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2.2 Medizinische Grundlagen

2.2.2 Medizinische Versorgung und Behandlungstechnologien

Obwohl koronare Herzkrankheiten zu den häufigsten Todesursachen gehören, ist dennoch seit 1980 der Mortalitätstrend in fast allen Industriestaaten rückläufig (OECD Health Data 2007). In Deutschland ist die alterstandardisierte Mortalitätsrate bei akutem Myokardinfarkt von 127,6 pro 100.000 Einwohnern bei Männern bzw. 48 pro 100.000 Einwohnern bei Frauen im Jahre 1990 um 44% bei Männern bzw. um ca. 33% bei Frauen im Jahr 2002 gesunken (GBE 2006c).

Zwei Ursachen werden für diese Mortalitätsentwicklung vermutet: zum einen die tatsächliche Änderung des Erkrankungsrisikos, z. B. durch die primäre Prävention, die zur Senkung der Inzidenzraten führt, und zum anderen Fortschritte in der Akut- sowie Intensivtherapie, die eine Rückgang der Letalität zur Folge haben (Löwel et al. 1999, Löwel et al. 2002, Keil 2005). So konnte z. B. anhand der weltweiten MONICA-Studie (mit Daten aus 37 Bevölkerungsstudien in 21 Ländern aus 4 Kontinenten) gezeigt werden, dass weltweit, wie auch in Deutschland, einer von drei Myokardinfarkt-Fällen bzw. zwei von drei KHK-Todesfällen vor dem Erreichen des Krankenhauses verstarben. Weiter zeigte sich, dass bei sicherer Krankenhausdiagnose des Myokardinfarkts bzw. des akuten koronaren Syndroms die Letalität sich erheblich verbesserte und auf 15% sinken konnte

(Löwel et al. 1999). Aus der MONICA-Studie zog das MONICA/KORA Herzinfarktregister den Schluss, dass die Überlebenschance primär ein Problem der medizinischen Notfall-versorgung darstellt, die es durch eine moderne medizinische NotfallNotfall-versorgung zu verbessern gilt (Löwel et al. 1999).

In der Tat haben sich in den letzten Jahrzehnten weltweit durch den Einsatz innovativer Technologien, sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie, enorme Veränderungen in der medizinischen Versorgung des Herzinfarkts in der Akut- und Postakutphase ergeben (Löwel et al. 1999, Tech Network 2001, Keil 2005). Dabei gibt es Unterschiede sowohl bei der zeitlichen Einführung als auch bei den Anwendungsraten von Behandlungstechnologien (McClellan und Kessler 1999, Tech Network 2001). Bei der Diagnostik des Myokardinfarkts werden als Standards der laborchemische Troponin T-Test und das invasive Verfahren der Koronarangiographie angewandt (Katus 2006). Die Typologisierung von Myokardinfarkten orientiert sich an Befunden aus den unterschiedlichen Diagnostiken (z.B. Lokalisation, Morphologie, Schweregrad, Stabilität, Enzymnachweis). Die medizinisch versorgungsrelevante, gängige Klassifikation des Myokardinfarkts basiert auf der Segment-Hebung (ST-Streckenhebung), wobei zwischen ST-Hebung Myokardinfarkt, auch STEMI (Segment Elevation Myocardial Infarction) genannt, und Nicht-ST-Hebung Myokardinfarkt, auch NSTEMI (Non Segment Elevation Myocardial Infarction) genannt, unterschieden wird (Katus 2006). Diese Unterteilung wird häufig in Studien zur ökonomischen Evaluation der Behandlungstechnologien vom Myokardinfarkt bei der Auswahl der Studienpopulation zugrunde gelegt. Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit von Patienten mit Myokardinfarkt bei der Kostenanalyse ist die Klassifikation anhand diagnosebasierter Fallgruppen, die sog. Diagnosis Related Groups (DRG). Demnach werden die Herzinfarktfälle üblicherweise in unkomplizierte und in komplizierte DRGs eingeteilt.

Zur Behandlung von akutem Myokardinfarkt (AMI) werden unterschiedliche therapeutische Methoden eingesetzt: medikamentöse oder mechanische (Katus 2006).

