• Keine Ergebnisse gefunden

Jahrzeitbücher und Urbarien

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 149-172)

2 Formen und Funktionen der Gedenküberlieferung

3.3 Jahrzeitbücher und Urbarien

Das Chorherrenstift Sankt Michael in Beromünster soll bereits im 10. Jahrhundert von einem Grafen namens Bero gegründet worden sein. Urkundlich fassbar wird es allerdings erst um 1036 im Zusammenhang mit einer Schenkung der Grafen von Lenz-burg. Mit deren Aussterben um 1173 gelangte das Stift zunächst unter kyburgische und ab 1264 unter habsburgische Schirmvogtei.566 Dem Stift stand ein Propst vor, der

vorangegangenen Verzeichnis der Einkünfte aus Jahrzeitstiftungen auf S. 25 (Nr. 14). Solche Fehler in der Edition haben gravierende Auswirkungen auf die Forschung, wenn man etwa die Einkünfte aus der «watschar» oder aus den Jahrzeitstiftungen aufsummieren möchte und dabei, der Edition folgend, die Erträge von S. 26 zur «watschar» statt zu den Jahrzeitstiftungen schlägt.

563 Hildbrand, Quellenkritik, S. 371–374, 378 f.

564 Ebd., S. 368. Dass ein bestimmtes Buch zu recht unterschiedlichen Zwecken verwendet werden konnte, zeigt sich am Beispiel der spätmittelalterlichen Stundenbücher, vgl. Saenger, Books.

565 Vgl. oben Kapitel 2.2.

566 Zur Geschichte des Stifts Beromünster vgl. Büchler-Mattmann, Beromünster; dies./Lienhart, Art.

«Beromünster», in: HS, Bd. 2/2, S. 163–214; Egloff, Herr; Gössi, Art. «Beromünster», in: HLS, Bd. 2, S. 322 f.

zugleich die Gerichtsherrschaft in Beromünster und in den umliegenden Dörfern aus-übte. Verschiedene weitere Amtsträger kümmerten sich um die Güterverwaltung und um die Verteilung der Einkünfte. Da die Chorherren wie in anderen Kollegiatstiften direkt an den Einkünften beteiligt waren, erwies sich deren Verteilung als besonders konfliktanfällig und daher regelungsbedürftig.567

Genau aus diesem Grund dürfte es im Stift Beromünster zu Beginn des 14. Jahrhun-derts zu einer umfassenden Reorganisation gekommen sein, die sämtliche Bereiche des religiösen, rechtlichen und wirtschaftlichen Lebens erfasste und sich in einer umfangreichen schriftlichen Dokumentation niederschlug. Bereits um 1310 wurde damit begonnen, einzelne Zinsen aus Jahrzeitstiftungen sowie Einkünfte des Fabrik- und Kelleramts aufzulisten.568 Diese Bemühungen scheinen allerdings unvollständig geblieben zu sein, bis sie unter dem Propst Jakob von Rinach aufgegriffen und kon-sequent weitergeführt wurden. So wurde um 1323/1324 ein erstes umfangreiches Jahrzeitbuch angelegt, dem im Anhang mehrere urbariale Verzeichnisse der Einkünfte aus Stiftungen und Ämtern beigegeben waren.569 Kurz darauf folgte das so genannte Präbendenbuch, worin die Verteilung der Einkünfte unter die Chorherren und Amts-träger schriftlich fixiert wurde.570 Parallel dazu wurden Statuten aufgesetzt, welche die Rechte und Pflichten der Chorherren genau regelten.571 Bereits um 1345/1346 wurden das Jahrzeitbuch und die darin enthaltenen Urbarien überarbeitet.572 Neu ge-ordnet wurde zu diesem Zeitpunkt auch die Verteilung der so genannten Feuden oder Pfrundlehen in einem eigenen Urbar, dem «Feudenbuch».573 Schliesslich versammelte

567 Vgl. hierzu Egloff, Herr, S. 197–204; Büchler-Mattmann/Lienhart, Art. «Beromünster», in: HS, Bd. 2/2, S. 166 f.; ferner Marchal, Wirtschaftsreform; ders., Welt; ders., Art. «Dom- und Kollegiat-stifte», in: HS, Bd. 2/2, S. 27–102; Hesse, Art. «KollegiatKollegiat-stifte», in: HLS, Bd. 7, S. 333.

