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Nekrologien und Rödel

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 117-132)

2 Formen und Funktionen der Gedenküberlieferung

3.1 Nekrologien und Rödel

Die Benediktinerabtei Sankt Gallen war im frühen 8. Jahrhundert entstanden. Durch zahlreiche Schenkungen und eine stetig wachsende Anzahl Mönche entwickelte sie sich rasch zu einem der einflussreichsten kulturellen Zentren nördlich der Alpen.454 Zum Gedenken an die lebenden und verstorbenen Mitglieder sowie an geistliche und weltliche Würdenträger und Wohltäter entstand bekanntlich bereits im frühen 9. Jahr-hundert ein Verbrüderungsbuch, gefolgt von einem ersten Kapiteloffiziumsbuch, das verschiedene Ordensregeln sowie Martyrolog und Nekrolog umfasste.455 Daneben wurden einzelne Namen von Verstorbenen in weiteren liturgischen Handschriften

453 Kuchenbuch, Achtung, S. 187, mit Anm. 35, weist darauf hin, dass «ökonomisches» Schriftgut im Mittelalter stark auf eine «verteilungsethisch konzipierte Haushaltung» ausgerichtet war, so dass man auch von «dispensativem» Schriftgut sprechen könnte.

454 Zur Geschichte des Klosters Sankt Gallen vgl. Duft u. a., Art. «Sankt Gallen», in: HS, Bd. 3/1, S. 1180–1369; Tremp, Art. «Sankt Gallen», in: HLS, Bd. 10, S. 695–708; speziell zur Wirtschaftsfüh-rung Bikel, Wirtschaftsverhältnisse; zur Ausbildung der Schriftkultur Erhart/Hollenstein, Mensch;

Ochsenbein, Kloster.

455 Vgl. oben Anm. 181, 190 und 193.

festgehalten, die vielleicht an verschiedenen Altären parallel zueinander benutzt wur-den.456 Allerdings dürfte das Gedenkwesen im Verlauf des 11. Jahrhunderts praktisch zum Erliegen gekommen sein, denn in den erhaltenen Kalendarien wurden in dieser Zeit kaum mehr neue Einträge vorgenommen.

Erst im Verlauf des 12. Jahrhunderts scheint das Totengedenken im Rahmen der mo-nastischen Reformbestrebungen wieder intensiviert worden zu sein. Zum Ausdruck kommt diese Erneuerung in der Anlage eines neuen Kapiteloffiziumsbuchs, das unge-fähr um 1190 entstanden sein dürfte.457 Dass man damit an frühere Traditionen anknüp-fen wollte, geht vor allem daraus hervor, dass man die Namen der Verstorbenen aus den älteren Vorlagen übernahm. Eine entscheidende Neuerung bestand jedoch darin, dass das Martyrolog und das Nekrolog zu einem einzigen Text vereinigt wurden, bei dem unter jedem Datum zuerst auf die betreffenden Heiligen, ihre Herkunft und ihr Martyrium hingewiesen wurde, worauf auf einer neuen Zeile in gleicher Schrift und Grösse die Namen der Verstorbenen folgten, jeweils eingeleitet durch das rubrizierte Wort «obitus» und aneinandergereiht durch die Konjunktion «et». Auf diese Weise wurden die Toten buchstäblich in die Gemeinschaft der Heiligen integriert, sie wur-den gewissermassen zu «Genossen der Heiligen».458 Offenbar ging es dem Kloster bei der Erneuerung des Gedenkwesens also nicht zuletzt darum, Heiligenverehrung und Totengedenken stärker aufeinander zu beziehen – und dies im liturgischen Voll-zug ebenso wie auf der Buchseite.459 Die folgenden Ausführungen sollen aufzeigen, wie sich der Gebrauch dieses Buchs wandelte und wie parallel dazu neue Formen des Verzeichnens aufkamen.

