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2.4 Kinetische Modelle in der mizellaren Katalyse

2.4.1 Mizellare Katalyse in einer Phase

In der Literatur zur Kinetik in der mizellaren Katalyse wird v. a. der Fall behandelt, in dem makrosko-pisch lediglich eine Phase vorliegt. Bereits in den Anfängen der mizellaren Katalyse wurde eine Ana-logie zwischen mizellkatalysierten und enzymkatalysierten Reaktionen gezogen: In beiden Fällen er-reicht die Steigerung der Reaktionsraten typischerweise einen Faktor von bis zu 1000, außerdem sind Mizellen und Enzyme von vergleichbarer Größe [85].

Aus diesem Grund wurde bereits früh der Versuch unternommen, das enzymkinetische Modell von Michaelis und Menten auf Reaktionen in Mizellen zu übertragen [131]. Dieses Modell fußt auf der Annahme, dass ein vorgelagertes Gleichgewicht zwischen Enzym und Substrat auftritt, aus dem sich erst in einem geschwindigkeitsbestimmenden Folgeschritt das Produkt der Reaktion unter Rückbil-dung des freien Enzyms bildet (vgl. AbbilRückbil-dung 2.5, links).

Abbildung 2.5: Reaktionsschema für Enzymkatalyse und mizellare Katalyse im Vergleich.

Die Geschwindigkeit der Bildung des Reaktionsprodukts wird durch Gleichung (2.4) beschrieben.

S

KM ist hier die Michaelis-Menten-Konstante, die das vorgelagerte Gleichgewicht beschreibt und ge-mäß Gleichung (2.5) definiert ist.

1 1

M k

Kk (2.5)

rmax ist eine Konstante und entspricht dem Produkt aus k2 und der Gesamtkonzentration des Enzyms

ges

cE, :

ges E, 2 max k c

r(2.6)

Dieses Modell lässt sich mit den folgenden Annahmen von der Enzymkatalyse auf die mizellare Kata-lyse übertragen [88, 131], vgl. Abbildung 2.5 (rechts):

 Das Edukt bildet keine Komplexe mit den freien Tensidmonomeren und stört die Mizellbil-dung nicht.

 Nur ein Eduktmolekül wird pro Mizelle solubilisiert.

 Die Mizellbildung tritt genau an der kritischen Mizellbildungskonzentration (CMC) ein.

 Alle Mizellen haben die mittlere Aggregationszahl N (Anzahl der Tensidmonomere pro Mizel-le).

Der Produktbildung in der Mizelle ist wie bei der Enzymkinetik ein Gleichgewicht vorgelagert, das die Verteilung von Edukt zwischen Mizelle und dem umgebenden Lösungsmittel darstellt. Die Gleichgewichtskonstante KA beschreibt somit auch die Affinität der Mizelle für das Solubilisat A und ist durch Gleichung (2.7) definiert:

A M

AM

A c c

Kc (2.7)

Zu berücksichtigen ist bei der Behandlung der mizellaren Katalyse, dass auch freies, d. h. nicht in der Mizelle solubilisiertes Edukt reagieren kann, sodass sich die Reaktionsrate aus zwei Beiträgen zu-sammensetzt (Gleichung (2.8)).

AM M A P

d

d k c k c

t

rcw  (2.8)

Unter der Annahme, dass die Konzentration an freien Mizellen M deutlich größer ist als die Konzent-ration des Mizell-Substrat-Komplexes AM (cM cAM) lässt sich aus den Gleichungen (2.7) und (2.8) ein Ausdruck für eine Geschwindigkeitskonstante kobs herleiten, der eine Beschreibung der Reaktion nach pseudo-erster Ordnung erlaubt [132]:

ges

Die Konzentration der freien Mizellen cM kann dabei näherungsweise über die gesamte Mizellkon-zentration cMiz erhalten werden, die sich aus der Gesamtkonzentration an Tensid cT, der CMC und der mittleren Aggregationszahl N errechnet:

N Konzentration des in Mizellen gebundenen Tensids cT,M anstelle der Mizellkonzentration verwendet [94, 133].

Dieses Modell wird meist als Pseudophasenmodell (PP) bezeichnet, da es von zwei abgegrenzten Reaktionsbereichen (Pseudophasen) ausgeht, dem Lösungsmittel und der Mizelle (vgl. Kapitel 2.3.1).

