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Bei den kristalloiden Infusionen bestanden zwischen den mittleren 24-Stunden-Intervall-Werten der beiden Gruppen (Abb. 9, Tab. 21) keine signifikanten Unterschiede, obwohl die Gruppe 2008 an einigen Tagen bis zu 225,1 % mehr kristalloides Volumen erhielt (Abb. 9; Tab. 21). Auch die mittlere Gesamtmenge und die mittlere Tagesmenge des Gruppendurchschnittspatienten (mittlere Tagesmenge von Tag 1–22 aller Patienten/Anzahl der Tageswerte) differierten zwischen den Gruppen nicht signifikant (Tab. 22). Die Patienten der Gruppe 2008 erhielten die kristalloide Infusion E 153, die im Vergleich zu der regelhaft in der Gruppe 2005 verwendeten Ringer-Laktat-Lösung Chlorid-restriktiver und somit physiologischer ist [53].

Die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bei der kristalloiden Infusionstherapie reichten aufgrund des geringen Volumeneffekts der Kristalloide (max. 25 % Volumeneffekt, somit erfolgt eine schnelle Umverteilung ins Interstitium) an den meisten Tagen nicht aus, um dauerhaft signifikante MAP-Differenzen zu verursachen [136; 137].

Im Vergleich zu den Kolloiden wird die fünffache Menge an kristalloiden Infusionen benötigt, um einen vergleichbaren Volumeneffekt zu erzeugen [116]. Die maximale initiale Volumenwirkung beträgt bei künstlichen Kolloiden zwischen 100 und 150 % und hält zwischen 1,5 und 8 Stunden vor. Die kristalloiden Infusionen verteilen sich dagegen innerhalb von wenigen Minuten gleichmäßig im Intravasalraum und Interstitium [85; 138].

An Tag 1 und 2 erhielt Gruppe 2008 im Mittel 1856,32 ml bzw. 1746,05 ml mehr kristalloide Infusionen als Gruppe 2005 (Tab. 21). Nur an diesen Tagen hätten die Mengendifferenzen ausgereicht, sich im MAP niederzuschlagen. Laut Aya et al. lässt eine fluid challenge mit 4 ml/kg KG, die in 5 Minuten infundiert wird, den mittleren Füllungsdruck und den MAP (um 10 mmHg) signifikant ansteigen [139]. Die Menge entspräche in Gruppe 2008 ca. 360 ml kristalloide Infusion. Die Differenz der Menge an kristalloider Infusion (Gruppe 2008 > Gruppe 2005) betrug zwar das Fünffache dieser Menge, jedoch über 24 Stunden verteilt. Trotzdem ist davon auszugehen, dass diese größere Menge in Gruppe 2008 zumindest mitverantwortlich für die signifikante MAP-Erhöhung war. Im weiteren Verlauf waren die Unterschiede in den Infusionsmengen deutlich geringer (z.T. < 700 ml pro 24 Stunden entspricht lediglich der doppelten Menge

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wie von Aya et al. beschrieben; Tab. 21), so dass diese als alleinige Ursache – ohne weitere kolloidale Infusionen – für einen signifikanten MAP-Unterschied nicht in Frage kommen.

In Gruppe 2008 erhielten alle bis auf vier Patienten kolloidale Infusionen (Gelatine-Lösungen); in Gruppe 2005 wurden lediglich bei zwei Patienten kolloidale Infusionen verabreicht (ebenfalls Gelatine-Lösungen). Dieser Unterschied war mit p < 0,001 signifikant (Tab. 23). An den Tagen, an denen beide Gruppen Gelafundin erhielten, waren die verabreichten Mengen nicht signifikant verschieden (Abb. 10; Tab. 25).

Obwohl Patienten der Gruppe 2008 im Mittel zwar etwa die 14-fache Gesamtmenge an Gelatine-Lösungen im Vergleich zu Patienten der Gruppe 2005 erhielten, war auch dieser Unterschied nicht signifikant. Lediglich die mittleren Tagesmengen des Gruppendurchschnittspatienten wiesen mit p = 0,007 signifikante Differenzen auf (Gruppe 2008 1406,08 ml vs. Gruppe 2005 250,00 ml; Tab. 24).

Die zusätzliche Gabe kolloidaler Infusionen zur kristalloiden Infusionstherapie kann einen günstigen Volumeneffekt zur Folge haben [60, 140]. Die aktuelle S3-Leitlinie

„Intravasale Volumentherapie bei Erwachsenen“ spricht eine offene Empfehlung (Empfehlungsgrad 0) für eine Gelatine-Gabe zur Stabilisierung der Hämodynamik bei kritisch kranken Patienten in der Intensivmedizin aus [14]. Dieser Empfehlung sollte bei Verbrennungspatienten nur unter Beachtung der besonderen Indikationsstellung und der Risiken eines Ödems gefolgt werden [19, 24]. Zur Minimierung der Gefahr eines Ödems besteht bei Brandverletzten die Empfehlung in den ersten 12 Stunden mit der Kolloidgabe zurückhaltend zu sein [19]. Mit der Gelatine steht beim Versagen der kristalloiden Infusionstherapie ein Mittel zur raschen Bekämpfung von kritisch hypovolämischen Kreislauflagen zur Verfügung [14, 19]. Demgegenüber empfiehlt die aktuelle Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin aufgrund fehlender aussagekräftiger Studien bezüglich der Gelatinegabe bei Verbrennungspatienten Gelatine nicht einzusetzen [13] und schließt sich der Evidenzgrad V Empfehlung der 1. Revision der S-2k Leitlinie der Deutschen Sepsis Gesellschaft an [141].

