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3.2 Wechselwirkung eines Elektronenstrahls mit Materie

3.2.3 Niedrigenergie-Elektronenbeugung

curve“, die einzig von der reduzierten Energie eines Elektrons abhängt [247–249]. Dies lässt sich jedoch nicht auf die inelastische Streuung von Elektronen übertragen, da die in-elastische Streuung durch Beiträge von schwach gebundenen Elektronen eines Festkörpers dominiert wird [243]. Folglich ist die bekannte „universal curve“ der IMFP von Seah und Dench [212] quantitativ nicht aussagekräftig [243] und sollte nur qualitativ als eine Ori-entierung Verwendung finden. Insbesondere bietet sie kein Fundament für eine belastbare Schichtdickenkalibrierung.

Üblicherweise lassen sich IMFP und AL mittels der TPP-2M-Formel [211] abschätzen, die abhängig von der Energie der Auger-Elektronen für Kobalt eine AL zwischen 0,4nm und 1,5nm vorhersagt. Doch strenggenommen ist die AL keine reine Materialkonstante (in dieser Arbeit von Kobalt), sondern es lassen sich beispielsweise eine Substratabhängigkeit (z.B. durch das Wachstum auf dem Substrat), eine Abhängigkeit von dem betrachteten Schichtdickenbereich sowie eine Geometrieabhängigkeit anführen [241]. Große Unterschie-de, die zwischen publizierten Werten auftreten [212, 250–252], erscheinen daher durchaus verständlich zu sein. Belastbare Werte, um mittels der AES eine Schichtdickenbestimmung durchzuführen, müssen daher neben dem Material einer Schicht auch das Wachstum oder die genaue Geometrie berücksichtigen und stellen ansonsten lediglich eine Abschätzung dar.

[211, 212]. Inelastisch gestreute Elektronen können mit ihrer geringeren Energie eine po-sitive Potenzialbarriere eines Rückhaltegitters nicht überwinden und tragen daher nicht zu dem aufgezeichneten Signal bei. Im Unterschied zu der Beugung von Röntgenstrah-lung an einem Kristall (XRD) weist die elastische Streuung von Elektronen in Materie einen hohen Wechselwirkungsquerschnitt auf, sodass allgemein Mehrfachstreuung nicht vernachlässigbar ist. LEED ist damit zum einen ein sehr mächtiges Werkzeug, das ei-ne umfassende Charakterisierung eiei-ner Oberfläche ermöglicht. Zum anderen kann eiei-ne quantitative LEED-Analyse jedoch sehr komplex werden und daher wird üblicherweise eine iterative Anpassung von numerischen Berechnungen an experimentellen Daten vor-genommen.

Wegen der Komplexität von solchen dynamischen LEED-Berechnungen beschränkt sich dieses Kapitel auf die sogenannte kinematische Näherung, in der nur Einfach-Streuprozes-se von Elektronen berücksichtigt werden. DieEinfach-Streuprozes-se Näherung entspricht damit einer relativ schwachen elastischen Streuung, sodass inelastische Streuprozesse stärker zum Tragen kommen und die (elastische) Mehrfachstreuung entsprechend unterdrücken. Die relevante Größe in diesem Kontext ist der Wechselwirkungsquerschnitt der elastischen Streuung von Elektronen an Atomkernen. Da die elastische Streuung mit der Ordnungszahl Z der Atome ansteigt [253], können die in dieser Arbeit untersuchen Kobaltlagen (Z = 27) teil-weise noch vertretbar durch die kinematische Näherung beschrieben werden. Die Ir(111)-und die Pt(111)-Oberfläche weisen hingegen mit Z = 77 und Z = 78 eine deutliche Mehrfachstreuung auf, sodass einzig eine dynamische Beschreibung quantitativ sinnvoll ist. Doch auch wenn die kinematische Näherung nicht die Intensitäten einzelner LEED-Reflexe quantitativ wiedergeben kann, so ist sie bis auf wenige Ausnahmen zumindest für die Position von LEED-Reflexen und somit die Symmetrie der Oberflächeneinheitszelle im reziproken Raum aussagekräftig [253]. Da dynamische LEED-Rechnungen an dieser Stelle nicht diskutiert werden, sei hierfür auf weiterführende Literatur [253] verwiesen.

