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Allgemeine Materialkenntnisse

und Recherche regenerierter Gemälde

2 Regeneriersubstanzen – Materialkunde von Copaivabalsam und Einblick in genutzte alternative Regeneriersubstanzen

2.1 Materialkunde zu Copaivabalsam

2.1.1 Allgemeine Materialkenntnisse

Balsam ist bei Pflanzenprodukten ein feststehender Terminus für nicht wasserlösliche Baumausflüsse. Balsam leitet sich vom hebräisch / arabischen „balessan“439 ab und verweist auf die traditionelle Herkunft der klassischen echten Opoponax-Balsame. Das Wort copa-iva setzt sich aus der portugiesisch-spanischen Bezeichnung copa (Baumkrone) und der einheimischen Bezeichnung iba (iva) für Pokal (hier kelchartige

434 PETTENKOFER 1888, Nr. 40, S. 4. Van der Werf nahm an, dass er damit das verwendete Material angab – dies kann man zwar folgern, er sagte aber nur, dass diese Art am meisten gehandelt wurde.

435 POMET 1694, Kap. 51, S. 280.

436 NOBACK 1860, S. 625; neben Großbritannien, Portugal und Deutschland nannte er New York.

437 Pharmakopöe für das Königreich Württemberg, Stuttgart 1847, S. 21; nach freundlicher Mitteilung 1998 von Prof. Dr. Jüttner, Institut für Geschichte der Medizin der freien Universität Berlin, Fachrichtung Pharmaziegeschichte, war das württembergische Apothekerbuch auch in Bayern vorbildlich, da die Angaben in der zeitgleichen bayerischen Pharmakopöe zu knapp waren.

438 MEYERS 1848, Bd. 18 (1851), S. 1042; die Übereinstimmungen betreffen Herkunft, Löslichkeit, Opaleszieren und annähernd 50% Harzgehalt.

439 Opoponax ist eine historische Bezeichnung des Gummiharzes von Bursaceen in Persioen oder Umbelliferen in Südeuropa (Dieterich 1930, S. 427). Das Wort [alt-griech: opos = Gemüsesaft, panacea = alles heilend] ist biologisch nicht spezifisch und bezeichnet die harzhaltigen Pflanzensäfte, die als Heilmittel und Duftquelle verwendet worden sind. Website des Botanischen Gartens der Eberhard-Karls-Universität Tübingen http://www.uni-tuebingen.de/einrichtungen/zentrale-einrichtungen/botanischer-garten.html am 17.6.2012.

Höhlung im Stamm) zusammen440. Copaiva meint also ursprünglich botanisch unspezifisch einen Baum mit Laubkrone, dessen naturgegebene Hohlräume im Stamm Harzbalsam ausfließen lassen. Wie bei der Balsamgewinnung in Europa gewinnt man den Copaivabalsam durch Anschnitt des Stammes. Bei Copaivabäumen ist der Ertrag jedoch sehr viel ergiebiger, es fließen bis zu 40 Liter aus einem Baum441. 1863 wurde präzisiert: „ein kräftiger schöner Baum der Provinz Pará soll zuweilen binnen wenigen Stunden über zwölf Pfund liefern“442. Der Grund dafür ist, dass dieses Bäume keine Exkretionssysteme haben und ihre Sekundärstoffe im Kernholz ablagern. Manche Sorten Copaivabalsam sind rötlich gefärbt, was von der Färbung des Holzstammes herrühren soll.

Das ätherische Öl ist im sogenannten ersten Ausfluss des Balsams zur Regenzeit reich enthalten, kann aber aus dem Balsam auch nachträglich durch Destillation getrennt gewonnen werden. Der sogenannte zweite Ausfluss ergibt den Balsam, er wird frisch als gelblich beschrieben und kann honigartige Konsistenz haben. Entgegen anders lautender Aussagen443 ist zumindest echter Balsam aus der Provinz Pará relativ mild im Geruch und sein Öl fast farblos hell und klar. Auch dünne ausgetrocknete Filme zeichnen sich durch einen starken Glanz aus444.