568 Verzeichnisse der Jahrzeitzinsen, des Fabrik- und Kelleramts (um 1310), eingebunden im Kopial-buch («liber crinitus») des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1347), StiA, Nr. 634, ed. in QW, Bd. 2/1, S. 8–16, Nr. 1–3.

569 Rotes Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 345–356, Gfr 5, S. 83–157. Die Urbare sind ed. in QW, Bd. 2/1, S. 18 bis 113, Nr. 5–16.

570 Präbendenbuch (um 1324/1325), eingebunden im Kopialbuch («liber crinitus») des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1347), StiA, Nr. 634, Bl. 47 r–50 r, ed. in QW, Bd. 2/1, S. 93–102, Nr. 11, UBBm, Bd. 2, S. 70–79, Nr. 360, S. 89–102, Nr. 372.

571 Statuten im «Mutterbüchlein» («matricula») des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1326), StiA, Sigolter, Fasz. 10 («Statuta Capituli»), Nr. 4, ed. in UBBm, Bd. 2, S. 159–177, Nr. 388, deutsche Übersetzung bei Riedweg, Beromünster, S. 254–275.

572 Weisses Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1345/1346), StiA, Nr. 600.

Die darin enthaltenen Urbare sind ed. in QW, Bd. 2/1, S. 113–182, Nr. 17 f. Einen eigenständigen Band bildete nun das Kelleramtsurbar (1346/1347), StiA, Nr. 709, ed. in QW, Bd. 2/1, S. 182–263, Nr. 19.

573 Pfrundlehenurbar («Feudenbuch») des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1346/1347), StiA, Nr. 736, ed. in Gfr 34, S. 311–368, QW, Bd. 2/1, S. 239–263, Nr. 20. Vgl. hierzu Egloff, Urbar, S. 371–396; ders., Herr, S. 328.

man 1347 die wichtigsten Urkunden in einem Band, der mit Fell überzogen war und deswegen als «gehaartes Buch» («liber crinitus») bezeichnet wurde.574

Die genannten Dokumente sind Zeugnisse eines Verschriftlichungsschubs, bei dem die Einkünfte- und Aufgabenverteilung genau geregelt wurde. Gemäss Statuten war der Propst nicht nur Vorsteher des Stifts, sondern zugleich auch Gerichtsherr in Bero münster und weiteren umliegenden Dörfern. Der Kuster oder Schatzmeister (Thesaurar) verwahrte den Kirchenschatz, die liturgischen Geräte sowie Öl, Wachs und Weihrauch, die im Gottesdienst zum Einsatz kamen. Der Kellermeister hatte die Verwaltung der weltlichen Güter und Einkünfte, insbesondere der Zehnten, unter sich.

Demgegenüber verwaltete der Kämmerer den Teil der Einkünfte, die als Präsenzgeld zur Verteilung an die im Gottesdienst und bei den Jahrzeitfeiern anwesenden Chorher-ren oder als Almosen für die Armen bestimmt waChorher-ren. Die Einkünfte des Fabrikamts sollten unterdessen für den Kirchenbau verwendet werden.

Daneben gab es weltliche Beamte, die je eine halbe Pfründe innehatten. So war der Mundschenk verantwortlich für den Wein, der Koch für die Essenszubereitung, ins-besondere für Fleisch und Fisch. Zwei Bäcker verarbeiteten das Getreide zu Brot und Oblaten. Ranghöchster weltlicher Beamter war der Ammann, der den Abt als Gerichtsherr vertrat. Eine Art Zwischenstellung scheint dem Schulmeister (Scholas-ticus) zugekommen zu sein: Er besass zwar eine ganze Pfründe, hatte aber nur sehr beschränkte geistliche Verpflichtungen. Vor allem leitete er den Chorgesang, unter-richtete die Schüler und sollte bestimmte Schreibarbeiten ausführen. Die umfang-reiche schriftliche Dokumentation aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts dürfte somit zumindest teilweise aus der Feder des damaligen Schulmeisters Walter Kott-mann stammen, der in Bologna eine Rechtsausbildung genossen und als Kuster des Luzerner Benediktinerklosters im Hof um 1324, also gleichzeitig wie in Beromüns-ter, auch dort ein Verzeichnis über die Einkünfte, Rechte und Pflichten der Kustorei angeregt und teilweise selber geschrieben hatte.575

574 Sammlung von Abschriften, Originalen und Fragmenten im Kopialbuch («liber crinitus») des Chor-herrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1347), StiA, Nr. 634.

