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Lohn der Verantwortung

Im Dokument Unterhaltungsmusik im Dritten Reich (Seite 169-173)

3. Programme, Institutionen und Positionen

3.2 Der Weg zur Gründung der RMK aus Sicht der Unterhaltungsmusiker- Unterhaltungsmusiker-schaft im Spiegel des „Artist“

3.3.2 Lohn der Verantwortung

Die Verantwortung des Unterhaltungsmusikers in „kulturpolitischer“ Hinsicht, sein Wirken für eine „kulturelle Gesundung“ und „kulturelle Sauberkeit“, diesen Aspekt griff Arthur von Gizycki unter Bezug auf Peter Raabe Buch „Musik im drit-ten [!] Reich“ auf.186 Er verband jene hier seitens der Politik zugewiesene Ver-antwortung mit der Neubewertung von „Wert und Würde“ des einzelnen

183 Kurd Hennicke: Der Ensemblemusiker und sein Publikum, unter besonderer Berücksichtigung unserer kleinen Kaffeehauskapellen, in: Der Artist Nr. 2606 vom 27.11.1935, S.1345f.

184 Georg Bleicher: Zum Thema: Das Kaffeehaus als musikalische Erziehungsstätte, in: Der Artist Nr.2610 vom 28.12.1935, S.1475f.

185 Erko: Wege zur Niveauhebung der deutschen Unterhaltungsmusik, in: Der Artist Nr.2611 vom 09.01.1936, S.8

186 Arthur von Gizycki-Arkadjew: Von der Kultur im deutschen Musikerleben, in: Der Artist Nr.2607 vom 05.12.1935, S.1367f.

semblemusikers, dem es nun endlich gelungen sei, „die Fesseln eines gewissen Sklavenbewusstseins“ abzustreifen. Die Verpflichtung des Unterhaltungsmusikers zur „Selbsterziehung“ im Sinne einer kulturpolitischen Mission war hier bereits klar verknüpft mit dem Versprechen einer neuen selbstbewussten Gleichberech-tigung „mit jedem deutschen kulturellen Kämpfer“. Genau an diesem Punkte soll-te nun Fritz Ssoll-tege mit äußerssoll-ter Präzision den Hebel ansetzen. Als er Mitsoll-te Janu-ar 1936 mit einem ersten LeitJanu-artikel über die „Stiefkinder“ des Musiklebens im

„Artist“ debütierte, durfte er sich dem Beifall eines ganzen Berufsstandes sicher sein.187 Viele hatten bereits Klage gegen die schlimme soziale Lage der Unterhal-tungsmusikerschaft, ihr seit 1918 andauerndes „Martyrium“,188 ihre schlechten Arbeitsbedingungen und ihre Stellung im gesellschaftlichen Abseits geführt. Doch niemand zuvor hatte die Lösung jener Probleme in einer solchen Eindeutigkeit mit dem Aufstieg der nationalsozialistischen Weltanschauung verknüpft. Stege versprach mehr als Tarifordnungen, freie Tage und Schutz vor Konkurrenten, er versprach die zukünftige Anerkennung der „Handwerker“ unter den Musikern „als vollwertige Glieder völkischer Musikkultur“ und die gleichberechtigte Anerken-nung ihrer „einst missachteten Musikform“: „Wir sind davon überzeugt, dass sie [die Unterhaltungsmusik] im Gesamtbereich unserer Kultur eine nicht minder wichtige Aufgabe zu erfüllen hat, als die ernste Musik.“ Stege war als Musikkriti-ker, Komponist, früher Parteigenosse und frisch gebackener Pressereferent der RMK189 prädestiniert für die zweifache Aufgabe, einerseits den Nationalsozialis-mus für die Pflege der UnterhaltungsNationalsozialis-musik zu gewinnen und andererseits die Un-terhaltungsmusiker für den Dienst am Nationalsozialismus zu begeistern. So trug seine am 23. Januar 1936 startende regelmäßige „Kulturpolitische Wochen-schau“, die er zunächst über ein Jahr lang mit dem Pseudonym „Reinmar von Zweter“ unterschrieb, auch immer halboffizielle, RMK-konforme Züge in Kombi-nation mit einem tiefen Verständnis für die Alltagssorgen und praktischen Nöte der Ensemblemusikerschaft. Doch die direkte Verbindung seiner Zeilen mit dem Status des RMK-Referenten wurde zunächst per Deckname vermieden, denn als Pressenotizen der RMK wollte Stege seine Aussagen, gerade auch angesichts der sich ständig im Fluss befindlichen Meinungen, nicht verstanden wissen. Scheinbar war es auch tatsächlich lange gelungen, die wahre Identität des „streitbaren

