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Aufbau und Vorgehen

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 47-52)

In methodischer Hinsicht verfolgt die vorliegende Untersuchung eine doppelte Stra-tegie. Einerseits wird die Gedenküberlieferung möglichst in ihrer Gesamtheit erfasst, um einen Überblick über ihre Entstehung, Entwicklung und Verbreitung zu erhalten.

Andererseits sollen Funktions- und Verwendungsweisen anhand einer beschränkten Anzahl von Fallbeispielen weiterverfolgt und vertieft werden. Durch die Kombination von Makroperspektive und Mikroanalysen ergeben sich unterschiedliche Blickwinkel auf das Material, die es erlauben, sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte zu beleuchten. Diese doppelte Strategie schlägt sich im Aufbau der Arbeit insofern nieder, als das erste Kapitel des Hauptteils zunächst einen Überblick über die ge-samte Überlieferung, ihre Entstehung und Verbreitung zu bieten versucht (Kapitel 2), während sich die anschliessenden Kapitel der Analyse einzelner Dokumente, ihrer Entstehung und ihrem konkreten Gebrauch widmen (Kapitel 3 und 4).

Die ausgiebige Suche nach nekrologischen Schriftstücken findet ihren Niederschlag in einem ausführlichen Quellenverzeichnis, das zugleich als Findmittel für weitere Forschungen dienen kann.163 Als grösster Kenner der Materie hat Jean-Loup Lemaître,

162 Beispielsweise Nekrolog im Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerklosters Muri/Hermetschwil (um 1140), StAAG, AA/4530, ed. in AU, Bd. 11, S. 155–181, MGH Necr., Bd. 1, S. 423–436, QSG, Bd. 3, S. 134–166.

163 Statt die ungedruckten Quellen wie sonst üblich in der Bibliographie aufzulisten, bildet das Quel-lenverzeichnis als Findmittel einen eigenständigen Bestandteil dieser Arbeit (Kapitel 7). Darin ent-halten sind sämtliche nekrologischen Schriftstücke aus dem Gebiet der heutigen Schweiz bis 1800.

Das Verzeichnis ist alphabetisch nach Ortsnamen geordnet und liefert zu jedem Stück eine kurze Beschreibung. Diese umfasst mindestens den Ort mit Kürzel des heutigen Kantons, bei klöster lichen Gemeinschaften zusätzlich Orden und Institution, sodann eine Charakterisierung des Objekts (Ne-krolog, Jahrzeitbuch, Kapiteloffiziumsbuch usw.), daran anschliessend in Klammern eine genaue oder ungefähre Datierung sowie schliesslich den Originalstandort mit Signatur. Sofern sich weitere Angaben eruieren liessen, werden ausserdem Material, nämlich Pergament (Perg.) oder Papier (Pap.), sowie die Anzahl Blätter (Bl.) oder Seiten (S.) angegeben. In Klammern und Anführungszeichen sind allfällige Selbstbezeichnungen sowie Nennungen von Schreibern oder Auftraggebern aufgeführt.

Genannt werden auch besondere Inhalte wie Ablassbriefe, chronikalische Berichte, Güter- und Reli-quienverzeichnisse oder Schlachtjahrzeiten. Zum Schluss folgen Angaben zu Editionen (Ed.) und zur

der Bearbeiter des französischen Quellenrepertoriums, kürzlich darauf hingewiesen, wie nützlich ein solches Inventar auch für die Schweiz mit ihrer reichhaltigen Überlie-ferung wäre.164 Für die vorliegende Untersuchung wurde eine möglichst vollständige Verzeichnung der Gedenkbücher aus dem Untersuchungsgebiet vom frühen Mittel-alter bis zum Untergang des Ancien Régime angestrebt. Angesichts der heterogenen und disparaten Überlieferungslage und der lückenhaften Erschliessung ist jedoch nicht auszuschliessen, dass einzelne Exemplare übersehen wurden. Die Recherchen stützten sich vor allem auf die spärlichen Vorarbeiten, auf die vorhandenen Editionen sowie auf die zugänglichen Archiv- und Bibliothekskataloge.165

Auch bei der Beschreibung und Datierung der Exemplare wurden die Angaben aus der Literatur grösstenteils übernommen – es sei denn, eigene Erkenntnisse hätten zu abweichenden Resultaten geführt. Weil zeitgenössische Datierungen meist fehlen, lassen sich viele nekrologische Schriftstücke nur aufgrund äusserer und innerer Kri-terien zeitlich ungefähr einordnen, etwa anhand von paläographischen Merkmalen

Literatur (Lit.). Alle Siglen von Archiven und Bibliotheken sowie Editionsreihen und Zeitschriften lassen sich über das Abkürzungsverzeichnis (Kapitel 6) auflösen und finden sich ausführlich zitiert in der Bibliographie (Kapitel 8).

164 Lemaître, Obituaires suisses. Zum französischen Quellenrepertorium vgl. oben Anm. 54. Verzeich-nisse sämtlicher Jahrzeitbücher, geordnet nach historischen Regionen und zeitlich ausgedehnt bis 1800, forderte bereits Bader, Grundsätze, S. 199, 201, mit Anm. 12.

165 Für die Innerschweiz vgl. Henggeler, Jahrzeitbücher, S. 46–58, in fast identischer Form ders., Schlachtenjahrzeit, S. 3 f., 61–63, 149, 195, 235–241, 285; für den Aargau Máthé/Richner, Kirchen-bücher; für Basel-Stadt Signori, Memoria; für Basel-Landschaft Othenin-Girard, Lebensweise; für Bern Specker, Jahrzeitbücher; für Glarus Winteler, Kirchenbücher; für Luzern Gössi, Pfarrbücher;

für Sankt Gallen Clavadetscher, Totengedächtnis; Erhart/Kuratli, Bücher, S. 307–310; für das Tes-sin Quadri, Martirologi; für Zürich Hegi, Jahrzeitenbücher; Zimmermann, Stiftungsreduktion; er-gänzend dazu Sablonier u. a., IWQZH. Vereinzelte Hinweise auf Jahrzeitbücher stammen aus der Reihe der «Kunstdenkmäler der Schweiz» (Kdm). Für die Überlieferung von Klöstern und Stiften können die Archivverzeichnisse in den betreffenden Bänden der «Helvetia Sacra» (HS) sowie die Reihe «Scriptoria Medii Aevi Helvetica» von Albert Bruckner beigezogen werden; ein Verzeichnis sämtlicher dort zitierter Nekrologien und Jahrzeitbücher findet sich ebd., Bd. 14, S. 188 f. Benutzt wurden ausserdem die publizierten Archiv- und Bibliothekskataloge, für das Staatsarchiv Basel (StABS) Wackernagel, Repertorium; für das Staatsarchiv Aargau (StAAG) Merz, Repertorium; für die Burgerbibliothek Bern Bloesch, Katalog; für das Staatsarchiv Freiburg (AEFR) und die dortige Kantons- und Universitätsbibliothek (BCUFR) Leisibach, Handschriften Freiburg; für die Klöster Muri, Hermetschwil und Wettingen Bretscher-Gisiger/Gamper, Katalog Muri; dies., Katalog Wet-tingen; für das Kloster Pfäfers Jurot, Katalog; für die Stiftsbibliothek Sankt Gallen (StiBSG) Scar-patetti, Handschriften; ferner immer noch Scherrer, Verzeichnis; für die Stadtbibliothek Schaffhau-sen Gamper, Katalog; für die Ministerialbibliothek SchaffhauSchaffhau-sen ders. u. a., Katalog SchaffhauSchaffhau-sen;

für das Archiv des Domkapitels in Sitten (ACS) Leisibach, Handschriften Sitten; für die Zentral-bibliothek Solothurn (ZBSO) Schönherr, Handschriften; für die ZentralZentral-bibliothek (ZBZH) und das Staatsarchiv Zürich (StAZH) Mohlberg, Handschriften. Von mehreren Archiven und Bibliotheken existieren bereits Kataloge im Internet. Weil für verschiedene Regionen noch keine entsprechenden Publikationen zur Verfügung stehen, liessen sich insbesondere aus Appenzell, Freiburg, Graubün-den, Jura, Solothurn, Tessin und Wallis vermutlich noch weitere, vor allem nachreformatorische Exemplare finden. Hinweise nimmt der Verfasser gern entgegen.

oder von Lebensdaten der eingetragenen Personen, sofern sich diese aus parallelen Überlieferungen eruieren lassen.166 Aufgrund dieser Problematik können über die Entstehung und Verbreitung des Materials kaum verlässliche statistische Aussagen gemacht werden. Erfassen lassen sich lediglich allgemeine Trends und Tendenzen, die nicht mit numerischer Exaktheit zu beziffern sind. Der oft langfristige Gebrauch solcher Schriftstücke verbietet es ausserdem, aus der Anzahl der neu angelegten Do-kumente voreilig Rückschlüsse über die effektiven Aktivitäten im Bereich des Ge-denkwesens der jeweiligen Institution zu ziehen. Dass das Gedenken kontinuierlich gepflegt wurde, darf man ohnehin nicht einfach voraussetzen, sondern müsste im Einzelfall nachgewiesen werden.167

Vor grössere Herausforderungen sieht man sich auch bei der Bestimmung von Schrei-bern gestellt. Nur selten nennt sich ein solcher ausdrücklich, etwa in einer Vorrede oder einem abschliessenden Kolophon. Ansonsten können die Schreiber höchstens über aufwendige Schriftvergleiche identifiziert werden. Dies erweist sich als umso schwieriger, als in nekrologischen Schriftstücken meist Dutzende wenn nicht sogar Hunderte von Schreiberhänden auszumachen sind. Um einigermassen gesicherte Aussagen über den Zeitpunkt der Einträge oder die Dauer und die Intensivität der Benutzung zu gewinnen, müssen zumindest grob verschiedene «Zeit-» oder «Ein-tragsschichten» voneinander abgegrenzt werden.

«Urtexte» und Abschriften

Angesichts der breiten, weit verstreuten und heterogenen Überlieferungslage erschien es geraten, für die Untersuchung von dem auszugehen, was effektiv materiell überlie-fert ist und keine irgendwie erschlossenen «Urtexte» zu hypostasieren, wie es gerade bei der Gedenküberlieferung immer wieder getan wird.168 Bei der Rekonstruktion solcher «verlorener» oder «verschollener» Exemplare verliert man sich schnell in Zirkelschlüssen, welche die konkrete Überlieferungssituation eher verunklären, müs-sen doch Alter, Aussehen und Inhalt solcher möglicher Vorlagen letztlich ungewiss bleiben. Angebliche oder tatsächliche Verluste sind daher hier nur dann von Interesse, wenn in den Quellen ausdrücklich darauf hingewiesen wird. Diesem Zugang liegt die Überzeugung zugrunde, dass mit dem simplen Verweis auf «Überlieferungslücken»

wenig erklärt wird.169 Mit der Untersuchung von Verschriftlichung und Traditions-bildung soll ja vielmehr ergründet werden, was warum bis heute aufbewahrt wurde, während anderes aus dem Überlieferungsprozess ausschied.

166 Schuler, Anniversar, S. 85.

167 Zum neuen Interesse an der Dauerhaftigkeit von Stiftungen vgl. oben Anm. 64.

168 Vgl. hierzu Hildbrand, Tanz, S. 445 f.; Morsel, Texte, S. 6, mit Anm. 32; Teuscher, Erzähltes Recht, S. 229.

169 Vgl. oben Anm. 19 f.

Hingegen ist es für die Fragestellung von entscheidender Bedeutung, auch spätere Abschriften und Überarbeitungen zu berücksichtigen, die von der Forschung sonst gern vernachlässigt werden, weil man sie gegenüber dem «Original» beziehungs-weise dem ältesten erhaltenen Exemplar für uninteressant hält. Beim Vergleich ver-schiedener Redaktionen lässt sich indessen nachweisen, welche Einträge zu diesem Zeitpunkt noch für relevant erachtet wurden, während man andere stillschweigend überging oder änderte, aber auch erweiterte oder gar neu hinzufügte.170 Spätere Redaktionen erweisen sich somit nicht einfach als unschuldige, wortgetreue Ab-schriften, sondern als zielgerichtete, absichtsvolle Überarbeitungen.171 Vor diesem Hintergrund fragt sich, inwiefern sich aus solchen späteren Versionen überhaupt zuverlässige Aussagen über Inhalt und Aussehen älterer, verlorener Exemplare ge-winnen lassen. Abschriften werden hier daher vor allem als Zeugnisse ihrer eigenen Entstehungszeit ausgewertet und weniger als Quellen für die Zeit, aus der allfällige Vorlagen stammen mögen.

Ebenfalls gravierende Probleme ergeben sich bei einer isolierten Interpretation ein-zelner Einträge oder bei der Beschränkung auf bestimmte «Zeit-» oder «Eintrags-schichten», etwa die so genannte Anlagehand, die häufig auch ältere Namen einträgt, ohne dass die Quellen hierfür ersichtlich wären. Überhaupt müssen Einträge nicht unbedingt «ad hoc» unmittelbar nach dem Tod der Genannten entstanden sein, son-dern können auch später, mitunter sogar viel später hinzugefügt worden sein. Es gilt daher in jedem Fall danach zu fragen, wann, von wem und vor allem warum der be-treffende Eintrag vorgenommen worden ist. Wie gezeigt werden soll, ging es dabei mitunter wohl weniger um das Seelenheil der Betroffenen als vielmehr darum, eine bestimmte Tradition zu begründen oder zu bekräftigen.

Herstellungsbedingungen und Gebrauchssituationen

Für den hier skizzierten Zugang ist es unerlässlich, Dokumente in ihren konkreten Überlieferungszusammenhängen zu betrachten.172 Häufig sind nekrologische Schrift-stücke nämlich nicht isoliert überliefert, sondern eingebunden in liturgische Sam-melhandschriften oder zusammen mit administrativen, rechtlichen oder historiogra-phischen Aufzeichnungen bis hin zu eigentlichen Urbarien oder Chroniken.173 Wenn man davon ausgeht, dass solche Mitüberlieferungen auf konkrete Herstellungsbedin-gungen und Gebrauchssituationen schliessen lassen, dann rücken Zusammenhänge

170 Vgl. hierzu Hugener, Tilgungen; ferner Bader, Grundsätze, S. 197; Huyghebaert, Documents, S. 46;

Neiske, Funktion, S. 107 f.; Schuler, Anniversar, S. 84.

171 Vgl. hierzu am Beispiel von Weistümern Teuscher, Textualising; ders., Kompilation; ders., Erzähltes Recht, besonders S. 206–255.

172 Johanek, Funktion, S. 159; Sablonier, Verschriftlichung, S. 96, 112.

173 Vgl. oben Anm. 157.

zwischen Gedenkwesen, Güterverwaltung und Geschichtsschreibung in den Blick, die bislang noch kaum beachtet worden sind.

Die Untersuchung geht diesen Zusammenhängen nacheinander nach. Sie behandelt zunächst die Frage, welche Formen der Buchführung sich im Bereich des Gedenk-wesens ausgeprägt haben (Kapitel 2), verfolgt sodann, wie diese Methoden zunehmend auch auf die Güterverwaltung ausgedehnt wurden (Kapitel 3), und geht schliesslich darauf ein, wie im Rahmen des Totengedenkens Vorstellungen und Deutungen über die Vergangenheit vermittelt wurden, die das Geschichtsbewusstsein im Untersuchungs-raum nachhaltig geprägt haben (Kapitel 4). Zu denken ist dabei vor allem an die so genannten Schlachtjahrzeiten, auf die sich aus dem Raum der nachmaligen Schweiz besonders viele Hinweise erhalten haben. Wenn diese Themenbereiche hier aus ana-lytischen Gründen gesondert behandelt werden, so erfolgt dies im Bewusstsein, dass sich die verschiedenen Verwendungsweisen gegenseitig bedingten, überlagerten und durchdrangen. Im Schlusswort werden die Stränge daher wieder zusammengeführt, die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst sowie weiterführende Fragen und The-menfelder skizziert, die in der vorliegenden Untersuchung nur unzureichend berück-sichtigt werden konnten (Kapitel 5).

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 47-52)