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Vom Nekrolog zum Urbar

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 132-149)

2 Formen und Funktionen der Gedenküberlieferung

3.2 Vom Nekrolog zum Urbar

Im aargauischen Muri existierte seit 1027 eine Niederlassung des Benediktinerordens, die anfänglich als Doppelkloster mit einem männlichen und einem weiblichen Kon-vent konzipiert gewesen war. An der Wende zum 13. Jahrhundert, sicher vor 1244, übersiedelte jedoch der Frauenkonvent nach Hermetschwil, einer abgelegenen Ort-schaft am Ufer der Reuss.509 Die Klosterfrauen standen dort unter der Leitung einer Meisterin, waren offiziell aber weiterhin dem Abt von Muri unterstellt, während ein weltlicher Ammann mit der Geschäftsführung des Klosters betraut war. Geistlich betreut durch einen Beichtvater aus Muri, widmeten sich die Schwestern in Her-metschwil dem Gebet und der Fürbitte für die Verstorbenen.

Grundlage für das Totengedenken bildete ein Kapiteloffiziumsbuch mit Nekrolog, das im 12. Jahrhundert noch in und für das Mutterkloster in Muri angelegt worden war und nun am neuen Standort des Frauenkonvents weitergeführt wurde.510 Das Buch bildete für den Konvent ein zentrales Schriftstück, beinhaltete es doch mit der Ordensregel alle relevanten Bestimmungen zur monastischen Lebensgestaltung, mit dem Martyrolog eine Kurzanleitung zur Begehung des täglichen Gottesdienstes und mit dem Nekrolog die Grundlage für die wichtigste gesellschaftliche Aufgabe

508 Vgl. hierzu Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 399.

509 Zur Geschichte des Klosters Hermetschwil vgl. Dubler, Hermetschwil; dies., Art. «Hermetschwil», in: HS, Bd. 3/1, S. 1813–1847; dies., Art. «Hermetschwil», in: HLS, Bd. 6, S. 306 f.; zuletzt Bretscher-Gisiger/Gamper, Katalog Muri, S. 22–58; zum Folgenden vor allem die Vorarbeiten bei Hugener, Necrolog.

510 Kapiteloffiziumsbuch mit Nekrolog, Martyrolog und Ordensregel des Benediktinerklosters Muri, später weitergeführt vom Frauenkonvent in Hermetschwil (um 1140), StAAG, AA/4530, ed. in AU, Bd. 11, S. 155–181, MGH Necr., Bd. 1, S. 423–436, QSG, Bd. 3, S. 134–166. Vgl. hierzu und zum Folgenden Hildbrand, Quellenkritik, S. 367 f., 378–384.

und zugleich die bedeutendste Einnahmequelle des Klosters, das Totengedenken. Es dürfte also nicht allein durch Überlieferungsverluste zu erklären sein, dass aus dem kleinen Hermetschwiler Frauenkloster bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts kein an-deres Schriftstück überliefert ist. Sukzessive wurden im Nekrolog die Namen von verstorbenen Geistlichen, Nonnen und Stiftern eingetragen; die leeren Seiten zwi-schen Martyrolog und Ordensregel hatte man bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts mit verschiedenen Traditionsnotizen und einem Zinsverzeichnis gefüllt.511

An der Wende zum 14. Jahrhundert veränderte und erweiterte sich der Gebrauch dieses Buchs erheblich. Neben den Namen der Verstorbenen wurden nun vermehrt auch die gestifteten Güter hinzugefügt, die Stiftungsakte dokumentiert und die daraus resultierenden Einkünfte minutiös verzeichnet. Ausgehend von den Anforderungen des Totengedenkens entstanden im Kloster neue Formen des Auflistens und Verzeich-nens, die zunächst innerhalb des Nekrologs zur Anwendung kamen und schliesslich zur Anlage eines eigenständigen Urbars führten.512 Daran lässt sich beobachten, wie im Kloster Hermetschwil über die Verstorbenen und ihre Stiftungen Buch geführt wurde und wie diese Techniken der Buchführung auf andere Anwendungsbereiche übertragen wurden.

