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1. Einleitung

1.1 Akute myeloische Leukämie

1.1.4 Pathogenese

Die Leukämogenese ist ein komplexer Prozess auf zytogenetischer und molekularer Ebene. Grundlage der Erkrankung sind Veränderungen in den hämatopoetischen Stammzellen durch Onkogene bzw. den Verlust von Tumorsuppressorgenen, welche diese in leukämische Stammzellen transformieren. (9) Krebszellen besitzen ähnlich wie Stammzellen die Eigenschaft sich unbegrenzt zu teilen und sich selbst zu erneuern. Bezüglich der Krankheitsentstehung gibt es mehrere Ansatzpunkte, die dies zu erklären versuchen. Ein Punkt ist, dass die zyto- und molekulargenetischen Veränderungen primär in der leukämischen Stammzelle selbst stattfinden. Ein anderer besagt, dass die Mutationen vorwiegend während der Differenzierung der Stammzelle auftreten und sich somit erst in späteren Reifestadien manifestieren. (10) Vorarbeiten der Arbeitsgruppe Heuser et al. belegen, dass Vorläuferzellen stammzellähnliche Eigenschaften entwickeln, und so zu leukämischen Stammzellen werden können. (9) Derzeit wird von einem mehrstufigen Prozess ausgegangen, bei dem im Rahmen der klonalen Hämatopoese Genmutationen und chromosomale Aberrationen erworben werden und zu Veränderungen im Genom und dessen Funktion führen. (11) Daher kann bereits vor Beginn der Krankheitssymptomen ein präleukämischer Klon, der nur anfängliche Mutationen enthält, nachgewiesen werden. Diese präleukämischen Stammzellen können auch bei AML Patienten in kompletter Remission noch nachgewiesen werden. (12)

1.1.4.1 Zytogenetische Aberrationen

Die Bestimmung von zytogenetischen Aberrationen ist in Bezug auf die diagnostische und prognostische Aussagekraft unverzichtbar geworden. Die genaue Bedeutung hinsichtlich der Risikostratifizierung ist in Abschnitt 1.1.5 erläutert. Anders als bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML), bei der fast immer die Translokation

5 t(9;22) nachgewiesen werden kann, sind die zytogenetischen Veränderungen der AML sehr viel komplexer und heterogener. Mehr als 200 verschiedene strukturelle und numerische Aberrationen sind bei der AML bekannt und umfassen u.a. reziproke Translokationen, Inversionen, Insertionen, Deletionen, Monosomien und Trisomien.

Chromosomale Aberrationen finden sich bei etwa 55% aller erwachsenen AML-Patienten. (13) Bei diesen unterscheidet man zwischen balancierten und unbalancierten Translokationen. Balancierte Translokationen können bei ungefähr jeder fünften akuten myeloischen Leukämie gefunden werden. Zu ihnen zählen u.a.

reziproke Translokationen und Inversionen wie t(8;21) RUNX1RUNX1T1, t(15;17) PML-RARα, inv(16;16) oder t(16;16) CBFβ-MYH11, 11q23 MLL-Anomalien, t(9;11) MLLT3-KMT2A, t(6;9) DEK-NUP214 und t(1;22) RBM15-MKL1. (14) Ebenso können unbalancierte Translokationen auftreten, die zu einer quantitativen Veränderung des Erbgutes führen. Üblicherweise treten der Verlust von Erbgut in den Regionen 8q, 11q und 21q auf. Ab drei oder mehr chromosomalen Aberrationen handelt es sich um einen komplex aberranten Karyotyp. (15)

Diese chromosomalen Veränderungen können sogenannte Fusionsproteine, die zu Veränderung von Transkriptionsfaktoren führen, generieren und somit Regulations- und Reparaturprozesse der Zellen verändern. (16)

1.1.4.2 Molekulargenetische Veränderungen

Bei ungefähr der Hälfte aller AML-Patienten können keine chromosomalen Aberrationen nachgewiesen werden. Für dieses Patientenkollektiv mit normalem Karyotyp ist die Analyse von molekularen Markern in mehreren Hinsichten relevant.