Position und Ausdehnung eines LEED-Reflexes

𝜃

𝑙 𝑙 sin 𝜃

Abbildung 3.3: Schematische Darstellung der Elektronenbeugung an einer Oberfläche. Wenn der Gangunterschied lsinθ ein Vielfaches der der Elektronenwellenlänge λ ist, so tritt kon-struktive Interferenz auf.

Die Position einzelner LEED-Reflexe lässt sich aus der Interferenz von Elektronen-wellen, die von verschieden Atomen ei-ner Atomlage ausgehen, bestimmen. Wie in der Abbildung 3.3 für den eindimen-sionalen Fall skizziert ist, ergibt sich bei einem Abstand l zwischen den benach-barten Atomen ein Gangunterschied von lsinθ. Konstruktive Interferenz tritt auf, wenn dieser Gangunterschied ein Vielfa-ches (n= 0,±1,±2, ...) der Elektronenwel-lenlänge λ=h/2mE ist. Dementsprechend muss der n-te LEED-Reflex die Gleichung

sinθ=n h l√

2mE (3.3)

erfüllen. Üblicherweise wird das Beugungsbild der Elektronen auf einem kugelförmigen LEED-Schirm aufgezeichnet, sodass nicht der Winkel θ selbst gemessen wird, sondern sinθ. Auf diese Weise lassen sich trigonometrische Korrekturen vermeiden und die einzel-nen Beugungsreflexe erscheieinzel-nen äquidistant. Ein LEED-Muster ist damit eine Darstellung des Oberflächengitters in reziproken Raum. Die Position ~pder LEED-Reflexe, die von ei-ner zweidimensionalen Oberfläche zurückgeworfen werden, lässt sich folglich mit Hilfe der reziproken Gittervektoren2 der Oberflächeneinheitszelle~b1 und~b2 ausdrücken:

~ p

r =~n·~b1+m·~b2

√2mE (3.4)

Der Parameter r bezeichnet den Radius des gekrümmten LEED-Schirms, in dessen Zen-trum sich die Probe befindet. n, m ∈ Z parametrisieren den (n, m)-Reflex, der

entspre-2Die reziproken Gittervektoren~b1und~b2 werden hier durch die Gittervektoren~a1 und~a2 der Oberflä-cheneinheitszelle wie folgt definiert:

~b1:= 2π ~a2×~ez

~a1·(~a2×~ez) ~b2:= 2π ~ez×~a1

~a1·(~a2×~ez)

Der Einheitsvektor ~ez zeigt in das Material herein und ist senkrecht zu den Vektoren~a1 und ~a2

orientiert.~b1und~b2 liegen damit ebenfalls innerhalb der Oberfläche.

chend bei der Position p~ auf dem LEED-Schirm sichtbar ist. Über die Gleichung 3.4 können damit insbesondere die Abstände der Oberflächenatome aus einem LEED-Muster heraus bestimmt werden. Auch zeigt die Gleichung, dass eine Überstruktur, die z.B. durch Adsorbatatome an der Oberfläche entsteht, sich in zusätzlichen Reflexen mit n, m ∈ Q äußert.

Da die Gleichung 3.4 sich rein aus der Symmetrie der Oberfläche ableitet, gilt sie auch für die Mehrfachstreuung von Elektronen und ist damit über die kinematische Nähe-rung hinaus gültig. Die abgeleitete Gleichung 3.4 gibt jedoch keine quantitative Auskunft über das Profil oder die Intensität von LEED-Reflexen. Sie verdeutlicht qualitativ, dass jegliche Abweichungen von der perfekten periodischen Struktur durch Versetzungslinien, Stufenkanten, Inseln, Domänen oder Punktdefekten mit einer Verbreiterung der Reflexe verbunden sein muss [253–256]. Die Breite der LEED-Reflexe oder auch ein zusätzlicher Untergrund im LEED-Muster ist damit ein Maß für die Anzahl der Störstellen. Qualita-tiv gilt daher, dass eine geordnete Oberfläche scharfe Beugungsreflexe und einen geringen Untergrund aufweisen muss.