Urkunden im Nekrolog

Das Nekrolog im Kapiteloffiziumsbuch von Hermetschwil war verziert mit farbigen Säulenbogen, die zumindest ursprünglich dazu gedient hatten, die zu verzeichnenden Personen nach Stand und Geschlecht zu ordnen.513 Im Verlauf des 13. Jahrhunderts wurden die Einträge darin allerdings länger und ausführlicher. Hatte man bis dahin allein die Namen sowie allenfalls den sozialen Status der Verstorbenen notiert, so kamen bei neueren Einträgen vermehrt auch Herkunftsbezeichnungen sowie An gaben zu den gestifteten Gütern, zu deren Verteilung oder zu den verlangten Gedenkleis-tungen hinzu.514 In knappster Form wurden die Nonnen dadurch aufgefordert, die betreffenden Personen in ihr Gebet einzuschliessen.

511 Traditionsnotizen und Zinsverzeichnis im Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerinnenklosters Her-metschwil (um 1200), StAAG, AA/4350, S. 122–124, ed. in AU, Bd. 11, S. 1 f., Nr. 1–4, hier datiert auf «Ende 12. Jahrhundert»; davon abweichend Bretscher-Gisiger/Gamper, Katalog Muri, S. 67, Anm. 121.

512 Urbar des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (Anfang 14. Jh.), StAAG, AA/4531, ed. in Du bler, Hermetschwil, S. 332–353, hier aufgrund äusserer Umstände datiert auf 1312. Wie die folgenden Ausführungen zeigen, sollte das Urbar etwas vorsichtiger auf Anfang 14. Jahrhundert datiert werden, was die Zeit um 1312 natürlich nicht ausschliesst. Auf dem Titelblatt vermerkte eine frühneuzeit liche Schreiberin aufgrund der ältesten darin enthaltenen, datierten Urkundenabschrift: «Dis urberlin ist nuotmaslich geschriben anno 1309», vgl. unten Anm. 533.

513 Vgl. oben Anm. 231.

514 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (12. Jh.), StAAG, AA/4350, ed.

in AU, Bd. 11, S. 164 («Heinricus prebendarius ob[iit], in cuius anniversario datur dominabus servi-cium»), S. 167 («Chonradus custos canonicus Thuricensis ecclesie, qui contulit huic ecclesie marcam

Dass der Platz für solche mehr oder weniger ausführlichen Einträge innerhalb der engen und bereits dicht gefüllten Säulenbogen des Nekrologs rasch knapp zu wer-den drohte, liegt auf der Hand. Für eine noch ausführlichere Dokumentation der Stiftungstätigkeit wich man daher auf den unteren Seitenrand, die einzige noch freie grössere Fläche, aus. So wurde auf der Seite mit dem Monat September am unteren Rand über die gesamte Breite notiert, dass Ulrich von Mülnau dem Kloster für sein Seelenheil einen jährlichen Zins von einem Schilling gestiftet habe.515 Das gleiche Vorgehen wurde gewählt beim Ritter Wilhelm von Rottenschwil, dessen Tod sich im Kalendar zum 26. Juli verzeichnet findet. Sicher nicht zufällig wurde ausgerechnet auf der gleichen Seite am unteren Rand seine Stiftung nach gängigem Urkundenfor-mular ausführlich dokumentiert.516 Wie aus dem Text hervorgeht, hatte der Ritter dem Kloster für sein eigenes Seelenheil und dasjenige seines Bruders Heinrich seinen Hof in Rottenschwil mit allen zugehörigen Rechten gestiftet. Aufgrund der Lebensdaten des Stifters dürfte die Schenkung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfolgt sein – ins Nekrolog eingetragen wurde sie allerdings mit Sicherheit erst nach dem Tod des Stifters, wohl zu Beginn des 14. Jahrhunderts.517

