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Von den Klöstern an die Pfarrkirchen

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 79-97)

2 Formen und Funktionen der Gedenküberlieferung

2.3 Von den Klöstern an die Pfarrkirchen

In grösseren Städten wie Basel, Zürich und Bern, wo die Pfarrkirchen von ortsansässi-gen Stiften betreut wurden, standen Jahrzeitbücher schon seit dem frühen 14. Jahrhun-dert in Gebrauch.303 Von den Pfarrkirchen aus kleineren Städten haben sich entspre-chende Aufzeichnungen ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erhalten. So besass die Stadt Baden bereits um 1351 ein Jahrzeitbuch.304 In Sursee wurde ein solches um 1359 erstellt.305 Ungefähr gleichzeitig erhielt das Städtchen Aarau ein Jahrzeitbuch, das aber offenbar auf älteren Aufzeichnungen («liber vetus») be ruhte.306 Kurz darauf entstanden solche Bücher auch an den Pfarrkirchen von Zug,307 Oberwinterthur,308 Sankt Gallen,309 Wil310 und Liestal,311 aber auch von kleineren Ortschaften wie Si-griswil am Thunersee, Jegenstorf und Trachselwald im Emmental oder Montet am Neuenburgersee.312 Das Städtchen Ilanz am Vorderrhein sowie die etwas oberhalb davon gelegene Gemeinde Ruschein verfügten ebenfalls schon im 14. Jahrhundert über eigene Jahrzeitbücher.313

Im Verlauf des 15. Jahrhunderts dürften Jahrzeitbücher schliesslich an den meisten Pfarrkirchen angelegt worden sein, zunächst vor allem im Mittelland, etwas später

303 Zu Basel vgl. oben Anm. 263–266, zu Zürich Anm. 271–273, zu Bern Anm. 281.

304 Jahrzeitbuch Baden (um 1351), StadtA, A.53.1. Vgl. hierzu Bruckner, Scriptoria, Bd. 7, S. 22; Meier/

Sauerländer, Surbtal, S. 356; Merz, Repertorium, Bd. 1, S. 258; Nüscheler, Gotteshäuser, Bd. 3, S. 555.

305 Jahrzeitbuch Sursee (1359), StadtA, DD 3315/1, ed. in Gfr 18, S. 145–183. Vgl. hierzu Gössi, Pfarr-bücher, S. 21, 156; Henggeler, JahrzeitPfarr-bücher, S. 3, 11, 34, 36, 38, 55.

306 Jahrzeitbuch Aarau (1360), StadtA, Nr. 604, ed. in Argovia 6, S. 355–471, Merz, Jahrzeitbücher, Bd. 1. Wenig später entstand eine weitere, überarbeitete und gekürzte Fassung des Jahrzeitbuchs (Ende 14. Jh.), StadtA, Nr. 605. Vgl. hierzu Bruckner, Scriptoria, Bd. 7, S. 13; Merz, Inventar Aarau, S. 35.

307 Jahrzeitbuch der Pfarrkirche Sankt Michael in Zug (um 1380), BA, A 39 32 0, ed. in Gfr 105–110.

Vgl. hierzu Pfaff, Pfarrei S. 268; Gruber, Jahrzeitbücher, S. 17 f.

308 Fragment des Jahrzeitbuchs Oberwinterthur (1382), StadtA Winterthur, ed. in ASG N. F. 7, S. 447 f.

Vgl. hierzu Hegi, Jahrzeitenbücher, S. 170 f.; Sigg, Archivführer, S. 276.

309 Jahrzeitbuch der Pfarrkirche Sankt Laurenzen in Sankt Gallen (um 1390), StadtA, Nr. 509; Jahr-zeitbuch der Pfarrkirche Sankt Mangen in Sankt Gallen (Ende 14. Jh.), StadtA, Nr. 508. Vgl. hierzu Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 402; Erhart/Kuratli, Bücher, S. 328; Nüscheler, Gotteshäuser, Bd. 2, S. 102; Ziegler, Jahrzeitenbuch, S. 47–64; ders., Kirchenpfleger, S. 240 f.