575 Kusteramtsrodel des Benediktinerklosters im Hof Luzern (1324), StALU, URK 881/17976, ed. in Gfr 19, S. 113–164, QW, Bd. 2/3, S. 5–52, Nr. 2, SSRQ LU, Bd. 1/1, S. 61–83, Nr. 11–13. Zu Walter Kottmann vgl. Büchler-Mattmann, Beromünster, S. 108, 324 f. Die Unterscheidung von Scholas-ticus und Schulmeister erscheint unnötig, da sich die verschiedenen so bezeichneten Amtsträger problemlos zu einer einzigen Amtsfolge ergänzen. In der Literatur gilt gemeinhin der Kellermeister Burkhard von Küttigen als möglicher Urheber des Jahrzeitbuchs, vgl. Büchler-Mattmann, Bero-münster, S. 17, 139 f., 328 f.; QW, Bd. 2/1, S. 107. Eine Zusammenarbeit zwischen Kellermeister und Schulmeister erscheint nicht unwahrscheinlich, da diese beiden Amtsträger auch bei anderen Geschäften gemeinsam auftraten, vgl. etwa die Bezeugung eines Testaments mit Jahrzeitstiftung (21. Januar 1325), ed. in UBBm, Bd. 2, S. 104–108, Nr. 374. Bei der Beurkundung einer Vergabung von Messkelch und Messbüchern (24. April 1326), ed. ebd., S. 152 f., Nr. 385, fungierte der als letz-ter Zeuge genannte Schulmeisletz-ter Walletz-ter vielleicht selber als Schreiber. Ein Handschriftenvergleich zwischen dieser Urkunde, dem Jahrzeitbuch und dem Luzerner Rodel könnte Aufschluss geben.

Wie aus dem Präbendenbuch hervorgeht, gab es am Chorherrenstift in Beromüns-ter insgesamt 24 Pfründen. Davon wurden 21 von Chorherren besetzt, eine weiBeromüns-tere vom Schulmeister. Die verbleibenden zwei Pfründen teilten sich der Mundschenk, der Koch und die beiden Bäcker. Neben den Einkünften aus ihren Pfründen bezo-gen die Chorherren einen proportionalen Anteil am gemeinschaftlichen Gut, die so genannte Division, dazu allfällige amtsbedingte Zuschläge. Die vierzehn amtsältes-ten Chorherren erhielamtsältes-ten ein zusätzliches Einkommen aus den so genannamtsältes-ten Feuden oder Pfrundlehen. Diese regelmässigen Einkünfte konnten die Chorherren erheblich aufbessern, indem sie für ihre Präsenzleistung im Chordienst, insbesondere bei Jahr-zeitfeiern, separat entlohnt wurden.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum ausgerechnet das Jahrzeitbuch am Beginn des soeben beschriebenen Verschriftlichungsschubs stand.576 Im Folgenden soll anhand von intertextuellen Bezügen zwischen den Einträgen im Kalender des Jahrzeitbuchs und den Urbarien im Anhang aufgezeigt werden, wie die unterschied-lichen Textsorten miteinander verknüpft wurden.577 Anhand späterer Überarbeitungen lässt sich sodann zeigen, wie sich die liturgische und die administrativ-wirtschaftliche Buchführung weiter ausdifferenzierte, bis Jahrzeitbücher und Urbarien schliesslich als eigenständige Überlieferungseinheiten konzipiert und geführt wurden. Dabei zeigt sich die Anwendung neuer, innovativer Methoden ebenso wie das Beharren auf alten, erstarrten Traditionen.578