Nötig geworden war diese aussergewöhnliche Dokumentation vielleicht infolge einer Auseinandersetzung mit den Habsburgern als Vögten des Klosters. Wie aus deren Urbar aus der Zeit um 1306 hervorgeht, beanspruchten die Grafen von Habsburg in Rottenschwil nämlich selber die Gerichtsbarkeit mit Twing und Bann.518 Das Kloster

arg[enti] pro remedio anime sue»), S. 177 («Roudegerus miles de Spretembach, qui dedit marcam et annuatim modium tritici de inferiori molendino in Birmomestorf, ob[iit]»), S. 179 («Adelbertus presbiter psalterium»), S. 181 («Hartmannus Rinmagg rector ecclesie Núwenburg», darüber «psal-terium»), S. 183 («Egelolfus presbiter de Etiswilare psal«psal-terium»), S. 184 («Mehtild Schedin obiit, que duabus celebrantibus eius anniversarium annuatim i modium tritici dedit»), S. 186 («Waltherus Cocus ob[iit], qui legavit nobis in anniversario suo perpetualiter i modium tritici in Walteswile»).

515 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (12. Jh.), StAAG, AA/4350, S. 18, ed. in AU, Bd. 11, S. 181, Anm. l («Uolrich von Mülnowo, der git jergelich minen frowon ein schillinch phenningen dur siner sele willen, dez gedenket dur got»).

516 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (12. Jh.), StAAG, AA/4350, S. 14, ed. in AU, Bd. 11, S. 177 («Wilhelmus de Rotaswile miles», dazu am unteren Seitenrand die zugehörige Stiftungsurkunde, ed. ebd., S. 7, Nr. 11: «Allen den, die disen brief ansehent ald hörent lesen, künd ich, her Wilhelm von Rotaswile ritter, dass ich unbezwungenlich dur mines bruoder sel willen, her Heinrichs von Rotaswile eines ritters und och dur miner sel und miner vordren selenheiles willen den hof ze Rotaswile han geben dem gotzhus ze Hermotswile mit wunn und mit weid und mit aller der ehafti, so darzuo gehöret, mit solchem geding, dass das egenant gotzhus nach minem … [unlesbar]

den egenanten hof sol niessen in allem dem recht, als ich in unz hehr genossen … [unlesbar] veld und sond das holz begomen und behueten, wie in liep si und die … [unlesbar] die selben nit fürbas beswären [das Folgende teilweise radiert] wan umb die zins, als hienach geschriben stat, vierdhalb pfunt und dri helbeling»). Zur Datierung des Stiftungsakts auf vor 1290 vgl. Dubler, Hermetschwil, S. 83, mit Anm. 28.

517 Zur Datierung des Stiftungsakts vgl. oben Anm. 516.

518 Habsburger Urbar (um 1306), ed. in HU, Bd. 1, S. 140 («Dú herschaft hat da twing und ban und rihtet dúbe und vrefel»).

seinerseits hielt seinen Anspruch auf Twing und Bann in Rottenschwil zur gleichen Zeit in einem eigenen Urbar fest, dessen Herstellung vielleicht eine Antwort auf die habsburgische Urbarschriftlichkeit darstellte.519 Auseinandersetzungen mit Habsburg werden im Hermetschwiler Urbar sogar ausdrücklich thematisiert, wenn es darin an einer bestimmten Stelle heisst: «Und sol uns der Graf von Habchsburg [!] noch nie-man fürbas nöten».520

Gleichzeitig musste sich das Kloster Hermetschwil wohl auch gegen Ansprüche seiner ehemaligen Mutterabtei in Muri zur Wehr setzen. Genau zu dieser Zeit scheint sich der Hermetschwiler Frauenkonvent nämlich endgültig von Muri gelöst zu haben, was die Ausscheidung ehemals gemeinsamer Stiftungsgüter nötig machte. Im Rahmen dieser Ausmarchungen könnte es zwischen den beiden Konventen zu Auseinandersetzungen gekommen sein, die dazu führten, dass beide Klöster ihre Ansprüche in eigenen Ur-barien festhielten. Angelegt wurde das nur fragmentarisch erhaltene Urbar von Muri ausgerechnet vom gleichen Schreiber, der auch die meisten Teile des Habsburger Ur-bars erstellt hatte.521 Leider muss bei genauer Betrachtung offenbleiben, in welcher Reihenfolge die Urbarien von Habsburg, Muri und Hermetschwil entstanden – die gängigen Datierungen beruhen mitunter nämlich auf Zirkelschlüssen. Daher bleibt letztlich unklar, inwiefern bei den habsburgischen Urbaraufzeichnungen Techniken übernommen wurden, die an Klöstern und Stiften entwickelt worden waren und von geistlichen Schreibern auf die Administration weltlicher Herrschaftsträger übertra-gen wurden.522 Als gesichert kann indessen gelten, dass die Auseinandersetzungen

