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Diskussion der Wirkung der Regeneriersubstanzen

und Recherche regenerierter Gemälde

2 Regeneriersubstanzen – Materialkunde von Copaivabalsam und Einblick in genutzte alternative Regeneriersubstanzen

2.3 Überlegungen zur Wirkung von Pettenkofers Regeneriersubstanzen In den Experimenten konnten nicht alle historischen Faktoren berücksichtigt werden, In den Experimenten konnten nicht alle historischen Faktoren berücksichtigt werden,

2.3.3 Diskussion der Wirkung der Regeneriersubstanzen

In der anfänglich von Pettenkofer verwendeten blechverkleideten Kiste waren sehr große Mengen flüssigen Alkohols nötig. Der günstigere Preis des unrektifizierten Rohspiritus wird entscheidend gewesen sein, den wasserhaltigen Alkohol zu verwenden. Unklar ist, ob der Wassergehalt einen Einfluss auf die Luftfeuchtigkeit im Kasten hat oder die Wechselwirkung mit Ethanol bzw. Gemäldeoberfläche dominiert.

Die grundlegende Frage ist, ob und wie rasch die Anteile Ethanol bzw. Wasser von der krepierten Oberfläche aufgenommen werden. Dazu ist der Prozess des Eindringens und nach der Behandlung des Abtrocknens sowie die Löslichkeit zu betrachten. Nach Michalski treten bei Lösemittelkontakt Adsorption, nachfolgend Penetration, Diffusion (Quellung) und schließlich Lösung ein, wobei der gequollenen Zone eine Quellfront und der gelösten Zone eine Lösungsfront vorauseilt528. Bei der Adsorption werden die Grenzflächen von adsorbierendem und adsorbiertem Stoff aufgehoben, in unserem Fall löst Ethanol den Firnis, typischerweise wird dieser Prozess von einer Volumenzunahme begleitet529. Aus der Wasserdampfdiffusion an Mauerwerk ist bekannt, dass jeder dieser Schritte Energie verbraucht, der Prozess sich also mit jedem Übergang in ein anderes Material verlangsamt bzw. zum Erliegen kommen kann, bevor alle Hohlräume erreicht sind. Je nach Größe der Hohlräume an der krepierten Oberfläche und Temperatur kommt es zu Sättigungsdruck (Maximum der Aufnahmekapazität gasförmigen Ethanols). Wie im ersten Kapitel angesprochen, wertete Pettenkofer diese Gesetzmäßigkeit 1870 fälschlich als Sicherheitsmarge aus.

Diesen Aspekt hat Demuth aufgegriffen und widerlegt. In kleinen Hohlräumen kann es zu Kapillarkondensation kommen und einen Transport bis in kleinste Poren bewirken.

Beim Auftrag von Copaivabalsam sind dessen Stärke und sein Gehalt an ätherischem Öl von Einfluss. Durch Alter und Streckmittel können abweichende Substanzen, Polaritäten, Löslichkeiten hinzukommen.

Betrachtet man weiter systematisch die Einwirkung von Weingeist in der Dampfphase ohne und mit Balsamauftrag, sind nicht nur die Lösemittelparameter der zwei bzw. drei Flüssigkeiten Wasser, Ethanol und ggf. Copaivabalsamöl, sondern auch die Lösungsparameter von Balsam und der Firnisschicht wirksam sowie die Bindungskräfte aller Partner untereinander zu beachten.

Der durch Wassergehalt sehr polare Weingeist und das unpolare Copaivaöl (hier repräsentiert durch SDE-Öl) sind ein extrem gegensätzliches Gemenge und erinnern an historische Gemenge. Über Jahrhunderte sind an Gemälden sogenannte Putzwasser eingesetzt worden, also Mischungen aus mindestens drei Lösemitteln:

Ethanol mit Wassergehalt in unterschiedlicher Menge und Terpentinöl. Zumindest

528 MICHALSKI 1990, S. 86-87.

529 HILBERT 1996, S. 143-145.

rechnerisch530 sind durch geringe Änderungen der Anteile dieser drei Lösemittel die Teas-Parameter531 all jener Lösemittel erreichbar, die in der Nachfolge von Pettenkofer als Regeneriersubstanzen oder in Rezepturen für Reforming verwendet wurden (s.

Exkurs). Da die Lösemittelparameter nach Teas heute als unzulänglich gelten, liegen für Lösemittelmischungen inzwischen Revisionen vor532. Zumbühl hat gemessen, dass bestimmte Verhältnisse in binären Lösemittelmischungen deutlich höhere Erweichungsgrade (an jungen Farbaufträgen) bewirken, insbesondere Mischungen zu gleichen Teilen von Lösemitteln stark ungleicher Polarität (Bsp. Toluol / Ethanol)533. Grundlegend sind für Pettenkofers Regeneriersubstanzen die gleichen Chancen und Risiken anzunehmen, hinzu kommt der Filmbildner Balsam. Für Mischungen von mehr als zwei Flüssigkeiten und erst recht für Lösemittel in der Dampfphase liegen nach wie vor keine erarbeiteten Parameter vor. Auch in dieser Hinsicht bleibt die Wirkung experimentell zu ermitteln.