Die Ausdehnung eines LEED-Reflexes lässt sich jedoch nicht allein auf die Unvollkommen-heiten einer Probe zurückführen. Selbst für eine perfekte, starre (T = 0K) und unendliche Oberfläche ist ein gaußförmiges Profil wegen der instrumentalen „response function“ zu erwarten [254–257]. Beiträge hierzu liefern beispielsweise die Energieverteilung der ver-wendeten Primärelektronen, die Winkelauflösung des Detektors, eine nicht punktförmige Elektronenquelle sowie der Durchmesser des Elektronenstrahls [254, 255]. Im Realraum lassen sich diese Einflüsse zu einer gemittelten Größe, der „Transferbreite“, zusammen-fassen, die den maximalen Abstand von Oberflächenatomen für eine kohärente Streuung beschreibt [256]. Diese kohärente Streulänge liegt typischerweise in einem Bereich von 10nm bis20nm [256] und somit deutlich unterhalb des Strahldurchmessers eines LEED-Instrumentes. Für eine quantitative Analyse der Reflexbreite müssen die Beiträge des LEED-Instruments Berücksichtigung finden.

Intensität eines LEED-Reflexes

𝜃

𝑑

𝑑 cos 𝜃

Abbildung 3.4: Schematische Darstellung der In-terferenz von Elektronen, die an unterschied-lichen Atomlagen gestreut wurden. Wenn der Gangunterschied d+dcosθ ein Vielfaches der der Elektronenwellenlänge λ ist, so tritt kon-struktive Interferenz auf.

Zuvor wurde die Beugung eines Elek-trons einzig auf Grundlage der periodi-schen Struktur der Oberfläche diskutiert.

Aus dieser zweidimensionalen Betrachtung kann die Position von LEED-Reflexen ab-geleitet werden. Auch Elektronen, die an unterschiedlichen Atomlagen gebeugt wer-den, weisen einen Gangunterschied auf.

Daher muss noch eine zusätzliche Bragg-Bedingung bestehen. Diese veranschaulicht die Abbildung 3.4. Die Beiträge unter-schiedlicher Atomlagen zu einem Reflex, der unter dem Winkelθ zu finden ist, inter-ferieren konstruktiv, wenn der Gangunter-schied d+dcosθ ein Vielfaches der

Elek-tronenwellenlänge ist. Dies führt dazu, dass die Intensität eines LEED-Reflexes mit der Energie variiert und ein Blinken in einem IV-LEED-Spektrum (Intensität gegenüber Be-schleunigungsspannung) erkennbar ist. Das Aufzeichnen der Reflexintensität als Funktion der Energie gibt damit direkt Auskunft über den Lagenabstand an der Oberfläche einer Probe.

Die starke Wechselwirkung von Elektronen mit Materie sorgt jedoch dafür, dass die Mehr-fachstreuung von Elektronen allgemein nicht vernachlässigbar ist. In der Konsequenz las-sen sich die Maxima in einem aufgezeichneten Spektrum oftmals nur schwer einem „Bragg-Peak“ zuordnen [253]. Die kinematische Näherung liefert in einem solchen Fall lediglich ein qualitatives Verständnis für das Auftreten von Maxima und Minima. Um quantitativ Informationen aus einem solchen Spektrum zu entnehmen, sind dann dynamische LEED-Berechnungen notwendig. Generell verringert sich der Einfluss der Mehrfachstreuung zu kleineren OrdnungszahlenZ[253]. LEED-Spektren der in dieser Arbeit untersuchten Sub-strate Ir(111) (Z = 77) und Pt(111) (Z = 78) werden daher erkennbar starke Mehrfach-streuung aufweisen. Die aufgebrachten Kobaltschichten (Z = 27) zeigen im Gegensatz