310 Jahrzeitbuch Wil (1397), PfA, Abt. 15.40. Vgl. hierzu Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 402; Er-hart/Kuratli, Bücher, S. 328.

311 Jahrzeitbuch Liestal (14. Jh.), StABL, AA 1002, Nr. 2c. Vgl. hierzu Othenin-Girard, Lebensweise, S. 49, S. 437; dies., Frömmigkeit, S. 165–182.

312 Jahrzeitbuch Sigriswil (1384), StABE, B III 8; Jahrzeitbuch Jegenstorf (um 1399), PfA, ed. in AHVB 7, S. 545–421 [!]; Fragment des Jahrzeitbuchs Trachselwald oder Sumiswald (14. Jh.), StABE, B III 9a; Jahrzeitbuch der Pfarrkirche Sankt Theodul in Montet (14. Jh.), ACVD, Fl 391. Vgl. hierzu Bloesch, Katalog, S. 734; Specker, Jahrzeitbücher, S. 57–59.

313 Jahrzeitbuch Ilanz (14. Jh.), BAC, N-I, ed. in Jahrzeitbücher GR, Bd. 2, S. 119–147, Nr. 14; Jahrzeit-buch Ruschein (14. Jh.), GA, C 2.1, ed. in JHGG 55, S. 43–83, Jahrzeitbücher GR, Bd. 1, S. 172–199, Nr. 17.

erst in den Gebirgstälern der Innerschweiz.314 So verfügten viele Gemeinden entlang des Zürichsees bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts über solche Bücher,315 während das früheste Jahrzeitbuch aus der Talschaft von Uri, nämlich dasjenige der Kirche von Seedorf beim gleichnamigen Kloster, erst um 1470 entstanden ist.316 Von den übrigen urnerischen Kirchen haben sich entsprechende Aufzeichnungen sogar erst aus der Reformationszeit erhalten, als der Zürcher Predigermönch Jakob von Ägeri eine ganze Reihe solcher Bücher für die Kirchen des Tals schrieb.317 Aus dem Tal-kessel von Schwyz stammen die erhaltenen Bücher sogar erst aus nachreformato-rischer Zeit.318 Selbst wenn man von beträchtlichen Überlieferungsverlusten ausgeht, lässt sich insgesamt feststellen, dass abgelegenere Regionen erst deutlich später von diesem Verschriftlichungsschub erfasst wurden.

Gedenkwesen und Gemeindebildung

Die Entstehung von Jahrzeitbüchern an Pfarrkirchen zeugt von kommunaler Verfes-tigung, die begleitet war von der Konstituierung als politische Gemeinschaften mit entsprechenden Organisationsformen, Ämtern und Institutionen sowie mit einem eigenen Selbstverständnis.319 Beispielhaft hierfür mag die Stadt Sankt Gallen sein, die sich im Verlauf des 14. Jahrhunderts zusehends vom gleichnamigen Kloster emanzipierte, was unter anderem zu langwierigen Konflikten über die Besetzung der Leutpriesterstelle führte. Der neue Anspruch auf Selbstverwaltung kam nicht zuletzt in der Anlage eines Jahrzeitbuchs zum Ausdruck, womit sich die Bürgerschaft als eigenständige Sakralgemeinschaft konstituierte.320 Dies zeigt sich etwa daran, dass

314 Vgl. hierzu Bünz, Memoria, S. 268 f.; Henggeler, Jahrzeitenbücher, S. 3; Hürlimann/Sonderegger, Ländliche Gesellschaft, S. 58 f.

315 Fragment eines Jahrzeitbuchs der Johanniterkommende und Pfarrkirche Küsnacht (um 1400), StAZH, F II a 241; Fragment des Jahrzeitbuchs Richterswil (um 1400), StAZH, W I 3.7c, Nr. IV, Bl. 3 r–3 v;

Jahrzeitbuch Ufenau (vor 1415), KlA Einsiedeln, B.N.1, ed. in Jahrzeitbücher SZ, Bd. 3, S. 130–217;

Jahrzeitbuch Freienbach (1435), KlA Einsiedeln, B.BA.1, ed. in Jahrzeitbücher SZ, Bd. 3, S. 218–343.

