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Musiksammlungen und Musikbibliotheken

2 Übersicht über die Kataloge der Universitätsbibliothek

3.2 Musiksammlungen und Musikbibliotheken

Jahrhunderte hindurch bildeten fast ausschließlich handschriftliche Aufzeichnungen und gedrucktes Schrifttum das Sammelgut der Bibliotheken. Musikhandschriften und Musikdrucke kamen allmählich hinzu; sie wurden erst durch die öffentlichen Biblio-theken des 20. Jahrhunderts zum legitimen Bibliotheksgut.

Die historische Wurzel des Musiksammelns ist der Sammelcodex. Dieser im gesamten Mittelalter vorherrschende Buchtyp birgt sozusagen eine ganze Bibliothek in sich.

Musikalische Codices mit einem Repertoire von mehr als 300 Stücken sind keine Sel-tenheit; so beherbergt die Sammlung mittelalterlicher Neumenhandschriften des Klos-ters St. Gallen nur 20 Codices und die der Stimmbuch-Handschriften des Jobst Schal-reuter in der Ratsschulbibliothek Zwickau 140. Was die Vielschichtigkeit ihres Inhalts betrifft, gleichen diese Codices ganzen Musikaliensammlungen und vereinen häufig unterschiedliches Material, vom Choral bis zur höfischen Gebrauchsmusik. Im Ge-gensatz zu ihren handlicheren Nachfahren waren die mittelalterlichen Sammelcodices weniger Medien des täglichen Gebrauchs. Sie dienten größtenteils rein archivarischem Zweck und wurden dementsprechend meist in Bibliotheken verwahrt und von Kanto-ren und Kapellmeistern betreut.

Von Bibliotheken wurden Musikalien anfangs kaum gekauft und selten gesammelt.

Musikalien wurden grundsätzlich stets dort aufbewahrt, wo sie auch tatsächlich ge-braucht wurden, d. h. wo musiziert wurde, nämlich in den Kirchen im Chor und auf der Orgelempore, im Theater, in den Schulen und in Proberäumen, die Militärmusik in den Kasernen, die handschriftlichen Noten in der Privatsammlung des Komponisten selbst. Dieser Sonderbestand wurde wie bei den Codices nicht von gelernten Biblio-thekaren, sondern von Musikern verwaltet, die auch Kopien anfertigten und für die Beschaffung sorgten. Diese Praxis kam den Sammlungen nicht zugute, denn bedauer-licherweise wurde das nicht mehr gebrauchte Notenmaterial vernachlässigt oder gar vernichtet; bestenfalls wurden eigene Musikarchive angelegt, die nur in vagem oder gar keinem Zusammenhang zu einer Bibliothek standen.

Gleichwohl sind die historischen Fragen zum Sammeln von Musikalien die gleichen wie die von nichtmusikalischem Schrifttum, was daran liegen mag, daß Schrifttum wie auch Musikkultur Begriff einer oft identischen Trägerschaft waren und sind. Zu nennen sind hier kirchliche Institutionen mit Klöstern und Kathedralen, Herrscher- und Adelshöfe, Privatsammler, Universitäten und Musikschulen sowie staatliche Insti-tutionen, schließlich kommerzielle Leihbibliotheken und Verlagsarchive. Hinzu kommen als besondere musikbezogene Spezies die Archive von Orchestern, Bühnen und Rundfunkanstalten sowie die Militärmusikformationen.

Die im Mittelalter tragende Rolle der Kirche im Musik- und Bildungswesen ließ deren einstigen, überwiegend klösterlichen Archiven zu jener Zeit eine herausragende Stel-lung zukommen. Sie bewahrten im späteren Verlauf nicht nur rein religiöses Musik-material, sondern im Nachhinein auch umfangreiche Bestände an weltlicher Kammer- und Orchestermusik wie an musikdramatischen Werken des 18. und 19. Jahrhunderts.

Dies ist durch eine enge Verbindung zu den Meistern der Zeit und der höfischen Mu-sikkultur belegt. Aus der Vielzahl der alten kirchlichen Musikarchive sind nur wenige bis in unsere Zeit erhalten geblieben. Durch Brand, Enteignung, Klosteraufhebung durch Reformation, Revolution und Säkularisation wurde vieles zerstreut, in manchen Fällen wurden die Bestände in staatliche und kommunale Bibliotheken übernommen.

Heute befassen sich kirchliche Archive, außer mit der Bewahrung des historischen Bestandes, mit Sicherung und Erschließung von verstreutem und in kirchenmusikali-schem Alltag nicht mehr in Gebrauch stehendem Musikgut.

Musik als Teil der höfischen Kultur und als Mittel der Repräsentation führte ab dem 15. Jh., mitgetragen vom Mäzenatentum im Geiste der Renaissance, zu wachsenden

Notenbeständen an den Adelshöfen. Die Sammelgunst der Renaissancefürsten ließ neben Schatzkammern, Kunstgalerien und Bibliotheken auch Musikalienarchive ent-stehen, für die teilweise komplette Privatsammlungen erworben wurden.