519 Urbar des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (Anfang 14. Jh.), StAAG, AA/4531, ed. in Dubler, Hermetschwil, S. 338 («Dis sint die zins ab den höven ze Rotaswile, die des gotzhus ze Hermans-wile eigen sint mit zwing und mit ban unz an die Rús»). Ebd., S. 76 f., 332, wird die Entstehung des Hermetschwiler Urbars in den Zusammenhang der Loslösung Hermetschwils von der Mutterabtei in Muri gestellt, die gleichzeitig ein eigenes Urbar erstellen liess. Die sich widersprechenden An-sprüche von Hermetschwil und Habsburg werden indessen harmonisiert, vgl. ebd., S. 275–277 («Je-denfalls erscheinen diese Rechte [Twing und Bann] im Habsburger Urbar als Pertinenz Habsburgs, während der Grundherr schon das Kloster Hermetschwil ist. Demnach mussten in der kurzen Zwi-schenzeit von der Abfassung des Habsburger Urbars bis zur Redaktion des Hermetschwiler Urbars Zwing und Bann … ans Kloster gekommen sein»). Wie ein Vergleich zwischen Habsburger und Hermetschwiler Urbar ergibt, dürften Twing und Bann auch in Eggenwil umstritten gewesen sein, vgl. Habsburger Urbar (um 1306), ed. in HU, Bd. 1, S. 140, mit Anm. 1 («Die herschaft hat da twing und ban und rihtet dúbe und vrefel»); Urbar Hermetschwil (Anfang 14. Jh.), StAAG, AA/4531, ed.

in Dubler, Hermetschwil, S. 347 f. («Wan sol och wissen, das zwing und ban úber allú die gueter, die ze Egenwile gelegen sint, des gotzhus ze Hermanswile eigen ist und hörent in den hof»).

520 Urbar des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (Anfang 14. Jh.), StAAG, AA/4531, ed. in Du-bler, Hermetschwil, S. 342.

521 Fragment eines Urbars des Benediktinerklosters Muri (Anfang 14. Jh.), StadtA Bremgarten, Nr. 14 f., ed. in QW, Bd. 2/3, S. 315–335. Zum Schreiber vgl. ebd., S. 316 («Der Rodel ist mit brauner Tinte einseitig beschrieben von Hand A des Habsburger Urbars, die etwa 1310 schrieb»).

522 Die Datierung des habsburgischen Urbars beziehungsweise seiner Bestandteile bedürfte vor diesem Hintergrund unbedingt einer genaueren Klärung, vgl. einstweilen Bärtschi, Urbar. Leider fehlt in der Edition eine ausführliche Analyse und Datierung der beteiligten Schreiberhände, vgl. die

verein-zwischen den drei Herrschaftsträgern das schriftliche Aufzeichnen ihrer Ansprüche angeregt und dass sich die Arten der Buchführung dabei gegenseitig beeinflusst haben;

ganz eindeutig der Fall ist dies bei den Urbarien von Habsburg und Muri, die vom gleichen Schreiber stammen.

