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Jahrzeitbuch und Chronik

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 175-200)

4 Gedenkpraktiken und Geschichtskultur

4.1 Jahrzeitbuch und Chronik

Am Sitz des Deutschen Ordens in Bern, der zugleich als städtische Pfarrkirche diente, liess der Kuster Ulrich Pfund im Jahr 1325 ein neues Jahrzeitbuch erstellen.658 Es handelt sich um eines der frühesten Exemplare aus dem städtischen Bereich, was damit zusammenhängen dürfte, dass die bernische Pfarrkirche eben von einem Orden betreut wurde. Zugleich stellt es das älteste Buch dar, das aus Bern überliefert ist.659 Anfänglich wurden die Stifterinnen und Stifter hier meist nur mit ihrem Namen ein-getragen. Hinweise auf ihre Stiftungen oder auf die Verteilung der damit verbundenen Einkünfte finden sich erst vereinzelt. Im Zusammenhang mit der Anlage des Jahr-zeitbuchs liess sich der Deutschorden allerdings von einer ganzen Reihe von Leuten ältere Stiftungen bestätigen, die ihre verstorbenen Verwandten oder frühere Eigen-tümer ihrer Liegenschaften zugunsten der Pfarrkirche getätigt hatten.660 Das Erstellen des Jahrzeitbuchs ging somit einher mit einer allgemeinen Intensivierung des Stif-tungswesens. Dabei wurden neben eigentlichen Jahrzeitstiftungen zunehmend auch Armenspenden getätigt, die zum Gedenken an bestimmte Personen oder Ereignisse in der Pfarrkirche verteilt werden sollten.661

Dem Jahrzeitbuch vorangestellt sind einige Hinweise zu seiner Entstehung und Be-nutzung, zur Begehung der Feiertage, zu den Altären und Ablässen der Berner Kir-che sowie zur Geschichte des DeutsKir-chen Ordens und der Ordensheiligen Elisabeth von Thüringen, der in der Kirche ein Altar geweiht war.662 An dieser Stelle findet sich ausserdem die älteste erhaltene Fassung einer Legende, die davon berichtet, wie die Gnadenkapelle des Klosters Einsiedeln im Jahr 948 von Christus persönlich mit seiner

657 Zum Konzept der Erinnerungsorte vgl. oben Anm. 5.

658 Jahrzeitbuch der Deutschordenskommende und Pfarrkirche Bern (1325), BBBE, Mss. Hist. Helv.

I 37, S. 14, ed. in AHVB 6, S. 325 («Anno domini mcccxxv frater Uolricus dictus Phunt tunc cus-tos ecclesie Bernensis procuravit conscribi hunc librum»). Vgl. hierzu Bloesch, Katalog, S. 10, 15;

Bruckner, Scriptoria, Bd. 11, S. 67 f.; Feller/Bonjour, Geschichtsschreibung, Bd. 1, S. 23 f.; Specker, Jahrzeitbücher, S. 52, 55; Stähli, «Cronica de Berno», S. 1 f.; Strahm, Chronist, S. 75–79; Wyss, Geschichte, S. 82 f.; Zahnd, Chronistik, S. 145; ders., Stadtchroniken, S. 193; zur Geschichte der Deutschordenskommende in Bern Baeriswyl, Art. «Bern», in: HS, Bd. 4/7, S. 621–658.

659 Stähli, «Cronica de Berno», S. 1.

660 Bestätigungen von älteren Jahrzeitstiftungen durch Berner Bürger (1327–1329), ed. in FRB, Bd. 5, S. 584–587, Nr. 545–549, S. 591, Nr. 554, S. 595–597, Nr. 560–564, S. 599–601, Nr. 567 f., S. 605–607, Nr. 574, S. 641 f., Nr. 606 f., S. 652, Nr. 618, S. 654, Nr. 621, S. 657 f., Nr. 626, S. 703 f., Nr. 673.

661 Tremp-Utz/Gutscher, Pfarrkirche, S. 394 f.

662 Jahrzeitbuch Bern (1325), BBBE, Mss. Hist. Helv. I 37, S. 1–14, ed. in AHVB 6, S. 325 f., 484–490.

Engelschar geweiht worden sei.663 Es folgt der Kalender mit den Heiligen- und Kir-chenfesten sowie den eingetragenen Namen der verstorbenen Stifterinnen und Stifter.

