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Objektive Schlafqualität

4. Diskussion

4.1.4 Objektive Schlafqualität

Die Teilnahme an einer polysomnographischen Untersuchung ist für die Patientinnen mit Stress verbunden. Sie wissen nicht genau, was auf sie zukommt. Für diese Studie mussten sie aufgrund der Verabreichung der Radioiodkapsel am Nachmittag schon Stunden vor dem Schlafengehen alle Elektroden für die Messung tragen. Während des Schlafes können die Elektrodenkabel die Bewegungsfreiheit einschränken, der Kabelbaum im Nacken drücken oder die Elektroden selbst können als störend empfunden werden. Bei manchen Patientinnen ist etwas Angst davor im Spiel, dass „jemand in ihren Kopf schauen kann“ und eventuell ihre Träume lesen kann. Es zeigte sich jedoch, dass die zwölf Patientinnen, die in ihrer ersten Nacht in der Klinik an der polysomnographischen Untersuchung teilnahmen, in dieser Nacht gleich gut schliefen, wie alle anderen Patientinnen. Das widerspricht der Erwartung, dass das

subjektive Schlafqualität wird von der polysomnographischen Untersuchung somit offensichtlich nicht beeinflusst.

Dadurch, dass hyperthyreote Patientinnen eventuell schlechter mit Stress umgehen können (was sich in dieser Untersuchung nicht bestätigte) als gesunde Personen, wurde vermutet, dass die Teilnahme an der polysomnographischen Untersuchung hyperthyreote Patientinnen und ihre Schlaferholung mehr beeinträchtigen könnte als euthyreote Patientinnen. Die Tatsache, dass keine Wechselwirkung zwischen der Teilnahme versus Nicht-Teilnahme an der polysomnographischen Untersuchung und dem Schilddrüsenhormonstatus besteht, zeigt jedoch, dass hyperthyreote Patientinnen in ihrem Schlafverhalten nicht anders auf die polysomnographische Untersuchung reagieren als euthyreote Patientinnen.

Die Prozentanteile an Schlafstadium 1, Schlafstadium 2 und REM-Schlaf sowie die Schlaferholungseffizienz hyperthyreoten und euthyreoten Patientinnen weisen keinen signifikanten Unterschied auf.

Überraschenderweise verbringen hyperthyreote Patientinnen jedoch mehr Zeit im Slow-Wave-Schlaf als euthyreote Patientinnen. Das Ergebnis passt mit den Ergebnissen von Gronfier und Brandenberger (1998) zusammen, die feststellten, dass die TSH-Konzentration negativ mit Delta-Aktivität korreliert ist. Allgemein wird Schlaf mit einem reduzierten TSH-Spiegel und Wachheit und Schlafentzug mit einem erhöhten TSH-TSH-Spiegel in Zusammenhang gebracht (Bartalena, 1990; David et al. 2000; Goichot et al.1998; Gronfier & Brandenberger, 1998; Parekh et al., 1998; Parker et al., 1976; Steiger, 1999). Es besteht hier offensichtlich eine gegenseitige Beeinflussung von Schlaf und Schilddrüsenfunktion.

Hyperthyreote Patientinnen weisen in ihren polysomnographischen Daten eine höhere Schlafeffizienz auf. Die Schlafeffizienz setzt sich zusammen aus der Gesamtschlafzeit und der Gesamtwachzeit während der EEG-Aufnahmezeit und der Schlaflatenz, also der Zeitspanne zwischen zu Bett gehen und einschlafen. Die Schlafeffizienz bezeichnet somit die tatsächlich schlafend verbrachte Zeit.