Zum einen kann anhand der molekulargenetischen Veränderungen eine Charakterisierung der Leukämie erfolgen. Außerdem können diese zur Risikostratifizierung herangezogen werden und beeinflussen somit wichtige klinische Entscheidungen wie eine Stammzelltransplantation oder den Einsatz von genspezifischen „Target“-Therapien. (17) Jedoch spielen molekulare Marker auch für Patienten mit chromosomalen Veränderungen eine Rolle.

Mittlerweile sind zahlreiche Mutationen bekannt, die zunehmend mit AML assoziiert sind. Die Veränderungen im Genom wirken über verschiedene Mechanismen. So kommt es zu einer übermäßigen Proliferation der hämatopoetischen Progenitorzellen.

Dies ist häufig auf eine Aktivierung von Signalwegen, die die Signaltransduktion (Rezeptortyrosinkinasen) steuern zurückzuführen, sowie auf eine Hemmung der

6 Apoptose. Andere Mutationen beeinflussen transkriptionsfaktorcodierende Gene und verhindern so die Differenzierung der Stammzellen. Ein weiterer Effekt der mutierten Gene zeigt sich auf epigenetischer Ebene. Durch Veränderungen des Chromatins und der Histone können ganze Genabschnitte veränderte Transkriptionsaktivitäten aufweisen. Methylierungen in der Promotorregion verändern die Expression des darauffolgenden Genabschnittes. (18)

In fast allen AML Fällen kann eine „Driver“-Mutation detektiert werden, die dann in einem komplexen Zusammenspiel mit anderen Mutationen zur Pathogenese der Erkrankung führt. The Cancer Genome ATLAS (TCGA) teilte die Mutationen in verschiede Kategorien ein. Dazu zählten die Transkriptionsfaktorfusionen in den Genen PML-RARα, MYH11-CEfβ, RUNX1RUNX1T1 und PICALM-MLLT10, die in ungefähr jedem fünften Patienten auftraten. Myeloische Transkriptionsfaktormutationen fanden sich in CEBPα und RUNX1 mit einer ähnlichen Frequenz. NPM1 war bei 27% der Patienten mutiert. Auch Tumorsuppressorgene, wie TP53, WT1 und PHF6 waren mutiert (16%), sowie Gene der DNA Methylierung (TET1, TET2, IDH1, IDH2, DNMT3A, DNMT3A, DNMT1) (44%). Mit 59% aller Erkrankten wies ein Großteil der Patienten Mutationen in den Genen der Signaltransduktion auf (FLT3, KIT, KRAS/NRAS, PTPS und andere Tyrosinkinasen). Ein Drittel war in den chromatinmodifizierenden Genen (ASXL1, EZH2, KDM6A, MLL-PTD) mutiert. (19) Einige Gene, werden im Folgenden näher erläutert, da sie eine wichtige Rolle in der Entstehung der Leukämie einnehmen und häufig bei Patienten identifiziert wurden.

NPM1

Das Nucleophosmin1- Gen ist bei ungefähr 27% aller AML-Patienten mutiert und stellt somit das am häufigsten mutierte Gen dar. (19) Die Mutationen treten besonders bei Patienten mit normalem Karyotyp auf. Es handelt sich vornehmlich um drei verschiedene Mutationen, wobei die Typ A Mutation, eine Insertion der Basen TCTG zwischen den Basenstellen 960 und 961 mehrheitlich vorliegt. (20) Deutlich seltenere Varianten sind Mutationen B und D. (21) Sie bewirken eine Frameshift-Mutation im Bereich des C-Terminus. Die Mutationen führen zu fehlerhaften Codierungen im Nukleophosminprotein, welches überwiegend im Zellkern vorkommt und an verschiedenen Transportprozessen beteiligt ist. Das Protein reguliert unter anderem den ARF-p53-Tumorsuppressor-Signalweg. (22) NPM1-Mutationen treten häufig zusammen mit FLT3-Mutationen auf und haben eine wichtige prognostische

7 Bedeutung. Patienten mit mutiertem NPM1 und einem FLT3 Wildtyp zeigen eine wesentlich bessere Prognose als andere Konstellationen. Sie machen knapp ein Viertel der AML-Patienten mit normalem Karyotyp aus und wirken sich deshalb auf die therapeutische Planung aus. (23)

FLT3

Mutationen im fms-related Tyrosinkinase 3 Gen gehören ebenfalls zu den häufigsten Mutationen bei AML-Patienten. Sie führen zu einer Aktivierung der Tyrosinkinase und somit zu einer unkontrollierten Proliferation von hämatopoetischen Vorläuferzellen.

