• Keine Ergebnisse gefunden

Aufteilung, Behandlung und Verwendung der Probenkörper

und Recherche regenerierter Gemälde

3 Experimentelle Prüfung von Pettenkofers Verfahren

3.3 Aufteilung, Behandlung und Verwendung der Probenkörper

Das Fragment wurde mit Gewebe und belassenen Firnislagen in vier gleichartige Abschnitte von je 6 x 12 cm Fläche zerschnitten (aufgeteilt als A bis D), die Abschnitte C und D blieben im Vorzustand, die Abschnitte A und B wurden künstlich krepiert. Es

670 vgl. OBERTHALER/HAAG/PÉNOT 2010.

671 GROEN 1988.

672 Gemäldefragment von Herrschaft lief nach 1 x 20 Sek. über Wasserdampf bereits weiß an, nach Kudrjawzews Bericht über den Rohrbruch in der Tretjakow-Galerie sind die Bilder dort rasch krepiert. Vgl. HERRSCHAFT 2012, S. 40.

164

gibt folglich zwei Feldarten, die belassene Feldart (D-Felder) wird künftig als „normal“, die kontrolliert krepierte Feldart (A- und B-Felder) als „krepiert“ bezeichnet.

Alle vier Abschnitte wurden in Felder zerschnitten, dabei ist ein Feld ein Probekörper.

Bei der systematischen schrittweisen Verwendung wurden jeweils einige Felder als Referenzmaterial zurückgehalten.

Kartierung der Felder und Codierung

Die Herkunft des einzelnen Testfeldes aus Abschnitt A und B war zur Lokalisierung der Position der Übermalung hilfreich. Da beide Abschnitte gleichartig krepiert waren, wird der Buchstabe im Text zur Vereinfachung weggelassen. Bis auf ein normal belassenes Feld 01 sind alle Felder für Serie 1 krepiert worden, Felder 8 und 24 blieben zur Nachprüfbarkeit dieses Zustandes nach der Krepierung unbehandelt.

Die Behandlungen sind in Tabelle 3.2.4a abzulesen.

Tabelle 3.3a Krepierte Felder aus den Abschnitten A und B sowie deren Behandlung Feld-Nr. Regeneriersubstanzen:

Weingeist zu 90% mit Angabe der Dauer der Einwirkung sowie Balsam 1 und Balsam 2*

A01 normal belassen A8 krepiert belassen B24

A00 2-n-Propanol (30 Min.) A10 Weingeist 90% (60 Min.)

A7 Weingeist 90% (3 Min.)

A1 ./. Balsam 1 (2x) - anterior + Weingeist 90% (15 Min.)

A3 ./. Balsam 1 (2x) - anterior + Weingeist 90% (15 Min.)

A5 ./. Balsam 1 (2x) - anterior + Weingeist 90% (3 Min.)

B15 ./. Balsam 1 (2x) - anterior + Weingeist 90% (15 Min.) B17 ./. Balsam 1 (2x) - anterior + Weingeist 90% (15 Min.) B19 ./. Balsam 1 (2x) - anterior + Weingeist 90% (15 Min.) B21 ./. Balsam 1 (2x) - anterior + Weingeist 90% (15 Min.)

A9 Weingeist 90% (30 Min.) Balsam 1 (2x) + Weingeist 90% (3 Min.) – alternierend A11 Weingeist 90% (30 Min.) Balsam 1 (2x) + Weingeist 90% (3 Min.) – alternierend A13 Weingeist 90% (30 Min.) Balsam 1 (2x) + Weingeist 90% (3 Min.) – alternierend

A2 ./. + Balsam 2 - anterior + Weingeist 90% (26 Min.)

A4 ./. + Balsam 2 - anterior + Weingeist 90% (26 Min.)

A6 ./. + Balsam 2 - anterior + Weingeist 90% (26 Min.)

B16 ./. + Balsam 2 - anterior + Weingeist 90% (26 Min.)

B18 ./. + Balsam 2 - anterior + Weingeist 90% (26 Min..)

B20 ./. + Balsam 2 - anterior + Weingeist 90% (26 Min.)

A12 Weingeist 90% (30 Min.) + Balsam 2 + Weingeist 90% (26 Min.)- alternierend B14 Weingeist 90% (30 Min.) + Balsam 2 + Weingeist 90% (26 Min.) - alternierend

Legende:*Balsam 1 ist der Code für „Bizarri-Balsam“ (Typ A), Balsam 2 ist der Code für „Schachinger-Balsam“ (Typ B)

165

Zwei Felder dienten bei der Ermittlung der Dauer und dem Vergleich der Alkoholarten:

Feld 00 erhielt 2-n-Propanol und Feld 10 90%igen Ethanol. Weitere Einzelheiten werden später erläutert.