Zu Küsnacht und Richterswil vgl. Hegi, Jahrzeitenbücher, S. 165 f., 175 f.; Mohlberg, Handschriften, S. 303, Nr. 637; Sablonier u. a., IWQZH, S. 13, Nr. 1, S. 216 f., Nr. 208; Sigg, Archivführer, S. 332;

zu Ufenau und Freienbach Bruckner, Scriptoria, Bd. 5, S. 105 f.; Henggeler, Jahrzeitbücher, S. 34, 49; Hugener, Himmlische Bücher, S. 46 f.; Sablonier/Zangger, IWQ Einsiedeln, Nr. 25.

316 Jahrzeitbuch Seedorf (um 1470), PfA. Vgl. hierzu Hug/Weibel, Urner Namenbuch, Bd. 4, S. 99.

317 Vgl. unten Anm. 386–388.

318 Jahrzeitbuch Steinen (1529), StASZ, Cod. 2295.1; Jahrzeitbuch Muotathal (1567), StASZ, Dep. 81 2.4; Jahrzeitbuch Schwyz (um 1580), PfA, ed. in MHVSZ 11, S. 1–104, Jahrzeitbücher SZ, Bd. 1.

Zu Muotathal vgl. Bruckner, Scriptoria, Bd. 5, S. 149; zu Steinen Ochsner, Landschreiber, S. 57 f.

319 Für den städtischen Bereich vgl. Reitemeier, Pfarrkirchen; für den ländlichen Raum Bünz, Kirche;

ders., Pfarrei; ders., Untertanen; Burgess, Service; Fuhrmann, Kirche und Dorf; dies., Kirche im Dorf; dies., Christenrecht; Sablonier, Dorf; für einen allgemeinen Überblick Saulle Hippenmeyer, Art. «Pfarrei», in: HLS, Bd. 9, S. 669–671.

320 Vgl. hierzu Sonderegger, Gedenkstiftungen, S. 230 f.; zur Konstituierung von städtischen Sakral-gemeinschaften mittels religiöser Rituale Löther, Prozessionen; Bedos-Rezak, Civic Liturgies; zum gemeinschaftsstiftenden Charakter städtischer Rechtsordnungen Kwasnitza, Stadtrechte; Rauschert,

im Jahrzeitbuch der sankt-gallischen Pfarrkirche Sankt Laurenzen auch obrigkeitlich verordnete Jahrzeiten eingetragen wurden für die Bürger, die in den kriegerischen Auseinandersetzungen des schwäbischen Städtebunds bei Altheim 1372 sowie im Kampf gegen die äbtischen und österreichischen Truppen 1403 und 1405 gefallen waren.321 Ausserdem gedachte man hier weiterer wichtiger Ereignisse aus der städ-tischen Geschichte, etwa des Baus der neuen Kirche im Jahr 1413 oder des grossen Brandes von 1418, der grosse Teile der Stadt und des Klosters zerstörte, die Pfarr-kirche hingegen, wie eigens betont wurde, verschonte.322 Dass die kirchliche Buch-führung aufs Engste mit der kommunalen Verwaltung verbunden war, wird auch daraus ersichtlich, dass man das Jahrzeitbuch offenbar seit je im städtischen Archiv aufbewahrte, wo es sich heute noch befindet.

Wie aus dem prall gefüllten Jahrzeitbuch hervorgeht, liessen die Bürger der Stadt ihre Jahrzeiten zunehmend an der örtlichen Pfarrkirche begehen. Dass gleichzeitig die Zahl der Stiftungen zugunsten des benachbarten Klosters drastisch abnahm, er-gibt der Vergleich mit dem bereits genannten klösterlichen Kapiteloffiziumsbuch.