Randnotizen im Nekrolog

Dem gegen Ende des 12. Jahrhunderts angelegten Martyrolog-Nekrolog im Sankt Galler Kapiteloffiziumsbuch wurden über die Jahre hinweg zahlreiche weitere Namen von verstorbenen Mitgliedern, Würdenträgern und Wohltätern aus dem Umfeld des Klosters hinzugefügt, wobei sich die Schreiber grösstenteils bemühten, Schrift und Stil der Anlagehand zu imitieren und die neuen Namen durch das simple Wort «et»

auch sprachlich unmittelbar mit den älteren Einträgen zu verknüpfen. Auf diese Weise wuchs der Namenbestand im wichtigsten Sankt Galler Nekrolog vor allem im Ver-lauf des 13. Jahrhunderts noch einmal beachtlich an, während danach bis ins frühe 16. Jahrhundert nur noch sporadisch neue Namen hinzugefügt wurden.

456 Vgl. oben Anm. 217.

457 Kapiteloffiziumsbuch mit Ordensregel, Lektionar, Annalen und Martyrolog-Nekrolog des Benedikti-nerklosters Sankt Gallen (um 1190), StiBSG, Cod. Sang. 453, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 462–487, MvG, S. 29–64. Vgl. hierzu Bruckner, Scriptoria, Bd. 3, S. 105 f.; Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 396–399; Erhart/Kuratli, Bücher, S. 40–46, 319; Scarpatetti, Handschriften, Bd. 2, S. 12–18;

Scherrer, Verzeichnis, S. 148.

458 Neiske, Funktion, S. 116.

459 Vgl. oben Anm. 191 f.

Nachgetragen wurden aber auch Bemerkungen zum sozialen Status sowie zur genea-logischen oder geographischen Herkunft der verzeichneten Personen, ebenso zu den gestifteten Gütern und ihrer Verteilung. Die Angaben zum Stand und zur Familien-zugehörigkeit erfolgten in der Regel in etwas kleinerer Schrift über dem eingetragenen Namen, die Erläuterungen zum wirtschaftlichen Hintergrund hingegen in stark gekürz-ter Form am inneren oder äusseren Seitenrand auf gleicher Höhe wie der betreffende Eintrag und mit diesem verknüpft durch den Verweis «in his anniversario …». Die grösste Zahl dieser Einträge stammt von einem einzigen Schreiber, der in zahlreichen weiteren Sankt Galler Büchern Bemerkungen eingefügt hat, dessen charakteristische frühgotische Urkundenschrift sich grob auf das 13. Jahrhundert datieren lässt und der in den Handschriftenkatalogen als «kalligraphischer Kanzlist» bezeichnet wird.460 Wie aus seinem Vorgehen deutlich wird, war dieser Kanzlist bemüht, die eingetragenen Personen mit dem klösterlichen Besitz in Beziehung zu setzen und diesen zugleich mit bestimmten Geschlechtern aus dem Umfeld der Abtei – vor allem den aktuellen klösterlichen Ministerialenfamilien wie den Herren von Glattburg, Rorschach oder Rosenberg – in Verbindung zu bringen.461

Musterhaft verfolgen lässt sich dieses Vorgehen etwa bei einem Ritter namens Kon-rad, dessen Tod sich im Nekrolog zum 15. Februar verzeichnet findet («et Cuonradi militis»). In einem Nachtrag über der Zeile wies der Kanzlist den eingetragenen Ritter dem Geschlecht von Glattburg zu («de Glatteburc»). Am äusseren rechten Seitenrand vermerkte er sodann in kleinerer, stark abgekürzter Schrift, dass man zur Begehung dieser Jahrzeit Fisch, Käse und Brot von einem Zins aus Engishofen auszuteilen habe; ausserdem sollte ein Geldbetrag aus Dürstelen unter den Geistlichen weiterer städtischer Kirchen, Kapellen und Spitäler verteilt werden unter der Bedingung, dass die Empfänger an der Messe teilnehmen.462

Noch ausführlicher gestalten sich die Aufzeichnungen bei einem Laien namens Egi-lolf, der im Nekrolog zum 22. Dezember eingetragen ist («et Egilolfi laici»). Auch hier fügte der Kanzlist über der Zeile die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht aus

460 Scarpatetti, Handschriften, Bd. 2, S. 16. Für eine Auflistung der zahlreichen Einträge des kalligraphi-schen Kanzlisten in diversen liturgikalligraphi-schen, hagiographikalligraphi-schen und historiographikalligraphi-schen Handschriften aus Sankt Gallen vgl. ebd., Bd. 1, S. 356, Bd. 2, S. 451.