(18) Es werden hauptsächlich zwei Mutationen beschrieben. Bei der internen Tandemduplikation (ITD) werden 3-400 Basen in die codierende Region der Juxtamembrandomäne eingefügt. Außerdem treten Punktmutationen in der Tyrosinkinasedomäne (TKD) auf. Diese sind mit einer Prävalenz von 5-10% bei den Erkrankten seltener als die FLT3 ITD Mutation, die bei 15-35% auftritt. (24) Mehrere Analysen zeigen, dass Patienten mit normalem Karyotyp und mutiertem FLT3 ITD eine signifikant schlechtere Prognose haben als Patienten mit FLT3 Wildtyp. (25)

DNMT3A

Mutationen im Demethyltransferase3A Gen treten bei fast jedem fünften AML-Patienten auf. (19) Das Gen codiert eine Transferase, welche sogenannte CpG-Inseln methyliert, sodass das darauffolgende Gen weniger exprimiert wird. (26) In den meisten Fällen liegt eine Punktmutation in der Aminosäure Arginin R882 vor, die dann zu Histidin codiert wird. (27) Wie genau die Mutation wirkt, ist noch nicht geklärt. Ältere Patienten weisen signifikant häufiger Mutationen im DNMT3A-Gen auf, als jüngere.

Die Mutationsrate nimmt mit zunehmendem Alter bis zum 40. Lebensjahr zu, und stagniert in der Altersgruppe der 40-bis 60-Jährigen. (28) Mehrere Studien zeigen, dass DNMT3A-Mutationen mit einer schlechten Prognose assoziiert sind. (17,27) Dies gilt besonders für ältere Patienten mit Mutationen im Hotspot R882. (29) DNMT3A-Mutationen werden im Zusammenhang mit klonaler Hämatopoese diskutiert, was genauer in Abschnitt 1.2 erläutert wird.

Zusammenspiel der molekulargenetischen Veränderungen im Rahmen der Pathogenese

Die Pathogenese der AML beruht auf einem komplexen Zusammenspiel mehrerer individueller Mutationen. Insgesamt kommen bei der AML weniger Mutationen als bei anderen adulten Krebsformen vor. (19) Bei nahezu jedem Patienten kann mindestens

8 eine Drivermutation, die der Zelle einen Wachstumsvorteil verleiht, gefunden werden.

(30) Es wird angenommen, dass die Erkrankung sich über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelt und die meisten Mutationen lange bevor die Krankheit symptomatisch wird auftreten. So können verschiedene Klone mit unterschiedlichen Mutationen nebeneinander existieren. (31)

Zum besseren Verständnis der klonalen Evolution wurden diese Subklone näher untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass Mutationen in den Genen DNMT3A, ASXL1, ASXL2, IDH1, IDH2 und TET2, die hauptsächlich an der epigenetischen Regulierung beteiligt sind, am frühesten erworben werden. Da sie fast immer in den präleukämischen Stammzellen gefunden werden, können sie als frühester Schritt in der Leukämogenese betrachtet werden. Sie treten selten allein auf, sondern immer im Zusammenhang mit anderen Mutationen. Deshalb besteht die Annahme, dass sie allein nicht zur Leukämogenese fähig sind, sondern weitere Mutationen nötig sind. (30) Veränderungen in Tyrosinkinaserezeptoren wie FLT3, NRAS und KRAS entwickelten sich erst im späteren Krankheitsverlauf und zeigten häufig mehrere Mutationen pro Patient. Mutationen in NPM1 entwickelten sich meist erst nachdem Mutationen in DNMT3A, IDH1 oder NRAS auftraten. Insgesamt lassen sich bei der Leukämogenese gewisse Muster in der Molekulargenetik erkennen. (30)