HES hat seit Oktober 2013 keine Zulassung mehr bei Verbrennungspatienten [59]. In diesem Kontext ist kritisch zu erwähnen, dass die VISEP-Studie, die maßgeblich für den Entzug der HES-Zulassung verantwortlich ist, zwar eine signifikante Zunahme der Mortalität und des akuten Nierenversagens unter HES-Therapie fand. Diese

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Komplikationen traten aber primär bei Protokollverletzung (zum Teil 700 %ige Überdosierung von HES) iatrogen auf [57; 142]. Nachfolgende Studien mit teilweiser geringerer Mortalität in der HES-Gruppe wurden wenig beachtet oder erst nach der Empfehlung des Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der European Medicines Agency (EMEA), HES nicht mehr anzuwenden, veröffentlicht [143].

In Gruppe 2008 haben bei zum Teil signifikant besserer Hämodynamik signifikant mehr Patienten kolloidale Infusionen in einer signifikant höheren Tagesdosierung erhalten als in Gruppe 2005 (Tab. 24 und 25). Die vorliegenden Daten scheinen zu bestätigen, dass die Gabe von Kolloiden die Hämodynamik stabilisieren kann.

Patienten der Gruppe 2008 erhielten im Mittel eine signifikant geringere Gesamtmenge an Humanalbumin als Patienten der Gruppe 2005 (p = 0,015; Tab. 27). Zudem wurde mit der Gabe in Gruppe 2008 signifikant später begonnen (nach 4,97 Tagen vs. nach 1,15 Tagen, p = 0,001; Tab. 27). Die Anzahl der mit Humanalbumin substituierten Patienten war dagegen zwar nicht signifikant verschieden (Tab. 26), tendenziell erhielten in Gruppe 2008 aber weniger Patienten Humanalbumin als in Gruppe 2008 (50 % vs.

68,4 %; Tab. 26). An den Tagen, an denen in beiden Gruppen Humanalbumin verabreicht wurde, waren die mittleren 24-Stunden-Intervall-Mengen nicht signifikant verschieden (Tab. 28). In der Gruppe 2008 wurde zudem an nur zehn Tagen des Beobachtungszeitraums Humanalbumin substituiert, in Gruppe 2005 an allen Tagen (Abb. 11 und Tab. 28).

Auch Humanalbumin kann ähnlich wie Gelatine laut der S3-Leitlinie bei Versagen der kristalloiden Infusionstherapie zur Unterstützung des Kreislaufs infundiert werden (Empfehlungsgrad 0) [14]. Die Rationale dabei ist, dass eine Erhöhung des kolloidosmotischen Drucks (KOD) die Hämodynamik stabilisiert [19]. Dabei sollten aber auch die Gefahren und Risiken dieser Volumenersatzmittel beachtet werden. Gelatine weist unter den künstlichen Kolloiden die geringsten Nebenwirkungen bezüglich des Gerinnungssystems auf und hat wie auch Humanalbumin praktisch keinen nephrotoxischen Effekt [144]. In einer Studie von Schortgen et al. stiegen nach der Applikation von HES die Kreatinin-Werte signifikant stärker an als bei einer Gelatine-Gabe [56]. Auch die Inzidenz von Juckreiz ist bei Gelatine deutlich geringer als bei HES [144]. Bei der Gabe von Humanalbumin sollte auf die Gefahr einer anaphylaktischen Reaktion geachtet werden [145], wobei die Inzidenz für diese Nebenwirkung lediglich 1/10.000 beträgt [146, 147]. Laut einer Studie von Rochwerg et al. zeigen septische

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Patienten eine geringere Mortalität, wenn sie mit balancierten Kristalloiden oder Humanalbumin statt mit künstlichen Kolloiden therapiert wurden [148]. Alderson et al.

zeigten dagegen, dass eine Therapie mit Humanalbumin bei Verbrennungspatienten im Vergleich zur Substitution mit Natriumchlorid-Lösung die Mortalität nicht reduziert und eine Gefährdung der Patienten nicht ausgeschlossen werden kann [149]. Die aktuelle Datenlage ist somit widersprüchlich.

Von wirtschaftlichem Interesse ist, dass 500 ml Gelatine nur etwa ein Sechstel des Preises von 50 ml Humanalbumin 20 % kosten [146]. Einen direkten Vergleich zwischen Humanalbumin und Gelatine gibt es derzeit nicht, so dass Empfehlungen auf der Basis vergleichender Studien fehlen.