461 Zur Sankt Galler Ministerialität vgl. Bikel, Wirtschaftsverhältnisse, S. 250–267; Eugster, Ostschwei-zer Adel, speziell zu den Giel von Glattburg ebd., S. 111–114; ferner Bodmer/Näf, Glattburg; Bütler, Giel; für einen Überblick Leonhard, Art. «Giel», in: HLS, Bd. 5, S. 401; ders., Art. «Glattburg», in:

HLS, Bd. 5, S. 477 f.; ders., Art. «Rorschach», in: HLS, Bd. 10, S. 443.

462 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerklosters Sankt Gallen (um 1190), StiBSG, Cod. Sang. 453, S. 135, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 467 («Cuonradi militis», darüber «de Glatteburc», dazu am Rand

«In ann[iversario] C[onradi] datur stoup[us], pisces, cas[eus], mi[nor] pa[nis] de Ongis hovin, insup[er]

de Durstuodilon dant[ur] vi s[olidi], qui sit dividunt[ur] ad s[anc]tam Maria[m], s. sepulchru[m], s. Pet[rum], s. Joh[ann]em, s. Oswaldu[m], s. Jacobu[m] sing[u]lis vi d[enarii] ad utrumque hos-pitale, vi d[enarii] lep[ro]sis, vi inclusis, vi cl[er]ici recipie[n]tes den[ariorum] debe[n]t interesse misse»).

dem Umfeld der Abtei hinzu, in diesem Fall zu den Herren von Rorschach («de Ror-schach»). Wiederum stark abgekürzt vermerkte er sodann am äusseren rechten Sei-tenrand, dass zur Begehung dieser Jahrzeit Wein, Fisch, Käse und Brot serviert und den Geistlichen von weiteren namentlich genannten Kirchen, Kapellen und Spitälern verschiedene Geldbeträge oder Getreide verabreicht würden, die von Gütern in Son-der und Haslen zu leisten seien. Über dieser Bemerkung fügte Son-der Kanzlist das Wort

«custos» hinzu und brachte damit in knappster Form zum Ausdruck, dass der Kuster für die Verwaltung und Verteilung dieser Einkünfte zuständig war.463

Randnotizen dieser Art finden sich im Nekrolog zu Dutzenden; praktisch unter jedem Datum wurden einzelne Einträge mit entsprechenden Zusätzen versehen. Geradezu seriell ging der Kanzlist bei Personen vor, die er dem Geschlecht der Giel von Glatt-burg zuwies, nämlich bei Konrad dem Älteren (5. Februar) und seiner mutmasslichen Gattin Junta (5. August) sowie ihren Söhnen Ulrich (8. September), Konrad (11. Sep-tember) und Rudolf (10. Oktober). Indem der Schreiber über den jeweiligen Namen das Wort «Gielonis» oder im Fall der Frau die weibliche Form «Gielina» anbrachte, fügte er die genannten Personen zu einem Geschlecht zusammen. Wiederum unter dem Verweis auf den Kuster («custos») als Verwalter der Einkünfte vermerkte er bei all diesen Personen am Rand, dass man zur Begehung ihrer Jahrzeiten Wein und Fisch austeile, die von einem Gut in Ufhofen zu entrichten seien.464

463 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerklosters Sankt Gallen (um 1190), StiBSG, Cod. Sang. 453, S. 203, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 486 («Egilolfi laici», darüber «de Rorschach», dazu am Rand