Ein historisch bedachter Aspekt im Prozess war die Viskosität des Copaivabalsams.

Unter der Variante § 2.2.2 Balsam posterior gab Pettenkofer an: „an schwer zu sättigenden Stellen verwendet man auch Maracaibo [...]“534. Maracaibobalsam enthielt laut Pettenkofer 50% Gehalt von Copaivaöl. Das spricht dafür, dass ein viskoser Balsam persistente Krepierungen besser regenerierte. Pettenkofer sprach zwei Wege an, um den Copaivabalsam in hoher Viskosität zu erhalten:

- entweder durch die Wahl der Handelssorte oder

- indem man „durch längeres Stehen an der Luft, oder schneller durch Kochen mit Wasser […] Para[-Balsam] in Maracaibo[-Balsam] verwandelt.“535

Mit dem Eindicken im Wasserbad erreichte Pettenkofer zwar rasch einen dickeren Film beim Auftrag und trug eine relativ höhere Menge Copaivaöl ein, ungewollt ging damit eine gesteigerte Alterung des Harzanteils einher. Anzunehmen ist, dass ein hochviskoser Balsamauftrag

- zu den Diterpenharzen (Terpentinbalsam, Sandarak, Kopale) affiner als zu Triterpenharzen (Dammar, Mastix) ist,

- Weingeistdämpfe länger absorbiert.

Offensichtlich brachte die Anwendung von viskosem Maracaibobalsam auch einen Nachteil mit sich, denn Pettenkofer kommentierte: „[...] sollte er sich nach längerer Zeit

530 Parameter nach Teas sind mit dem jeweiligen Prozentgehalt einzurechnen.

531 PIETSCH 1998.

532 OPEÑA/JÄGERS 2013, S. 165.

533 ZUMBÜHL 2011, S. 46.

534 Diese Antwort gab Pettenkofer 1863 auf die Frage des britischen Malers Hoyoll in London, der half, den Kontakt zur National Gallery zu vermitteln (Pettenkoferiana II).

535 Pettenkofer 1870, S. 27.

noch klebrig anfühlen, so kann man einen leichten Firnis (Mastix- oder Dammar in Terpentinöl aufgelöst) darüber geben.“536 Dies wurde auch so ausgeführt (s. § 2.1).

Das Überziehen klebriger, noch nicht durchgetrockneter Farbfilme mit schnell physikalisch trocknenden Überzügen ist ein Kardinalfehler in der Anstrichtechnik, es entstehen Filmunterbrechungen. Anzunehmen ist, dass bei dieser originalen Variante von Pettenkofers Regenerationsverfahren ein potentieller Filmdefekt entstand, der als Regenerierschaden gewertet werden muss, und nicht als maltechnischer Fehler missgedeutet werden sollte. Denkbar ist auch, dass anstelle der Farblagen eine ölhaltige Firnisschichtung (mit Zwischenlagen aus lasierenden Übermalungen) neue Filmunterbrechungen ausbildete. In den Experimenten wurde viskoser Auftrag mit den Balsamen 1 und 2 realisiert.

Copaivabalsam war zeitweise im Handel nicht frisch erhältlich, Lagerbestände können zum Einsatz gekommen sein. Der flüssige Anteil in den Balsamen ist ein Gemenge aus von Sesquiterpenen und Sesquiterpenalkoholen, das nach Art und Erntezeit variiert und teilweise bei Lagerung polymerisieren kann. Denkbar ist, dass dabei dünnste Filme in die Firnisschichtung eingetragen worden sind, deren Löslichkeit bisher ungeklärt ist.

In vielen Beschreibungen des echten Copaivabalsams wird betont, dass er sich in allen Verhältnissen nur in „absolutem“, also mindestens 95%igem Alkohol vollständig löst.

Nach SCHEDEL 1863537 löste Weingeist zu 90% echten Copaivabalsam „leicht und ganz auf“, nach Meyers Konversationslexikon von 1851538 konnte 80%iger Weingeist

„nur 1/10 oder 1/9 seines Gewichtes“ auflösen. Nicht geprüft wurde, unterhalb welcher Konzentration Weingeist sich mit Copaivabalsam nicht mehr mischt und die Regeneriersubstanz selbst Filmstörungen mit sich bringt. Dies dürfte ebenfalls vom Gehalt an unpolarem ätherischem Öl und dem Alter der dabei polarer werdenden Harzkomponente abhängig sein und erfordert zur Ermittlung größere Versuchsreihen.