Nach dem Modell ist nur ein Austausch von Edukt über die Pseudophasengrenzen hinweg erlaubt, die Reaktion selbst läuft immer in einer der beiden Pseudophasen ab. Die Analogie zwischen Enzym und Mizelle, auf der dieses Modell aufbaut, ist dabei nicht unproblematisch [85]. So sind Mizellen höchst dynamische Aggregate, deren Tensidmonomere im Bereich von Milli- bzw. Mikrosekunden aus dem Verbund austreten bzw. neu eintreten, sodass sich ständig Form und Größe der Aggregate verändern.

In den Mizellen haben die Reaktanden keinen fest zugewiesenen Platz, wie das bei Enzymen der Fall ist (Schlüssel-Schloss-Prinzip), sondern können sich mehr oder weniger frei bewegen und orientieren.

Die Aufnahme in die Mizelle wird dabei durch die Solubilisierungskapazität bestimmt und nicht – wie bei den katalytischen Zentren der Enzyme – durch die Stöchiometrie der Reaktion, sodass je nach Form und Größe der Mizellen auch mehrere Eduktmoleküle in eine Mizelle aufgenommen werden.

Nichtsdestotrotz können viele mizellar-katalysierte Reaktionen in guter Näherung über dieses Modell beschrieben werden.

Ein weiterer Aspekt, bei dem der Unterschied zwischen enzymkatalysierten und mizellar-katalysierten Reaktionen augenfällig wird, ist die Hemmung oder Inhibierung von Reaktionen. Bei der Enzymkata-lyse unterscheidet man neben der irreversiblen Hemmung, bei der das Enzym z. B. durch Metallionen katalytisch deaktiviert wird, drei Formen der reversiblen Hemmung. Diese werden als kompetitive, unkompetitive bzw. nichtkompetitive Hemmung bezeichnet, je nachdem ob der Inhibitor nur an das Enzym, nur an den Enzym-Substrat-Komplex bzw. an eines der beiden bindet [134, 135]. Schematisch ist dies in Abbildung 2.6 veranschaulicht.

Aufgrund der dynamischen Struktur der Mizellen ist dieses Modell ebenfalls nicht direkt auf die mi-zellare Katalyse übertragbar. Gründe für eine Hemmung können von Wechselwirkungen von Reak-tanden und Mizelle, von Verdünnungseffekten bei einer Zunahme des Verhältnisses von Mizellkon-zentration zur KonMizellkon-zentration an Reaktanden oder von KonMizellkon-zentrationsgradienten der Reaktanden in der

Mizelle herrühren [85]. Dies erschwert die Entwicklung eines allgemeingültigen Modells zur Be-schreibung der Hemmung bei mizellar-katalytischen Reaktionen.

Abbildung 2.6: Verschiedene Formen der reversiblen Hemmung (Inhibierung) bei enzym-katalysierten Reaktionen.

Eine Besonderheit ionischer Tenside ist, dass ihre Gegenionen an der Mizelloberfläche (Stern-Schicht) zum Teil in die Lösungsmittelphase dissoziieren (vgl. Kapitel 2.3.1). Befinden sich im Reaktionssys-tem weitere Ionen, z. B. als Reaktanten, so konkurrieren diese mit den Gegenionen des Tensids um die Plätze an der Mizelloberfläche. Dies hat zu einer Weiterentwicklung des PP-Modells geführt, die als Pseudophasen-Ionenaustausch-Modell (PIE) bezeichnet wird [88, 94]. Dabei wird die Belegung der mizellaren Oberfläche mit Gegenionen (X-) bzw. reaktiven Ionen (R-) über ein vorgelagertes Gleich-gewicht ausgedrückt:

Diese Herangehensweise ist mit der Beschreibung der Oberfläche eines Ionentauschers vergleichbar.

Eine notwendige Annahme, die eine solche Beschreibung erst erlaubt, ist, dass die Belegung der Ober-fläche mit Gegenionen β bzw. der Dissoziationsgrad α nicht von der Ionenkonzentrationen, der Art der Ionen und der Tensidkonzentration abhängt [88]. Zwar erlaubt dieses Modell in vielen Fällen eine physikalisch plausiblere Beschreibung der Vorgänge an der Mizelloberfläche, allerdings liefert es dennoch häufig kein kinetisches Modell, das der Beschreibung nach dem PP-Modell überlegen ist.

Zudem treten wegen der zusätzlichen Parameter bei der Modellierung numerische Instabilitäten auf [88].

Neben dem PP-Modell und dem PIE-Modell, den beiden meistverwendeten Ansätzen in der mizella-ren Katalyse, existiemizella-ren noch weitere Modelle, wie das Modell nach der Poisson-Boltzmann-Gleichung (PBE) oder das Massenwirkungsmodell. Für Details zu diesen Ansätzen sei an dieser Stelle auf die weiterführende Literatur verwiesen [88, 94].

S + E ES P