«In ann[iversario] Egil[olfi] dat[ur] vinu[m], pisces, case[us], minor leib[unculus], it[em] s[anc]ti Othmari, s. Marie, s. sepulchr[i], et s. Pet[ri] sac[er]dotib[us] p[re]benda alia p[rop]t[er] statutam pret[er]ea s[anc]ti Lauren[tii], s. Oswaldi, s. Magni, s. Leonardi [et] s. Fidis p[resbit]ris vi d[denarii], ad s[anc]tum Joh[annem] i s[olidus], vicario s. Laur[entii] vi d[enarii], trib[us] p[re]bendariis s. Magni xviii d[enarii], toti[is] p[re]be[n]dariis s. Leonardi xviii d[enarii], insup[er] hospitali fr[u]m[entum]

i quartal[e] et lep[ro]sis i q[uartale] t[ri]tici de mole[n]dino i[n] Hasela et p[re]dio i[n] Sund[er]», darüber «cust[os]»). Dazu existiert eine Art Stiftungsnotiz in ChSG, Bd. 3, S. 114, Nr. 1111 (1225), die allerdings nur aus einer sehr viel späteren Aufzeichnung bekannt ist, so dass ungewiss bleibt, ob der Text auf einem verlorenen Original beruht oder aus Nekrolog und Rödeln kompiliert wurde, vgl. unten Anm. 500.

464 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerklosters Sankt Gallen (um 1190), StiBSG, Cod. Sang. 453, S. 133, 172, 180 f., 187, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 466 («Chuonradi laici», darüber «Gielonis», dazu am Rand «I[n] ann[iversario] Giel[onis] dat[ur] vinu[m] p[ro] piscib[us] [et] stoup[us] de Ufhovi[n]», darüber «cust[os]), S. 478 («et Junta l.», darüber «Gielina», dazu am Rand «In ann[iversario] Junte dat[ur] stoup[us] et vinu[m] p[ro] pisces de Ufhovin», darüber «cust[os]»), S. 480 («et Uolrici l.», darüber «Gielonis», dazu am Rand «In h[is] ann[iversario] dat[ur] stoup[us] [et] pisces i[n] vino de Ufhovin sup[er] Geb[ert]w[ile]», darüber «cust[os]»; «et est obitus Chuonradi l.», darüber «Gielo-nis», dazu am Rand mit Einfügungszeichen «In h[is] ann[iversario] dat[ur] stoup[us] [et] vinu[m]

p[ro] piscib[us] de Ufhovin sup[er] Gebraszw[ile]», darüber der Vermerk «cust[os]»), S. 482 («et Ruodolfi laici», darüber «Gielonis», dazu am Rand «In ann[iversario] R[uodolfi] dat custos stoupu[m]

[et] vinu[m] p[ro] piscib[us] de Ufhoven»). Dazu existiert eine Art Stiftungsnotiz in ChSG, Bd. 3, S. 151, Nr. 1135 (1226), die allerdings nur aus einer sehr viel späteren Aufzeichnung bekannt ist, so dass ungewiss bleibt, ob der Text auf einem verlorenen Original beruht oder aus Nekrolog und Rödeln kompiliert wurde, vgl. unten Anm. 500.

Indem der Sankt Galler Kanzlist die Einträge im Nekrolog mit derartigen Randnoti-zen versah, adaptierte er auf originelle Weise das System der Glossierung, das sonst vor allem aus der biblischen und juristischen Textauslegung bekannt war. Durch Glossen kommentiert wurden im 12. und 13. Jahrhundert vornehmlich kanonisierte, autoritative Textbücher wie die Evangelien oder das gelehrte römische und kano-nische Recht, ab dem 14. Jahrhundert sodann zunehmend auch volkssprachliche Rechtsbücher und literarische Werke.465 Die Einträge im Nekrolog erhielten dadurch Autorität und Legitimation, denn die Hinweise in den Randglossen erbrachten den Nachweis, dass der klösterliche Besitzstand eng mit der Liturgie verknüpft und damit regelrecht sanktioniert war.