Copaivabalsam wurde in Europa im 16. Jh. bekannt und ist bereits im 17. Jh. nach Europa eingeführt worden, zunächst vorwiegend für den medizinischen Gebrauch, aber auch in großer Menge als Lampenbrennstoff (pflanzlicher Petroleumersatz445).

Seit 1710 war er vielfach verfälscht auf dem europäischen Markt446 und wurde zum Künstlermaterial. Im 19. Jh. wuchs seine Bedeutung im Welthandel als Zusatzstoff in der Lackindustrie, er wurde in Farben und als Konservierungsmittel verwandt. Die Balsame aus Maracaibo und der Provinz Pará, die Pettenkofer beschrieb, sind die beiden üblichen pharmazeutischen Produkte:

- der dickflüssige Maracaibobalsam diente als Klebstoff für Pflaster (dabei störten Verfälschungen nicht)

- den dünnflüssigeren Parabalsam nutze man für Einreibungen und zur Einnahme.

440 FINX 1668, Teil 1, S. 572-573; er erläutert als Erster die Etymologie des Begriffs. Für Brasilianer ist bis heute der Lippenschluss orthographisch unerheblich, im Deutschen hat sich die Schreibweise mit v eingebürgert, im Englischen die mit b. Mitteilung von Luiz Souza.

441 LLOYD 1896, Reprint 1911, S. 11.

442 SCHEDEL 1863, S. 48.

443 SCHIESSL1987/1.

444 Aufstriche der Verfasserin.

445 LLOYD 1896, Reprint 1911, S. 11 mit Hinweis auf den Brennwert.

446 Vgl. NEBEL, 1710, S. 5-12.

Im Handel kursierten vielfach Verfälschungen. Die Qualitätsprüfung war das Thema der pharmazeutischen Literatur des 19. Jh.447 Die Pflanzenkenntnis machte besonders durch die Mikroskope448 erhebliche Fortschritte und erlaubte das Studium der optischen Drehung449. Der Botaniker Wiesner450 (1838-1916) fand neben dieser Drehung für die Materialprüfung nur mikrochemische Tests451 vielversprechend und prüfte unter anderem mit Steinöl452. Er gewann für seine Zeit herausragende Erkenntnisse und gründete das Pflanzenphysiologische Institut in Wien. 1869 wurde der Balsam in Wien nicht mit fetten Ölen, sondern mit Gurjunbalsam453 oder Kolophonium verfälscht. 1900 kamen Mineralöle, Paraffin und Vaseline454 als Streckmittel hinzu, von da an beklagte man die Klebrigkeit des Materials. Die Aussagekraft mikrochemischer Nachweise blieb beschränkt: man erfasste Kennzahlen und verglich akribisch, ohne jedoch je Gewissheit anhand eindeutiger Merkmale zu gewinnen455.

447 Die Prüfmethoden erweiterten sich um aufwändige chemische Reaktionen, Reihenuntersuchungen zur Festlegung von Kennzahlen und dank gut auflösender Mikroskope, THENIUS 1895, S. 34; URE 1824/25 zitiert nach FABIAN 1996, S. 28 (oft verfälscht, neuerdings mit Ricinus). Nach Schedel führte Ricinusverfälschung zu Klebrigkeit, SCHEDEL 1863, S. 48.

448 1847 ist das Mikroskop in der Pharmakologie eingesetzt worden, Meyers 1885-1892, Hauptstück, Bd 12, S. 986. Zuerst nutzte es der Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (1709–1782) zur Untersuchung von Zuckerkristallen (Zuckerrüben), LADENBURG/ENGEL (ADB), Bd. 16, 1990, S. 165-167.

449 „Als optische Drehung wird die Eigenschaft bestimmter Substanzen, die Ebene des polarisierten Lichtes zu drehen, bezeichnet. […] Die optische Drehung einer Flüssigkeit ist der Drehungswinkel α, ausgedrückt in Grad (°) der Drehung der Polarisationsebene bei der Wellenlänge der D-Linie des Natriumlichtes (λ=589,3 nm), gemessen bei 20 °C bei einer Schichtdicke von 1 Dezimeter. Für Lösungen ist die Herstellung in der Monographie vorgeschrieben.“ Europäisches Arzneibuch Nachtrag 2001 Eschborn, S. 9f. (Absatz 2.2.7) zitiert nach http://www.uniheidelberg.de/institute/fak14/ipmb/phazc/Helm/Reloaded/

Virtuelles20Praktikum/Polarimetrie_Referat/Polarimetrie/Analytik_Polarimetrie.html.