1.1.5 Risikostratifizierung

Die zwei wichtigsten Parameter zur Risikostratifizierung stellen das Alter und die zytogenetischen, sowie die molekulargenetischen Veränderungen dar. Ältere Patienten präsentieren sich klinisch in der Regel schlechter. Damit einher geht ein kürzeres Gesamtüberleben, da die Patienten weniger auf die Therapie ansprechen und diese schlechter vertragen. (32) Mit zunehmendem Alter erreichen weniger Patienten eine komplette Remission, wobei gleichzeitig das Rezidivrisiko steigt. (33) Zudem bildet der Karyotyp eine fundamentale Säule hinsichtlich der prognostischen Aussagekraft für das Überleben und Therapieansprechen. (34)

Die Empfehlungen des European LeukemiaNet (ELN) für die Diagnostik und das Management der AML wurden mehrfach überarbeitet, zuletzt 2017. Jüngste Erkenntnisse bezüglich der Genetik der Erkrankung sowie neue Technologien der Sequenzierung und Therapien haben dazu beigetragen. Auch die

molekular-9 zytogenetischen Risikogruppen wurden überarbeitet. Diese beinhalten nun auch Ansprechkriterien, die auf dem MRD-Status basieren. (6)

Tabelle 2. Auszug aus der European LeukemiaNet (ELN) Klassifikation zur Risikostratifizierung anhand von zyto- und molekulargenetischen Veränderungen.

Risikogruppe Genetische Veränderungen

günstig t(8;21)(q22;q22.1); RUNX1-RUNX1T1

Inv(16)(p1.1q22) oder t(16;16)(p13.1;q22); CBFB-MYH11

NPM1 Mutation ohne FLT3-ITD (normaler Karyotyp) oder FLT3-ITDniedrig

Biallelisch mutiertes CEPBA intermediär Mutiertes NPM1 mit FLT3-ITDhoch

Wildtyp NPM1 ohne FLT3-ITD oder mit FLT3-ITDniedrig t(9;11)(p22;q23); MLLT3-KMT2A

Zytogenetische Abnormitäten, die nicht als günstig oder ungünstig eingeteilt werden

ungünstig t(6;9)(p23;q34); DEK-NUP214

t(v;11)(v;q23); KMT2A-Genumlagerung t(9;22)(q34.1;q11.2); BCR-ABL1

inv(3)(q21q26.2) oder t(3;3)(q21;q26.2); GATA2, MECOM (EVI1) -5 oder del(5q); -7; -17/abn(17p)

komplexer Karyotyp (3 Aberrationen)

monosomaler Karyotyp (eine Monosomie, assoziiert mit mindestens einer weiteren Monosomie oder einer anderen strukturellen, chromosomalen Aberration (außer CBF-AML))

Wildtyp-NPM1 mit FLT3-ITDhoch Mutiertes RUNX1

Mutiertes ASXL1

10 Mutiertes TP53

FLT3-ITDniedrig: Mutant-Wildtyp-Allel-Quotient <0,5; FLT3-ITDhoch: Mutant-Wildtyp-Allel-Quotient >/=0,5;

t: Translokation; inv: Inversion; del: Deletion; abn: abnormal. Nach der genetischen Risikostratifizierung des European Leukemia Net von 2017(6)

1.1.6 Therapie und Prognose

Da die Erkrankung schwerwiegende Störungen des Knochenmarks hervorruft, verläuft sie unbehandelt innerhalb kürzester Zeit zum Tode. Die Auswahl der Therapie erfolgt individuell anhand des zyto- und molekulargenetischen Befundes. (35) Ziel der Therapie ist das Erreichen einer kompletten Remission (CR). Davon spricht man, wenn der Blastenanteil im Knochenmark auf unter 5% fällt, weder Auerstäbchen noch extramedulläre Manifestationen nachweisbar sind, die Neutrophilen auf >/=1000/µl angestiegen sind und die Thrombozyten >/=100.000/µl erreicht haben. (6) Seit 2017 findet sich auch der negative Status der minimalen Resterkrankung (MRD) als Teil der CR wieder. Ein Rezidiv liegt vor, wenn die Blasten einen Anteil von >/=5% im Knochenmark ausmachen, sie im peripheren Blut auftreten, sich extramedulläre Manifestationen entwickeln oder der MRD-Marker wieder auftritt. (6)