Randnotizen und Rödel

Die Bemühungen, das Totengedenken auf eine wirtschaftliche Grundlage zu stellen und die damit verbundenen Abgaben genau zu regeln, schlugen sich in verschiedenen weiteren Aufzeichnungen nieder, in denen der gleiche Schreiber die Einnahmen oder Ausgaben der verschiedenen Klosterämter auflistete.466 Mehrere dieser Listen finden sich im Anhang des Kapiteloffiziumsbuchs eingetragen. Sie betreffen die täglichen Abgaben vom Hof des Abts an die Brüder sowie die Austeilung von Essensportionen durch verschiedene Klosterämter zu bestimmten Festtagen und Jahrzeiten. Auf diese Weise sollten vermutlich die verstreuten Angaben aus den Randnotizen im Nekro-log systematisch für einzelne Klosterämter zusammengestellt werden. Indem diese Aufzeichnungen auf bestimmte Heiligenfeste oder einzelne Jahrzeitfeiern verweisen,

465 Vgl. hierzu Powitz, Textus; zum Verhältnis von autoritativem Text und kommentierender Glos-sierung Hüpper, Wort, S. 236 f.; Illich, Vineyard, S. 115–123 (deutsch: Weingarten, S. 121–134);

Kuchenbuch, Achtung, S. 181–187; ders., Sources, S. 295; ders./Kleine, Textus, S. 442 f.; Michael, Textus, S. 190; Rohrbach, Aura, S. 203–206; Seidel, Vorzeigen, S. 323 f.; Teuscher, Erzähltes Recht, S. 245–252, 291–301; ders., Notiz, S. 282 f.

466 Die Verzeichnisse sind grösstenteils ed. in UBASG, Bd. 3, S. 783–789, Nr. 68 (Einkünfte des Dekans und Kellermeisters), S. 789–791, Nr. 69 (Einkünfte des Propsts), S. 791–796, Nr. 70 (Einkünfte des Kusters), S. 797–799, Nr. 71 (Einkünfte des Pförtners), S. 799 f., Nr. 72 (Einkünfte des Brotkämme-rers), S. 800 f., Nr. 73 (Einkünfte des Werkdekans), S. 812 f., Nr. 78 (Leistungen des Abts, Eintrag im alten Kapiteloffiziumsbuch), S. 814 f., Nr. 79 (Leistungen des Propsts), S. 815 f., Nr. 80 (Leistun-gen des Kusters), S. 816–820, Nr. 81 (Leistun(Leistun-gen des Dekans und Kellermeisters, Eintrag im neuen Kapiteloffiziumsbuch), S. 821, Nr. 82 (Leistungen des Pförtners), S. 821 f., Nr. 83 (Leistungen des Hospitarius, Eintrag im alten Kapiteloffiziumsbuch), S. 822, Nr. 84 (Leistungen des Kämmerers), S. 822 f., Nr. 85 (Leistungen des Werkdekans), S. 823–825, Nr. 86 (Bestimmungen über das Austeilen von Essensportionen zu Heiligenfesten und Jahrzeiten), S. 826 f., Nr. 87 (Bestimmungen über das Austeilen von Essensportionen und die Abgaben vom Hof des Abts, Eintrag im neuen Kapiteloffi-ziumsbuch), S. 831–833, Nr. 90 (Leistungen an Kirchen und Kapellen), S. 834 f., Nr. 91 (Kirchen-lichter und Kirchendienst, Eintrag im neuen Kapiteloffiziumsbuch). Da die verschiedenen Rödel aus unterschiedlichen Quellen stammen und teilweise nur in späteren Abschriften erhalten sind, wäre eine kritische Neuedition dringend notwendig, vgl. Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 397;

Sablonier/Zangger, IWQSG, Nr. 52–54.

beziehen sie sich jedenfalls ausdrücklich auf den Kalender auf den vorangegangenen Seiten im Kapiteloffiziumsbuch.467

