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Vom Nekrolog zum Jahrzeitbuch

Im Dokument Buchführung für die Ewigkeit (Seite 60-79)

2 Formen und Funktionen der Gedenküberlieferung

2.2 Vom Nekrolog zum Jahrzeitbuch

Eine Prüfung der frühen Nekrologien macht deutlich, dass diese meist nur sporadisch fortgesetzt wurden. Parallel zur urkundlichen Überlieferung nehmen die Einträge in der Gedenküberlieferung im Verlauf des 11. Jahrhunderts markant ab. Erst im Rahmen der monastischen Reformbemühungen scheint das Gedenkwesen ab dem 12. Jahrhundert neu belebt worden zu sein.205 Der Einfluss der Reformbewegung wird im regionalen Mate-rial nicht zuletzt daran ersichtlich, dass eines der frühesten Nekrologien dieser Epoche ursprünglich wohl um 1100 im burgundischen Cluniazenserpriorat Marcigny-sur-Loire angelegt worden war, bevor es um 1146 von der kleinen und wenig bedeutsamen Or-densniederlassung Münchenwiler (Villars-les-Moines) am Murtensee übernommen und dort weitergeführt wurde.206 Mit rund zehntausend Namen dürfte es sich um eines der umfangreichsten Exemplare seiner Art handeln und damit einen Eindruck vermitteln von der Bedeutung, die das Totengedenken beim Cluniazenserorden einnahm.207

Auch in weiteren reformorientierten Benediktinerklöstern der Region entstanden in der Folge entsprechende Kapiteloffiziumsbücher mit Ordensregeln, Martyrolog und Ne-krolog, etwa in Rheinau,208 Muri209 und Petershausen210 sowie in den davon abhängigen

205 Zur Bedeutung der Reformbestrebungen für den Verschriftlichungsprozess vgl. Schreiner, Ver-schriftlichung; zum Zusammenhang zwischen monastischer Reform und Gedenkwesen Wollasch, Totengedenken, der allerdings davon ausgeht, dass die «alte Tradition des Totengedenkens» gerade um die Mitte des 12. Jahrhunderts abgebrochen sei, vgl. ebd., S. 165 f.

206 Kapiteloffiziumsbuch mit Martyrolog, Ordensregel und Nekrolog des Cluniazenserpriorats Mün-chenwiler (um 1100), BnF, Fonds Lat. Nouv. Acq. 348, ed. in Schnürer, Necrologium; Wollasch, Synopse. Zur Zuordnung des Nekrologs nach Marcigny-sur-Loire vgl. ebd., Bd. 1, S. 12, 14, 42;

ders., Totenbuch, S. 406–443. Wie und warum das Buch später vom Priorat Münchenwiler über-nommen wurde, wird darin nicht thematisiert, weil es dem Autor vor allem um die Rekonstruktion des verlorenen «Originals» von Cluny ging. Vgl. hierzu die Kritik bei Hoffmann, Anmerkungen, S. 416–418; dazu die Replik von Althoff/Wollasch, Libri Memoriales, S. 41–46. Dass das Nekrolog spätestens ab 1146 in Münchenwiler aufbewahrt wurde, ergibt sich aus dem ersten datierten Eintrag, vgl. Schnürer, Necrologium, S. XXVI.

207 Vgl. hierzu Iogna-Prat, Dead; Poeck, Beobachtungen; Wollasch, Obituaires; ferner Bijsterveld, Gift, S. 178–186; Schmid/Wollasch, Gemeinschaft, S. 389–401.

208 Kapiteloffiziumsbuch mit Ordensregel, Martyrolog und Nekrolog des Benediktinerklosters Rheinau (12. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. 39, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 456–461. Vgl. hierzu Bruckner, Scriptoria, Bd. 4, S. 47; Mohlberg, Handschriften, S. 176, Nr. 406.