Überschriften und Unterstreichungen

Wohl auf der Grundlage älterer, heute grösstenteils verschollener Aufzeichnungen entstand um 1323/1324 im Chorherrenstift Beromünster ein erstes umfangreiches Jahrzeitbuch, dessen Kalender pro Seite nur gerade vier Tage aufführte und damit reichlich Platz für ausführliche Stiftungseinträge bot. Wegen seines roten Lederein-bandes wurde es auch als «rotes Jahrzeitbuch» oder schlicht als «das rote Buch» be-zeichnet. Dem Kalender wurden im Anhang mehrere Urbarien beigefügt, nämlich – in dieser Reihenfolge – ein Verzeichnis über die Einkünfte aus den Jahrzeitstiftungen, das so genannte Anniversarurbar, sowie weitere Verzeichnisse über die Einkünfte der verschiedenen Stiftsämter, nämlich der Kammer, der Fabrik, des Kellers und der Kustorei.579

Als Schreiber oder Auftraggeber in Betracht zu ziehen ist ausserdem der Kämmerer Heinrich von Rinach, vgl. unten Anm. 581.

576 Egloff, Herr, S. 328 f.

577 Die Forschung hat die Urbarien als «Wirtschaftsschriftgut» bisher weitgehend isoliert von ihrer Verbindung mit dem Jahrzeitbuch untersucht, was durch die separate Edition der Urbarien in QW, Bd. 2/1, und der Jahrzeitbücher in MGH Necr., Bd. 1, und Gfr 5 noch gefördert wurde.

578 Vgl. hierzu und zum Folgenden Egloff, Urbar, S. 371, 380 f., 387 f.; ders., Herr, S. 296–316, 327 f.;

Sablonier, Verschriftlichung, S. 106–108.

579 Rotes Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599,

Diese Reihenfolge ist kaum zufällig: Sie entspricht der nach hinten abnehmenden Bedeutung für das Totengedenken. Unmittelbar an das eigentliche Jahrzeitbuch schliesst das Anniversarurbar an, das die Einkünfte aus den Jahrzeitstiftungen auf-listet, während das darauf folgende Kammeramt zuständig war für die Mittel, die im Gottesdienst, besonders bei den Jahrzeitfeiern, an die anwesenden Chorherren und an die Armen zu verteilen waren.580 Insbesondere bei älteren, schlecht dokumentier-ten Stiftungen oder bei solchen, die nicht in Form eines jährlichen Zinses, sondern als einmalige Zahlung erfolgt waren, griff das Stift auf das Kammergut zurück. Dem damaligen Kämmerer Heinrich von Rinach könnte somit eine entscheidende Rolle bei der Anlage des Jahrzeitbuchs zugekommen sein.581 Die weiteren Ämter bezogen zwar vereinzelt Einkünfte aus Jahrzeitstiftungen, die von den Stiftern beispielsweise speziell dem Kirchenbau und damit der Fabrik zugesprochen worden waren oder an den Kuster fielen, damit dieser sich anlässlich der Feierlichkeiten um Kerzen oder sonstigen Grabschmuck kümmerte.582 Ansonsten verfügen sie aber über keinerlei ersichtliche Verbindung zum Totengedenken.

Am Aufbau des Bandes lässt sich somit ablesen, wie der Verschriftlichungsschub im Stift Beromünster verlaufen ist: Zuerst wurden die Stifter mit ihren Stiftungen im Kalender eines eigentlichen Jahrzeitbuchs festgehalten, sodann erstellte man über die betreffenden Einkünfte ein urbariales Verzeichnis, und schliesslich wendete man die gleiche Technik auf weitere Bereiche der Verwaltung an, indem man auch für die übrigen Ämter eigene Urbarien erstellte und sie in den Band eintrug. Auf diese Weise entstand ein Codex, dem in der Güterverwaltung und in der Herrschaftsausübung des Stifts eine ebenso zentrale Bedeutung zukam wie in der Liturgie.

ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 345–356, Gfr 5, S. 83–157. Die Urbare sind ed. in QW, Bd. 2/1, S. 18 bis 113, Nr. 5–16, auszugsweise auch in UBBm, Bd. 2, S. 53–70, Nr. 359 (Anniversarurbar), S. 114–150, Nr. 380 f. (Keller- und Kammeramtsurbar). Die Editionen geben die Urbarien in geänderter und daher irreführender Reihenfolge wieder. Zu den Vorlagen vgl. oben Anm. 568.

580 Vgl. hierzu die Bestimmungen im Statutenbuch («Mutterbüchlein») des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1326), StiA, Sigolter, Fasz. 10 («Statuta Capituli»), Nr. 4, Bl. 7 v, ed. in UBBm, Bd. 2, S. 169 f.