Dass diese Listen ausgerechnet in das Kapiteloffiziumsbuch eingetragen wurden, deutet nicht nur darauf hin, dass sie im Zusammenhang mit dem Nekrolog und den darin enthaltenen Randnotizen hergestellt wurden, sondern zeigt auch, dass solche wirtschaftlichen Fragen, die ja den gesamten Konvent und jeden einzelnen Mönch ganz unmittelbar betrafen, wohl im Rahmen des Kapiteloffiziums, das heisst bei der allmorgendlichen Versammlung der Mönchsgemeinschaft, verhandelt und verkündet wurden, dass also das Gedenken selbst im liturgischen Vollzug verknüpft blieb mit den betreffenden Gütern.468

Das Verzeichnen von Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Klosterämter wurde weitergeführt in einigen eigenständig überlieferten Rödeln, die ungefähr zur gleichen Zeit entstanden und zumindest teilweise vom selben Schreiber stammen dürften. Auch diese Rödel weisen deutliche Bezüge zu den Randnotizen im Nekrolog auf und stim-men mit diesen vielfach sogar wörtlich überein. Dies gilt insbesondere für den Rodel des Kusters, da dieser für die Vorbereitung des Gottesdienstes und damit auch der Jahrzeitfeiern verantwortlich war.469 So heisst es dort etwa entsprechend dem oben erwähnten Nekrologeintrag zu Konrad von Glattburg, dass zu dessen Jahrzeit Wein, Fisch, Käse und ein kleines Brötchen («minor leibunculus») auszuteilen seien. Zu-sätzlich bietet der Rodel die Information, dass die dafür vorgesehenen Einnahmen aus Engishofen mit zwölf Schilling und sechs Mütt Getreide zu beziffern seien.470 Die im Nekrolog zur Jahrzeit des Glattburgers ebenfalls genannten Geldbeträge ab einem Gut in Dürstelen zugunsten von weiteren Kirchen, Kapellen und Spitälern finden sich indessen nicht im Kusteramtsrodel. Sie wurden stattdessen in einem ei-genen Rodel verzeichnet, da dieses Geld offenbar als eigenständiger Fonds verwaltet wurde («hi sunt denarii spectantes ad ecclesias et capellas»).471 In den verschiedenen

467 Aufzeichnungen zum Austeilen von Essensportionen («servitia»), zu den täglichen Abgaben vom Hof des Abts und zu den Ausgaben des Dekans und Kellermeisters («prebenda») im Kapiteloffizi-umsbuch des Benediktinerklosters Sankt Gallen (um 1190), StiBSG, Cod. Sang. 453, S. 236, 238 f., ed. in UBASG, Bd. 3, S. 816–820, 826 f. Auf eine Regelung des Gedenkwesens zielte eine weitere, dazwischen auf S. 237 f. eingetragene Urkunde, die vermutlich genau deswegen Aufnahme ins Ka-piteloffiziumsbuch fand, vgl. unten Anm. 476.

468 Vgl. hierzu Sauer, Fundatio, S. 51–53, 60 f., 158 f.

469 Bikel, Wirtschaftsverhältnisse, S. 198–200.

470 Kusteramtsrodel des Benediktinerklosters Sankt Gallen (13./14. Jh.), StiASG, FF5 K5/6, ed. in UBASG, Bd. 3, S. 791–796, hier S. 792 («Item de anniversario Chuonradi de Glatiburc dantur xii solidi et sex modii tritici de Oengishovin, ex quibus datur vinum, pisces, caseus, minor leibun culus»).

Vgl. hierzu Erhart/Kuratli, Bücher des Lebens, S. 324.

