräumen entlangwächst oder ob er, anders als Radlkofer folgerte, doch Trübung provozierte, indem er fein verzweigte Hohlräume schuf. Ein solches

70 Ebd.

71 Ebd., alle Zitate in diesem Absatz stammen aus dieser Textstelle.

72 An NEER Kanallandschaft, Inv-Nr. 2092 und SCHLICHTEN Lautenspielerin, Inv-Nr. 2160, beide auf starrem Bildträger, vollständig, an NICKELEN Felsenlandschaft, Inv.-Nr. 2727 mit Alkohol ebenfalls, mit Öl ohne Glanz, s. Gutachten in SCHMITT 1990 (a), S.62.

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definiert enges Wegesystem müsste wie ein Filter wirken, alle Substanzen, relative Luftfeuchtigkeit mit atmosphärischen Schadstoffen, Firnisse, Imprägnierungen, Lösemittel und originale mobilisierte Anteile würden in ihren Bewegungen nach Partikelgröße reguliert. Pettenkofer bestätigte in seinem Gutachten den Einfluss des Bildträgers. Anders als Radlkofer erschienen ihm, besonders an Bildern aus Schleißheim,73 Gemälde auf Metall-Bildträger am stärksten durch Feuchtigkeitseinfluss getrübt, danach solche auf Holz und Leinwandgemälde am geringsten. Diese Rangfolge und ein Schutz vor Trübung im Zierrahmenfalz erklärte er sich plausibel aufgrund der unterschiedlich hohen Wärmeleitfähigkeit. Aus beiden Gutachten lassen sich der Eigenschaften von Trübungen aufgliedern. So wird deutlich, wie genau die knapp gehaltenen Notizen imstande waren, den Vorzustand zu erfassen. Was beim ersten Lesen als rein sprachliche Variation wirkte, erwies sich nach detailliertem Abgleich74 als bemerkenswerte Differenzierung, welche die Morphologie der Trübungen und den Grad der Schädigung sehr nuanciert charakterisierten. Die Farbigkeit der Trübungen bezeichnete Radlkofer grau, gelblich weiß und weißgrau. Pettenkofer differenzierte die Trübung: „ohne Klarheit“75, „wenn auch trüb, aber doch noch durchscheinend. und sich glatt anfühlt“76, „getrübt“77, „sehr trüb“78, „trübe Stellen“79, „gleichmäßig trüb“80, "in zahllose Stücke zersprungen“81,

„sehr trüb mit großen, tropfenartigen, weissgrauen Flecken […] durchzogen“82, „mit grauen Streifen und Flecken wesentlich in horizontaler Richtung durchzogen“83, „sehr trüb, voll Flecken, Querstreifen und Risse, mit einzelnen weissen Tropfen im undurchsichtigen Firnisse“84, „mit weißen Tupfen überdeckt“85, „unkenntlich“86, „bis zur Unkenntlichkeit“87, „grau und unkenntlich“88, „unklar und theilweise unkenntlich“89,

73 PETTENKOFER 1863 (a) in SCHMITT 1990 (a), S. 64.

74 Der Wortlaut aus Pettenkofers Gutachten und der Beilage A wurde mit den originalen Notizen verglichen (Pettenkoferiana I.5.2-40, vgl. SCHMITT 1990(a), S. 70, Anm. 108 und SCHMITT 1988 (Anhang).

75 [Kat.-] „No. 735. HUYSMANN “, ebd., S. 101.

76 BORCH, Der verweigerte Brief, Inv.-Nr. 206, ebd., S. 65

77 WOUWERMAN, Pferdestall Inv.-Nr. 1035, Cat.-No. 403, PETTENKOFER 1870, S.100

78 Zwei Gemälde von DOU, [Kat.-] „No.394. DOW“ und 401, ebd., S. 100.

84 [Kat.-]„No. 851. DIEPRAM”, PETTENKOFER 1870, S. 103.

85 [Kat.-]„No. 670. OSTADE “, ebd., S. 103.

86 [Kat.-]„No. 766 REMBRANDT, P.”, ebd., S. 102; heute CUYP zugeschrieben.

87 SCHLICHTEN Lautenspielerin, Inv-Nr. 2160, ebd., S. 65.

88 [Kat.-]„No. 796. GEELEN”, ebd., S. 101.

89 [Kat.-]„No. 854. WETT”, ebd., S. 104.

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„in vielen Theilen ganz unkenntlich“90, „nur mehr theilweise sichtbar“91,

“verkommen“92. Gelegentlich nutzte Pettenkofer zusätzlich Analogien: „grosse weisse, wie Kalk aussehende Flecken“93, „erinnert an eine graue, schrundige Haut“94,

„erschien […] mit grauem Grase bedeckt“95, „sah verwaschen aus“96, „einige schimmelige Stellen“97. Die Verteilung wurde von beiden überwiegend als partielles Auftreten beschrieben. Hervorgehoben wurde an den Formen „Tupfen“, „Flecken, groß, tropfenartig“, „Streifen und Flecken“ eine Orientierung: flächig oder gerichtet, z.