Das dynamische Musikleben an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts, an denen öfters bedeutende Meister wirkten – etwa Georg Friedrich Händel am Hofe Carnar-vons in Chandos und Joseph Haydn am Hofe Esterházys in Eisenstadt – und deren Fürsten selbst musizierten, führte zu einem Musikbedarf, wodurch, entsprechend der individuellen Geschmacksrichtungen der Hofhaltenden, umfangreiche, bedeutende und geschlossene Musiksammlungen entstanden. Mit schwindender Bedeutung der aristokratischen Hofkultur im 19. Jh. wird auch das Zentrum des Musikwesens in den öffentlich-bürgerlichen Bereich verlegt. Früher oder später gelangten die Hofmusikbe-stände in die Landes- oder Nationalbibliotheken – selten blieben sie beim Adel selbst.

Unzählige Bestände wurden wegen sinkender Finanzkraft verkauft oder auch wegen fehlenden Interesses der Besitzer verstreut.

Die ab dem 16. Jh. aufstrebende bürgerliche Kultur und Finanzkraft, insbesondere der großen Handels- und Bankhäuser und Industrieunternehmen, ließ beachtliche private Musiksammlungen entstehen wie die bekannte Sammlung der Familie Fugger oder die des Aloys Fuchs. Seitdem zeichnet sich, bedingt durch innere wie äußere Motive, ein ausgeweitetes musiktheoretisches und historisches Interesse in der privaten Sammel-kultur ab. Durch Pfändung, Desinteresse oder Finanzeinbußen bisheriger Eigentümer wurden ab dem 17. Jh. reiche Bestände frei und gelangten über diverse Stationen, dar-unter den Antiquariatshandel in die Hände von Privatsammlern. Ebenso wie die höfi-schen Musiksammlungen gerieten auch die privaten in Landes- oder Nationalbiblio-theken. Viele davon sind Spezialsammlungen einzelner Komponisten, Stile oder Epo-chen oder spezifische Materialien wie Autographen. Dank der Privatsammler ist durch deren geplantes Vorgehen die globale Kultur des Musiksammelns entstanden.

An den frühen Universitäten, im deutschen Sprachraum seit dem 14. Jh., fand Musik als Lehrfach als ein Teil der artes liberales statt. Musiksammlungen wurden kaum oder gar nicht unterhalten, zumal es bis ins späte 18. Jh. üblich war, daß die Professo-ren ihProfesso-ren Bedarf an Unterrichtsmaterialien mittels ihrer beachtlichen Privatbibliothe-ken deckten und die Studenten ihre Texte selbst schrieben. Nach und nach kamen durch private Nachlässe und musikalische Institutionen Musiksammlungen an Univer-sitäten zustande. Erst im 20. Jh. veranlaßte die Disziplin Musikwissenschaft die Bil-dung von universitären, musikalisch ausgerichteten Sammlungen.

Die aus den ersten öffentlichen Musikschulen im 17. Jh. entstandenen Konservatorien, von denen einige heute die Stellung von nationalen Musikhochschulen mit größeren Musikbeständen haben, richten sich bei der Organisation ihrer Archive nach den je-weiligen Universitätsstatuten. Manche dieser Bibliotheken nehmen zusammen mit den staatlichen Institutionen die Funktion zentraler Sammelstellen für Musikgut ein.

In Deutschland ist es bislang nicht zur Einrichtung einer Nationalbibliothek gekom-men. Die zentralen Bibliotheken mit musikalischem Schwerpunkt sind die beiden großen Staatsbibliotheken in München und Berlin; in München liegen Musica practica und theoretica im umfassenden Bestand aus dem 16. Jh. wie in den reichen ehemali-gen Klosterbeständen und in Berlin in den Quellensammlunehemali-gen aus der Zeit von Bach bis Beethoven. An nächster Stelle stehen die Landesbibliotheken, worunter die Säch-sische Landesbibliothek in Dresden mit den Musiksammelschwerpunkten Kirchenmu-sik vom 16. bis 18. Jh. sowie Oper und InstrumentalmuKirchenmu-sik des 18. und 19. Jahrhun-derts als die bedeutendste gilt.

Mit zunehmenden Aktivitäten der freien wie städtischen Bühnen und Orchesterunter-nehmen, die ab dem 18. Jh. in Konkurrenz zu den höfischen und später staatlichen Einrichtungen traten, entstanden auch hier nach und nach Notenarchive. Ihr Aufga-bengebiet schließt, neben der Bereitstellung von Notenmaterialien zum Gebrauch, auch die von für ein Ensemble angefertigten Vorlagen oder individuellen Transkripti-onen mit ein. Diesbezüglich sind die Musikarchive von Rundfunkanstalten zu nennen.

Für Musikübertragungen werden heute noch eigene Orchester und Ensembles einge-setzt, die einen großen Bestand an Notenmaterial verschiedenster Stilrichtungen vor-weisen. Überall, wo keine eigenen Archive in größerem Umfang geführt werden, wird nicht mehr gebrauchtes Material staatlichen Bibliotheken übergeben.