Die Lage der Felder in den Abschnitten A und B zeigt die folgende Tabelle 3.2.4b.

Nahtumschlag

A A1 A2 A3 A00

A8 A4 A5 A6 A7*

A9 A10 A11 A12 A13

B B14* B15 B16

B17 B18 B19 B24*

B20 B21 B22

Tabelle 3.3b Kartierung der Felder in den krepierten Abschnitten A und B

Der grüne Pinseltupfer gibt schematisch die Position der Übermalung P 3 wieder, gelbe Felder erhielten Balsam 1, orange Felder Balsam 2,

graue Felder dienten den im Text genannten Zwecken.

Feld B24* wurde exemplarisch mit FTIR untersucht.

Deckel zum Bedampfen

Als Boden des flachen Deckels diente eine entspiegelte Glasscheibe.673 Die Seiten des Deckels waren 25 mm hoch und bestanden aus Zellulose-Leichtkarton (3 mm) aus dem Grafikbedarf. An den Außenflächen der Seiten isolierten Klebstreifen mit Aluband dampfdicht.674 Damit die Sicht unbehindert blieb, dienten an den Innenseiten angeklebte Moltonstreifen als Reservoir für Alkohol675. Zur Reduzierung störender Lichtreflexe bei den Aufnahmen ist ein schwarzes Moltongewebe verwendet worden.

Das umschlossene Raumvolumen betrug 10 x 15 x 2,5 cm, also 45 cm3. Dokumentation

Beobachtung und Protokoll dieser Regenerierung erfolgten kontinuierlich. Die optischen Veränderungen während der Bedampfung wurden schrittweise fotodokumentiert unter Normallicht (VIS). Die Querschnitte wurden jeweils mit normalem Licht (VIS) und bei ultravioletter Strahlung (UV) fotografiert, einen besonderen Vorteil bot die gleichzeitige Nutzung beider Strahlenquellen.676

673 „Mirogard Magic“ der Fa. Schott.

674 Klebestreifen, Fa. TESA.

675 Ein dickes Baumwollgewebe aus dem Textilhandel, Klebstoff Ponal, Fa. Henkel.

676 Idee Hans Brammer, Kassel.

Abschnitt A

Abschnitt B

166 3.4 Ermittlung geeigneter Parameter

– Bedampfung mit 2-n-Propanol und Weingeist (90% Ethanol)

60 μm starke Firnisschichtungen sind selten erhalten. Die berufspraktische Erfahrung der Verfasserin beschränkte sich auf die Bedampfung mit 2-n-Propanol an dünnen Firnislagen, die längstens nach 3 Min.. transparent wurden. Um das Verhalten bei Regenerierung am Fragment grundlegend kennenzulernen und parallel an eigenen Erfahrungen abzugleichen, erfolgte ein Vorversuch an zwei Feldern:

• am krepierten Feld A00 erfolgte die Bedampfung mit 2-n-Propanol

• am krepierten Feld A10 erfolgte die Bedampfung mit Weingeist (90%).

3.4.1 Vorgehen

Etwa 1 ml Alkohol ist je Bedampfungszyklus mit Injektionsspritzen gleichmäßig auf die Moltonstreifen verteilt worden. Die Felder lagen auf einer entspiegelten Glasplatte, unter der ein schwarzes Papier lag. Der Kasten wurde bei Zimmertemperatur über die Proben gestülpt und wie in der Praxis üblich bis zur Durchsichtigkeit der Firnisschicht belassen. Zwischen den beiden Zyklen wurden die Moltonstreifen trocken geföhnt und konnten über Nacht ausdunsten.

3.4.2 Ergebnisse

Die Effekte der beiden Lösemittel werden getrennt vorgestellt.

3.4.2.1 Verlauf der Bedampfung mit 2-n-Propanol

Der erste Effekt trat sofort ein, der Glanz nahm zu, die Risse schmälerten sich. So weit entsprach der Prozess der Erwartung. Die weitere Entwicklung entsprach nicht mehr der gewohnten Seherfahrung. Am Fragment formten sich an der Oberfläche Tropfen.677 Eine weiße Trübung färbte sich nach drei Minuten gelb, schmälerte sich nach acht Minuten und war nach 13 Minuten noch nicht vollständig verschwunden.