Zu Beginn muss evaluiert werden, ob der Patient für eine intensive Chemotherapie geeignet ist. Dabei ist nicht nur das Alter des Patienten entscheidend, sondern vielmehr die klinische Präsentation, die Komorbiditäten und ein ungünstiges zytogenetisches Risikoprofil nach ELN. (6)

Entscheidet man sich für eine intensive Induktion, wird die Chemotherapie meistens nach dem 3+7-Schema verabreicht. Hierbei erhält der Patient drei Tage lang ein Anthrazyklin, wie z.B. Daunorubicin, Idarubicin, oder Mitoxantron. Zeitgleich erfolgt eine kontinuierliche siebentägige Infusion von Cytarabin. Hiermit soll die Tumorlast reduziert und eine komplette Remission erreicht werden. (6) In der Gruppe der <60-Jährigen werden Remissionsraten von 60-80% erzielt, bei den >60-<60-Jährigen erreichen 40-60% eine komplette Remission. (6)

Die Bedeutung des genetischen Risikoprofils wird bei verschiedenen genetischen Subgruppen deutlich. (5) So werden AML-Patienten mit einer FLT3-Mutation zusätzlich zur Induktionstherapie mit Midostaurin behandelt. (36) NPM1-mutierte

11 Patienten profitieren möglicherweise von einer Therapie mit All-trans-Retinolsäure (ATRA). (37) Bei der Core-binding-factor (CBF)-AML ist zu erwägen Gentuzumab Ozogamicin der Induktionschemotherapie hinzuzufügen. (38)

Nach Erreichen der kompletten Remission folgt die Konsolidierungstherapie an drei Tagen mit hochdosiertem Cytarabin in jeweils zwölfstündigem Abstand. (39) Eine andere Möglichkeit der Konsolidierung stellt die allogene Stammzelltransplantation (SCT) dar. Transplantiert werden vor allem Patienten mit schlechter Prognose und hoher Rezidivwahrscheinlichkeit, sowie bei Versagen der Chemotherapie, da sie von allen Therapien die stärkste antileukämische Wirkung hat. (40)

Patienten, die nicht für eine intensive Chemotherapie in Frage kommen, bekommen eine anderweitige Behandlung. Eine Möglichkeit ist die Behandlung mit niedrigdosierten Cytarabinen, welche jedoch nicht bei Patienten der ungünstigen zytogenetischen Risikogruppe nach ELN angewendet werden soll. (6) Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass die Behandlung mit hypomethylierenden Substanzen, wie Decitabin und Azacitidin zu einem besseren Gesamtüberleben führt. (41) In der AZA-AML-001 Studie stellte sich heraus, dass Patienten mit einem ungünstigen zytogenetischen Risikoprofil nach ELN besonders von der Behandlung mit Azacitidin profitierten. (42)

Die wichtigsten Parameter zur Einschätzung der Prognose wurden bereits in Abschnitt 1.1.5 erklärt. Die 5-Jahres-Überlebensrate bei den jüngeren Patienten (<30 Jahre) beträgt 60%, bei den 45 bis 54-Jährigen 43% und bei den Patienten zwischen 55 und 64 Jahren nur noch 23%. Im höheren Alter sinkt die Überlebensrate nochmals deutlich.

(43)

1.2 Klonale Hämatopoese unbestimmten Potentials 1.2.1 Definition

Klonale Hämatopoese unbestimmten Potentials (clonal hematopoiesis of indeterminate potential, CHIP) umfasst einen Nachweis von erworbenen somatischen Mutationen in den Zellen des Bluts und Knochenmarks. Die Stammzellen expandieren klonal, führen jedoch nicht zwangsläufig zu einer Leukämie und sind auch bei gesunden Patienten nachweisbar. (44) Steensma et al. definiert CHIP als den Nachweis von klonaler Hämatopoese bei gleichzeitiger Abwesenheit von Dysplasien