471 Rodel mit Leistungen an Sankt Galler Kirchen und Kapellen (nur in späterer Abschrift erhalten), ed. in UBASG, Bd. 3, S. 831 («In anniversario Cuonradi militis de Glateburch dantur sex denarii ad unam quamlibet istarum sex capellarum, videlicet sancte Mariae, sancti sepulchri, sancti Petri, sancti Johanis, sancti Oswaldi, dantur etiam sex denarii ad hospitale fratrum, ad hospitale

infirmo-Rödeln widerspiegelt sich somit eine komplexe Arbeitsteilung in der klösterlichen Wirtschaftsführung und Güterverwaltung.472

Die drei Jahrzeiten der Familie Giel, von Konrad dem Älteren und seinen Söhnen, wurden im Kusteramtsrodel nicht namentlich ausgewiesen, sondern lediglich als Jahrzeit der drei Giel («anniversarium trium Gielonum») zusammengefasst. Rele-vant waren für den Kuster in diesem Zusammenhang nicht die individuellen Gedenk-leistungen, sondern lediglich die damit verbundenen Einkünfte. Übereinstimmend mit dem Nekrolog vermeldet der Rodel denn auch, dass die entsprechenden Einnahmen aus Ufhofen stammen, das hier näher identifiziert wird durch den Vermerk, es liege in der Nähe von Gebhardschwil («Ufhoven prope situm Gebrartiswile»). Im Gegensatz zu den pauschalen Verweisen im Nekrolog führt der Rodel ausserdem genau aus, in welcher Höhe von dort Abgaben zu entrichten seien, nämlich drei Pfund. Nach dem Tod des letzten Sohnes (vermutlich Rudolf, gestorben 1265/1266) und der Mutter sollten für deren Jahrzeit zusätzlich zwei Pfund entrichtet werden.473

Der oben erwähnte Egilolf von Rorschach wurde im Kusteramtsrodel als Verwandter («patruus») der Familie Giel ausgewiesen, seine Jahrzeit entsprechend den Angaben im Nekrolog geschildert. Aus den genannten Einkünften sollte den Teilnehmenden ein volles Mahl («plenum servicium») dargereicht werden (gemäss Nekrolog beste-hend aus Wein, Fisch, Käse und Brot), den Kirchen, Kapellen und Spitälern die ent-sprechenden Geldbeträge oder Getreidemengen. Wurden die betreffenden Güter im Nekrolog jedoch lediglich summarisch mit Sonder und Haslen bezeichnet, so präzi-sierte der Rodel auch in diesem Fall, dass Sonder in Herisau und Haslen bei Gossau liege und dass von Ersterem ein Pfund und zwei Schilling und von Letzterem zwölf Schilling und vier Mütt Getreide abzuliefern seien, insgesamt also 34 Schilling.474 Während bei der Benutzung des Nekrologs die Verteilung der Einkünfte in Form von Wein, Fisch, Käse und Brot im Vordergrund stand, ging es beim Erstellen des Rodels offenbar vor allem darum, deren Herkunft und Höhe genau auszuweisen, waren doch

rum sex denarii, inclusis omnibus sex denarii, leprosis etiam sex denarii de bono in Durstuodilon, quod pertinet ad sanctam Fidem»).

472 Vgl. hierzu Bikel, Wirtschaftsverhältnisse, S. 170–216.

473 Kusteramtsrodel des Benediktinerklosters Sankt Gallen (13./14. Jh.), StiASG, FF5 K5/6, ed. in UBASG, Bd. 3, S. 792 («In anniversario trium Gielonum dantur tres libre, de quibus dantur tres majores et iii stopi minores, sed isti et matri sue mortuis dantur due libre de Ufhoven prope situm Gebrartiswile»). Mit den drei Giel sind offenbar Konrad der Ältere sowie seine beiden ebenfalls be-reits verstorbenen Söhne Ulrich und Konrad gemeint, während seine Gattin Junta und sein jüngster Sohn Rudolf zum Zeitpunkt der Rodelaufnahme noch lebten.