Dessen Nekrolog war bis ins 14. Jahrhundert hinein noch rege mit Einträgen gefüllt worden, wurde ab der Wende zum 15. Jahrhundert indessen nur noch sporadisch be-nutzt.323 In der Überlieferung aus Sankt Gallen lässt sich somit exemplarisch jene Verlagerung der Stiftungstätigkeit vom Kloster an die Pfarrkirche feststellen, die als charakteristisch für das spätmittelalterliche Gedenkwesen zu gelten hat.324 Es wäre daher verfehlt, von einem allgemeinen Bedeutungsverlust des Totengedenkens

aus-Gelöchert; zur städtischen Kirche als Ort der politischen Repräsentation am Beispiel der Stadt Lu-zern dies., Herrschaft, S. 51–58, 61. Die Verbindung von Gedenkwesen und Gemeindebildung ein-gehender zu untersuchen, wird als Desiderat formuliert bei Othenin-Girard, Lebensweise, S. 24.

321 Jahrzeitbuch der Pfarrkirche Sankt Laurenzen in Sankt Gallen (um 1390), StadtA, Nr. 509, S. 20, 29, 36, zit. bei Ziegler, Jahrzeitenbuch, S. 53 f. («Anno domini mccclxxii ista die occisi fuerunt iuxta oppidum Ulmense circa Althain per exercitum dominorum de Wirtenberg plures de civitati-bus imperialicivitati-bus, inter quos occisi fuerunt de oppido sancti Galli infra scripti», «Noverint universi quod anno domini mcccciii heu ista die occisi sunt vulgariter ze Loch per exercitum provincialium de Abbatiscella necnon aliquorum de Switensibus de septem civitatibus imperialibus et speciali-ter subscripti honesti viri de civitate nostra sancti Galli», «Nota ista die occisi sunt triginta viri in Cappell de exercitu ducis Austrie per civitatem nostram et duo de nostris, … et illa die in sti tutum est, quod fiat processio in Capell, ut nos et successores nostros a tali periculo defendat omnipotens deus»).

322 Jahrzeitbuch der Pfarrkirche Sankt Laurenzen in Sankt Gallen (um 1390), StadtA, Nr. 509, S. 23, zit.

bei Ziegler, Jahrzeitenbuch, S. 54 («et omnium qui eadem die in ignis voragine interierunt, nam de anno domini millesiomo ccccxviii exustum fuit oppidum sancti Galli et suburbium eius oppidi cum monasterio et ceteris ecclesiis et capellis pluribus, ecclesia parrochiali sancti Laurencii dumtaxat dempta que remansit in medio ignis non fuit estuata»).

323 Vgl. oben Anm. 222 und unten Kapitel 3.1.

324 Vgl. hierzu Bünz, Memoria, S. 266; ders., Probleme, S. 41, Anm. 43; Henggeler, Jahrzeitbücher, S. 2;

Reitemeier, Pfarrkirchen, S. 597 f.; speziell zu Basel Signori, Memoria, S. 137 f.; dies., Leere Seiten, S. 155; zu Sankt Gallen Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 402; zu Engelberg Kegel, Monasterium, S. 184.

zugehen.325 Insgesamt scheint eher das Gegenteil zuzutreffen: Jahrzeiten wurden im Spätmittelalter von immer breiteren Personenkreisen gestiftet, doch berücksichtigten diese eben eher ihre örtliche Pfarrkirche.

Eine deutliche Zunahme erfuhren in dieser Zeit auch die Stiftungen zugunsten von Spitälern und Siechenhäusern.326 Die wachsende Zahl an Gedenkverpflichtungen führte dazu, dass sich solche Institutionen ebenfalls ein Jahrzeitbuch zulegen muss-ten. So verfügte das Siechenhaus an der Zulg im Städtchen Thun vermutlich bereits ab 1406 über ein solches Buch,327 während die Spitäler von Bern, Burgdorf und Lu-zern alle um 1450 damit begannen, ein entsprechendes Exemplar zu führen.328 Beim Zürcher Siechenhaus an der Spanweid stammt das älteste erhaltene Jahrzeitbuch aus der Zeit um 1490.329 Wie sich am Beispiel von Zürich zeigt, wurde die Stiftungs-tätigkeit zugunsten der kommunalen Institutionen vom städtischen Rat gezielt ge-fördert, indem die Spitäler und Siechenhäuser ausdrücklich vom Verbot ausgenom-men wurden, Häuser als Jahrzeitstiftungen anzunehausgenom-men.330 In die gleiche Richtung zielte die Massnahme, dass die Spitalvorsteher die Ausübung des Gedenkens und die damit verbundene Verteilung von Einkünften überwachen und bei Vernachlässigung übernehmen sollten.331 Solche kommunalen Institutionen wurden von der städtischen Obrigkeit folglich geradezu als Konkurrenz zu den herkömmlichen Klöstern aufge-baut, die sich aufgrund ihrer Struktur und grösserer Selbstbestimmung schlechter kontrollieren liessen.

Verweiszeichen und Repräsentationsmittel

Gerade bei frühen Jahrzeitbüchern wie dem der Sankt Galler Pfarrkirche Sankt Lau-renzen waren die Einträge im Kalender noch verhältnismässig knapp gehalten. Aus-führlicher wurden Angaben über die gestifteten Güter sowie über die geforderten Gedenkleistungen hingegen im Anhang des Buchs festgehalten. Wie sich an den un-terschiedlichen Schriften im Sankt Galler Exemplar zeigt, wurden diese so genannten

325 Vgl. oben Anm. 78.

326 Vgl. hierzu Frank, Sorge, besonders S. 223 f.; speziell zu Zürich Dörner, Kirche, S. 236–244, beson-ders S. 241; zur Buchführung des Wiener Bürgerspitals Pohl-Resl, Rechnen.

327 Jahrzeitbuch des Siechenhauses an der Zulg in Thun (1406), BA, Fach II 5, Nr. 506. Vgl. hierzu Bruckner, Scriptoria, Bd. 11, S. 103, Anm. 16; Specker, Jahrzeitbücher, S. 59.

328 Jahrzeitbuch des Niederen Spitals in Bern (um 1450), BBBE, VA BSB 1363, ed. in AHVB 16, S. 403–421; Jahrzeitbuch des Niederen Spitals in Burgdorf (um 1450), BA, W 21, ed. in Lachat, Heimiswiler Jahrzeitbuch; Jahrzeitbuch des Heiliggeistspitals in Luzern (um 1450), StALU, KB 435. Vgl. hierzu Bloesch, Katalog, S. 95, 111; Specker, Jahrzeitbücher, S. 55 f.

329 Jahrzeitbuch des Siechenhauses an der Spanweid in Zürich (1490), StAZH, H I 608. Vgl. hierzu Hegi, Jahrzeitenbücher, S. 193–197; Zimmermann, Stiftungsreduktion, S. 100.

330 Dörner, Kirche, S. 239; Wehrli-Johns, Geschichte, S. 87. Zur obrigkeitlichen Gesetzgebung über Jahrzeitstiftungen und deren Ablösung vgl. Gilomen, Renten.

331 Vgl. hierzu Schuler, Anniversar, S. 88; speziell zu Zürich Dörner, Kirche, S. 204 f.; zu Sankt Gallen Sonderegger, Gedenkstiftungen, S. 231.

Satzungen offenbar meist noch zu Lebzeiten der Stifterinnen und Stifter vor genommen.

Nach deren Tod trug man ihre Namen sodann unter dem entsprechenden Datum in den Kalender ein, wobei man gegebenenfalls auf die bereits vorhandenen Satzungen im Anhang verweisen konnte. An diesem Beispiel lässt sich somit nachverfolgen, wie die schriftliche Fixierung von Stiftungen vor sich ging. Eine eigentliche Stiftungs-urkunde wurde demnach wohl nur in Einzelfällen ausgestellt, was erklären würde, weswegen trotz der nachweislich hohen Zahl von Stiftungen nur verhältnismässig wenige solche Dokumente vorhanden sind.332

Um auf die Verbindung zwischen den ausführlichen Satzungen im Anhang und den Namen im Kalender aufmerksam zu machen, waren den zusammengehörigen Ein-trägen am Rand vielfach gleichartige Zeichen hinzugefügt, etwa Buchstaben, Kreuze und Sterne, aber auch sprechende «Wappen», die sich unmittelbar auf den Namen der betreffenden Personen bezogen. So wurde die Familie Häring im Jahrzeitbuch von Sankt Laurenzen durch zwei Fische repräsentiert, Hans Kamber durch einem Kamm, Othmar Bommer durch einem Baum, Ulrich Judas durch einen Judenhut, Konrad Entgasser durch eine schreitende Ente, Peter Zwicker durch eine Peitsche mit Zwick und Johannes Appenzeller sogar durch eine detaillierte Zeichnung der Kirche von Appenzell. Die Benutzer wurden sodann ausdrücklich dazu aufgefordert, weiter hinten im Buch nach entsprechenden Abbildungen zu suchen, um sich dort über die genauen Bestimmungen zu informieren («sicuti habetur in fine libri cum tali signo»,

«ordinacionem require retro signo»).333

Ein ähnliches Zeichensystem findet sich im Jahrzeitbuch des Städtchens Elgg, auf halbem Weg zwischen Sankt Gallen und Zürich gelegen. Auch hier sind manchen Einträgen am Rand zierliche Wappen beigefügt, die sich auf die Namen oder Berufe der Betreffenden beziehen, indem etwa das Wappen von Ulman Schmid eine Zange, dasjenige von Ruedi Gerber ein Gerbereisen oder dasjenige von Heinrich Stächeli drei Ringe mit Stachel zeigt. Das Wappen von Hans Marchstein setzt sich gar zusammen aus einer Steinmauer und zwei Zeigehändchen (von mittelhochdeutsch «marchen»

für zeigen).334 In anderen Fällen verwendete man Piktogramme von Tieren, etwa von einem Hund, einer Katze, einer Maus, einem Eichhörnchen oder einer grasenden Kuh.

332 Dies entgegen Wagner, Stiftungsurkunde, S. 168 f., der davon ausgeht, dass die «vollständige» Do-kumentation im Normalfall mit einer Stiftungsurkunde sowie einem Revers des Empfängers begann und mit dem Eintrag im Jahrzeitbuch abgeschlossen wurde. Vgl. hierzu auch Butz, Jahrzeitbuch, S. 87 f.; Schuler, Anniversar, S. 88.

333 Jahrzeitbuch der Pfarrkirche Sankt Laurenzen in Sankt Gallen (um 1390), StadtA, Nr. 509, S. 11, 33, 43, 45, 52, 56, 63, 65, 73, 77. Vgl. hierzu Erhart/Kuratli, Bücher, S. 328; Ziegler, Jahrzeitenbuch, S. 50 f.; zu ähnlichen Verweissystemen Rück, Inventare, S. 140–152; Rouse/Rouse, Development, S. 232; Teuscher, Document Collections, S. 215.

334 Jahrzeitbuch Elgg (vor 1439), GA, IV A 2, Bl. 1 v, 3 r, 11 v, 20 r, 36 r, 41 v, 47 v–48 r. Vgl. hierzu Erhart/Kuratli, Bücher, S. 330; Hegi, Jahrzeitenbücher, S. 144–152; Mietlich, Elgg, S. 270 f., 502;

Schär, Jahrzeitbuch, S. 85 f.; Sigg, Archivführer, S. 250.

Dass diese Darstellungen dabei behilflich sein sollten, die ausführlicheren Stiftungs-bestimmungen im Anhang zu finden, wurde wiederum eigens vermerkt («require antea tali signo», «quere retro cum tali signo»).335

Dem gleichen Zweck dienten die kunstvollen, farbig verzierten Wappendarstellungen im Jahrzeitbuch von Uster am Greifensee.336 Abgebildet waren hier vor allem die be-kannten Wappen der Freiherren von Bonstetten als Inhabern der dortigen Burg und Gerichtsherrschaft sowie der mit ihnen verwandten Familie von Landenberg, zu deren Herrschaft die Kirche von Uster zeitweise gehört hatte. Auch im Ustermer Jahrzeit-buch fungierten die Wappen als Verweiszeichen zwischen den Einträgen im Kalender und den zugehörigen Satzungen im Anhang, wie aus entsprechenden Bemerkungen hervorgeht («als denn alles klar vindest hie nach geschriben in disen buoch by disem zeichen», «dise satzung findt man da for by einem sölichen zeichen», «wie denn da hinden in disem buoch stat by disem obgemelten zeichen»).337