12 und Blasten im Knochenmark. Die Kriterien des Myelodysplastischen Syndroms (MDS) und der AML werden somit nicht erfüllt. Eine paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie, eine monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz und eine monoklonale B-Lymphozytose müssen ausgeschlossen werden. Der Nachweis der klonalen Hämatopoese und damit der Klonalität muss durch eine somatische Mutation, die mindestens eine variante Mutationsrate von >/=2% beträgt, erfolgen. (45) Am häufigsten finden sich Mutationen in den Genen DNMT3A, TET2 und ASXL1. (46) Es können aber auch andere Gene wie JAK2, TP53, PPM1D, BCORL1 und SF3B1 betroffen sein. (47) Mutationen in DNMT3A weisen die höchste Mutationsrate auf (26 bis 58%). (46-48)

Abbildung 1. Schematische Darstellung der Entwicklung der AML über CHIP und MDS.

Schrittweise Entwicklung von polyklonaler (normaler, ohne Nachweis somatischer Mutationen) zu klonaler Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial (CHIP), myelodysplastischen Syndrom (MDS) und akuter myeloischer Leukämie (AML). ICUS: idiopathische Zytopenie unbestimmter Signifikanz. Die mutierten Gene (DNMT3A, ASXL1, TP53) sind nur exemplarisch dargestellt; es können andere Gene und in anderer Reihenfolge betroffen sein. Mit Genehmigung des Deutschen Ärzteverlages GmbH. (44) Daneben existiert der Begriff der altersassoziierten klonalen Hämatopoese (age-related clonal hematopoiesis, ARCH). Diese ist definiert als klonale Expansion von hämatopoetischen Stammzellen, die Mutationen im Genom aufweisen, ohne dass zuvor eine hämatologische Neoplasie diagnostiziert war. (49) 2014 zeigten drei große Studien, dass im Alter besonders Mutationen in den Genen DNMT3A, TET2 und

13 ASXL1 auftreten, mit einer VAF von >2%, die im Median ungefähr 12% betrug.

(12,47,48) Die Begriffe CHIP und ARCH wurden von verschiedenen Arbeitsgruppen

geprägt, werden aber überwiegend synonym verwendet. Im Folgenden werde ich CHIP verwenden.

Des Weiteren ist in der Literatur der Begriff der klonalen Hämatopoese mit erheblichem onkogenen Potential (clonal hematopoiesis with substantial oncogenic potential, CHOP) zu finden. Dieser wird für Patienten mit einem erhöhten Risiko für einen Krankheitsübergang durch sogenannte Drivermutationen verwendet, ohne dass andere Diagnoskriterien erfüllt sind. (50)

1.2.2 Epidemiologie

Die Prävalenz von CHIP steigt mit zunehmendem Alter an. (44) Die Ergebnisse von drei großen Studien zu CHIP von Xie et al., Genovese et al. und Jaiswal et al. zeigen, dass bei weniger als 1% aller 40-jährigen klonale Hämatopoese nachweisbar ist. In der Altersgruppe der 70 bis 80-Jährigen fand sich bei 9,5 bis 13,9% klonale Hämatopoese. Ab dem 80. Lebensjahr stieg die Zahl auf 16,4%. (46-48)

1.2.3 Bedeutung

Der Nachweis von CHIP geht mit einem gering erhöhten Risiko für eine hämatologische Neoplasie einher. Dieses beträgt 0,5 bis 1% pro Jahr und korreliert mit der Größe des somatischen Klons. Auch wenn die Progressionsrate vergleichsweise niedrig ist, trägt die mutierte hämatologische Stammzelle stärker zur Blutbildung bei als die Unmutierte und stellt somit eine mögliche Vorstufe hämatologischer Neoplasien dar. (45) In verschiedenen Studien wurde belegt, dass die Gesamtmortalität der Patienten mit CHIP erhöht ist. Dies ist zum einen auf eine erhöhte Krebsmortalität zurückzuführen. (48) Zum anderen erhöht sich bei Patienten mit somatischen Mutationen das Risiko für kardiovaskuläre Todesfälle durch koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle. (46) Mit der Höhe der Mutationsrate der somatischen Mutation steigt das Risiko eine Neoplasie zu entwickeln, sowie die Gesamtmortalität. Daraus lässt sich ein kausaler Zusammenhang schließen, sodass der Nachweis von CHIP neben seiner hämatologischen Bedeutung auch den Alterungsprozess anzeigt. (44)

DNMT3A ist das am häufigsten mutierte Gen mit der höchsten Mutationsrate bei CHIP.