Die wichtigste interventionelle therapeutische Methode bei stenosierten Gefäßen ist die sogenannte Gefäßrevaskularisation (auch als perkutane koronare Intervention bezeichnet:

„percutaneous coronary intervention - PCI“ HTA–Bericht 2008, Katus 2006). Darunter fallen die Ballondilatation (mit allerdings hoher Restenoserate) und die perkutane

transluminale koronare Angioplastie („percutaneous transluminal coronar angioplasty“, PTCA) und die Implantation einer kleinen Gefäßstütze, Stent genannt. Dabei kommen zwei Grundtypen von Stents zum Einsatz: die unbeschichteten metallischen Stents („bare-metal stent“, BMS) und der Einsatz von medikamentenbeschichteten Stents (drug-eluting stents, DES). Dadurch soll die Restenoserate gesenkt und bessere klinische Ergebnisse erzielt werden (HTA-Bericht 2008). Ein weiteres mechanisches Verfahren, welches bei der Versorgung von akutem Myokarinfarkt eingesetzt wird, ist die aroto-koronare Venenbypass-Operation. Bei medikamentösen Therapien ist zum einen die Thrombolyse (Medikamente zur Auflösung von Blutgerinnseln) zu nennen. Die Thrombolysetherapie spielte in den 80er bis Mitte der 90er Jahre eine zunehmend starke Rolle, verlor aber ab Ende der 90er Jahre zugunsten von invasiven Therapien an Bedeutung (z.B. von 13,5% Patientenanteil 1985/1987 auf 41% 1996/1998 in MONICA/KORA Herzinfarkt-Population, GBE 2006c) und stellt heute eine Ersatzstrategie dar (Katus 2006). Zum anderen wird bei einem beachtlichen Anteil von Myokardinfarkt-Patienten die alleinige Pharmakotherapie mit Betablockern, ACE-Hemmern, Aspirin und anderen angewandt (Löwel et al. 2002).

Bei der Technologienutzung zur Versorgung von akutem Myokardinfarkt zeigen sich im Ländervergleich zum Teil erhebliche Unterschiede auch unter Industrieländern. Daran knüpft sich die Frage nach den Bedingungen und Anreizen zur Nutzung und Verbreitung von Behandlungstechnologien sowie deren Outcomes an. Diese Frage wurde auch vom oben bereits genannten internationalen Forschungsnetzwerk -TECH - untersucht (vgl.

Anhang 1). Im Rahmen dieser Studie wurden für die stationären Behandlungsfälle von Myokardinfarkt die Raten zur Anwendung bestimmter Prozeduren – wie Herzkatheteruntersuchungen [CATH], Aorto Coronare Bypass-Operationen (ACVB), Ballondilatation (Percutane Transluminale Coronare Angioplastie – PTCA) und Stentimplantation (STENT) – sowie die Raten zur stationären Anwendung bestimmter medikamentöser Therapien für die 17 teilnehmenden Ländern (inkl. Deutschland) vergleichend auf der Basis von Daten für 15/17 Jahre zwischen 1985 und 1999/2001 ermittelt.

Die Ergebnisse der Tech-Studie (McLellan und Kessler 1999, Tech Network 2001, Bech et al. 2006, TECH Deutschland-Gruppe 2008) zeigen, dass im Beobachtungszeitraum die Anwendungsraten in allen teilnehmenden Ländern, wenngleich unterschiedlich stark, stetig gestiegen waren, wobei sich die Anwendungshäufigkeit in Deutschland insgesamt auf sehr hohem Niveau bewegte. Für PTCA bei akuter Myokardinfarktbehandlung z. B. lag Deutschland mit 30% an dritter Stelle hinter Japan und Israel. Es wurde eine Korrelation zwischen Nutzungsintensität von Behandlungstechnologien des Myokardinfarkts und Bruttoinlandsprodukt (BIP) festgestellt.

Länder mit hohem Sozialprodukt (BIP) pro Kopf und hohen Ausgaben für die Gesundheit (gemessen am BIP) nahmen kostenintensive Technologien, wie PTCA, deutlich schneller an. Die anderen Länder zogen allerdings im Zeitverlauf nach. Unterschiede wurden – neben Ähnlichkeiten – auch bei der Anwendung der medikamentösen Therapie festgestellt. Es bestand eine Korrelation zwischen der Nutzung der Thrombolysetherapie und der invasiven Therapien. In allen Ländern war zu beobachten, dass mit der Zunahme der invasiven Therapien die Anwendungsraten von Thrombolytika zurückgingen. Dabei bestanden Unterschiede in der Nutzung von Präparaten. . Während in USA die Nutzung von kostspieligen tissue plasmogen activator (tPA) verbreitet war, dominierte in Canada und vielen europäischen Länder die Anwendung von Streptokinase (Tech Network 2001).

Die PTCA-Anwendungsrate in Deutschland ist weiter gestiegen und lag z.B. im Jahr 2003 bei 60%, wobei 82% von PTCA-Fällen ein Stent implantiert wurde (Löwel et al. 2006).