Auf Auseinandersetzungen mit der ehemaligen Mutterabtei in Muri deuten weitere Einträge im Hermetschwiler Nekrolog hin. So wurde etwa die Jahrzeitstiftung der Klosterfrau und Kusterin Mechthild von Schönenwerd zu Beginn des 14. Jahrhun-derts mehrmals abgeändert, durchgestrichen, neu aufgesetzt und um weitere Güter ergänzt – dies vermutlich deshalb, weil zur gleichen Zeit mit Heinrich von Schö-nenwerd einer ihrer Verwandter als Abt von Muri amtierte, der die gestifteten Güter vielleicht für sich und sein eigenes Kloster beanspruchte.523 Die Auseinandersetzun-gen zwischen Hermetschwil und Muri wären somit nicht nur bedingt gewesen durch die Ausscheidung von ehemals gemeinsamen Stiftungsgütern, sondern zumindest im Fall der Schönenwerder Stiftungen auch durch Streitigkeiten innerhalb der Stifter-familie. Solche Auseinandersetzungen um Stiftungsgüter dürften dazu geführt haben, dass Hermetschwil seine Ansprüche an der Wende zum 14. Jahrhundert zunächst im Nekrolog sowie schliesslich in einem eigenen Urbar festhielt.

Die Auseinandersetzungen gingen so weit, dass sich die Klosterfrauen von Her-metschwil im Jahr 1312 sogar an den Papst wandten, um sich darüber zu beschwe-ren, dass ihrem Kloster von Geistlichen (Muri?) und Laien (Habsburg?) zahlreiche Stiftungsgüter entfremdet worden seien. Zur Bekräftigung ihrer Ansprüche hätten die Widersacher des Klosters sich selber schriftliche Beweistitel ausgestellt und diese öffentlich beglaubigen lassen («in quorum etiam robur litteras dederunt, quas deinde instrumentis publicis confirmarunt»).524 Gehörten zu den fraglichen Dokumenten vielleicht auch die Urbare von Habsburg und Muri? In Ermangelung genauer An-gaben muss dies Spekulation bleiben. Es erscheint jedoch überaus plausibel, dass das Kloster im Rahmen dieser Auseinandersetzungen auf eine schriftliche Dokumentation

zelten Hinweise in HU, Bd. 2/2, S. 505–507; die Hauptarbeit am Urbar wird hier auf vor 1311/1313 datiert, am ehesten auf den Zeitraum zwischen 1306 und 1308.

523 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (12. Jh.), StAAG, AA/4350, S. 25 (lateinischer Urkundentext zur Schenkung von Burkhards des Juden Gut, durchgestrichen), S. 28. (Schenkung des Sigristen Gut in Wohlen, spätere Ergänzungen), S. 44 (Schenkung von Schö-nis Gut von Uitikon, datiert auf 16. Mai 1296, Präzisierung von anderer Hand «das da z’Urdorf lit»), S. 124 (deutsche Übersetzung des lateinischen Urkundentexts zur Schenkung von Burkhards des Juden Gut), ed. in AU, Bd. 11, S. 4–6, Nr. 6–8. Zu der hier vermuteten Auseinandersetzung vgl.

Hildbrand, Quellenkritik, S. 381–383; zur wirtschaftlichen Ausmarchung zwischen Hermetschwil und Muri Dubler, Hermetschwil, S. 25, 76 f. Auseinandersetzungen («ein irrot und ein mishelli») zwischen den beiden Klöstern und weiteren geistlichen Institutionen sind noch 1320 bezeugt, vgl.

den Schiedsgerichtsentscheid im Zehntenstreit um Bonstetten (26. Oktober 1320), ed. in AU, Bd. 11, S. 12 f., Nr. 18, UBZH, Bd. 12, S. 239 f., Nr. 3692a.

524 Schreiben von Papst Clemens V. betreffend Kloster Hermetschwil (3. März 1312), ed. in AU, Bd. 11, S. 11 f., Nr. 17. Vgl. hierzu Dubler, Hermetschwil, S. 76 f.

der eigenen Ansprüche angewiesen war, zumal die Hermetschwilerinnen offenbar einen Prozess anstrebten, der mithilfe eines vom Papst eingesetzten Fürsprechers gewonnen werden sollte.