Nach 15 Minuten fing die Firnisschichtung an, entlang den Sprungkanten flüssig zu werden. Nach 25 Min.. kondensierte 2-n-Propanol an der waagrechten Glasdecke des Kastens, tropfte aber nicht ab. Die restlose Regenerierung trat erst nach 30 Min.. ein.

Gleichzeitig bildete sich ein Tropfen gelösten Firnisses an der Oberfläche und breitete sich wie ein Pilzhut schirmartig auf ihr aus.

677 Krämer zeigte eine hervorragende Abbildung eines solchen frühen Stadiums einer Alkoholbedampfung. KRÄMER 2009, S. 29, 30.

167 Effekt unter 2-n-Propanol:

- Der Prozess dauerte überraschend lang (30 Minuten)

- Es bildete sich auf der Oberfläche ein Tropfen, flüssige Substanz stieg auf und konnte sich schirmartig, wie ein Pilzhut, ausbreiten.

3.4.2.2 Verlauf der Bedampfung mit Weingeist (90%igem Ethanol)

Feld A10 wurde während der Bedampfung fotodokumentiert, exemplarisch werden Stadien gezeigt (Abb. 3_19, 3_20). Erste Effekte traten auch hier schon nach kurzer Zeit auf. Nach 3 Min.. zeigte sich der Beginn der Lösung durch erste Lichtreflexe in den Sprüngen an. Nach 7 Min. traten erste Luftblasen auf.

Abb.3_19 Abb.3_20

Testfeld A10 – nach 17 und 20 Minuten unwesentlich verändert

Bei zunehmender Dauer klärten sich zunächst die Sprünge, die krepierte lufthaltige Zone wurde vor allem von den Sprungkanten aus angefüllt, die transparente Lösungsfront wanderte dann entlang der horizontalen Schichtentrennung in Richtung Zentrum der Firnis-/Malschichtscholle (intersektionale Ausbreitung). Nach 33 Min..

waren die meisten Trübungen beseitigt, auch hier kondensierten Alkoholtropfen am Glasdeckel. Nach 37 Min.. wirkten die Kanten der Firnissprünge noch scharf abgegrenzt, danach quollen sie zusammen. Nach 38 Min.. bildeten sich rasch viele kleine Luftblasen, die kontinuierlich in gleichförmigen Spuren zur Oberfläche aufstiegen. Die Luft wurde aus den Mikrorissen vertrieben. Ab einer gewissen Feinheit des getrübten restlichen Schwemmsaums vollzog sich der Prozess immer langsamer.

Ein Charakteristikum des trüben Schwemmsaums ist, dass er von der Schollenkante her mit fortschreitender Regenerierung immer schmaler wird. In Abb. 3_23 hält er einen Abstand zu den Schollenkanten, die Breite des Abstands ist proportional zur Größe des begleitenden Sprungs. Der markierte Saum war von drei Seiten erreichbar, ist daher schmal und der Abstand zur Kante groß.

168

Abb. 3_21

Luft eingeschlossen als Reihung von Luftblasen und randbegleitender trüber Schwemmsaum

Nach 45 Minuten war der Firnis so weit verflüssigt, dass er eine Fehlstelle ausfüllen konnte. Letzte Trübungen verschwanden zwischen der 50. und der 60. Min.ute, der Kasten wurde abgenommen. Die vollständig verflüssigte glänzende Oberfläche wandelte sich in der anschließenden Trocknungsphase rasch in eine seidenmatte Oberfläche und erzeugte im Vergleich zum Zustand vor der Regenerierung eine überzeugende Farbsättigung und Transparenz. Der rasch trocknende Harzfilm an der Oberfläche schloss Luftblasen ein. Alterssprünge in der Farbschicht zeigten sich noch, jene im Firnis waren unsichtbar.

Unter 90%igem Weingeist traten folgende Effekte ein:

- das restlose Regenerieren mit 90%igem Weingeist dauerte eine ganze Stunde, somit doppelt so lange wie mit 2-n-Propanol.

- Feinporige lufthaltige Schwemmsäume wurden nur sehr langsam regeneriert. Sie lagen von den bereits verflüssigten Sprungkanten entfernt im Innern der Schollen und begleiten die Schollenkanten in Distanz proportional zur Sprungtiefe.

- Nach 7 Minuten zeigten sich zunehmend Luftblasen. Sie stiegen erst spät auf, zusammen mit der langsamen Regenerieren / dem Verschwinden der trüben Schwemmsäume.