Im Anschluss daran enthält das Buch unter dem Titel «Cronica de Berno» die ältesten Aufzeichnungen zur Berner Stadtgeschichte, die von der ersten Hand um 1325 be-gonnen und von mehreren Schreibern bis zur Jahrhundertmitte fortgesetzt wurden. Sie berichten in lateinischer Sprache von der Entstehung der Stadt und ihrem Gründer, von der Errichtung der städtischen Klöster und Spitäler, von königlichen Besuchen sowie von Belagerungen und Eroberungszügen. Über den gesamten Kalender verteilt finden sich zudem unter bestimmten Daten chronikalische Randnotizen, die sich ebenfalls auf kriegerische Auseinandersetzungen und Feuersbrünste beziehen.664

Die kargen chronikalischen Aufzeichnungen im Berner Jahrzeitbuch bildeten nach-weislich eine wichtige Grundlage für die seit dem frühen 15. Jahrhundert in Bern auf-blühende amtliche Geschichtsschreibung, insbesondere für die um 1420 entstandene erste grosse Berner Chronik des ehemaligen Stadtschreibers Konrad Justinger, der nach eigenen Angaben sein Wissen unter anderem schöpfte «usser alten büchren und kroniken, so die warheit bewisen».665 Dass man das Jahrzeitbuch schlicht als Chro-nik bezeichnete, ergibt sich auch aus einem Inventar der Berner Kirche von 1402, wo es unter den liturgischen Büchern aufgeführt wird mit der Bemerkung: «Item die kronik».666 Die meist sehr knapp gehaltenen, annalistisch anmutenden Aufzeichnun-gen im Jahrzeitbuch entsprechen zwar nicht unbedingt den heutiAufzeichnun-gen Definitionen

663 Die Legende ist ed. in Ringholz, Wallfahrtsgeschichte, S. 350 f. Vgl. hierzu Henggeler, Engelweihe;

für eine interessante Neuinterpretation Tischler, Engelweihe, S. 50–59. Bislang ist nicht danach ge-fragt worden, warum die Legende ausgerechnet ins Berner Jahrzeitbuch eingetragen wurde. Besteht vielleicht ein Zusammenhang mit der Verehrung des heiligen Kreuzes, dessen Feier am 14. September mit der Engelweihe zusammenfiel? Jedenfalls geht der Engelweihlegende im Berner Jahrzeitbuch ein Beschluss aus dem Jahr 1326 voraus, wonach die Heiligkreuztage künftig als hohe Kirchenfeste («per totum duplex») zu behandeln seien, vgl. Jahrzeitbuch Bern (1325), BBBE, Mss. Hist. Helv. I 37, S. 3, ed. in AHVB 6, S. 489. Bei der Begehung dieser Feiern hätte sich die Verkündigung der Le-gende und des damit verbundenen Ablasses sicher angeboten, und vielleicht unternahmen die Berner an diesem Datum eine gemeinschaftliche Wallfahrt nach Einsiedeln? Wenn es aus Bern auch keine weiteren Hinweise für eine solche Wallfahrt gibt, so liefert der Eintrag der Engelweihlegende im Berner Jahrzeitbuch doch den frühesten Beleg für deren enorme Verbreitung und Anziehungskraft, dank der sich das Kloster Einsiedeln ab dem 14. Jahrhundert zum wichtigsten religiösen Zentrum in der Eidgenossenschaft entwickelte. Zu den Landeswallfahrten der eidgenössischen Orte vgl. Sieber, Adelskloster, S. 46, 49–51; ferner immer noch Ringholz, Wallfahrtsgeschichte, S. 112–144; Zehnder, Volkskundliches, S. 453 f.

664 Die Chronik («Cronica de Berno») sowie die chronikalischen Notizen aus dem Kalender sind ed.

in MGH SS, Bd. 17, S. 271–274, Justinger, Berner Chronik, S. 295–301, deutsche Übersetzung bei Hüssy, Cronica, S. 205–207.

665 Justinger, Berner Chronik, S. 3. Zur Chronik im Jahrzeitbuch als Quelle für Konrad Justinger vgl.

Jost, Justinger, S. 36, 125, 195, 198–203; Schmid, Geschichte im Dienst der Stadt, S. 63, mit Anm. 55;

dies., Art. «Cronica», in: EMC, Bd. 1, S. 306 f.; dies., Art. «Justinger», in: EMC, Bd. 2, S. 953; Strahm, Chronist, S. 10 f., 74–79; Zahnd, Stadtchroniken, S. 193.