Die Hyperthyreose ist eine Erkrankung, die zu einer erhöhten Aktivierung und somit einer erhöhten Belastung und Beanspruchung führt. Eine Schilddrüsenüberfunktion ist eine Belastung für den Körper (Birbaumer & Schmidt, 1991; Hörmann, 2001; Klinke &

Silbernagl, 2003) und hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Psyche (Hörmann, 2001;

Hofmann & Schrotter, 1999; Jadresic, 1990; Samuels et al., 2008; Wallace et al., 1990). Diese erhöhte Beanspruchung kann zu einem Erschöpfungszustand führen, der ein vermehrtes Erholungsbedürfnis hervorruft. Regenerative Theorien zur Bedeutung des Schlafes gehen

davon aus, dass der Schlaf regenerative Zwecke erfüllt und im Schlaf kleinere körperliche Schäden, die untertags entstehen, abgebaut werden um die Gesundheit wieder herzustellen (Carlsson, 2004; Hamilton, 2007). Schlaf ist ein homöostatischer Prozess, der das körperliche Gleichgewicht wieder herstellen soll (Gronfier & Brandenberger, 1998). Eine höhere, vor allem mentale, Beanspruchung führt erwiesenermaßen zu vermehrtem Slow-Wave-Schlaf.

Der Slow-Wave-Schlaf ist die Phase des Schlafes, die das Gehirn zur Regenerierung benötigt (Carlson, 2004) und die Phase, in der die Regeneration hauptsächlich stattfindet (Hamilton, 2007). Untersuchungen zum Sickness Behaviour zeigten, dass eine der typischsten Reaktionen bei Erkrankungen vermehrter Schlaf und vor allem vermehrter Slow-Wave-Schlaf sind (Maier & Watkins, 1998).

Ein wichtiger Einflussfaktor bei polysomnographischen Messungen ist der „First Night Effect“. In der ersten Nacht im Schlaflabor ist der Schlaf aufgrund der ungewohnten Umgebung oftmals verändert. Konkret konnten längere Wachzeiten und ein geringerer REM-Schlaf-Anteil beobachtet werden (Kales et al., 1970). Um den Einfluss des „First Night Effects“ ausschalten zu können, wird der Schlaf üblicherweise zwei (oder sogar drei) Nächte hintereinander polysomnographisch überwacht und erst die Messung der zweiten Nacht herangezogen. In dieser Untersuchung wurde der „First Night Effect“ nicht beachtet. Die generelle Interpretation der Ergebnisse als übliche Schlafarchitektur hyper- bzw. euthyreoter Patientinnen ist somit mit Vorsicht zu genießen. Die Fragestellung bezieht sich jedoch auf die Unterschiede zwischen hyper- und euthyreoten Patientinnen. Da beide Gruppen unter den exakt selben Bedingungen getestet wurden, sollte der Effekt sich auf die beiden Gruppen gleichermaßen auswirken und somit auf die Fragestellung keinen Einfluss haben.

Weiters wäre es interessant, die Auswertung der polysomnographischen Daten von zwei erfahrenen Personen unabhängig voneinander durchführen zu lassen. Die Einteilung in die verschiedenen Schlafstadien ist teilweise nicht vollkommen eindeutig. Eine unabhängige Auswertung von zwei Ratern würde die Berechnung einer Interraterreliabilität erlauben, die eine Aussage über die Verlässlichkeit der Auswertung ermöglichen würde bzw. auch eine Diskussion über die Einteilung unklarer Abschnitte.

Das Verfahren der Wahl für die Berechnung der physiologischen Schlafdaten ist der Fisher-Pitman-Test (Bortz & Lienert, 2003). Der Vorteil des Testes gegenüber dem Mann-Whitney-U-Test ist, dass er speziell auf kleine, ungleich große Stichproben ausgelegt ist. Für den Vergleich von den psychophysiologischen Daten von fünf euthyreoten und sieben hyperthyreoten Patientinnen ist er somit das adäquateste Verfahren. Eine Varianzanalyse ist

bei dieser kleinen Stichprobe nicht durchführbar und auch der Mann-Whitney-U-Test beachtet die unterschiedlich großen Stichprobenumfänge nicht.

Mit zwölf getesteten Patientinnen ist die Stichprobe in dieser polysomnographischen Untersuchung nicht sehr groß und es handelt sich hierbei um eine explorative Untersuchung.

Ein tendenzieller Effekt bei einer so kleinen Stichprobe sollte unbedingt in einer Folgestudie überprüft werden. In einer Folgeuntersuchung mit einer größeren Stichprobe wäre es auch interessant, den Einfluss negativer Stressverarbeitungsstrategien auf die physiologischen Schlafparameter zu untersuchen.