450 Wiesner war von 1873 bis 1909 ordentlicher Professor für Anatomie und Physiologie der Pflanzen an der Universität Wien und lehrte gleichzeitig bis 1880 am Polytechnischen Institut Wien. http://www.landtagnoe.at/service/politik/landtag/Abgeordnete/ZAbgW/Wiesner.pdf, abgerufen am 11.4.2011.

451 WIESNER 1867, S. 9.

452 WIESNER 1869, S. 123. In Steinöl wäre der Harzanteil unlöslich. (Die technisch verwendeten Gummiarten, Harze und Balsame: ein Beitrag zur wissenschaftlichen Begründung der technischen Waarenkunde, Wien 1869) Vgl. Die Rohstoffe:

http://www.archive.org/details/dierohstoffedes02wies.

453 „Unechte“ minderwertige ostindische Copaifera-Art. URE 1844, S. 13.

454 WIESNER 1900, S. 235. Diese Information erschien erst in der 2. Auflage.

455 Die Säurezahl (SZ) bezeichnete die Menge an Kaliumhydroxid in mg, die notwendig ist, um die in 1 g Fett enthaltenen freien Fettsäuren zu neutralisieren, analog gab die Verseifungszahl (VZ) die notwendige Menge zum Neutralisieren der freien Säuren an und die Esterzahl (EZ) die notwendige Menge, um die Esterbindungen zu hydrolisieren. EZ = (VZ) − Säurezahl (SZ). RÖMPP 1983, S. 1265−1270. – „Die Jodzahl ist ein Maß für den Gehalt eines Fettes an ungesättigten Verbindungen. Es ist die Menge in Gramm Jod, die an 100 g Fett addiert werden kann. Je mehr olefinische Doppelbindungen es in einem Fett gibt, desto mehr Jod kann addiert werden und desto höher ist somit die Jodzahl.“

MATTISEK/STEINER/FISCHER 2010, S. 44.

Der allgemeine Sprachgebrauch hielt sich nie an die botanischen Bezeichnungen und war besonders durch unscharfe Übersetzungen verwirrend. Von mehreren historischen Verwechslungen wird hier nur die mit ostindischem Gurjunbalsam456 angesprochen.

Dieser sogenannte „unechte“ Copaivabalsam enthält größere Mengen des charakteristisch riechenden Caryophylleins457 (Riechstoff der Nelken) und ist ein Triterpen458. Erst diese neuere Erkenntnis macht die im 19. Jh. beschriebene Löslichkeit in polaren Lösemitteln plausibel. Höhere Gehalte an Gurjunbalsam erklären den stechenden Geruch459. Die DAB460-Vorschrift des pharmazeutischen Handels schreibt für dieses selten nachgefragte Produkt nur die Wasserdampfdestillation vor und erlaubt damit eine veraltete, unzureichende Qualitätskontrolle. Die Verschnittmittel blieben nach wie vor billigere Balsame, überwiegend Terpentinöl und Kolophonium.

Das Apothekerbuch von 1847 beschrieb eine „klare Harzseife“461 aus Kalilauge und Copaivabalsam und das Absetzen von „weißen Flocken“462, wenn der Balsam mit einem fetten Öl verfälscht vorliege und nur in Weingeist gelöst werde.

Die Beschriftung Copaiva auf historischen Flaschen ist demnach keine zuverlässige Angabe, denn auch hier ist mit verschnittenem Material zu rechnen. Innerhalb der echten Copaiva-Arten ist allein der Gehalt an ätherischem Öl relevant. Er bestimmt die Fließfähigkeit und entscheidet über die maltechnische und konservatorische Nutzbarkeit.