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Die Göttinger Händel-Gesellschaft

6 Musik und Händel in Göttingen

6.4 Die Göttinger Händel-Gesellschaft

Nachdem Göttingen als Pflegestätte barocker Tonkunst – Johann-Sebastian-Bach-Institut und Händel-Gesellschaft – ins Blickfeld der musikalischen Welt gerückt ist, scheint es als eine lohnenswerte Aufgabe, die Entwicklung der Göttinger Händel-Opernfestspiele, wie das Ereignis anfangs hieß, seit dem Jahre 1920 bis heute festzu-halten. Diese nach dem Vorbild der seit 1784 in England durchgeführten Veranstal-tungen wurden und werden in Presse und Funk, in Publikationen sowie im Internet gewürdigt. Konnte man damals noch nicht ahnen, welche Bedeutung diese Festspiele und damit alle dazugehörigen Unterlagen einmal erlangen sollten, kann heute durch die in den Göttinger Archiven und Bibliotheken enthaltenen Händel-Sammlungen jeder dieses Musikereignis verfolgen.

Der Beitrag unter Kapitel 6.4.3 beruht auf meinem Interview mit dem Geschäftsführer der Gesellschaft, Herrn Benedikt Poensgen und auf meine Recherchen und Funde vor Ort.

6.4.1 Entwicklung der Gesellschaft

Die Universitätsstadt Göttingen und voran ihre Händel-Gesellschaft haben Weltgel-tung. Zumindest siebzigmal wurde hier Händelsche Aufführungsgeschichte geschrie-ben. Wenn von dem Weltruf Göttingens als Händel-Stadt die Rede ist, so darf der Name Oskar Hagen nicht fehlen. Im Jahre 1920, nahm der Kunsthistoriker als Grün-dungsvater der Göttinger Händel-Festspiele, hier seine musikalische Tätigkeit auf.

Ihm folgten nach dem Zweiten Weltkrieg Fritz Lehmann (bis 1956), Günther Weißen-born (bis 1980), John Eliot Gardiner (bis 1990) und seit 1991 Nicholas McGegan.

Es waren akademische Kräfte, die die Entstehung der Göttinger Händelfestspiele er-möglichten. Anfangs wurden sie vom hiesigen Universitätsbund unter Führung des damaligen Rektors der Universität, Karl Brandi (1868-1946), veranstaltet, und seit 1931 von der Göttinger Händel-Gesellschaft. Ihren Vorsitz hatte Walter Meyerhoff von 1920 bis 1976, Friedrich Riethmüller bis 1992 und seit 1993 Hans-Ludwig Schreiber. Ihm steht der Geschäftsführer der Gesellschaft, Benedikt Poensgen, zur Seite. Im Jahre 1955 trat die Göttinger der Hallenser Gesellschaft bei.

Weltweit gibt es außer der Göttinger elf weitere Händel-Gesellschaften und -Institute, etwa die Georg-Friedrich-Gesellschaft in Halle an der Saale, die Händel-Gesellschaft in Karlsruhe, die Cambridge Handel Opera Group, die Handel Society (London), die Nederlandse Händelvereinigung (Bussum), die Händel-Gesellschaft in der Tschechischen Republik sowie die American Handel Society (Maryland) und die Handel Society of Dartmouth College (New Hampshire) in den USA.118

6.4.2 Die Händel-Festspiele Göttingen

In Göttingen begann mit der Uraufführung der vergessenen Oper Rodelinda am 26.

Juni 1920 im Stadttheater die Händel-Pflege über die Grenzen der Stadt hinaus und zugleich die Wiederentdeckung von Händels Opern schlechthin. Mit diesem Stück bekamen die ersten Musiktage ihre Sensation, obwohl es damals nicht vorauszusehen war, daß daraus eine internationale, inzwischen alljährlich stattfindende Veranstal-tungsreihe werden sollte.

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118 Aus „Societies/Institutes“

Es gab allerdings auch Zeiten, in denen keine Festspiele stattfanden, so in den Jahren 1925, 1929, 1931 bis 1933 (Einzelveranstaltungen) und nicht selten in den fünfziger Jahren; danach gab es keinen Ausfall mehr. Während des Deutschen Reiches gab es eine Auseinandersetzung um die Händel-Festspiele, die letzten Endes soweit ging, daß