666 Inventar der Deutschordenskommende und Pfarrkirche Bern (1402), StABE, Fach Stift, ed. in ASA N. F. 4, S. 217–221, hier S. 220.

von Chronik; in Anlehnung an den zeitgenössischen Wortgebrauch und die dadurch geweckten Assoziationen wird hier aber an dieser Bezeichnung festgehalten.

Der eigentümliche Überlieferungsverbund im Berner Jahrzeitbuch wirft Fragen auf:

Warum wurden die chronikalischen Aufzeichnungen ausgerechnet diesem Buch ein-verleibt? Wie wurden die darin enthaltenen Aufzeichnungen benutzt? Und inwiefern waren liturgisches Gedenken und historisches Erinnern beziehungsweise Gottesdienst und Geschichtsschreibung miteinander verknüpft? Die Beantwortung dieser Fragen verspricht Aufschluss zu geben über den konkreten Gebrauch einer solchen Hand-schrift als Ganzes, aber auch allgemein über den Umgang mit Geschichte und die Vermittlung von Geschichtsbildern in einer spätmittelalterlichen Stadt.667

Wie in vielen anderen Fällen wurden die verschiedenartigen Bestandteile der Berner Handschrift in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts getrennt voneinander ediert und in der Folge stets gesondert behandelt: Die chronikalischen Berichte erschienen einerseits in der Reihe der «Monumenta Germaniae Historica» unter der Abteilung der «Geschichtsschreiber» («Scriptores»), andererseits, chronologisch geordnet, als Anhang zu der Edition der Chronik von Konrad Justinger, während der kalendarische Teil mit den liturgischen Angaben, aber ohne die darin enthaltenen Chronikalien im

«Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern» abgedruckt wurde.668 Auf diese Weise wurden die Einträge aus ihrem Kontext gerissen und in neue Zusammenhänge eingebettet, was wiederum der Annahme Vorschub leistete, dass sich administrativ-liturgische und historiographische Aufzeichnungen als eigenständige «Gattungen»

sauber voneinander abgrenzen liessen.

Demgegenüber wollen die folgenden Ausführungen aufzeigen, dass Jahrzeitbuch und Chronik von Anfang an als Einheit konzipiert gewesen waren und einander funktional ergänzten, indem zumindest einzelne chronikalische Einträge dazu bestimmt waren, im Rahmen von liturgischen Feiern verkündet zu werden. Fassbar werden solche Zusammenhänge etwa bei den Jahrzeitfeiern für den Stadtgründer und die Gefal-lenen verschiedener kriegerischer Auseinandersetzungen sowie bei Armenspenden zum Dank für militärische Erfolge.669 Dabei tritt eine stark von religiösen Gebräu-chen geprägte Geschichtskultur zutage, die mit der Reformation zwar nicht gänzlich

667 Zu den neueren Forschungen über städtische Erinnerungskulturen vgl. Brand u. a., Memoria; Röse-ner, Erinnerungskulturen; speziell zum eidgenössischen Raum Schmid, Geschichte im Dienst der Stadt; zum Totengedenken Dörk, Memoria.

668 Vgl. oben Anm. 658 und 664; zur Kritik an separaten Editionen oben Anm. 645.

669 Eine eingehende Untersuchung dieser Feierlichkeiten steht aus, obwohl verschiedentlich darauf hingewiesen worden ist, vgl. Schmid, Geschichte im Dienst der Stadt, S. 60–62; Zahnd, Chronistik, S. 145; zur Jahrzeit des Stadtgründers Bartlome, Zähringer-Mythos, S. 42; Blattmann, Andenken, S. 330 f.; Feller, Geschichte Berns, Bd. 1, S. 25; Nünlist, Religion, S. 16; Tobler, Herzog Berchtolds Jahrzeit, S. 2; Tremp-Utz, Gottesdienst, S. 67; zu den Schlachtgedenkfeiern Escher, Gedenktage, S. 871 f.; Fiala, Zehntausend-Rittertag, S. 203 f.; Howald, Zehntausend-Ritter-Tag, S. 113–117;

Jost, Justinger, S. 326; Kurmann-Schwarz, 10 000-Ritter-Fenster, S. 45; dies., Glasmalereien Berner Münster, S. 179 f.; Marchal, Memoria, S. 314; Nünlist, Religion, S. 22; Santschi, Mémoire, S. 24 f.

unterging, aber doch erheblich umgestaltet und überlagert wurde und daher bislang weitgehend unbeachtet geblieben ist.670

Dank der verhältnismässig günstigen Überlieferungssituation in Bern lassen sich Entstehung und Ausgestaltung solcher Feierlichkeiten, aber auch ihre allfällige Umdeutung bis hin zu ihrer Abschaffung über einen längeren Zeitraum verfolgen.

Zur Verfügung stehen neben dem genannten Jahrzeitbuch der Pfarrkirche auch die städtischen Rechnungsbücher, Spendenverzeichnisse, Ratsmanuale und Chroniken sowie Bauwerke, Inschriften und Denkmäler, die auf historische Ereignisse Bezug nehmen. Setzt man diese unterschiedlichen Medien zueinander in Beziehung, lässt sich der öffentliche Umgang mit Geschichte und Geschichtsbildern zumindest teil-weise rekonstruieren.

Jahrzeit als Stadtfest

Die Chronik im Anhang des um 1325 angelegten Berner Jahrzeitbuchs beginnt mit einem für Bern zentralen Ereignis: Es handelt sich um den ältesten Hinweis auf die Gründung der Stadt im Jahr 1191 durch Herzog Berchtold von Zähringen. Wie der Eintrag vermeldet, sollte diesbezüglich ein «Vers» verkündet werden («unde ver-sus anno milleno centeno cum primo nonageno Bernam fundasse dux Berchtoldus recitatur»).671 Bei welcher Gelegenheit dieser «Vers» zu rezitieren war, wird zwar nicht näher ausgeführt, doch verweist die für eine Chronik ungewöhnliche Bezeichnung

«versus» in ihrer Anlehnung an den Bibelvers auf den Bereich der Liturgie. In diese Richtung deutet auch die Tatsache, dass die Worte «unde versus» rot unterstrichen sind, womit sonst vor allem die hohen Feiertage gekennzeichnet waren.672 Tatsäch-lich findet sich dazu eine Entsprechung im liturgischen Teil des Jahrzeitbuchs, wo im Kalender unter dem 19. Februar in roter Schrift auf den Tod des Zähringer Herzogs im Jahr 1218 sowie auf dessen Gründungstätigkeit hingewiesen wird.673

(deutsch: Nationalfeste, S. 24 f.); Stettler, Eidgenossenschaft, S. 366 f.; Strahm, Chronist, S. 73 f.;

Wackernagel, Altes Volkstum, S. 285 f.; Wolfram, Studien, S. 57, 74, 84.

670 Vgl. hierzu Tremp-Utz, Gottesdienst, S. 31.

671 Chronik («Cronica de Berno») im Jahrzeitbuch Bern (1325), BBBE, Mss. Hist. Helv. I 37, S. 202, ed. in MGH SS, Bd. 17, S. 271, Justinger, Berner Chronik, S. 295 («Anno domini mclxxxxi fundata est Berna civitas a duce Berchtoldo Zeringie, unde versus anno milleno centeno cum primo nona-geno Bernam fundasse dux Berchtoldus recitatur»). Die entscheidende Passage «unde versus … recitatur» wird bei Hüssy, Cronica, S. 205, irreführend übersetzt mit «oder, wie berichtet wird …».

Vgl. hierzu Schmid, Öffentliche Geschichte, S. 419; dies., Geschichte im Dienst der Stadt, S. 115, mit Anm. 312. Zur Berichtigung: Die Datumsangabe «ad xi kal. marcii» findet sich nicht im Origi-nal, sondern ist ein Verweis der Edition auf das Datum, unter dem sich der entsprechende Eintrag befindet; es handelt sich ausserdem nicht um die Datierung der Stadtgründung, sondern um den Todestag des Gründers, vgl. unten Anm. 673.

672 Vgl. unten Anm. 675.

673 Jahrzeitbuch Bern (1325), BBBE, Mss. Hist. Helv. I 37, S. 39, ed. in AHVB 6, S. 348, Justinger, Ber-ner Chronik, S. 295 («Anno domini mccxviii obiit dux Zeringie qui fuit fundator huius civitatis»).

Analog zum Jahrzeitbuch von Beromünster könnten der rote Eintrag im Kalender sowie die rote Unterstreichung im Anhang somit als Querverweis gedient haben, der das Auffinden der entsprechenden Stellen erleichtern sollte.674 Ein solches Ver-weissystem würde darauf hindeuten, dass der genannte «Vers» anlässlich der Jahr-zeitfeier des Stadtgründers verkündet werden sollte. Die Rubrizierung des Eintrags macht zugleich deutlich, dass es sich um eine grössere Feier gehandelt haben dürfte, diente die rote Farbe gemäss den einleitenden Erläuterungen im Jahrzeitbuch doch zur Hervorhebung besonderer Festtage und Jahrzeiten, insbesondere von Ordens-angehörigen und weiteren Geistlichen.675

Unmittelbar neben dem rubrizierten Eintrag im Kalender weist eine Randnotiz in kleinerer Schrift darauf hin, dass der Deutschorden sowie die weiteren in der Stadt ansässigen Klöster und Spitäler die Jahrzeit des Zähringer Herzogs feierlich zu be-gehen hatten und dafür von der Bürgerschaft jeweils einen beachtlichen Geldbetrag erhalten sollten: Den Brüdern des Deutschen Ordens war ein ganzes Pfund (zwan-zig Schilling) zu bezahlen, den Franziskanern, den Dominikanern und dem niederen Spital je ein halbes Pfund (zehn Schilling), dem Heiliggeistspital sechs Schilling und den Leprosen vier Schilling, so dass sich die Kosten zur Begehung der Jahrzeit insgesamt auf genau drei Pfund (sechzig Schilling) beliefen. Demnach sollte die Jahrzeit des Gründers an sämtlichen geistlichen Institutionen der Stadt begangen werden. Finanziert wurde die Feier von den Bürgern («a burgensibus»), das heisst aus der Stadtkasse.676

Dementsprechend kehren die Ausgaben für «des herzogen jarzit von Zeringen» in den ab 1375 überlieferten Berner Stadtrechnungen zuverlässig unter jedem erhaltenen Jahrgang wieder. Die Rechnungen belegen, dass die Jahrzeit des Stadtgründers im 14.

und 15. Jahrhundert regelmässig begangen wurde, sie zeigen aber auch, dass die Kosten dafür zunächst noch schwankten oder aus unterschiedlichen Kassen bezahlt wurden, die nicht alle in den erhaltenen Aufstellungen erscheinen. Die ältesten Abrechnungen von 1376 und 1377 weisen für die Jahrzeit Ausgaben von fünfzehn Schilling aus, ohne einen genauen Verwendungszweck zu nennen. Als solcher erscheint ab 1378 ein Mahl für die «Siechen», also eine Art Armenspeisung, die neunzehn Schilling kostete und damit ungefähr den Ausgaben aus den Vorjahren entsprach. Wie aus den folgenden Abrechnungen hervorgeht, kamen zu diesem Betrag aber noch Auslagen zugunsten der städtischen Klöster und Spitäler hinzu, die sich ihrerseits auf 28 bis 35 Schilling

674 Vgl. oben Anm. 583–586.

675 Jahrzeitbuch Bern (1325), BBBE, Mss. Hist. Helv. I 37, S. 14, ed. in AHVB 6, S. 326 («Nota quod festa que sunt signata in kalendario subsequenti per rubricam per feriam solent celebrari. Similiter et anniversaria subnotata per rubricam cum cruce sunt visitanda»).

676 Jahrzeitbuch Bern (1325), BBBE, Mss. Hist. Helv. I 37, S. 39, ed. in AHVB 6, S. 348, Justinger, Berner Chronik, S. 295 («De cuius anniversario datur nobis fratribus domus Theotonice pro pitancia i lb d a burgensibus omni anno ad celebrandum sui anniversarii diem, minoribus x ß, predicatoribus x sol[idi], hospitali inferiori x ß, hospitali sancti spiritus vi ß, leprosis iiii ß»).

beliefen, so dass die Kosten für Jahrzeitfeier und Armenspeisung insgesamt 47 bis 54 Schilling oder im Jahr 1382 pauschal drei Pfund (sechzig Schilling) betrugen.677 Erst ab dem 15. Jahrhundert lässt sich in den Stadtrechnungen ein einheitlicher und detaillierterer Zahlungsmodus fassen. Wie daraus hervorgeht, erhielten die Deutsch-herren zur Begehung der Zähringerjahrzeit stets zehn Schilling, die Franziskaner und Dominikaner je fünf Schilling, die «Bedürftigen» des oberen Spitals ebenfalls fünf Schilling, die dortigen «Herren», das heisst die Mitglieder des Heiliggeistordens, zwei Schilling und die «Bedürftigen» des niederen Spitals zehn Schilling. Darüber hinaus verwendete der Rat weitere zwanzig Schilling für die «Siechen», womit wohl die bereits erwähnte Armenspeisung finanziert wurde. Insgesamt beliefen sich die Auslagen für die Jahrzeit im 15. Jahrhundert also jeweils auf 57 Schilling.678

677 Stadtrechnungen Bern (ab 1375), StABE, B VII 446a–447f, ed. in Welti, Stadtrechnungen, Bd. 1, S. 43 (1376, «Denn von des herzogen jarzit von Zeringen xv ß»), S. 68 (1377, «Denn von des her-tzogen jar[zit] von Zeringen xv ß»), S. 108 (1378, «Denne umb des herher-tzogen jartzit von Zeringen dien siechen ein mal, kost xix ß»), S. 209 (1382, «Denne als die burger dien siechen ein mal gebent von des hertzogen jartzit von Zeringen, das kost xix ß; denne dien klöstern und dien spittaln, ouch von des selben jartzites wegen i lb viii ß»), S. 260 (1383, «Denne von des hertzogen jartzit von Zeringen, dien klöstern, dien spittaln und dien siechen, als man inen gibet iii lb»), S. 291 (1383,

«Denne von des hertzogen von Zeringen jartzit, als man den klöstern git i lb xv ß»), S. 320 (1384,

«Denne als die burger gebent den siechen von des hertzogen von Zeringen jartzit ein mal, git xix ß iiii d»). Zur Problematik der Bezeichnung «Stadtrechnungen» vgl. Studer, Verwaltung, S. 104. Die Benennung als «Säckelmeisterrechnungen» erscheint indessen nicht minder problematisch, da die Rechnungen in der Regel nicht vom Säckelmeister, sondern vom Stadtschreiber angelegt wurden.

678 Stadtrechnungen Bern (ab 1430), StABE, B VII 448a–454h, ed. in Welti, Stadtrechnungen, Bd. 2, S. 6 (1430, «Des hertzogen von Zeringen jartzit: den tütschherren x ß; den barfuossen v ß; den predijern v ß; den ober spittalherren ii ß; den dürftigen daselbs v ß; den dürftigen des nidern spittals x ß; den siechen i lb»), S. 64 (1437, «Item von des hertzogen jartzit von Zeringen: den tütschen herren x ß;

den siechen i lb; den barfuossen v ß; den predijern v ß; den ober spittal dürftigen v ß; den herren daselbs ii ß; den dürftigen zem nidern spittal x ß»), S. 104 (1438, «Des hertzogen von Zeringen jar-tzit: den tütschen herren x ß; den barfuossen v ß; den predijern v ß; dem obern spittal v ß; den herren daselbs ii ß; dem nidern spittal x ß; den siechen i lb; summa ii lb xvii ß»), S. 124 (1441, «Des her-tzogen von Zeringen jartzit: primo den siechen i lb; den tütschenherren x ß; den barfuossen v ß; den predijern v ß; den ober spittal herren ii ß; den dürftigen daselbs [x] ß v; den dürftigen nidern spittal x ß; summe ii lb xvii ß»), S. 159 (1443, «Des hertzogen von Zeringen jartzit: primo den tütschen herren x ß; den barfuossen v ß; den predijern v ß; den spittaldürftigen oben v ß; den herren daselbs ii ß; dem nidern spittal x ß; den siechen i lb»), S. 178 (1444, «Des hertzogen von Zeringen jartzit:

den tütschen herren x ß; den barfuossen v ß; den predijern v ß; den dürftigen zem obern spittal v ß;

den herren daselbs ii ß; den dürftigen zem nidern spittal x ß; den siechen i lb»), Bd. 3, S. 4 (1454,

«Denne des hertzogen von Zeringen jarzitt: den siechen i lb; den dürftigen zem nydern spittal x ß; den tütschen herren x ß; den barfuessen v ß; den predyern v ß; den dürftigen zem obren spittal v ß; den herren da selbs ii ß; summa ii lb xvii ß»); Stadtrechnung Bern (1500), ed. in AHVB 2, S. 267–301, hier S. 277 («Von des herzogen von Zeringen jarzit ze began ii lb xvii ß»). Belege für die weiteren Jahre bis zur Reformation finden sich in den unedierten Berner Rechnungsbüchern, StABE, B VII 451b, Sp. 15a (1506), 451 f., Sp. 15b (1508), 451i, Sp. 18b (1510), 452b, Sp. 11b (1513), 452d, Sp. 7b, 11b (1514), 452e, Sp. 6b (1515), 453a, Sp. 7a, 10a (1516), 453c, Sp. 6b, 9b (1518), 453e, Sp. 6b, 10a (1519), 454b, Sp. 6b, 10b (1522), 454d, Sp. 6b, 10b (1523), 454e, Sp. 7a, 10a (1524), 454g, Sp. 6b,