187 Fritz Stege: „Stiefkinder“ des Musiklebens, in: Der Artist Nr.2613 vom 16.01.1936

188 G. M. von Coellen: Zukunftgläubige Ensemblemusik, in: Der Artist Nr.2541 vom 29.08.1934

189 Als solcher war Stege übrigens auch Schriftleiter der „Allgemeinen Mitteilungen der Reichsmu-sikkammer“ (bis Mai 1937).

rischen Minnesängers“ zu verbergen.190 Auf diese Weise, so Stege, sei es ihm leichter möglich gewesen, „zur Hebung und Veredelung der deutschen Unterhal-tungsmusik“ beizutragen. Um auch unter falschem Namen Gehör zu finden und seinen „Ausführungen ein stärkeres Gewicht zu geben“, hatte jener Reinmar sei-ne Zugehörigkeit zum definitionsmächtigen „Prüfungsausschuss für Tanzmusik“

beim Rundfunk betont, ohne dabei seine Tarnung aufzugeben.191

Den von Stege aufgeworfenen Topos der viel zu lange missachteten192 und nun endlich aufgewerteten „Stiefkinder“ übernahm von hochoffizieller Stelle der Düs-seldorfer Landeskulturwalter Hermann Brouwers in einem Leitartikel über „Natio-nalsozialistische Kulturpolitik“.193 Den Unterhaltungsmusikern und der Unterhal-tungsmusik gebe das Dritte Reich nun endlich „Rückhalt“ und die „Gewissheit“, dass die Wichtigkeit und Bedeutung jener Kunstgattung vollkommen erkannt sei.

Die Gegenforderung der Politik schloss sich unmittelbar an: Die „Grundsätze na-tionalsozialistischer Geisteshaltung“ seien in der Programmgestaltung „selbstver-ständlich“ zu berücksichtigen.

Der neuen Aufgabe des Kapellenleiters als „Kulturträger“ erwuchs die Forderung nach seiner Emanzipation aus einer marktbeherrschenden Musikindustrie, die ihn bislang dazu gezwungen habe, die Unterhaltungsmusik „weniger als musikali-sches, sondern vielmehr als kommerzielles Problem zu betrachten“.194 Alfred Zscheile stellte entsprechend fest: „Wenn es anders werden soll, ist in erster Li-nie nötig, dass man den Ensemblemusiker aus seiner Sklavenrolle dem (...) Mu-sikbetrieb gegenüber, der in seiner Mache sich noch vielfach jüdisch gebärdet, befreit...“

„Wir wollen und wir können die Ensemblemusik in den Gaststätten zu dem ges-talten, was sie (...) sein kann und soll – ‚Ein Kulturträger des Dritten Reiches’!“, so fasste Kapellmeister Friedo Boitin den angestrebten Kurs der Musiker zusam-men.195 Doch die Vorwürfe gegen die Kulturlosigkeit der Kaffeehausmusik und

190 Fritz Stege, in: Die Unterhaltungsmusik Nr.2681 vom 07.05.1937, S.516f.

191 Reinmar von Zweter (Fritz Stege), in: Der Artist Nr.2632 vom 28.05.1936, S.626

192 Stege verwies sogar auf die soziale Stellung der Musiker im Mittelalter, als sie „recht- und ehr-los und aus der bürgerlichen Gesellschaft [sic!] ausgeschehr-lossen“ gewesen seien. Reinmar von Zweter (Fritz Stege), in: Der Artist Nr.2618 vom 20.02.1936, S.183