Mit Blick auf die Durchführung schließlich interessierte die Verträglichkeit der unterschiedlich polaren Flüssigkeiten beim alternierenden Behandeln (§ 2.2). So ist bei einem anterioren Balsamauftrag (§ 2.2.1) fraglich, ob aufgrund der Unpolarität des enthaltenen Copaivaöls wasserhaltiger Weingeist in der Dampfphase, also ein extrem polares Lösemittel, verzögert oder überhaupt absorbiert wird. Aus diesem systematischen Grund wurde in Serie 2 der Experimente die Kombination von Copaivaöl und Bedampfung als zusätzlich Variante realisiert, auch wenn Pettenkofer diese gleichzeitige Kombination nicht angewandt hatte. Bei einem posterioren Balsamauftrag (§ 2.2.2) verlängert der Harzanteil im Balsam wahrscheinlich die

536 Ebd.

537 SCHEDEL 1863, S. 48.

538 MEYERS 1839, Bd. 18 (1851), S. 1042.

Retention des Weingeistes. Fraglich ist, ob diese durch Copaivaöl noch signifikant gesteigert wird und so eine riskante „Lösung in tieferen Lagen“539 verstärkt.

Für eine präventive Imprägnierung (§ 3.1) empfahl Pettenkofer Copaivaöl als nachträglichen, separaten und zu wiederholenden Auftrag. Damit behandelte Gemälde würden der Feuchtigkeit mehr Widerstand entgegensetzen. Aus diesem Grund wurden alternativ imprägnierte Proben bei den Experimenten zeitweise erhöhter Luftfeuchtigkeit ausgesetzt, abweichend von seiner Version systematisch einfacher nach Imprägnierung mit Copaivaöl.

Diesen zahlreichen Aspekten versuchten Nachfolger Pettenkofers mit einer lokal begrenzten Behandlung gerecht zu werden, sowohl Balsamaufträge wie Bedampfung konnten partiell angepasst und wiederholt werden. In Bedampfungen erfahrener Restauratoren ist bekannt, dass darüber hinaus kleinste Veränderung der Bedingungen die Dauer und das Ergebnis einer Bedampfung beeinflussen; genauso wie ein geringer Luftzug im Atelier, Wärme einer auf die Schachtel gelegten Hand, zu lange oder undicht aufgelegte Schachteln machen sich bemerkbar.

Mit der detaillierten Recherche über historische Materialkunde, durchgeführter chemischer Analyse und systematischen Überlegungen zu Wirkung bzw.

Wechselwirkungen wurden die notwendigen Voraussetzungen für den experimentellen Nachvollzug erfüllt. Mit Blick auf die Experimente bleibt, die wichtigsten Ergebnisse aus diesem Kapitel festzuhalten: die Balsame 1 und 2 sowie Souzabalsam konnten auf der Basis der Analysen für die Versuchsreihen ausgewählt werden. Die Destillation von Copaivaöl aus Souzabalsam erschloss die Möglichkeit, das Destillat separat im Nachvollzug zu prüfen. Bisher kennt man keine chemische Reaktion von Copaivabalsam und der Hauptkomponente gealterter Ölfarben (Azelain). Das Öl des Copaivabalsams hat geringe Lösekraft und ist als Weichmacher einzuschätzen.

Anhand der charakteristischen Marker ließ sich Copaivabalsam als Konservierungssubstanz in der Mehrzahl der ausgewählten regenerierten Gemälde nachweisen. Aus dem ersten Kapitel wird erinnert, dass „Regenerierung“ ein Sammelbegriff ist, gemeinsam ist diesen Maßnahmen nur das Ziel, eine verlorene Transparenz herzustellen. Weder die Art der Trübung noch die Mittel noch die Behandlung sind festgeschrieben. Der nachfolgende Exkurs macht dies deutlich:

Rezeptur und Art der Applikation bleiben offen, eingesetzt wurden Flüssigkeiten, Lösemittel in der Dampfphase oder in Mischungen, ggf. kombiniert mit Feststoffen, Filmbilder und / oder aufgelegte Vliese.

539 Siehe 2.4 Exkurs.

Bedampfung war eine neue Art der Applikation, zu erwarten war entsprechend abweichende Volumenänderung. Die Experimente sollten zeigen, inwieweit ohne Manipulation relevante Unterschiede erkennbar sind und wie sich diese durch Copaivakomponenten zusätzlich verändern. Auch im Fall von gleicher Gestalt wären Änderungen von Belang, da sie sekundär erzeugt sind, daher wären in beiden Fällen neue Bezeichnungen zu treffen, ähnlich wie sie bei Frühschwund-Riss und Riss bereits bestehen.