B. „das ganze Bild [...] in horizontaler Richtung“ oder Ortsangaben „wie an dunklen Schatten“ bzw. „Personen“98. „Bäume unkenntlich“99, „namentlich im Hintergrunde“100,

„alle Schattenparthien“101, „das blaue Gewand“102. Differenziert wurde auch die Art der Filmunterbrechung: „zahlreichen Sprüngen“103, „kein halber Quadratzoll ohne Sprünge oder Furchen“104. Der Begriff Furche wird bei der Terminologie von Regenerierschäden aufgegriffen. Vereinzelt charakterisierten sie die Trübung auch durch ihr Verhalten: „weder mit Wasser noch mit Terpentinöl benetzbar“. Anders als Radlkofer ging Pettenkofer auf fettes Öl als kompetentes Benetzungsmittel aufgrund der schlechten Löslichkeit angetrockneter Ölfilme nicht ein. Außerhalb des Gutachtens hat Pettenkofer seine Diagnose erweitert. In Fortsetzung jener ersten Versuche folgerte er im Oktober 1863, dass

„auch sehr arg aussehende Veränderungen an der Oberfläche der Bilder nicht chemische Substanzveränderungen,

sondern wesentlich nur physikalische [...] sind [...].

Diese Zusammenhangstrennung, welche nur bei mikroskopischer Beobachtung als feine Risse und Blasen bemerkbar ist, beginnt vorwaltend im Firnisse und schreitet allmählig durch die Firnissschichten bis zum Grunde.“105 Hierzu ist ein Rückblick angebracht. Neben der negierenden Definition „falscher Schimmel“ benutzte man in der Hochphase der Debatte 1863/64 die weitere

99 [Kat.-]„No. 771. KAMPHYZEN”, ebd., S. 102; vgl. Grasfläche in Anm. 49.

100 Ebd.

101 [Kat.-]„No. 852. REMBRANDT, Ein Knecht mit seinem Pferde”, ebd. S. 103, 104; heute CUYP zugeschrieben.

102 [Kat.-]„No. 41. MALBODIUS”, ebd., S. 99.

103 [Kat.-]„No. 768. GELDERN, Arnold van”, ebd., S. 102.

104 [Kat.-]„No. 852. REMBRANDT, Ein Knecht mit seinem Pferde” ebd., S. 103, 104.

105 KUHN 1864, S. 12-20, vgl. PETTENKOFER, 1870, S. 25.

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allgemeine Bezeichnung „sogenannten Schimmels“106. Zur näheren Beschreibung hatten zuvor Jahn und Welsch Trübungen mit „Schnee“107 also mit meteorologischen Phänomenen oder Lebensmitteln verglichen.

Für die Auswertung der Zustände an regenerierten Gemälden liefern uns die Analogien bereits interessante Anhaltspunkte, da man heute die kleinen Dimensionen genau kennt, welche den jeweiligen optischen Charakter der Trübung dieser Stoffe verursachen und sich im Querschliffpräparat unter dem Mikroskop in ihren Größenordnungen messen lassen.

Zusammenfassend ergibt sich aus den beiden Gutachten eine erstaunlich detailgenaue Analyse des Vorzustandes: Mit diesen Schriftstücken aus dem Jahr 1863 ist belegt, dass die Vertreter der beiden Disziplinen einhellig die Gestalt beschrieben. Sie erkannten den Einfluss vom Bildträger, vom Vor-Zustand der Malschicht, sie ordneten Ursachen zu und trafen divergierende Auswertungen.

Festgehalten wird, dass an den vier für die Untersuchung vorgesehenen „werthlosen Bildern der Schleißheimer Gallerie“108, die Radlkofer auswertete, Firnis wieder hinreichend Transparenz schuf und er daher nicht erklären kann, inwiefern Restauratoren diese Trübungen nicht erfolgreich behandeln konnten.

Ausschließlich Pettenkofer hat sich mit der für den Praktiker relevanten Problematik an den zusätzlichen fünf Gemälden eingehender befasst und weitere Versuche unternommen. Auch wenn unklar bleibt, wer innerhalb der Untersuchung welchen Beitrag leistete, deutet der stellenweise gleiche Wortlaut auf einen intensiven Dialog:

Wir können annehmen, dass die Gutachter die Untersuchung an vier Gemälden gemeinsam durchführten und sie die Idee, den Schaden nachzustellen, gemeinsam entwickelt haben.

Frey sen. und Pettenkofer haben sich offenbar von Beginn an ausgetauscht, so kann man folgern, dass Restaurator Frey auf die „kostbaren“109 Gemälde in der Pinakothek hinwies, er muss gewusst haben, dass an diesen die resistenten Trübungen in Farben und Ölfirnissen vorlagen. In Hinblick auf das Scheitern der Restauratoren ist festzuhalten, dass die Gutachter im Unterschied zu den Restauratoren die erforderliche, starke Vergrößerung nutzen konnten.

Trübungen in den Farblagen hatte Pettenkofer im Gutachten noch als Merkwürdigkeit wahrgenommen. Der nächste Abschnitt wird zeigen, dass er im Herbst deren Behandlung mit zu seiner Aufgabe zählte.

106 Vgl. PECHT 1863 (a), Anfang September: „an dem sogenannten Schimmel litt […] unter der weißen Decke“.

107 WELSCH 1834, S. 90 und JAHN 1803, S. 57.

108 Ebd. S. 22.

109 Ebd. S. 55, namentlich das Gemälde von BORCH.

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