dazu deutlich Bragg-Peaks, sodass die kinematische Näherung sich hier besser anwenden lässt. Aus diesem Grund konnte bereits beobachtet werden, dass für eine aufgebrachte Kobaltschicht die Bestimmung des Lagenabstandes anhand der Intensitätsoszillation des Spekularreflexes auch mit kinematischen Mitteln möglich ist [258]. Dies gilt jedoch nicht für Ir(111) oder Pt(111). Auch wenn beispielsweise für Pt(111) bei höheren Energien (>200eV) scheinbar Bragg-Peaks als dominante Features auftreten, sind diese nicht etwa einer geringeren Mehrfachstreuung, sondern viel eher einer stärkeren Vorwärtsstreuung bei höheren Energien zuzuschreiben [253]. Folglich sind solche „Bragg-Peaks“ nicht ein-fach kinematisch zu verstehen, sondern enthalten Beiträge mehrein-facher Vorwärtsstreuung [253].

Bestimmung des Lagenabstandes mit Hilfe des Spekularreflexes

Sobald die Mehrfachstreuung von Elektronen in einem Material hinreichend gering ist und die kinematische Näherung somit anwendbar wird, lässt sich aus den Energien der Bragg-Peaks relativ einfach der mittlere Abstand zwischen den Atomlagen dieses Mate-rials bestimmen. Betrachtet werden dabei die Elektronen des Spekularreflexes, die unter einem Winkel θ (relativ zu der Oberflächennormalen) auf eine Probe treffen, und dann diese Probe auch wieder unter dem Winkel θ verlassen. Werden die Elektronen an zwei unterschiedlichen Atomlagen mit dem Abstand d gebeugt, so entsteht ein Gangunter-schied von 2dcosθ. Konstruktive Interferenz tritt auf, wenn dieser Gangunterschied ein Vielfaches von der Elektronenwellenlänge λ = h/2mE ist. Hieraus ergibt sich direkt die Bragg-Bedingung:

E =n2 h2

8md2cos2θ (3.5)

Nicht berücksichtigt wurde in dieser Gleichung, dass die Elektronen beim Eintritt in das Probenmaterial noch die Energie V0 > 0 hinzugewinnen. Dieses innere Potenzial V0 ist eine Art räumliches Mittel des tatsächlichen Potenzials, in dem sich die LEED-Elektronen bewegen, und wird näherungsweise als konstant angenommen [253]. Da das innere Potenzial nur Einfluss auf die Impulskomponente senkrecht zu der Oberfläche hat und dieser Energiegewinn beim Austritt eines Elektrons aus der Probe wieder abgezogen wird, bleibt die zuvor diskutierte Bragg-Bedingung für die Position von LEED-Reflexen

von diesem Potenzial unberührt. Unter Berücksichtigung des inneren Potenzials ergibt sich für die Energie der Bragg-Peaks aus der Gleichung 3.5 jedoch:

E =n2 h2

8md2cos2θ −V0 (3.6)

Mithilfe dieser Gleichung lässt sich anhand einer Abfolge von Bragg-Peaks (n= 1,2,3...) der Lagenabstand d bestimmen. Die einzigen freien Parameter sind dabei das innere Po-tenzialV0und der mittlere Lagenabstandd. Da die ausschließlich elastisch gestreuten Elek-tronen in einem LEED-Instrument freie Weglängen unterhalb von2nm besitzen [211, 212], mittelt der so bestimmte Lagenabstand entsprechend über diese obersten Lagen. Für eini-ge Kristalloberflächen wird jedoch durch die Vakuumgrenzfläche eine Abstandsänderung zur obersten Atomlage beobachtet. Die Gleichung 3.6 ist auf einen solchen Effekt a prio-ri nicht sensitiv. Wie man sich leicht überlegen kann, äußert sich eine Streckung oder Stauchung des Abstandes zur obersten Atomlage allerdings in asymmetrischen Bragg-Peaks [253], sodass ein solcher Effekt zumindest qualitativ sichtbar sein sollte und damit erkennbar ist, ob sich die Gleichung 3.6 anwenden lässt.