Die verschiedenen urkundenartigen Einträge im Nekrolog konnten dabei als Nach-weis für die Rechtmässigkeit der eigenen Ansprüche dienen. Im Fall der erwähnten Rottenschwiler Stiftung etwa verfügte Hermetschwil mit dem Eintrag einer eigent-lichen Stiftungsurkunde an der entsprechenden Stelle im Nekrolog über einen schrift-lichen Beleg dafür, dass die betroffenen Rechte aufgrund einer frommen Stiftung für das Seelenheil an das Kloster gelangt waren. Durch das Vorhandensein im Nekrolog erbrachte der Eintrag zugleich den Nachweis einer alltäglich gelebten Praxis, der für die Behauptung von Rechtsansprüchen vor Gericht zentral sein konnte. Mit den Ein-trägen im Nekrolog liess sich nämlich belegen, dass das Totengedenken für die Stifter tatsächlich praktiziert wurde und das Kloster somit rechtmässige Ansprüche auf die damit verbundenen Stiftungsgüter erhob.525 Eine solche Argumentation dürfte vor Ge-richt durchaus erfolgversprechend gewesen sein, und noch im 15. Jahrhundert stützte sich das Kloster bei Auseinandersetzungen über Nutzungsrechte in Rottensch wil ver-mutlich auf den Eintrag im Nekrolog.526

Neue Seiten im alten Buch

Weil im Nekrolog von Hermetschwil zusehends längere Einträge bis hin zu ganzen Urkunden aufgenommen wurden, drohte der Platz schnell knapp zu werden. Aus diesem Grund fügte man dem Nekrolog zu Beginn des 14. Jahrhunderts weitere Sei-ten hinzu.527 Die neuen Blätter waren gleich gestaltet wie das alte Nekrolog, mit den

525 Vgl. hierzu Hildbrand, Quellenkritik, S. 384; ferner Algazi, Tradition, S. 206; Sablonier, Verschrift-lichung, S. 103, 117; Teuscher, Erzähltes Recht, S. 175–205. Für einen ähnlichen Fall, bei dem ein Nekrolog vermutlich eigens dazu vorbereitet wurde, dem König vorgelegt zu werden, um von die-sem eine Besitzbestätigung zu erhalten, vgl. Roberg, Gefälschte Memoria, S. 174–197, 217–220.

526 Hofgericht des Klosters Hermetschwil in Rottenschwil (20. März 1459), ed. in AU, Bd. 11, S. 50–52, Nr. 71 («Wie zwing und ban ze Rottenswile ir obgenantem gotzhus ze Hermanswile zuogehöre nach inhalt ir gotzhuses rodel, so ouch in gericht erlesen ward, eigenlich lütert und uswiset, und sye aber der kreis, etlich weg und steg und ouch wunn, weid, holz und veld des jetzgenanten zwings, wie man die halten, nutzen oder niessen söll, in langer zit nie erscheint noch geoffenbart, und sye nu also und darumb hie in gericht und begere, wie si das von ir gotzhus wegen mit recht verhandlen und besorgen söll, dass des egenanten zwing ze Rottenswile kreis, etlich weg, steg und wie man wunn, weid, holtz und veld nutzen söll, erlütert und erscheint werd»). Mit dem genannten «Rodel»

war offenbar das Nekrolog gemeint, denn nur dort finden sich die eigentümlichen Doppelungen von «Wunn und Weid» sowie «Holz und Feld», vgl. Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerinnen-klosters Hermetschwil (12. Jh.), StAAG, AA/4350, S. 14, ed. in AU, Bd. 11, S. 7, Nr. 11, vgl. oben Anm. 516. Zum Konflikt kam es, nachdem Ende 1457 ein neues Urbar hergestellt worden war, mit dem das Kloster seine Herrschaft verdichten wollte, vgl. Doppmann, Hermetschwil, S. 207–242 (ohne Hinweis auf den daraus resultierenden Streit).

527 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (12. Jh.), StAAG, AA/4530, S. 25–46. Dass die neuen Seiten erst in der Zeit nach 1300 beigefügt wurden, geht daraus hervor, dass sämtliche dortigen Einträge aus dem frühen 14. Jahrhundert stammen. Die älteste datierte

Ur-Kalenderdaten am linken Rand und drei Säulenbogen, die allerdings diesmal nur sehr flüchtig und schmucklos gezeichnet waren, wie auch das Pergament von minderer Qualität war und an verschiedenen Stellen geflickt werden musste. Das neue Nekrolog wurde jedoch nie als solches benutzt; die Namen der Verstorbenen trug man weiter-hin in den alten Kalender ein. Stattdessen füllte man die neuen Seiten zunächst mit einigen weiteren Stiftungsurkunden, darunter die bereits erwähnten Stiftungen der Klosterfrau Mechthild von Schönenwerd, sowie schliesslich mit Verzeichnissen über die gestifteten Güter und weitere Abgaben. Auf diese Weise wurde das Nekrolog zu einem eigentlichen Traditionsbuch, das die gesamte klösterliche Überlieferung bis ins frühe 14. Jahrhundert enthält.

Die Stiftungsurkunden und Abgabeverzeichnisse erforderten so viel Platz, dass man sich beim Eintragen nicht mehr an das vorgegebene Säulenraster hielt, sondern quer über die Säulen hinweg schrieb und so die ganze Seitenbreite füllte. Der ursprüng-liche Sinn dieser Darstellung ging dadurch gänzlich verloren, wie auch dem Ka-lender keine funktionale Bedeutung mehr zukam. Vermutlich sollte das Anknüpfen an die alte Form aber dem neuen Buch Legitimität verleihen und es auch optisch in den sakralen Kontext einbinden. Die profanen rechtlichen und wirtschaftlichen Aufzeichnungen erhielten dadurch wohl geradezu die Aura und Autorität eines

«heiligen Buches».

Das alte Nekrolog und die Aufzeichnungen auf den neuen Seiten waren aber auch inhaltlich eng miteinander verknüpft, wie sich anhand einer Reihe von Einträgen zeigen lässt. So stiftete Mechthild von Buch eine Jahrzeit für sich, für ihre Eltern Burkhard und Hedwig, für einen weiteren Verwandten namens Heinrich sowie für einige weitere weibliche Familienmitglieder, die als Klosterfrauen in den Klöstern Hermetschwil und Fahr gelebt hatten. Die ausführlichen Stiftungsbestimmungen wurden auf den neuen Seiten im Kapiteloffiziumsbuch festgehalten. Für sämtliche genannten Personen sollte der Leutpriester am Todestag eine Messe zelebrieren und dafür jeweils mit vier Pfennig entlohnt werden; zusätzlich sollten die Klosterfrauen für die Stifterin und die drei zuerst genannten Verwandten jeweils am Vorabend ein Totenamt (Vigil) abhalten und dafür Brot oder das entsprechende Getreide erhalten.528 Sämtliche bedachten Personen waren zu ihrem jeweiligen Todestag im Kalendar des alten Nekrologs eingetragen worden; von anderer Hand wurde zu jedem Namen in knappster Form auf die genannten Ausgaben hingewiesen, nämlich vier Pfennig für

kundenabschrift fügt das Jahr 1296 an, vgl. AU, Bd. 11, S. 4, Nr. 6 (16. Mai 1296). Die Datierung bezieht sich aber auf den Termin, an dem die Stiftung geregelt wurde, während der Eintrag ins Ne-krolog vermutlich erst später erfolgte. Alle anderen Einträge können anhand ihrer Schrift und der genannten Personen auf den Anfang des 14. Jahrhunderts datiert werden.

528 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil (12. Jh.), StAAG, AA/4350, S. 45, ed. in AU, Bd. 11, S. 6, Nr. 9.

den Leutpriester («iiii d[enarii] ple[bano]»).529 Mit diesem Vermerk wurde ein in-tertextueller Bezug zwischen den einfachen Nameneinträgen im Kalendar und den dazu gehörenden ausführlichen Stiftungsbestimmungen im Anhang hergestellt. Die-ser musste auf jeden Fall konsultiert werden, denn die für die engsten Verwandten

den Leutpriester («iiii d[enarii] ple[bano]»).529 Mit diesem Vermerk wurde ein in-tertextueller Bezug zwischen den einfachen Nameneinträgen im Kalendar und den dazu gehörenden ausführlichen Stiftungsbestimmungen im Anhang hergestellt. Die-ser musste auf jeden Fall konsultiert werden, denn die für die engsten Verwandten

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 132-149)