Anschließend wurde die Frage untersucht, ob das veränderte Infusionsregime Auswirkungen auf den FFP-Bedarf hatte. In Gruppe 2008 erhielten 54,5 % der Patienten FFP, in Gruppe 2005 dagegen 68,4 %. Dieser Unterschied war nicht signifikant (Tab.

29). Auch die Applikationsmenge des FFP in beiden Gruppen war zwar nicht signifikant verschieden (Tab. 30), die Patienten der Gruppe 2008 erhielten aber tendenziell weniger FFPs als die Vergleichsgruppe (12,00 FFPs pro Patient vs. Gruppe 2005 13,08 FFPs pro Patient; Tab. 30). Die Gabe von Blutkomponenten wird nur bei Normovolämie empfohlen, und nicht als geeignet angesehen, diesen Zustand zu erreichen [19].

Aufgrund dieser Applikationsindikation lassen sich anhand der substituierten FFP-Mengen keine Rückschlüsse auf den Volumenstatus ziehen. Offenbar wurden aber in Gruppe 2008 die Blutprodukte tendenziell restriktiver eingesetzt, was den Vorgaben der Bundesärztekammer entspricht [150].

Auch die Katecholamin-Gabe spielt im Rahmen der intensivmedizinischen Kreislauf- und Schockversorgung eine Rolle. Bei der Beantwortung der Frage, ob sich die unter-schiedlichen Infusionsregimes auf die Menge und Dauer der Katecholamin-Therapie ausgewirkt haben, muss beachtet werden, dass beide Gruppen unterschiedliche Katecholamin-Arten erhielten, was den Vergleich erschwert. Der Fokus lag daher auf der Anzahl der Patienten mit bzw. ohne Therapie sowie auf der Katecholamin-Therapiedauer.

Laut Behandlungsempfehlungen sollte in der Gruppe 2008 bei nicht adäquatem MAP trotz ausreichender Volumengabe zur Steigerung der Inotropie und des Herzzeitvolumens (HZV) Dobutamin appliziert werden. Sollte diese Therapie nicht

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ausreichen, sollte Noradrenalin zur Erhöhung des SVR eingesetzt werden [19]. In Gruppe 2005 wurde bei gleicher Indikationsstellung statt Dobutamin Dopamin eingesetzt. Dopamin ist aufgrund seiner nicht-selektiven Wirkung nicht mehr Mittel der ersten Wahl [29]. Die Anzahl der mit Katecholamin behandelten Patienten unterschied sich in beiden Gruppen nicht signifikant (Tab. 31). Die Therapiedauer war in Gruppe 2008 zwar durchschnittlich 73,27 Stunden kürzer (Tab. 33) und der Anteil der Katecholamin-Therapiedauer an der Intensivstationsverweildauer war ebenfalls kürzer (22,5 % weniger in Gruppe 2008; Tab. 33), beides war aber dennoch nicht signifikant unterschiedlich. In beiden Gruppen kamen Arterenol und Dobutamin zum Einsatz.

Weder die Gesamtmengen noch die Mengen bezogen auf die VKOF unterscheiden sich signifikant (Tab. 32). Die Patienten der Gruppe 2008 erhielten tendenziell mehr Arterenol und mehr Dobutamin als die Patienten der Gruppe 2005. Kritisch angemerkt werden muss, dass Gruppe 2005 nach dem damals gültigen Behandlungsstandard regelhaft Dopamin erhielt, Gruppe 2008 dagegen nicht (Tab. 3) [19].

Die Analyse verdeutlicht, dass Gruppe 2008 bei einer signifikant höheren durch-schnittlichen täglichen Kolloidgabe eine im Trend kürzere Katecholamin-Therapie und eine signifikant geringere mittlere Gesamtmenge Humanalbumin als Gruppe 2005 benötigte. Dabei traten in Gruppe 2008 keine nicht zu beherrschenden Kreislauf-dysregulationen auf, vielmehr war die hämodynamische Situation zum Teil signifikant besser als in Gruppe 2005. Die Humanalbumin-Gabe in Gruppe 2008 konnte zudem signifikant später erfolgen. Gelatine besitzt unter den künstlichen Kolloiden das geringste Nebenwirkungsprofil und ist deutlich günstiger als Humanalbumin. Aufgrund der unklaren Datenlage sowie der nur offenen Empfehlung der S3-Leitlinie [14] sollte die Humanalbumin-Gabe kritisch hinterfragt und die Indikationsstellung eng gefasst werden.

Als Alternative steht die Gelatine-Lösung zur Verfügung. Doch es fehlen Studien, die bei Verbrennungspatienten einen Behandlungsvorteil nachweisen oder zumindest Schädigungen ausschließen, so dass aktuell keine leitliniengestützte Empfehlung besteht Verbrennungspatienten mit Gelatine-Lösungen zu behandeln.