474 Kusteramtsrodel des Benediktinerklosters Sankt Gallen (13./14. Jh.), StiASG, FF5 K5/6, ed. in UBASG, Bd. 3, S. 792 («De anniversario Egilolfi, qui fuit patruus istorum [Gielonum], dantur tri-ginta iiii solidi, in Herisouve an dem Sundir libra et duo solidi et Hasilouve apud Gozouwe xii solidi, et iiii modii tritici, ex hiis datur plenum servicium et duplicatur capellis claustralibus, preter sancti Galli, insuper dantur denariorum ad sanctum Oswaldum solidus, ad sanctum Johannem solidus, ad sanctum Jacobum solidus, ad sanctum Laurentium sex denarii, ad sanctum Leonhardum xviii denarii et ad sanctum Magnum x et viii denarii, in ospidale quartale tritici et leprosis quartale tritici»).

die betreffenden Amtsträger dafür verantwortlich, die zur Austeilung notwendigen Einkünfte effektiv aufzutreiben, was bedeutete, sie vor Ort einzufordern.475 Die Do-kumentation der Einkünfte lag somit nicht nur im Interesse des Klosters als ganzem, sondern vor allem auch der einzelnen Amtsträger.

Damit ist ein wichtiger Hinweis gegeben auf den ungefähren Entstehungszeitraum der Randnotizen und Rödel. Bislang hat man die Handschrift des unbekannten Kanz-listen aufgrund paläographischer Kriterien grob auf das 13. Jahrhundert geschätzt. In der Tat findet sich einer seiner Einträge im Kapiteloffiziumsbuch direkt im Anschluss an eine Urkundenabschrift, die auf 1244 datiert ist und möglicherweise ebenfalls von der Hand des Kanzlisten stammt. Mit dieser Datierung wäre der früheste Zeitpunkt für den Beginn der Arbeiten des Kanzlisten gegeben, wobei die vorliegende Urkun-denabschrift natürlich erst später erfolgt sein kann.476 Die Geschlechter aus dem Um-feld der Abtei, die in den Randnotizen und in den Rödeln vorkommen, werden ab der Wende zum 13. Jahrhundert allmählich fassbar, die genannten Personen vornehmlich bis in die 1260er Jahre; der zum Zeitpunkt der Rodelaufnahme noch lebende Rudolf Giel verstarb vermutlich 1265 oder 1266.477 Somit dürfte der hier beschriebene Ver-schriftlichungsschub in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, aber noch vor 1266 erfolgt sein, das heisst noch unter Abt Berchtold von Falkenstein, der bekanntlich bemüht war, den klösterlichen Haushalt in Ordnung zu bringen, da die zahlreichen militärischen Konflikte, in die das Kloster während seiner Amtszeit verstrickt war, einen erheblichen Finanzbedarf mit sich brachten.478

Auf der Grundlage dieser ungefähren Datierung eröffnet sich eine interessante, bis-lang unbeachtete Perspektive. Wie der Chronist Melchior Goldast berichtet, erliessen

475 Bikel, Wirtschaftsverhältnisse, S. 178 f., 207 f.

476 Im Zusammenhang mit der Neuregelung des Gedenkwesens war die abgeschriebene Urkunde jeden-falls von grösstem Interesse, behandelt sie doch die Einrichtung einer viermal jährlich stattfinden-den Gestattfinden-denkfeier für die Brüder, zusammen mit der Jahrzeit von Propst Burkhard (gestorben 1244), bestätigt von Abt Walter von Trauchburg, eingetragen im Kapiteloffiziumsbuch des Benediktiner-klosters Sankt Gallen (um 1190), StiBSG, Cod. Sang. 453, S. 237 f., ed. in ChSG, Bd. 3, S. 281–283, Nr. 1348. Dass der Kanzlist «möglicherweise auch mit adaptierter Schrift die Urkundenkopie» an-fertigte, vermutet Scarpatetti, Handschriften, Bd. 2, S. 18.

477 Als der ältere Giel bezeichnet, erscheint Rudolf zuletzt als Zeuge in einer Urkunde des Bischofs

477 Als der ältere Giel bezeichnet, erscheint Rudolf zuletzt als Zeuge in einer Urkunde des Bischofs

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