581 Ganz allgemein scheinen die Kammerämter nicht nur wesentlich zur Verschriftlichung der Verwaltung beigetragen zu haben, sondern überhaupt zur Entstehung von Archiven, vgl. Rück, Diskussion, S. 9.

Als Leutpriester von Bern war Heinrich von Rinach gleichzeitig vielleicht auch mitverantwortlich für die Anlage des dortigen Jahrzeitbuchs, vgl. oben Anm. 280. Als Urheber des Verschriftlichungs-schubs im Stift Beromünster wird sonst eher der Kellermeister vermutet, vgl. oben Anm. 575.

582 So ordnete der Schultheiss Anton Russ von Luzern 1453 an, dass von seiner Jahrzeitstiftung 14 Gul-den an das Fabrikamt fallen; der Ritter Johannes von Büttikon genannt Hofmeister stiftete zu seiner Jahrzeit 20 Gulden und der Chorherr Paul Mehlsack 32 Gulden an die Fabrik, vgl. Rotes Jahrzeit-buch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in Gfr 5, S. 98, 119, 153. Weitere Stiftungen fielen an den Kuster für Kerzen und sonstigen Grabschmuck, vgl. ebd., S. 101, 121, 130 f., 147, 149, 151 f., 155. Entsprechende Meldungen finden sich im Anni-versar- und Kusteramtsurbar, ed. in QW, Bd. 2/1, S. 26, 88.

Dass es sich auch bei diesem Überlieferungsverbund keineswegs um eine zufällige Zusammenstellung handelt, geht aus einem komplexen Verweissystem hervor, das mit optischen und sprachlichen Mitteln intertextuelle Bezüge zwischen den ver-schiedenen Bestandteilen des Bandes, den Einträgen im kalendarischen Teil des Jahrzeitbuchs sowie den Urbarien im Anhang, schafft.583 So sind bei den Einträgen im Kalender alle Stiftungsgüter rot unterstrichen, die hinten in den Urbarien als ru-brizierte Titel wieder erscheinen. Auch wenn bei einzelnen Stiftungen ein Amt wie das des Kellermeisters besonders berücksichtigt wird, verweist eine rote Unterstrei-chung nach hinten auf das entsprechende Urbar, im vorliegenden Beispiel auf das Kelleramtsurbar.584 Umgekehrt sind im Anniversarurbar, das unmittelbar an den Ka-lender anschliesst und die Einkünfte aus den Jahrzeiten verzeichnet, die Daten rot unterstrichen, auf welche die betreffenden Feiern fallen; damit wird wiederum nach vorne auf das entsprechende Datum im Kalender verwiesen.585 Die Unterstreichung von Gütern einerseits, von Kalenderdaten andererseits fungiert als Verweis; die me-diale Auffälligkeit der roten Farbe, die den Unterstreichungen im Kalender und den Titeln in den Urbarien gemeinsam ist, verbindet die Aufzeichnungen im Kalender mit denen in den Urbarien und macht sie beim Hin- und Herspringen zwischen den verschiedenen Textsorten leichter auffindbar.586

Natürlich beziehen sich die Texte auch inhaltlich aufeinander. Während die Einträge im Kalender bei jeder Stiftung, rot unterstrichen, die gestifteten Güter nennen, die hinten in den Urbarien nach geographischer Ordnung aufgeführt werden, erwähnt das Anniversarurbar bei jedem einzelnen Eintrag den Namen des Stifters sowie, rot unterstrichen, das Datum seiner Jahrzeitfeier, so dass sich der entsprechende Ein-trag beim Nachschlagen im Kalender leicht finden lässt. Bisweilen werden solche Verweisstrukturen sogar explizit benannt, etwa wenn es im Kammeramtsurbar wie-derholt heisst: «sicut eciam in libro anniversariorum invenitur» oder «respice in libro anniversariorum».587 Auch im Anniversarurbar wird mit dem Verweis auf den Kalender betont, dass die Abgabeforderungen fest in der liturgischen Praxis

