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5. Diskussion

5.1 Kritik der Methode

5.1.11 Morphologie der bei PEI verlängerten Dünndarmabschnitte

5.1.11.1 Tunica mucosa

Die Untersuchungen im ersten Teil wurden auf das Jejunum fokussiert, weil das Jejunum den Hauptort für Nährstoffspaltung und Nährstoffabsorption darstellt (VANDERHOOF u. LANGNAS 1997) und vermutet wurde, dass sich hier Unterschiede in der Schichtdicke des Dünndarmgewebes am ehesten manifestieren dürften. Der Grund für die Auswahl der Schichtdicke der Tunica mucosa als entscheidende Prüfgröße war die Annahme, dass sich der Dünndarm bei Fehlen der Verdauungsenzyme des Pankreas in Form einer intestinalen Adaptation an die veränderten Milieubedingungen anpassen muss (BRISTOL u. WILLIAMSON 1988).

So wurde, wie schon in der Studie von PRYKHODKO et al. (2014) beschrieben, zunächst eine Reduzierung der Schichtdicke der Tunica mucosa bei PL-Tieren, durch den Wegfall von trophischen Faktoren aus dem Pankreassaft, erwartet. ALTMANN (1971) konnte bei laktierenden Ratten zeigen, dass eine Zunahme des Villuslänge im Dünndarmgewebe abhängig vom Abstand des betreffenden Gewebereiches zum Ausführungsgang des Pankreas ist. HANSON et al. (1977) folgerte daraus, dass die Zunahme der Länge sowie der Gesamtzellzahl in den Villi, im, nach vorgenommener Darmresektion, verbliebenen Darm durch die so hergestellte Nähe zum Ausführungsgang des Pankreas entsteht. Neben der von ALTMANN (1971) beschriebenen trophischen Wirkung des Pankreassaftes auf die Schleimhaut des Dünndarms konnten auch ADLER et al. (1987) eine signifikante Verringerung der

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Villushöhe, aber keine Änderung der Kryptentiefe im Darmepithel von Mäusen mit einer PEI zeigen. Darüber hinaus muss der trophische Einfluss von Nährstoffen auf die Schleimhaut des Dünndarms beachtet werden (TAPPENEDEN 2006). Trophisch wirksame Nährstoffe sind vor allem Fette, insbesondere flüchtige Fettsäuren und langkettige, mehrfachungesättigte Fettsäuren (TAPPENDEN 2006, GREY et al. 1984, KOLLMAN et al. 1999). Die trophischen Effekte von Pankreassaft und Nährstoffen betreffen nicht nur die zuvor angesprochenen Auswirkungen auf die Villi, sondern haben auch eine Zunahme der Kryptentiefe sowie eine Steigerung des Anteils an Proliferationsmarker-positiven Zellen zur Gesamtzellzahl in den Krypten und einer Längenzunahme des gesamten Dünndarmes zur Folge (SIGALET et al. 1990; WEALE et al. 2005).

Es zeigte sich, dass es keine Unterschiede in der Schichtdicke der Tunica mucosa zwischen den PL-Gruppen und der Kontrollgruppe gab. Im Gegenteil: Tiere der PL7 VIT Gruppe zeigten sogar eine Zunahme der Schichtdicke der Tunica mucosa im Vergleich zur Kontrollgruppe. Außerdem waren hier signifikant höhere Anteile an Proliferationsmarker-positiven Zellen zur Gesamtzellzahl in den Krypten des Jejunums der PL7 VIT und PL16 Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe nachweisbar. Diese können durch die zuvor genannten trophischen Faktoren erklärt werden. Durch das hohe Vorkommen an nichtabsorbierten Nährstoffen im Bereich des terminalen Ileums werden gleichzeitig hohe Level an GLP-2 sezerniert, was sich unter anderem in der Studie von MÖSSELER et al. (2015b) zeigte. GLP-2 ist als starker, in seiner Ausschüttung von der Nährstoffkonzentration im Darmlumen abhängiger, intestinotrophisch wirkender Faktor bekannt (DRUCKER et al. 1996, BRUBAKER et al. 1997, MARTIN et al. 2005, PARIS et al. 2004). Der genaue Wirkmechanismus ist noch nicht geklärt, es konnte aber eine Beteiligung des Wachstumsfaktors Insulin-like growth factor 1 (IGF-1) und seines Rezeptors (IGF-1R) gezeigt werden (AUSTIN et al.

2015). Die biologische Aktivität des IGF-1 wird über das IGF binding protein (IGFBP) reguliert (AUSTIN et al. 2015). IGF-1 ist als Wachstumsfaktor im gesamten Körper bekannt (OUE u. PURI 1999, STANZEL et al. 2010, AUSTIN et al. 2015) und steigert die Kryptenzellproliferation, ebenso wie die Proliferation von Zellen in der glatten Muskulatur und die Dünndarmlänge (WEALE et al. 2005, STANZEL et al. 2010, BORTVEDT u. LUND 2012, AUSTIN et al. 2015). Die Frage, warum der Anteil an Proliferationsmarker-positiven Zellen zur Gesamtzellzahl in den Krypten des Jejunums

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der PL7 Gruppe nicht ebenfalls höher im Vergleich zur Kontrollgruppe war, hängt vermutlich mit einer geringeren Futteraufnahme sowie einer geringeren Zunahme an Körpermasse und dadurch bedingten kürzeren Dünndarmlänge zusammen (s.