„eine Art Unbedenklichkeitserklärung durch die Reichsmusikkammer für den Kompo-nisten [...] abgegeben wurde“119, wonach Händels Werke – zumeist israelitische The-men behandelnd – ohne propagandistische Textänderungen gespielt werden durften.120 Auf dem Spielplan standen unter anderem Ezio, Giulio Cesare, Partenope, Il Pastor fido, Radamisto, Serse, Teseo und Tolomeo. Die Opern wurden damals in Überset-zung, gelegentlich auch mit Kürzungen, gesungen. In den Jahren, die seit der Grün-dung vergangen sind, ist in Göttingen eine Musik- und Theaterkultur aufgeblüht. All das bedürfte einer etwas breiteren Schilderung, um verständlich zu machen, wie es dazu kam, daß man in den Göttinger Opern- und Oratorienaufführungen zur Förde-rung barocker Tonkunst auch den Anschluß an das musikalische Schaffen der Gegen-wart fand und damit eine Institution schuf, die bahnbrechend war und den Namen Göttingens in der Musikgeschichte verankert hat. Der Dirigent Gardiner (*1943) stell-te hier mit den von ihm gegründestell-ten Ensembles, dem Monstell-teverdi Choir und den English Baroque Soloists, neben den Werken Händels die Tonstücke seiner Zeitge-nossen vor und gab dem Festival einen neuen Blickwinkel. Nahezu alle diese Auffüh-rungen liegen in Schallplatten- und CD-Aufnahmen vor, als Live-Mitschnitte oder als Koproduktion mit den Händel-Festspielen.

Wie bereits erwähnt, dreht sich in Göttingen einmal im Jahr alles um Georg Friedrich Händel; die Stadt ist im musikalischen Ausnahmezustand oder wie es so schön heißt:

In Göttingen „händelt“ es. Neben den musikalischen Veranstaltungen, den Konzerten und Opern stehen wissenschaftliche Symposien auf dem Programm des Händel-Festivals. Die Festspiele werden grundsätzlich Jahre im voraus geplant: Drei Jahre vorher wird z. B. abgesprochen, welches Orchester mitspielt, im zweiten Jahr wird festgelegt, was aufgeführt wird und im Jahr davor ist das Programmheft fertiggestellt.

Seit Jahrzehnten besteht eine Kooperation zwischen den Göttinger und den Hallenser, den Karlsruher und den amerikanischen (Maryland) Händel-Festspielen. Weitere Händel-Festspiele finden in Denver und natürlich in London statt.

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119 Zitiert aus Gidion, S. 561

120 Vgl. Gidion (1999), S. 561

6.4.3 Bestandsaufbau und Erschließung

Die Göttinger Händel-Gesellschaft verfügt über ein zweiteiliges Archiv. Das Notenar-chiv mit einem Bestand von rund 5.000 Musikalien befindet sich in den Räumlichkei-ten der Gesellschaft121. Das Archiv zur Geschichte der Göttinger Festspiele, mit Be-richtszeitraum 1920 bis heute wird indes im Stadtarchiv122 verwahrt. Die Musikalien-sammlung bezieht sich auf die Jahre von 1940 bis 1970. Darin befinden sich neben handschriftlichen Noten auch Klavierauszüge, Chorstimmen und die beiden Werkaus-gaben (nicht vollständig). Ferner sind Libretti und Tonträger archiviert, darunter histo-rische Aufnahmen der Göttinger Händel-Festspiele aus den Jahren 1953 bis 2000 mit ungefähr 100 Titeln. Zudem stößt man auf Briefe von Interpreten und Musikern, die in der Gesellschaft tätig waren, auf Zeitungsausschnitte und Prospekte. Dabei handelt es sich zumeist um Postkarten mit Bühnenbildern der Festspiele. Jedes Jahr gelangen diverse Dokumente ins Haus. Neben dem bibliothekarischen Bestand beherbergt die Gesellschaft Bühnenkostüme. Es ist darauf hinzuweisen, daß die Händel-Gesellschaft über keine zielgerichtete Bibliothek verfügt, die auf Vermehrung ihres Bestandes bedacht ist; sie hat eher einen musealen Sammelcharakter. Der Musikalien-bestand ist PräsenzMusikalien-bestand und nur an Orchester und Kantoreien, die für das Spielen von Händels Werken bestimmtes Notenmaterial nicht entbehren können. Der Gesamt-bestand der Gesellschaft ist in einem internen Zettelkatalog verzeichnet.

Die Aufstellung des Musikalienbestandes erfolgt nach den HWV-Nummern aus dem Händel-Werkverzeichnis und an zweiter Stelle nach Numerus currens, z. B.:

H 78 : 1 H 78 : 2

Der Buchstabe „H“ steht für „Händel-Werkverzeichnis“ und „78“ für die ihr entnom-mene Nummer. Die Ziffer nach dem Doppelpunkt ist die Zugangsnummer, die bei jeder HWV-Nummer mit 1 beginnt. Die beiden Händel-Gesamtausgaben jedoch sind anders signiert:

H 750 : 85 H 700 : II1

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121 s. Fotografien S. XXIX

122 Genaueres über diese Sammlung in Kapitel 6.5.2

Bei dem ersten Beispiel handelt es sich um den 85sten Band der Chrysanderschen Ausgabe; der zweitgenannte kennzeichnet Band 1 der zweiten Serie (Opern) der Hal-lischen Händel-Ausgabe.