209 Kapiteloffiziumsbuch mit Nekrolog, Martyrolog und Ordensregel des Benediktinerklosters Muri, später weitergeführt vom Frauenkonvent in Hermetschwil (um 1140), StAAG, AA/4530, ed. in AU, Bd. 11, S. 155–181, MGH Necr., Bd. 1, S. 423–436, QSG, Bd. 3, S. 134–166. Vgl. hierzu Bretscher-Gisiger/Gamper, Katalog Muri, S. 18, 21, 31, 82–84; Bretscher-Gisiger/Sieber, Acta Murensia, S. 288 f., Nr. 10; Bruckner, Scriptoria, Bd. 7, S. 32 f., 77 f., mit Anm. 69; Erhart/Kuratli, Bücher, S. 261–267, 323; Hildbrand, Quellenkritik, S. 367 f., 378–384; Merz, Repertorium, Bd. 2, S. 14. Parallel dazu entstanden die chronikalischen, genealogischen und besitzgeschichtlichen Aufzeichnungen in den

«Acta Murensia», die leider nur noch erhalten sind in einer späteren Abschrift (um 1400), StAAG, AA/4947, ed. in QSG, Bd. 3, S. 3–106, Bretscher-Gisiger/Sieber, Acta Murensia.

210 Nekrolog des Benediktinerklosters Petershausen (nach 1159), Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Sal. IX 42, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 664–678. Ein älteres Kapiteloffiziumsbuch mit

Ordens-Neugründungen in Wagenhausen211 und Fischingen.212 Das Exemplar von Fischingen enthält sogar einen kurzen Bericht über die Gründung des Klosters, der auf die Ver-bindung von Gedenkwesen und frühen Formen der «Geschichtsschreibung» hinweist und zugleich Aufschluss gibt über den Bücherbestand in einem neu gegründeten Bene-diktinerkloster. Wie es darin heisst, sei der Bruder Waltram um 1138 von Petershausen nach Fischingen geschickt worden, um dort ein Kloster für Männer, Frauen und Arme einzurichten. Binnen sechs beziehungsweise acht Jahren liess er dort eine Kirche mit Klostergebäuden errichten und einweihen. Neben wertvollen liturgischen Geräten und Gewändern kaufte er an Büchern ein Missale, ein Evangeliar, ein Lektionar, ein Offizi-ale, ein BenediktionOffizi-ale, ein Antiphonar, einen Psalter sowie eben die «regula», das heisst das vorliegende Kapiteloffiziumsbuch mit Ordensregel, Martyrolog und Nekrolog.213 Noch einmal zeigt sich daran, dass die Kapiteloffiziumsbücher zu den wichtigsten, ja geradezu unentbehrlichen Schriftstücken jeder Klostergemeinschaft gehörten.

Parallel zu den Kapiteloffiziumsbüchern wurden die Namen von Verstorbenen ver-einzelt in die Kalendarien von verschiedenen weiteren liturgischen Gebrauchshand-schriften eingetragen, in Sankt Gallen etwa in ein Sakramentar und ein Graduale,214 in Muri in mehrere Psalter und ein Brevier,215 in Rheinau in eine Gottesdienstordnung, ein Hymnar und mehrere Graduale.216 Es wäre daher denkbar, dass die verschiedenen

regel, Martyrolog und Nekrolog wurde gemäss der Klosterchronik im Jahr 1159 bei einem Brand im Kapitelsaal zerstört, vgl. Feger, Chronik Petershausen, S. 234 («regula satis bona continens duo martyrologia, unum sanctorum, alterum defunctorum»).

211 Kapiteloffiziumsbuch mit Martyrolog, Ordensregel und Nekrolog des Benediktinerklosters Wa-genhausen (vor 1119), Nationalbibliothek Széchény, Budapest, Cod. Clmae 514, ed. in SZG 13, S. 196–205, SVB 86, S. 87–187.

212 Kapiteloffiziumsbuch mit Ordensregel, Martyrolog und Nekrolog des Benediktinerklosters Fischin-gen (um 1150), PfA, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 397–405. Vgl. hierzu Bruckner, Scriptoria, Bd. 10, S. 23–27; Meyer, Fischingen, S. 47–59; ders., Folgen, S. 27 f.; Salathé, Beständeübersicht, S. 182.

213 Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerklosters Fischingen (um 1150), PfA, S. 1, ed. in UBTG, Bd. 2, S. 56–59, Nr. 23 («libros vero missale, evangeliarum, lectionarium, officiale, benedictionale, antiphonarium, psalterium, regulam paravit»).

214 Sakramentar und Kalendar (um 1000) mit nekrologischen Notizen des Benediktinerklosters Sankt Gallen (12./13. Jh.), StiBSG, Cod. Sang. 339, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 462–487; Graduale und Kalendar mit nekrologischen Notizen (12.–15. Jh.), StiBSG, Cod. Sang. 361. Vgl. hierzu Bruck-ner, Scriptoria, Bd. 3, S. 97–99; Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 399 f.; Euw, Buchkunst, Bd. 1, S. 217–219; Munding, Kalendarien, Bd. 1, S. 11; Scherrer, Verzeichnis, S. 119, 125 f.

215 Psalter und Kalendar mit nekrologischen Notizen für Mönche und Nonnen des Benediktinerklosters Muri (12. Jh.), KlA Muri-Sarnen, Cod. membr. 19; Psalter und Kalendar mit nekrologischen Noti-zen (12. Jh.), KlA Muri-Sarnen, Cod. membr. 20; Brevier und Kalendar mit nekrologischen NotiNoti-zen (13. Jh.), KlA Muri-Sarnen, Cod. membr. 25. Vgl. hierzu Bretscher-Gisiger/Gamper, Katalog Muri, S. 11, 18, 20, 180–183, 185–187, 390–395; Bretscher-Gisiger/Sieber, Acta Murensia, S. 290, Nr. 12, S. 298, Nr. 33; Bruckner, Scriptoria, Bd. 7, S. 65–68, 85; Meier, Muri, S. 20.

216 Gottesdienstordnung und Kalendar mit nekrologischen Notizen des Benediktinerklosters Rheinau (12. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. 74b, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 456–461, QSG, Bd. 3, S. 72–76; Hymnar und Kalendar mit nekrologischen Notizen (11./12. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. 83; Graduale und Kalen-dar mit nekrologischen Notizen (12. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. 75; Graduale und KalenKalen-dar mit

nekrolo-Bücher an unterschiedlichen Altären oder Kapellen im Einsatz standen.217 Jedenfalls zeugen die vielen Handschriften mit nekrologischen Notizen von einer massiven In-tensivierung des Gedenkwesens.

Angesichts der vielfältigen Beziehungen, die zwischen den einzelnen Klöstern be-standen und sich gerade auch in deren Nekrologien niederschlugen, ist zu vermuten, dass die jüngeren Konvente die Formen der Gedenkaufzeichnungen adaptierten, wie sie sich in den grossen klösterlichen Zentren etabliert hatten. Offenkundig der Fall ist dies dort, wo nicht nur die Praktiken der Buchführung, sondern gleich ganze Bücher übernommen wurden. So erhielt die bereits erwähnte Cluniazenserniederlassung in Münchenwiler um die Mitte des 12. Jahrhunderts das Kapiteloffiziumsbuch aus dem sehr viel bedeutenderen Priorat in Marcigny und benutzte es noch bis ins 15. Jahr-hundert sporadisch, um eigene Verstorbene einzutragen.218 Ähnlich erging es dem Kapiteloffiziumsbuch des einstigen Doppelklosters Muri: Als der dortige Frauenkon-vent an der Wende zum 13. Jahrhundert nach Hermetschwil übersiedelte, nahmen die Nonnen das alte Buch mit und führten es an ihrer neuen Niederlassung weiter, bis im 15. Jahrhundert ein eigentliches Jahrzeitbuch für diesen Zweck angelegt wurde.219 Für Wagenhausen lässt sich zumindest vermuten, dass das dort benutzte Buch aus dem Kloster Petershausen stammte, dem es zeitweilig unterstellt war.220 Dass sich einige Klöster gerade über das Gedenkwesen beziehungsweise die Namen von Verstorbenen rege miteinander austauschten, belegen die erhaltenen Totenrödel.221

Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurde schliesslich auch im Kloster Sankt Gallen ein neues Kapiteloffiziumsbuch angelegt. Wie sein Vorgänger umfasste das neue Exem-plar neben der Ordensregel auch Äbtelisten, Verbrüderungsverträge und annalistische Aufzeichnungen.222 Ganz offensichtlich wollte man also an das früher praktizierte Ge-denkwesen anknüpfen, dieses erneuern und fortführen. Selbst die Namen der Verstor-benen wurden grösstenteils aus dem älteren Nekrolog übernommen. Für diese wurde

gischen Notizen (12. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. 30; Graduale und Kalendar mit nekrologischen Notizen (13./14. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. 29; Graduale und Kalendar mit nekrologischen Notizen (13. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. 14. Vgl. hierzu Delisle, Mémoire, S. 208–211; Hegi, Jahrzeitenbücher, S. 173 f.; Mohlberg, Handschriften, S. 166, Nr. 381, S. 172 f., Nr. 396 f., S. 191 f., Nr. 442 f., S. 196 f., Nr. 451.

217 Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 399 f.

218 Vgl. oben Anm. 206.

219 Vgl. oben Anm. 209 und unten Kapitel 3.2.

220 Tüchle, Nekrolog, S. 203, hat festgestellt, dass die frühesten Einträge in den Nekrologien von Pe-tershausen und Wagenhausen weitgehend übereinstimmen. Meyer, Totenbuch, S. 95, 98, vermutet, dass sich der Schreiber des Martyrologs, der auch einzelne Ergänzungen im Nekrolog vorgenommen hat, mit dem Chronisten von Petershausen identifizieren lasse.

221 Dufour, Totenroteln; Signori, Memorialpraktiken; dies., Totenrotel.

222 Kapiteloffiziumsbuch mit Ordensregel, Lektionar, Annalen und Martyrolog-Nekrolog des Benedikti-nerklosters Sankt Gallen (um 1190), StiBSG, Cod. Sang. 453, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 462–487, MvG, S. 29–64. Vgl. hierzu Bruckner, Scriptoria, Bd. 3, S. 105 f.; Clavadetscher, Totengedächtnis, S. 396–399; Erhart/Kuratli, Bücher, S. 40–46, 319; Scarpatetti, Handschriften, Bd. 2, S. 12–18;

Scherrer, Verzeichnis, S. 148. Vgl. unten Kapitel 3.1.

nun allerdings kein eigener Kalender mehr angelegt, sondern sie wurden zusammen mit den Heiligen direkt im Martyrolog eingetragen. Auf diese Weise integrierte man die Toten buchstäblich in die Gemeinschaft der Heiligen.223 Diese Vorstellung könnte dem Totengedenken und dem damit verbundenen Stiftungswesen durchaus neue An-reize verschafft und zu dessen neuerlichem Aufschwung beigetragen haben.

Dass man mit diesen neuen Formen der Buchführung ganz gezielt und bewusst an die früheren Traditionen des Gedenkens anzuknüpfen versuchte, geht auch aus dem Verbrüderungsbuch des Klosters Reichenau hervor, wo im Verlauf des Spätmittel-alters Dutzende von Zetteln mit nekrologischen Notizen eingeklebt wurden.224 Obwohl die im Verbrüderungsbuch enthaltenen Namen aus der Frühzeit sicher schon längst nicht mehr verkündet wurden, blieben sie auf diese Weise in die liturgischen Hand-lungen der Heilsvermittlung einbezogen, während umgekehrt die aktuellen nekrolo-gischen Notizen an der Aura und Autorität des altehrwürdigen Bandes partizipierten.

Im Kloster Pfäfers nahm man zur gleichen Zeit immerhin die Namen der Äbte aus dem alten Verbrüderungsbuch und übertrug sie in ein neu angelegtes Nekrolog; weil man allerdings deren Todestage nicht kannte – im Verbrüderungsbuch waren diese ja nicht dokumentiert worden –, verteilte man die Namen einfach in regelmässigen Abständen über den ganzen Kalender.225

Gestaltung und Gesellschaftsordnung

Auch optisch griffen einige Nekrologien die Darstellung der älteren Verbrüderungsbü-cher auf, denn wie diese verfügen etwa die Exemplare von Petershausen, Fischingen und Muri/Hermetschwil über farbig verzierte Säulenbogen, die ursprünglich eben-falls dazu gedient haben mögen, die eingetragenen Personen nach ihrer Nähe zum betreffenden Kloster oder nach ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu ordnen, etwa nach Geistlichen und Laien, nach Männern und Frauen oder nach Mönchen und Konversen des eigenen Klosters sowie auswärtigen Geistlichen und Laien.226 Ausdrücklich vorgeschrieben wurde ein solches Ordnungsmuster im Nekrolog von Marcigny beziehungsweise Münchenwiler, das über eine breite Haupt-spalte für die cluniazensischen Mönche und Nonnen («monachi nostrae

223 Neiske, Funktion, S. 116; Rappmann/Zettler, Mönchsgemeinschaft, S. 511. Zur Zusammenführung von Martyrolog und Nekrolog vgl. Lemaître, Répertoire, Bd. 1, S. 40; ders., Livre vivant, S. 92 f.

224 Nekrologische Notizen auf Zetteln (14./15. Jh.), eingeklebt im Verbrüderungsbuch des Benediktiner-klosters Reichenau (9. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. hist. 27. Vgl. hierzu Mohlberg, Handschriften, S. 257, Nr. 565.

225 Jahrzeitbuch des Benediktinerklosters Pfäfers (14. Jh.), StiASG, Cod. Fab. 114, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 646–648. Vgl. hierzu Henggeler, Äbte-Katalog, S. 61–63; Perret, Reihenfolge, S. 268 f.

226 Vgl. hierzu Lemaître, Répertoire, Bd. 1, S. 21; Neiske, Ordnung, S. 130–133. Ein Nekrolog mit der-artiger Gestaltung enthält das Kapiteloffiziumsbuch des Benediktinerklosters Michelsberg in Bam-berg, ed. in MGH Libri mem. N. S., Bd. 6. Aus Frankreich sind keine entsprechenden Dokumente bekannt, vgl. Lemaître, Liber capituli, 647.

nis») sowie über eine schmalere Randspalte für alle übrigen zugewandten Personen verfügte («aliorum familiarum nostrorum»).227

Einem ähnlichen, aber noch stärker untergliederten Ordnungssystem folgte das Ne-kro log von Petershausen, über dessen Doppelseiten sich vier Säulenbogen erstreckten, die mit Pflanzen und Tieren, mit Personen aus verschiedenen Ständen und Völkern oder sogar mit dämonischen Fratzen verziert waren. Hier wurden die Äbte und Mön-che des eigenen Klosters am ehesten in der ersten Spalte eingetragen, die Laienbrüder in der zweiten, Geistliche aus anderen Institutionen in der dritten und in der vierten Laien sowie Frauen geistlichen und weltlichen Standes.228 Tatsächlich ist über dem Doppelbogen auf der ersten Seite ein Mönch gezeichnet, der mit beiden Händen auf die erste Spalte deutet, während über dem gegenüberliegenden Doppelbogen eine Frau weltlichen Standes auf die vierte Spalte zeigt, wo gleich die Stiftung eines weltlichen Wohltäters und seiner Gattin eingetragen war.229 Die Gesichter auf den folgenden Sei-ten lassen sich dann allerdings nicht mehr so eindeutig zuweisen.

Fast gleich gestaltet ist das Nekrolog im Kapiteloffiziumsbuch des Klosters Fischin-gen, das von Petershausen aus gegründet worden war und ganz offensichtlich dessen Art der Buchführung adaptierte. Auch hier verfügt nämlich jede Doppelseite über vier Säulenbogen, die mit Menschen und Fabelwesen, aber auch mit Türmchen verziert sind. Die erste Spalte war wohl ebenfalls für die Angehörigen des eigenen Konvents bestimmt, die zweite für Laienbrüder oder Geistliche aus anderen Institutionen, die dritte für Nonnen und Laienschwestern sowie die vierte für männliche und weibliche Laien. Diese Reihenfolge wurde jedoch kaum je konsequent eingehalten, zumal der schmale Raum zwischen den Säulen schnell zu knapp wurde und man die Namen fortan einfach dort eintrug, wo sich noch Platz fand.230

Zumindest erahnen lässt sich ein solches Ordnungsschema auch im ungefähr gleich-zeitig erstellten Nekrolog von Muri/Hermetschwil. Darin verfügt jede Seite über drei farbig verzierte Säulenbogen, die möglicherweise – da die Linien bei einigen der frühesten Einträge unterbrochen sind – erst ausgeführt wurden, nachdem die ersten Namen bereits eingetragen worden waren. Hier scheinen die Mönche und Nonnen aus dem eigenen Kloster tendenziell in der ersten oder zweiten Spalte, Geistliche aus anderen Institutionen in der zweiten oder dritten und Laien eher in der dritten Spalte oder sogar ausserhalb der Säulenbogen ganz am Rand eingetragen worden zu sein.231

227 Vgl. oben Anm. 206. Einer ähnlichen Aufteilung folgte das Nekrolog des Klosters Diessen, vgl.

Borgolte, Stiftergedenken, S. 248.

228 Meyer, Fischingen, S. 52; ders., Totenbuch, S. 142, mit Anm. 288.

229 Nekrolog des Benediktinerklosters Petershausen (nach 1159), Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Sal. IX 42, Bl. 4 r–v, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 665 («Hic Wolfirat et eius uxor Gotistiu, que infra habetur, fundaverunt capellam s. Johannis baptiste in cymiterio et dederunt Udilshusin et Judintunberch»).

230 Meyer, Fischingen, S. 52 f.

231 Vgl. hierzu Bretscher-Gisiger/Gamper, Katalog Muri, S. 83; Bretscher-Gisiger/Sieber, Acta Murensia,

Der gesellschaftlichen Zuordnung dienten ausserdem Abkürzungen wie l. für Laien, c. für Konversen und m. n. c. für «monachus» oder «monacha nostrae congregatio-nis», das heisst für Mönche und Nonnen des eigenen Klosters.