193 Hermann Brouwers: Nationalsozialistische Kulturpolitik, in: Der Artist Nr.2618 vom 20.02.1936, S.181f.

194 Alfred Zscheile: Opmaxypo oder Die Ensemblemusik als Kulturfaktor, in: Der Artist Nr.2624 vom 02.04.1936, S.382

195 Friedo Boitin: Was wir wollen! – Und die nötigen Voraussetzungen!, in: Der Artist Nr.2633 vom 04.06.1936, S.649f.

gegen das mangelnde Pflicht- und Aufgabenbewusstsein des Unterhaltungsmusi-kers blieben an der Tagesordnung: Das meiste, was im Musikbetrieb der Gast-stätten geboten werde, habe „wenig oder gar nichts mit Kultur zu tun“, stellte zum Beispiel RMK-Landesleiter Wolfgang Helmuth Koch (Niedersachsen) fest, vielmehr schien es ihm, als ob sich hier trotz der nationalsozialistischen „Revolu-tion“ nach wie vor „jüdische bzw. bolschewistische Kunstauffassungen“ behaup-ten könnbehaup-ten.196 „Nicht viele Unterhaltungsmusiker“ seien sich ihrer „wirklichen Aufgabe“ bislang bewusst geworden, stattdessen stünden „Tarif- und Verdienst-fragen“ immer noch im Vordergrund. Koch appellierte an das „Standesbewusst-sein des deutschen Musikers“, an „Standesbewusst-sein „Ehrgefühl“, „Standesbewusst-seine „Berufsehre“ und „Eh-renpflicht“ und betonte abermals, dass der Weg des Unterhaltungsmusikers aus dem gesellschaftlichen Abseits nur über den Weg der kulturpolitischen Pflichter-füllung im Rahmen des nationalsozialistischen Staates führen könne.

Bereits in der ersten Folge der „Wochenschau“ hatte sich Stege in der aktuellen Repertoirediskussion geäußert und sich mit der Frage beschäftigt, ob ernste Mu-sik einen Platz im Kaffeehaus habe. Dabei hatte er die Forderung nach einer

„neuen Unterhaltungsliteratur“ aufgestellt, die den „Mittelweg zwischen schwerer Konzertmusik und absolutem Kitsch“ halte.197 In diesem Zusammenhang war auch von anderen Autoren immer wieder betont worden, dass in der Vergangen-heit kein Unterschied zwischen unterhaltender und ernster Musik gemacht wor-den sei. Das „feindliche Klassenverhältnis“ zwischen der „heiteren Komposition“

und dem „ernsteren Bruder“ existiere erst seit der „leidigen Spezialisierung“ und Industrialisierung der Musikproduktion im 19. Jahrhundert, als die „seriöse Kunstmusik“ begonnen habe, „die locker gewordene Schwester“ zu verleug-nen.198 Ob man denn nun zu jenem mythischen Zustand der Einheit zurückkeh-ren wollte, oder es einfach nur darum ging, der Unterhaltungsmusik die „künstle-rische Gleichberechtigung“ unter Erhalt ihrer Eigenständigkeit zu erkämpfen, war nicht ganz klar. Für Stege jedenfalls existierten zwei getrennte Musikgattungen, wobei er es immer wieder kritisch sah, wie der „Weg zu den abgeschlossenen Reichen der Kunst“ nach wie vor von deren berufenen Wächtern mit

196 Wolfgang Helmuth Koch: Die Unterhaltungsmusik im Rahmen der Neugestaltung des deutschen Musiklebens, in: Die Unterhaltungsmusik Nr.2671 vom 25.02.1937, S.211ff.

197 Reinmar von Zweter (Fritz Stege), in: Der Artist Nr.2614 vom 23.01.1936, S.71f.

198 Horst Ebel: Ist Unterhaltungsmusik ein Kulturfaktor des Dritten Reiches?, in: Die Unterhal-tungsmusik Nr.2659 vom 03.12.1936, S.1552

schrei“ verteidigt würde.199 Ein Ausspielen und Auswerten von heiterer versus ernster Kunst kam für ihn nicht in Frage, jede Form des Musizierens sei notwenig und besitze seine Werte.200

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