Vergleicht man diese detaillierten Abrechnungen mit den Angaben im Jahrzeitbuch, so stellt man fest, dass die Gesamtsumme zwar praktisch gleich geblieben ist: Sie betrug im Jahrzeitbuch sechzig Schilling, in den späteren Rechnungsbüchern noch 57 Schilling. Die Verteilung des Geldes hat sich indessen stark verändert. Während die Spitäler noch ungefähr gleich viel erhielten – das niedere Spital noch immer zehn Schilling, das Heiliggeistspital insgesamt sieben statt sechs Schilling –, waren die Abgaben an die Klöster genau halbiert worden: Die Deutschherren erhielten zehn statt zwanzig Schilling, die Franziskaner und Dominikaner noch je fünf statt zehn Schilling. Die grösste Veränderung hatte sich jedoch bei den Ausgaben zugunsten der

«Siechen» ergeben, die im Jahrzeitbuch noch mit vier Schilling veranschlagt wor-den waren, sich mittlerweile aber auf zwanzig Schilling beliefen und somit fünfmal höher ausfielen.

Mit anderen Worten: Gegenüber dem im Jahrzeitbuch von 1325 aufgeführten Soll belegen die effektiven Ausgaben in den städtischen Rechnungsbüchern, dass die Geldmittel zur Begehung der Zähringerjahrzeit von den kirchlichen auf die kommu-nalen Institutionen verlagert worden waren. Darin widerspiegelt sich eine allgemeine Tendenz der städtischen Politik, die im Spätmittelalter auf eine stärkere Kontrolle und Einbindung der geistlichen Anstalten abzielte. So waren die Spitäler im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts zunehmend unter städtischen Einfluss geraten, während die Deutschordenskommende als Zentrum des kirchlichen Lebens in Bern auf Beschluss des Rats um 1484 in ein Chorherrenstift umgewandelt wurde, das sich leichter durch die weltliche Obrigkeit kontrollieren liess.679 Mit seinem Engagement in der städ-tischen Armen- und Krankensorge konnte sich der Rat zudem äusserst wirkungsvoll als «gnädige Herrschaft» inszenieren.

Dass sich der Berner Rat so nachhaltig um die Finanzierung der Zähringerjahrzeit kümmerte, weist darauf hin, dass deren Begehung von konkreter politischer Be-deutung war. Vermutlich sollte mit dem Andenken an den Gründer eine bestimmte Version von der Entstehung der Stadt propagiert werden. Wie aus den späteren amt-lichen Chroniken hervorgeht, war der Rat bestrebt, die Stadt als legitime und direkte Rechtsnachfolgerin des Zähringer Herzogs in Burgund darzustellen, um die im 14.

und 15. Jahrhundert entstehende Herrschaft über eines der grössten städtischen Terri-torien nördlich der Alpen zu rechtfertigen.680 In dieser Sicht waren die zährin gischen Herrschaftsansprüche an die Stadt übergegangen, nachdem der Herzog 1218 kinder-los verstorben war. Zu Konrad Justingers Zeit ging man sogar davon aus, dass

miss-10b (1526), 454h, Sp. 6b, letztmals in Sp. 10a (1527), ed. in Steck/Tobler, Aktensammlung, Bd. 1, S. 569 («Denne von des herzogs von Zeringen jarzit zuo began xiii lb xiii ß iv d»).

679 Tremp-Utz, Kollegiatstift; Marchal, Art. «Sankt Vinzenz», in: HS, Bd. 2/2, S. 151–161.

680 Bartlome, Zähringer-Mythos, S. 41–43; Blattmann, Andenken, S. 330 f.; Gerber, Gott, S. 378–381;

680 Bartlome, Zähringer-Mythos, S. 41–43; Blattmann, Andenken, S. 330 f.; Gerber, Gott, S. 378–381;

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 175-200)