Vorarbeiten unserer Arbeitsgruppe haben gezeigt, dass DNMT3A Mutationen bei

14 AML-Patienten mit einem kürzeren Gesamtüberleben einhergehen. Auswirkungen auf das rezidivfreie Überleben (relapse free survival, RFS) oder das Erreichen der kompletten Remission (complete remission, CR) ließen sich nicht feststellen. (17) Die Höhe der DNMT3A Mutationsrate korreliert allerdings nicht mit dem Outcome.

Untersuchungen der Arbeitsgruppe Gaidzik et al. haben ergeben, dass die Mutationsrate selbst nach der Chemotherapie konstant hoch bleiben kann und keine Korrelation mit Remissionsraten oder dem Gesamtüberleben zeigt. Dies führt zu der Annahme, dass klonale Hämatopoese auch noch in hämatologisch kompletter Remission persistiert und keine ungünstige Wirkung auf die Prognose hat. (51)

1.3 Minimale Resterkrankung 1.3.1 Definition

Die Überwachung der minimalen Resterkrankung (minimal residual disease, MRD) hat in den letzten Jahren durch die Entdeckung vieler molekularer Parameter erheblich an Bedeutung gewonnen. In der European LeukemiaNet (ELN) Klassifikation findet sich seit 2017 eine neue Kategorie hinsichtlich der Ansprechraten „CR ohne MRD“. (6) Das Monitoring beruht auf genetische Marker, die spezifisch für leukämische Klone sind und sowohl bei der Diagnose als auch beim Rezidiv vorliegen. (52) Ein großer Teil der AML-Patienten entwickeln nach allogener Stammzelltransplantation ein Rezidiv. (53) Das ist vor allem auf leukämische Klone zurückzuführen, die auch in morphologisch kompletter Remission persistieren. Diese können erneut zu einer leukämischen Zellpopulation heranwachsen und zu einem Rückfall führen. Die zytomorphologische Methode zur Feststellung der kompletten Remission mit dem Mikroskop reicht nicht aus, um diese Klone zu erfassen. (54) So sind bei der Diagnosestellung etwa 1012 leukämische Zellen nachweisbar. Nach der Induktionstherapie in morphologisch kompletter Remission können noch bis zu 1010 der Zellklone nachgewiesen werden.

(55) Die Untersuchung mit dem Lichtmikroskop erlaubt nur begrenzt eine präzise Quantifizierung der Myeloblasten, da diese je nach Untersucher variieren können.

Zudem kann man anhand der Zytomorphologie kaum normale von präleukämischen Myeloblasten unterscheiden. Dazu kommt, dass die Verteilung der Myeloblasten sehr unterschiedlich sein kann und die Lichtmikroskopie nur einen sehr kleinen Teil abbildet. (56) Im Laufe der Jahre wurden deutlich sensitivere Methoden der MRD-Messung entwickelt, die im Folgenden vorgestellt werden. Bei dem Krankheitsbild der

15 chronischen myeloischen Leukämie (CML) ist die Überwachung der minimalen Resterkrankung anhand des BCR/ABL1 Fusionsgens mit der qRT-PCR bereits etabliert. (57)

Anhand des MRD-Levels können prognostische Aussagen über den voraussichtlichen Krankheitsverlauf getroffen werden. Des Weiteren kann es als Anhaltspunkt zur Intensivierung der Therapie bei einem erhöhten Rezidivrisiko dienen. (54) Bei etwa 60% aller AML-Patienten kann jedoch keine Überwachung der minimalen Resterkrankung erfolgen, da es an geeigneten MRD-Markern fehlt. (30)

Anhand des MRD-Levels können prognostische Aussagen über den voraussichtlichen Krankheitsverlauf getroffen werden. Des Weiteren kann es als Anhaltspunkt zur Intensivierung der Therapie bei einem erhöhten Rezidivrisiko dienen. (54) Bei etwa 60% aller AML-Patienten kann jedoch keine Überwachung der minimalen Resterkrankung erfolgen, da es an geeigneten MRD-Markern fehlt. (30)