3.4.3 Auswertung der Bedampfung mit beiden Alkoholarten

Die unterschiedliche Dauer an diesen einzeln bedampften Feldern ergab sich aus dem Erreichen der Transparenz. Die unterschiedlichen Effekte warfen Fragen auf, welche Rolle die Alkoholarten, die Schichtstärke der Firnisschichtung und der 10%ige Wasseranteil im Weingeist spielten und warum die Luftblasen nur unter 90%igem Weingeist auftraten. Kondensation trat bei beiden Alkoholarten auf, der schirmartige Pilzhut aus Flüssigkeit nur bei 2-n-Propanol.

Schwemmsaum

169

Zur Erläuterung des Regenerierprozesses war es hilfreich, die Seminararbeit von Petra Demuth hinzuzuziehen, die mit anderer Zielsetzung eigene Versuchsreihen über Regenerierung unternommen hatte.678 Demuth exzerpierte die wenigen Studien über das Verdunstungsverhalten von Lösemitteln in Naturharzfilmen von Lorenz, Horie, Masschelein-Kleiner und Feller.679 Demnach verdunstet in der ersten Phase (Ablüften) der Großteil des Lösemittels. Die zweite Phase, also die Diffusion des restlichen Lösemittels (Permeation) durch den trocknenden Harzfilm, dauert erheblich länger. Diese Gesetzmäßigkeit beobachtete auch Herrschaft in ihren Experimenten und fand sie in der Fachliteratur bestätigt.680 Nach lacktechnischer Praxis sorgt eine lange Retention für eine gute Filmbildung.681 Pettenkofer könnte, mit dem Ziel einer guten (und stabilen) Filmbildung, bewusst Weingeist zu 80% als ein langsamer wirkendes Lösemittel eingesetzt haben. Der niedrigere Preis war bei den extrem großen Mengen flüssigen Alkohols, die 1865 benötigt wurden, ein starkes Argument.

Zur vollkommenen Lösung der Harzmoleküle muss sich das Lösemittel nahezu molekular verteilen.682 Hierzu sind ausreichend hoher Dampfdruck und die passende Lösekraft erforderlich. Die Molekülgröße und -struktur der Lösemittel beeinflussen grundlegend die Geschwindigkeit der Diffusion, kleine Moleküle diffundieren schneller.683 Ethanol hat in der homologen Reihe der Alkohole die kürzeste Kohlenwasserstoffkette. Trotz seines größeren Moleküls regenerierte 2-n-Propanol schneller als das azeotrope Gemisch aus kleinen Molekülen. Hier entsprach der Verlauf am Fragment nicht dem theoretischen Modell. Der Dampfdruck von Ethanol ist höher als der von 2-n-Propanol, der von Wasser sehr viel niedriger.684 Im azeotropen Gemisch (96% Wassergehalt) liegt der Siedepunkt geringfügig höher (78,2°C statt 78°C)685, der Dampfdruck jedoch höher und damit wird der Unterschied zum 2-Propanol noch gesteigert. Der 10%ige Wasseranteil verstärkt die Polarität des Gemisches im Vergleich zu reinem Ethanol und 2-Propanol. Nach Einfluss der Feuchtigkeit beim Krepieren war anzunehmen, dass das Fragment polarer wurde und daher Weingeist ein affineres Lösemittel als 2-n-Propanol sei. Nachdem 2-n-Propanol schneller wirkte und vor dem Erreichen der Klarheit ein punktuelles Hochpressen von

678 DEMUTH 2000.

679 LORENZ 1998, S. 46; HORIE 1995, S. 70; MASSCHELEIN-KLEINER 1986, S. 136;

FELLER 1958, S. 168 und 1985, S. 137, sämtlich zitiert nach Demuth 2000, S. 153.

680 Regalrez-Filme waren auch nach sechs Monaten noch nicht trocken. HERRSCHAFT 2012.

OPEÑA/JÄGERS 2010 S. 69-71.

681 DEMUTH 2000, S. 78.

682 LORENZ 1998, S. 69.

683 HANSEN 1968, S. 42 zitiert nach REBBER 1997, S. 33.

684 Ethanol 58 hPa; 2-n-Propanol 42,6 hPa, Wasser 23,4 hPa, GESTIS Datenbank http://gestis.itrust.de/nxt/gateway.dll, abgerufen am 15.11.2018.

685 Ethanol allein 78,4°C, Wasser 100°C, das Azeotrop ca. 96: 5%Gew. = 78,2°C und 101,3 kPa. Nach D. Stoye, Ullmanns Enzyklopädie 1993a, Vol. A24, S. 470.