MÖSSELER et al. 2016a).

Fazit: Vor diesem Hintergrund lässt sich die Hypothese, dass es bei PL-Tieren zu einer Reduzierung der Schichtdicke der Tunica mucosa durch den Wegfall von trophischen Faktoren aus dem Pankreassaft kommt, nicht bestätigen. Den pankreasgangligierten Tiere fehlen zwar die trophischen Faktoren aus dem Pankreassaft im Darmlumen, aber die erhöhte Nährstofffkonzentration, in besonderem Maße Fette, im Darmlumen scheinen ebenso starke trophische Effekte auf die Schleimhaut zu haben, sodass sich keine Verringerung in der Schichtdicke der Tunica mucosa im Vergleich zu den Kontrolltieren finden lassen. Durch die höhere Nährstoffkonzentration im Bereich des Ileums und Colons werden vermutlich hohe Mengen an GLP-2 sezerniert (s.

MÖSSELER et al. 2015b), welches, mit der Beteiligung von IGF-1, die Kryptenzellproliferation in der PL7 VIT und PL16 Gruppe steigert. Berechtigterweise würde man eine Ähnlichkeit in den Ergebnissen der PL7 und der PL7 VIT Gruppe erwarten, wurden die Tiere doch zur gleichen Zeit operiert. Die Unterschiede in der Schichtdicke und der Kryptenzellproliferation der Tunica mucosa des Jejunums zwischen der PL7 VIT Gruppe und der PL7 Gruppe, liegen vermutlich in der deutlich geringeren täglichen Futteraufnahme der PL7 Gruppe, im Vergleich zur PL7 VIT Gruppe begründet. Dieser Unterschied bleibt auch bestehen, wenn die Futteraufnahme in Relation zur Körpermasse gesetzt wird (siehe Daten aus MÖSSELER et al. 2016a). Daher standen den Tieren der PL7 Gruppe weniger Ressourcen und stimulierende Nährstoffe im Darmlumen zur Verfügung, um im Darm, im Rahmen einer intestinalen Adaptation, auf die veränderten Milieubedingungen in gleicher Weise wie die Tiere der PL7 VIT Gruppe zu reagieren.

5.1.11.2 Tunica muscularis

Mit den Untersuchungen zur Schichtdicke der Tunica muscularis sollte insbesondere die Frage geklärt werden, ob die Darmelongation womöglich auf eine „Streckung“, quasi ein „Langziehen“ (geringere Masse an Darmgewebe je Meter Darm) des Darmes, beruhen könnte. Die Ergebnisse zeigten aber keine Unterschiede in der

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Schichtdicke der Tunica muscularis (für Längs- und Quermuskelschicht) zwischen den PL-Gruppen und der Kontrollgruppe. Es konnte hingegen sogar eine leichte Zunahme in der Schichtdicke der PL7 VIT Gruppe beobachtet werden. Ebenfalls konnten für die Tiere aus der PL7 und PL7 VIT Gruppe tendenziell (numerisch) höhere Werte an Proliferationsmarker-positiven Zellen in der Tunica muscularis nachgewiesen werden.

Dieser Sachverhalt lässt sich vermutlich anhand der unterschiedlichen Zeitpunkte der Operation erklären: Zum Zeitpunkt der Pankreasgangligatur der PL16 Tiere waren diese bereits 112 Tage alt. Wie in Abbildung 25 deutlich wird, ist das Längenwachstum des Dünndarmes zu dieser Zeit nahezu abgeschlossen. Hingegen waren die Tiere der PL7 und PL7 VIT Gruppe zum Zeitpunkt der Operation 49 Tage alt und befanden sich noch in einer Phase, in der der Dünndarm sich stark entwickelt. Es kann daher vermutet werden, dass sich die Zellen der Darmmuskulatur bei den Tieren, deren Pankreasgang im Alter von 49 Tagen ligiert wurde, noch in einer Phase mit einem hohen Maß an Teilungsfähigkeit befanden.

Abbildung 25: Längen des Dünndarms (x) und des Dickdarms (•) von Schweinen verschiedener Altersgruppen und die Relation (◦) zwischen Dünn- und Dickdarm (Modifiziert nach: JOHN WILEY u. SONS Ltd. Aus: Lærke & M. S. Hedemann (2012):

Digestive system of the pig)

Relation Dünndarm/Dickdarm

Länge in cm

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MCHUGH (1995) beschrieb die glatte Muskulatur als eine heterogene Population glatter Muskelzellen verschiedenen Phänotyps. Es ist bekannt, dass glatte Muskelzellen mit dem Phänotyp „α-smooth muscle isoactin positive/γ-smooth muscle isoactin negative“, die Fähigkeit zur Proliferation und Synthese verschiedener Moleküle (u.a. auch Wachstumsfaktoren) sowie extrazellulärer Matrix wiedererlangen.