Anhand des Ustermer Beispiels lässt sich zeigen, dass die Wappen nicht nur inner-halb des Buchs hin und her verwiesen, sondern auch in den Kirchenraum hinein, wo entsprechende Wappendarstellungen auf Grabsteinen, gestifteten Fensterscheiben, Wandgemälden und Altarbildern oder liturgischen Geräten und Messgewändern all-gegenwärtig waren. Ersehen lässt sich dies anhand der Kirche im benachbarten Städt-chen Greifensee, die als Filiale von Uster ebenfalls von den Herren von Landenberg gegründet worden war. Die gleichen Wappen wie im Jahrzeitbuch finden sich hier im Gewölbe, mitten unter den Darstellungen von Heiligen, dem Lamm Gottes und dem Weltenrichter.338 Wenn man im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten zum Himmel aufschaute, erblickte man dort – gewissermassen bei Gott – die Symbole der Herr-schaft. Sinnfälliger liesse sich Herrschaft kaum demonstrieren. Das Beispiel macht zugleich deutlich, dass selbst adlige Stifter ihr Gedenken zunehmend an die ört lichen Pfarrkirchen verlegten, wo es eine breite Öffentlichkeit entfalten und dadurch unmit-telbar der herrschaftlichen Repräsentation dienen konnte.339

335 Jahrzeitbuch Elgg (vor 1439), GA, IV A 2, Bl. 2 r, 4 r, 11 v, 16 r–17 r, 26 r–26 v, 32 v, 36 r, 41 v, 43 r, 45 r, 47 v–48 v.

336 Jahrzeitbuch Uster (1473), ZBZH, Ms. C 1. Vgl. hierzu Hegi, Jahrzeitenbücher, S. 198–209; Huge-ner, Jahrzeitbuch, S. 232 f.; Jezler, Himmel, S. 210 f.; Kläui, Uster, S. 95–98, 192, 489; Mohlberg, Handschriften, S. 13, Nr. 25; Nüscheler, Gotteshäuser, Bd. 3, S. 289–293; Schmid, Jahrzeitbuch, S. 14; Sigg, Archivführer, S. 224, 333; Zimmermann, Stiftungsreduktion, S. 100; ferner Schuler, Anniversar, S. 88.

337 Jahrzeitbuch Uster (1473), ZBZH, Ms. C 1, Bl. 38 r, 42 r, 44 v.

338 Diethelm/D’Andrea, Greifensee, S. 16 f.; Frei, Greifensee, S. 73–75, 102–107; Gubler, Kdm ZH, Bd. 3, S. 475–490. Zur Vermutung, es handle sich bei dem abgebildeten Frauenkopf um die Gattin des Kirchengründers Hermann von Landenberg, vgl. ebd., S. 482. Die Stiftung der Kapelle Greifensee wurde wiederum vermerkt im Jahrzeitbuch Uster (1473), ZBZH, Ms. C 1, Bl. 3 r («Item predictus dominus Hermanus de Landenberg de Griffense miles fabricavit, fundavit et dotavit capellam et altare in Griffense ob remedium animae suae et Elisabeth de Schellenberg uxoris suae»).

339 Vgl. hierzu Spiess, Memoria; ferner Morsel, Geschlecht; Paravicini, Gruppe.

Sicher konnten die Wappendarstellungen in Jahrzeitbüchern auch dazu dienen, die Gräber der betreffenden Personen aufzufinden, denn häufig verlangten Stifterinnen und Stifter ja ausdrücklich danach, dass man im Rahmen der Jahrzeitfeiern ihre Grä-ber besuche und sie mit Kerzen sowie Tüchern oder Teppichen schmücke.340 Genau zu diesem Zweck entstand gegen Ende des 15. Jahrhunderts am Basler Domstift ein Verzeichnis, das die zu begehenden Jahrzeiten in alphabetischer Reihenfolge nach Vornamen der Stifter auflistete, gefolgt von einer genauen Beschreibung des jeweili-gen Begräbnisortes. Den Einträjeweili-gen waren vielfach ebenfalls Zeichnunjeweili-gen von Wap-pen beigegeben, die das Auffinden der entsprechenden Grabsteine erleichtern sollten («und ist uff den stein gehowen, wie hie stot», «und stot ein sölicher schilt uff dem grab», «und ist ein sölicher schilt uff dem stein gehowen»).341