583 Für einen ähnlichen Fall vgl. Kuchenbuch, Achtung, S. 186 f.

584 Kelleramtsurbar im roten Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in QW, Bd. 2/1, S. 61–87, Nr. 7.

585 Anniversarurbar im roten Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in QW, Bd. 2/1, S. 15–45, Nr. 5.

586 In den Editionen in QW, Bd. 2/1, und UBBm, Bd. 2, werden die Hervorhebungen durch Unterstrei-chung und Rubrizierung nicht erwähnt, so dass dieses Verweissystem in der bisherigen ForsUnterstrei-chung, welche die Urbarien meist losgelöst vom Jahrzeitbuch untersucht hat, unbemerkt geblieben ist, vgl.

oben Anm. 577. Kritik an der Edition äussert auch Egloff, Urbar, S. 390, Anm. 17.

587 Kammeramtsurbar im roten Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in QW, Bd. 2/1, S. 45–60, Nr. 6, hier S. 45–47, 54. Verwiesen wird damit allerdings wohl weniger auf den Kalender des Jahrzeitbuchs als auf die entsprechende Stelle im Anniversarurbar, wo es im Gegenzug heisst, dass die Abgaben zur Kammer gehören («avena vero pertinet ad cameram»), vgl. ebd., S. 33–35.

kert waren («secundum formam in kalendario expresso»).588 Umgekehrt verweisen gewisse Einträge im Kalender ausdrücklich auf die ausführlichen Stiftungsbestim-mungen und Testamente im Anhang («iuxta ordinacionem testamenti sui in fine libri scripti»)589 oder auf entsprechende Schriftstücke ausserhalb des Buchs, etwa auf eine eigens ausgestellte Stiftungsurkunde («sub conditionis forma ac pena in sua littera expressis», «iuxta tenorem littere desuper confecte et habite»).590 Im Gegenzug wurde in mehreren Stiftungsurkunden vermerkt, dass ihr Inhalt auch ins Jahrzeitbuch ein-getragen worden sei.591

Auf diese Weise verband sich die Authentizität der «originalen» Urkunden mit der Autorität eines Schriftstücks, das aufgrund seiner Verwendung in der Liturgie als

«heiliges Buch» aufgefasst werden konnte. Das komplexe optische und sprachliche Verweissystem, das im Schriftgut von Beromünster fassbar wird, diente somit nicht nur dem sachlich-pragmatischen Nachschlagen von Informationen, sondern wohl auch der Legitimierung der Abgabeforderungen, die durch die Einbindung in die religiöse Praxis auf eine geradezu sakrale Ebene gehoben wurden. Durch Formu-lierungen wie «ad memoriam …» oder «ad anniversarium …» werden die Einträge

588 Anniversarurbar im roten Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in QW, Bd. 2/1, S. 23.

589 Rotes Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in Gfr 5, S. 90. Für weitere Beispiele vgl. ebd., S. 91 («prout in ordinacione testamenti … in fine huius libri continetur», «sicut in eodem testamento reperitur»), S. 94 f. («juxta formam in supradicto testamento descriptam, … sicut in eodem testamento continetur»), S. 103 («prout in ordinacione testamenti … circa finem huius libri continetur»). Auch innerhalb des Kalenders gibt es derartige Querverweise: Wenn etwa der Chorherr Ulrich von Aarburg mehrere über das ganze Jahr verteilte Messen für sich feiern lässt, wird statt einer Wiederholung der Stiftungsbestimmungen lediglich auf das Datum mit dem ersten, ausführlichen Eintrag verwiesen («secundum formam superius expres-sam xviii kal. februarii»), vgl. Rotes Jahrzeitbuch Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in Gfr 5, S. 93. Für weitere Beispiele vgl. ebd., S. 98 («secundum formam divisionis prius expressam xvi kal. febr.»), S. 147 («secundum formam superius expressam vii kal. aprilis», «sicut consuetum est in festo s. Michaelis»), S. 111 («ut infra pridie kal. julii patebit»). Zu besagtem Datum findet sich ein entsprechender Rückverweis, so dass sich der Kreis schliesst, vgl. ebd., S. 123 («dantur ad anniversarium … supra nonas maii»). Zu den monatlich abzuhaltenden Messen für Ulrich von Aarburg vgl. MGH Necr., Bd. 1, S. 347, mit Anm. 10.