Die Gestaltung in den genannten Nekrologien entsprach somit genau den Vorstel-lungen von gesellschaftlicher Ordnung, wie sie sich aus der Sicht der betreffenden Klöster präsentierte: Während sich die Geistlichen der eigenen Gemeinschaft auf der – aus dem Buch heraus betrachtet – rechten Seite befanden, die in der mittelalter-lichen Ikonographie als Gott zugewandt galt, waren die Laien weiter von der Heilig-keit und dem Himmelreich entfernt, ja sie standen – wie im Fall des Nekrologs von Muri/Hermetschwil – mitunter sogar ausserhalb des dargestellten Sakralraums. Die verzierten Säulenbogen lassen sich folglich geradezu als Abbild der Tore des himm-lischen Jerusalems verstehen, von denen es in der Bibel sogar heisst, dass nur die-jenigen eingelassen werden, die im Buch des Lebens stehen (Offb 21, 27).232 Wie nicht zuletzt aus den Nekrologien hervorgeht, handelte es sich bei vielen der genannten Institutionen ursprünglich um Doppelklöster mit männlichen und weib-lichen Angehörigen. Da sich aus diesen Klöstern meist nur ein einziges Nekrolog und nicht etwa je ein eigenes für den Männer- und den Frauenkonvent erhalten hat, muss davon ausgegangen werden, dass das Totengedenken im gemeinsamen Kapiteloffi-zium stattgefunden hat oder dass für die Ausübung des Gedenkens sogar besonders die weiblichen Konventsangehörigen zuständig waren.233 Dies würde nämlich erklä-ren, warum das kunstvoll ausgestaltete Nekrolog im Kapiteloffiziumsbuch von Muri später am Sitz des Frauenkonvents in Hermetschwil weitergeführt wurde. Das älteste erhaltene Exemplar des Doppelklosters Engelberg wurde 1345 sogar ausdrücklich auf Verlangen der Meisterin Adelheid von Heidegg hergestellt; geschrieben wurde es allerdings von einem männlichen Vertreter des Klosters, nämlich dem Prior Ru-dolf von Schönenwerd, fortgeführt unter anderem vom Abt Walter Mirer und dem Prior Johannes von Bolsenheim, aber offenbar auch vom Luzerner Stadtschreiber Johannes Fricker.234

S. 289, die davon ausgehen, dass unter der ersten Arkade anfänglich Mönche und wichtige Adlige, unter der zweiten Brüder und Schwester des Klosters beziehungsweise des Ordens und unter der dritten Laien verzeichnet worden seien.

232 Neiske, Ordnung, S. 131.

233 Gilomen-Schenkel, Engelberg, S. 124–127; dies., Art. «Frühes Mönchtum», in: HS, Bd. 3/1, S. 75–78.

Pfaff, Nonnen, S. 61, stellt am Beispiel des Engelberger Konvents fest, dass die meisten Stiftungen direkt an den Frauenkonvent gerichtet waren. Das Gleiche dürfte für das Franziskaner- und Klaris-senkloster Königsfelden gelten. In der neueren Forschung wird die Bedeutung von Frauen bei der Ausübung des Totengedenkens besonders betont, vgl. unten Anm. 253.

234 Nekrolog und Jahrzeitbuch des Benediktinerinnenklosters Engelberg (1345), KlB, Ms. 26, Bl. 53 r, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 363–382, Gfr 26, S. 246 («Scriptus est iste liber a fratre Rudolfo de Schönenwert ad petitionem sororis Adelheidis de Heidegge magistrae conventus dominarum anno domini mcccxlv»). Vgl. hierzu Bruckner, Scriptoria, Bd. 8, S. 68; Gilomen-Schenkel, Engelberg, S. 124–127; Kegel, Monasterium, S. 187, mit Anm. 30; Pfaff, Nonnen, S. 61 f., 161 f., 181 f., 188 f.,

Offizielle und «private» Aufzeichnungen

Etwas verhaltener als die herkömmlichen Benediktinerklöster adaptierten auch an-dere Ordensgemeinschaften die neue Form der Buchführung. Bei den Zisterzien-sern hatte das Generalkapitel zwar verschiedentlich beschlossen, vom individuellen Gedenken abzusehen und stattdessen kollektive Gedenkfeiern für Bischöfe, Äbte, Mönche und Wohltäter zu veranstalten.235 Entgegen diesen Bestimmungen scheinen die einzelnen Ordensniederlassungen aber durchaus bereit und gewillt gewesen zu sein, Stiftungen für das Seelenheil entgegenzunehmen und den Stiftern dafür indivi-duelle Gedenkfeiern zu gewähren.236 Dies belegen nicht zuletzt die erhaltenen Ne-krologien aus zisterziensischen Klöstern. So erstellte vermutlich der Kantor Johannes von Strassburg um 1256 für das Zisterzienserkloster Wettingen ein Brevier mit Mar-tyrolog und Kalendar, in das die Jahrzeiten von einigen hohen Würdenträgern und Wohltätern eingetragen wurden. Zusätzlich enthielt das Buch einen chronikalischen Bericht über die Gründung und Ausstattung des Klosters, in dem sich das Andenken an den adligen Stifter Heinrich von Rapperswil genannt Wandelber mit einer kurzen Aufzählung der von ihm gestifteten Güter verband.237 Parallel dazu erstellte der glei-che Schreiber ein erstes Urbar.238

Kurz darauf legte sich auch das Zisterzienserinnenkloster Selnau ein Kapiteloffizi-umsbuch mit Ordensregel, Martyrolog und Nekrolog zu.239 Erst im 15. Jahrhundert verfügten hingegen die Zisterzienserinnenklöster Feldbach und La Fille-Dieu bei Romont über entsprechende Bücher. Auch in diesen Fällen hatten zwar die Kon-ventsvorsteherinnen die Herstellung der Bücher in Auftrag gegeben; geschrieben wurden sie aber wiederum von männlichen Geistlichen, nämlich im Fall von

Feld-214. Dem Frauenkonvent diente auch das zweite erhaltene Nekrolog und Jahrzeitbuch des Klosters (um 1460), KlB, Cod. 10.

235 Vgl. hierzu Neiske, Generalkapitel; Wollasch, Neue Quellen; ferner Lemaître, Répertoire, Bd. 1, S. 24; Schmid/Wollasch, Societas et Fraternitas, S. 31; ders., Verbrüderung, S. 229 f.; ders., Toten-gedenken, S. 166.

236 Vgl. hierzu Neiske, Generalkapitel, S. 283; speziell zur Bodenseeregion Clavadetscher, Toten-gedächtnis, S. 395, 401 f.

237 Brevier mit Chronik, Martyrolog und Kalendar mit nekrologischen Notizen des Zisterzienserklosters Wettingen (um 1256), KBAG, MsWettQ 3, ed. in MGH Necr., Bd. 1, S. 588–600. Die Chronik ist ed.

in MGH SS 15/2, S. 1285 f. Vgl. hierzu Bretscher-Gisiger/Gamper, Katalog Wettingen, S. 165–167;

Bruckner, Scriptoria, Bd. 7, S. 105 f., 114.

238 Kleines Urbar des Zisterzienserklosters Wettingen (um 1248), StAAG, AA/3115. Vgl. hierzu Bret-scher-Gisiger/Gamper, Katalog Wettingen, S. 74–76; Bruckner, Scriptoria, Bd. 7, S. 99–114; Meyer, Zeugniss, S. 47–52.

239 Kapiteloffiziumsbuch mit Ordensregel, Martyrolog und Nekrolog des Zisterzienserinnenklosters Selnau (13./14. Jh.), ZBZH, Ms. Rh. 173. Vgl. hierzu Hegi, Jahrzeitenbücher, S. 187–193; Mohlberg, Handschriften, S. 248, Nr. 545. Aus dem Kloster Selnau stammt ausserdem vielleicht ein Psalter mit nekrologischen Notizen (14. Jh.), KlA Muri-Sarnen, Cod. membr. 40. Vgl. hierzu Bretscher-Gisiger/

Gamper, Katalog, S. 209 f.; Bruckner, Scriptoria, Bd. 7, S. 47.

bach vom Beichtvater Nikolaus Kämerli aus dem Kloster Salem,240 in La Fille-Dieu

bach vom Beichtvater Nikolaus Kämerli aus dem Kloster Salem,240 in La Fille-Dieu

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