Einkünfte, Gebete und Ablässe

Im Anhang von Jahrzeitbüchern fanden sich häufig aber nicht nur die Satzungen, die unmittelbar mit den eingetragenen Jahrzeiten zusammenhingen, sondern auch aller-lei weitere Aufzeichnungen. Ebenfalls eng mit dem Gedenk- und Stiftungswesen verknüpft waren etwa Verzeichnisse der entsprechenden Einkünfte, wie sie schon zu den frühesten Jahrzeitbüchern der Stiftskirchen erstellt worden waren.342 Auf ähnliche Weise versuchten sich die Geistlichen an den örtlichen Pfarrkirchen einen Überblick über die ihnen zustehenden Abgaben zu verschaffen.343 Eines der frühesten Beispiele dafür findet sich im bereits genannten Jahrzeitbuch der sankt-gallischen Pfarrkirche Sankt Laurenzen, auf dessen Umschlag der Leutpriester Johannes Bur-gauer genau festhielt, wie er und seine Gehilfen an drei bestimmten Tagen im Jahr durch die Ortschaften rund um die Stadt ritten, um die geschuldeten Abgaben an Hafer einzuziehen.344 Dass bei diesem ritualisierten Umritt das Jahrzeitbuch mitgeführt und vielleicht sogar als Beweismittel vorgezeigt wurde, lässt sich nur vermuten, ist

340 Zu Jahrzeitbehängen und -teppichen vgl. Wunder, Gewirkte Geschichte; speziell zum Jahrzeitbehang der Familie Rigoltingen Jezler, Himmel, S. 276 f.

341 Gräberbuch des Domstifts Basel (1496/1497), GLA, 64/4, S. 21, 32, 45, ed. in Röthinger/Signori, Gräberbuch, S. 55, 62, 70. Vgl. hierzu Bloesch, Anniversarbuch, Bd. 1, S. 30, 65 f.; Signori, Me-moria, S. 152–155; zu ähnlichen Verweissystemen zwischen Nekrologien und Grabsteinen Scholz, Totengedenken, S. 52; Zajic, Grabdenkmäler, S. 23 f., mit Anm. 24.

342 Zum Domstift Chur vgl. oben Anm. 258–261, zum Kollegiatstift Basel Anm. 264, zum Kollegiatstift Beromünster Anm. 268 und 270.

343 Zur Wirtschaftsführung und Güterverwaltung von städtischen Pfarrkirchen vgl. Reitemeier, Pfarr-kirchen. Die Verhältnisse an ländlichen Pfarrkirchen sind demgegenüber noch wenig erforscht, vgl.

Othenin-Girard, Lebensweise, S. 24; Zimmermann, Stiftungsreduktion, S. 88, Anm. 84.

344 Verzeichnis zum Einsammeln des Hafers durch den Leutpriester nach einem ritualisierten Umritt in drei Tagesritten, eingeklebt im Deckel des Jahrzeitbuchs der Pfarrkirche Sankt Laurenzen in Sankt Gallen (um 1390), StadtA, Nr. 509 («ad colligendam avenam equitat plebanus tres dies ordine subscripto incipiendo feria secunda post Nicolai», «ad colligendum avenam equitat viceplebanus … sequentes ordine subscripto»). Vgl. hierzu Ziegler, Jahrzeitenbuch, S. 56–58; ders., Kirchenpfleger, S. 240 f.

aber angesichts der starken Gebrauchsspuren gerade beim vorliegenden Verzeichnis durchaus wahrscheinlich.

In Jahrzeitbücher aufgenommen wurden aber auch Texte, die man zur Ausübung des religiösen Kults benötigte. Dazu gehörten zuallererst einmal die wichtigsten Gebete, nämlich das Vaterunser und das Ave-Maria, allenfalls das apostolische

In Jahrzeitbücher aufgenommen wurden aber auch Texte, die man zur Ausübung des religiösen Kults benötigte. Dazu gehörten zuallererst einmal die wichtigsten Gebete, nämlich das Vaterunser und das Ave-Maria, allenfalls das apostolische

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