590 Rotes Jahrzeitbuch des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1323/1324), StiA, Nr. 599, ed. in Gfr 5, S. 96, 124. Verwiesen wird mitunter auch auf alte Gewohnheiten, vgl. ebd., S. 104 («se-cundum antiquam consuetudinem»), S. 120 («se(«se-cundum formam communem»).

591 Testament und Jahrzeitstiftung des Chorherrn Walter von Veltheim (7. Juli 1293), eingetragen im Kopialbuch («liber crinitus») des Chorherrenstifts Sankt Michael in Beromünster (1347), StiA, Nr. 634, Bl. 29 v, ed. in UBBm, Bd. 1, S. 247–249, Nr. 211 («prepositus et capitulum ecclesie Bero-nensis suprascriptum testamentum legaliter ordinatum in roboris vigore, conservantes fideliter, ut debemus, ipsum nostro anniversariorum libro communi decrevimus annotari, anno, loco et die pre-notatis»); Jahrzeitstiftung von Walter Truher (26. Juni 1303), ed. ebd., S. 318, Nr. 266 («in horum testimonium anniversariorum nostrorum libro duximus annotari»); Jahrzeitstiftung von Elisabeth Kellnerin von Rinach (20. Januar 1342), ed. ebd., Bd. 2, S. 253–255, Nr. 454 («et post eius mortem celebrando ipsius anniversarium juxta formam in libro anniversariorum conscriptam»).

im Anniversarurbar sogar ausdrücklich mit den liturgischen Gedenkhandlungen in Beziehung gesetzt.592

Die direkten und indirekten Bezüge zwischen den unterschiedlichen Textsorten machen deutlich, dass liturgisch-religiöse, administrativ-wirtschaftliche und herr-schaftlich-rechtliche Funktionen solcher Schriftstücke kaum so eindeutig voneinan-der zu trennen sind, wie es durch die traditionelle Unterscheidung von «Rechts-»,

«Wirtschafts-» und «liturgischem» Schriftgut suggeriert und im Rahmen separater Editionen getan wird. Ein bezeichnendes Beispiel hierfür stellen die Editionen zur Überlieferung des Stifts Beromünster dar: Während das eigentliche Jahrzeitbuch in der Reihe der ««Necrologia Germaniae» der «Monumenta Germaniae Historica»

sowie zuvor bereits in der Zeitschrift «Geschichtsfreund» ediert wurde, fanden die darin eingetragenen Urkunden und Urbarien Aufnahme in das «Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft», wurden hier aber gemäss den üblichen Differenzierungskriterien in «Rechtsquellen» (Urkunden) und «Wirtschafts-quellen» (Urbarien und Rödel) unterschieden und getrennt voneinander ediert.593 Da-durch wurden die einzelnen Textstücke aus ihrem ursprünglichen und, wie gezeigt werden konnte, durchaus beabsichtigten Überlieferungskontext herausgelöst und in eine neue thematische und chronologische Ordnung gebracht, aus der die ursprüng-lichen Zusammenhänge kaum mehr ersichtlich werden.

Summieren und verteilen

Welchen Mehrwert erbrachten die beigefügten Urbarien gegenüber dem eigentlichen Jahrzeitbuch, in dem die Einkünfte ja bereits detailliert festgehalten waren? Um diese Frage zu beantworten, sind die Urbarien, ihre Ordnungsmuster und ihre Verbindung mit dem Jahrzeitbuch genauer zu betrachten. Am engsten mit dem Jahrzeitbuch ver-bunden ist das Anniversarurbar, das unmittelbar an den Kalender anschliesst und die Einkünfte aus den Jahrzeitstiftungen auflistet. Das Urbar zerlegt die teils

Welchen Mehrwert erbrachten die beigefügten Urbarien gegenüber dem eigentlichen Jahrzeitbuch, in dem die Einkünfte ja bereits detailliert festgehalten waren? Um diese Frage zu beantworten, sind die Urbarien, ihre Ordnungsmuster und ihre Verbindung mit dem Jahrzeitbuch genauer zu betrachten. Am engsten mit dem Jahrzeitbuch ver-bunden ist das Anniversarurbar, das unmittelbar an den Kalender anschliesst und die Einkünfte aus den Jahrzeitstiftungen auflistet. Das Urbar zerlegt die teils

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 149-172)