Daraus folgerte MCHUGH (1995), dass die normale Entwicklung einer glatten Muskelzelle, wie in Abbildung 26 beschrieben, verläuft. Durch die Fähigkeit ausdifferenzierter glatter Muskelzellen, ihren Phänotyp in Abhängigkeit von diversen Einflüssen (Nährstoffangebot etc.) zu ändern sowie dem Vorkommen an verschiedenen Zellphänotypen in der sich entwickelnden und in der ausgereiften glatten Muskulatur, erhält die glatte Muskulatur ein hohes Maß an Plastizität (MCHUGH 1995).

Abbildung 26: Schematische Darstellung der Entwicklung glatter Muskelzellen (Die Fähigkeit ausgereifter Muskelzellen, ihren Phänotyp zu verändern, ist durch reverse Pfeile markiert; modifiziert nach MCHUGH 1995)

Es ist anzunehmen, dass die Tiere aus der PL7 und PL7 VIT Gruppe ein höheres Maß an Plastizität in der glatten Muskulatur des Darmes im Vergleich zu den Tieren der PL16 Gruppe aufwiesen, da die Operation zu einem Zeitpunkt stattfand, an dem der Darm sich noch sehr stark entwickelt. Jedoch konnte für die Tieren der PL16 Gruppe sowie für die Tieren der PL7 VIT Gruppe gleichermaßen eine Elongation des Dünndarmes über das in der Literatur beschriebene „Normalmaß“ hinaus bestimmt werden (Längenzunahme des Dünndarmes im Mittel um 6 Meter).

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Das Ergebnis, dass in der Tunica muscularis der PL7 Gruppe numerisch mehr Proliferationsmarker-positive Zellen je Gesichtsfeld, im Vergleich zu den Kontrolltieren, zu finden waren, aber es in der Schichtdicke der Tunica muscularis keinen nennenswerten Unterschied zur Kontrollgruppe gab, lässt vermuten, dass bei den Tieren der PL7 Gruppe zwar eine höhere Anzahl, aber dafür kleinere glatte Muskelzellen vorhanden waren. Es stellt sich die Frage, ob es durch die Dünndarmelongation bei den Tieren der PL7 und PL7 VIT Gruppe zu einer Hyperplasie der Tunica muscularis kam. Diese Frage kann für diese beiden Gruppen zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Jedoch kann basierend auf den Ergebnissen aus dem zweiten Teil, für die Tiere der PL16 Gruppe die Aussage getroffen werden, dass es bei einer Pankreasgangligatur in der 16. Lebenswoche wohl zu einer Hypertrophie der glatten Muskelzellen in der Tunica muscularis kommt. Die Tiere der PL16 Gruppe haben zum Zeitpunkt der Operation, wie oben bereits beschrieben, schon fast die endgültige physiologische Darmlänge erreicht, bevor es zu einer Steigerung der Dünndarmlänge über das „Normalmaß“ hinaus kommt, sodass die Teilungsfähigkeit der glatten Muskulatur geringer sein dürfte, als die der Tiere, die in der 7. Lebenswoche operiert wurden. Hierfür spricht z.B. auch die geringere Anzahl an Zellkernen je Fläche in der Tunica muscularis der Tiere aus der PL16 Gruppe im Vergleich zu den Kontrolltieren. Dies traf für die Tunica muscularis des Duodenums, Jejunums und Ileums gleichermaßen zu.

Fazit: Die Dünndarmelongation in den PL16 Tieren ist nicht auf eine erhöhte Anzahl an glatten Muskelzellen zurückzuführen, sondern auf eine Hypertrophie der glatten Muskelzellen und somit der Tunica muscularis. Ob es sich bei den Tieren der PL7 und PL7 VIT Gruppe tatsächlich um eine Hyperplasie der Tunica muscularis handelt, kann abschließend nicht geklärt werden. Es bedarf zur endgültigen Klärung weitere Untersuchungen. Die hier gezeigten Unterschiede in der Schichtdicke der Tunica muscularis der PL7 Gruppe (im Vergleich zur der PL7 VIT Gruppe) sind vermutlich Folge der reduzierten Futteraufnahme dieser Gruppe. So kann abschließend gesagt werden, dass sich die deutliche Längenzunahme des Dünndarmes in der PL7 VIT Gruppe und der PL16 Gruppe nicht in einer Reaktion der Tunica muscularis (Hyperplasie/Hypertrophie) erschöpft, sondern auch von einem erhöhten Anteil an proliferationsaktiven Zellen in den Krypten der Tunica mucosa begleitet ist, sodass es eben nicht zu einer Abnahme in der Schichtdicke der Tunica mucosa bei einer

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Längenzunahme des Dünndarmes kam. Die Frage, ob den Reaktionen der Tunica mucosa und der Tunica muscularis jeweils die gleichen Mechanismen zu Grunde liegen, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden.