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Jazz und „Jazzbands“

Im Dokument Unterhaltungsmusik im Dritten Reich (Seite 72-76)

2. Unterhaltungsmusik und Populärkultur

2.2 Der Aufstieg der Populärkultur und seine Bedeutung für die Unter- Unter-haltungsmusik

2.2.3 Jazz und „Jazzbands“

Nicht nur die Tänze, auch die Form der musikalischen Darbietung veränderte sich entscheidend: Die großen Tanzmusikensembles mit voller Streicherbesetzung wurden seltener, kleine originelle Tanzkapellen mit individuell agierenden Musi-kern traten in den Vordergrund. Man nannte sich „Jazzband“, ohne zu wissen, was denn mit „Jazz“ genau gemeint war und was denn so eine „Jazzband“ aus-zeichnen musste: Auf jeden Fall hatte es etwas mit Schwarzen zu tun: So heuer-te die „moderne Kapelle“ mindesheuer-tens einen farbigen Musiker an oder man hatheuer-te sich entsprechend zu schminken.57 Der „Schwarze“ saß meist am Schlagzeug, dem zentralen „Jazzinstrument“, und zeigte dem Publikum über diese exotische Attraktion, dass man echten, originalen Jazz darbot.58 Die Musiker machten zu-sätzlich durch ihre bunte Kleidung und ausgefallene Ausstattung Stimmung, nutzten ungewöhnliche Instrumente und Tonerzeuger wie Kuhglocken oder Schreckschusspistolen, bauten Showeinlagen und gelegentliche Kostümwechsel ein.59 Spätestens mit derartigen Missverständnissen und grotesken Übertreibun-gen hatte das Feindbild „Jazz“ für konservative und völkische Kulturwächter ver-dammungswürdige und vor allem griffige Konturen angenommen. Die „Verjaz-zung“ nationaler Lieder oder deutscher Klassiker, der Einzug des Jazz in das Kon-servatorium, der Kult um das Exotische und Fremdländische, die angebliche

56 Reinhold Sommer: Der Tanz im Selbstunterricht, Dresden 1941, S.83f.

57 In Frankreich entstand zu dieser Zeit folgender Musikerscherz: „Vater, warum malst du dich denn schwarz an? Willst du mich zum Lachen bringen?“ – „Nein, mein Junge. Ich tue es, damit du etwas zu essen hast!“

58 Schröder 1990, S.272ff. Übrigens war es in den USA zur gleichen Zeit undenkbar, dass schwarze und weiße Musiker zusammen in einer Band spielten. Teddy Wilson, der farbige Pianist Benny Goodmans, galt 1936 dort als Sensation. Klaus Kuhnke / Manfred Miller / Peter Schulze: Ge-schichte der Pop-Musik, Bd. 1 (bis 1947), Lilienthal/Bremen 1976, S.348

59 Schröder 1990, S.48. Fritz Stege verwies im Rahmen einer „Blütenlese“ darauf, dass man da-mals bis zu 60 verschiedene mehr oder weniger groteske Klangerzeuger habe zählen können:

Reinmar von Zweter (Fritz Stege), in: Der Artist Nr.2616 vom 06.02.1936, S.123

bindung zu Judentum und Marxismus – das „Sündenregister“ des Jazz60 wurde von vielen Seiten ständig erweitert.

Die polarisierende Kraft des Jazz verwundert nicht, für eine antimodernistische, antiamerikanische und nationale Stimmungsmache bot er das Potential des Auf-hängers: Zu Beginn der 1930er Jahre hatten nur 10% der Deutschen keine Mei-nung zum Thema Jazz, 40% bejahten ihn, während die Hälfte ihn mit Prädikaten wie „seelenlos, undiszipliniert, unmoralisch, fremdartig, Negermusik, dekadent, undeutsch“ ablehnte.61 Die Forderung nach kultureller Reinheit in der Tradition einer vom erzieherischen Impetus getragenen Bewegung gegen literarischen und musikalischen „Schmutz und Schund“, die sich zum Beispiel in der mit breiter parlamentarischer Mehrheit Zensurgesetzgebung von 1920 und 1926 fortsetzte, ging nicht als Automatismus mit den nationalsozialistischen Feindbildern von

„Verniggerung“, „Verjudung“ (im Sinne einer Kommerzialisierung) und „Kultur-bolschewismus“ Hand in Hand, ihre konservativen Vorkämpfer ließen sich aber umso leichter in den Dienst einer nationalsozialistischen Politik nach 1933 stellen, so wie es auch nicht schwer war, die von der wirtschaftlichen und sozialen Krise geschüttelten Musikerschaft für einen nationalen Aufbruch zu vereinnahmen.

Im harten Wettbewerb war es für viele deutsche Unterhaltungsmusiker üblich gewesen, sich ausländische Namen zuzulegen und so gut es ging den Stil ameri-kanischer Bands (oder was man dafür hielt) nachzuahmen, um in den Moden ei-ner Zeit zu bestehen, gegen die die konservative Musikkritik regelmäßig Klage führte: „Die sogenannte deutsche Jugend, welche eigentlich die Hoffnung und die Zukunft unseres deutschen Vaterlandes sein sollte, verlangt nun ausgerechnet ausländische – amerikanische – Negermusik oder dergleichen. Am liebsten natür-lich auch ausländische Musiker aller uns feindnatür-lichen Nationen.“62 In der wirt-schaftlichen Krise seit Ende der 1920er trafen jetzt die Ressentiments der in ho-hem Maße vom sozialen Abstieg bedrohten Ensemblemusiker gegen ausländische Konkurrenten auf die nationalistische Disposition der bürgerlichen Kulturschützer und den Rassismus völkischer Kreise. Unter dem sicherlich nicht unproblemati-schen Sammelbegriff der „Völkiunproblemati-schen“ lassen sich konservative Deutschnationale mit geistigen Vätern wie Paul de Lagarde, Julius Langbehn oder Houston Steward Chamberlain ebenso erfassen wie ein großer Teil der sogenannten „alten

60 Reinmar von Zweter (Fritz Stege), in: Der Artist Nr.2616 vom 06.02.1936, S.123

61 Nach Erich Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend am Vorabend des Dritten Reiches, Stuttgart 1980 (1929), S.166

62 Roderich Regidür, in: Zeitschrift für Musik Nr.94/1927, S.357

fer“ der NSDAP, die sich beide von einem neuen „erwachten“ „Dritten Reich“ eine komplette Reinigung von allen nicht-deutschen, modernen und technisierten E-lementen erhofften. „Völkisch“ wurde nach 1933 nahezu deckungsgleich mit „na-tionalsozialistisch“ verwendet und schließlich im Sprachgebrauch beinahe ver-drängt. Hitler, dem in den 1920er Jahren unter anderem die völkische „Thule Ge-sellschaft“ den Weg in die finanzstarken Kreise der Münchner Gesellschaft geeb-net hatte, distanzierte sich nach der Machtergreifung recht bald von der deutsch-völkischen Bewegung, verspottete deren Vertreter als „phantastisch-naive Ge-lehrte, Professoren, Land-, Studien- und Justizräte“ und mied weitgehend die Verwendung des Begriffes „völkisch“.

Dass der amerikanische Unterhaltungsmusikimport sich nicht im schrillen Sound der frühen Jazzkapellen erschöpfte, sondern die neue Musik auch für europäische Ohren konformere Tanzmusik bedeuten konnte, zeigte sich in der Entwicklung des Jazz im Laufe der 1920er Jahre, als er in den USA bereits von einem Heer von etwa 30.000 Berufsarrangeuren „mundgerecht“ und dem Schlager „dienst-bar“ gemacht wurde.63

1922 hatte sich das amerikanische Unterhaltungsorchester Paul Whiteman zu-nächst speziell als Radioorchester formiert, nun trat sein Sound einen langjähri-gen Siegeszug durch die Musikwelt an.64 Mit dem Namen Whiteman, der seit 1926 erfolgreich durch Europa tourte, begann die Ära des „symphonischen Jazz“, einer in großer Besetzung gespielten Tanzmusik mit Jazzelementen. Der franzö-sische Komponist Darius Milhaud machte 1926 seinem Unmut über den als viel zu „sauber“ empfundenen Whiteman-Stil Luft: „Hier haben wir es mit einer unbe-streitbaren technischen Vollendung, der Präzision eines Uhrwerks, einer Sauber-keit in der Orchestrierung wie bei einer chirurgischen Operation zu tun. (...) Ich würde sein ganzes vollendetes Militärgesangsvereins-Orchester (...) hingeben für einen einzigen (schwarzen) Blues...“65 Besonders in Deutschland dagegen wurde

63 Vgl. Hellmut Kotschenreuther: Glanz und Elend des Jazz – Anmerkungen zu einem musikalischen Phänomen, in: Musikstadt Berlin zwischen Krieg und Frieden. Musikalische Bilanz einer Vier-mächtestadt, zusammengestellt von Harald Kunz, Berlin 1956, S.205

64 Vgl. Jimmy Jungermann / Werner Götze: Vom Stehgeiger zum Diskjockey. Das Radio der frühen Jahre und seine leichte Musik, in Kurt Blaukopf / Siegfried Goslich / Wilfried Scheib (Hrsg.): 50 Jahre Musik im Hörfunk, Beiträge und Berichte, hrsg. aus Anlass des 9. Internationalen IMZ-Kongresses, Wien 1973, S.120f.

65 Zitiert nach Bernd Hoffmann: „Meister des Jazz“. Kritische Anmerkungen zur Darstellung afro-amerikanischer Musik im deutschen Rundfunk von 1924 bis 1940, in: Rudolf Klinkhammer

diese Entwicklung als eine willkommene „Abkehr von der Radaumusik und Diszi-plinlosigkeit“66 begrüßt, Whiteman enthusiastisch gefeiert und sein Film „King of Jazz“ (1930) zum Publikumserfolg.67 Die „Jazzband“-Euphorie ebbte ab, das kombinierte Ensemble, eine Mischung aus Jazz- und Salonorchester, in dem nach wie vor der befrackten Stehgeiger als Kapellmeister repräsentierte, wurde der vorrangige Kapellentyp.

Ähnlich wie Whiteman wurde auch „Europas Jazzkönig“ Jack Hylton, der 1928 sein Deutschlanddebüt in Berlin gab, begeistert aufgenommen. Die Vorbereiter der Big-Band-Konzeption der 1930er und 1940er Jahre füllten Konzertsäle, im Vordergrund stand das Hörerlebnis, Tanzen war zweitrangig. Der deutsche Musi-ker Marek Weber konstatierte 1929, „dass der amerikanische Jazz sich heute in gemäßigteren Formen als bisher bewegt. Wohl ist der Rhythmus noch immer das Primäre, jedoch wird dadurch die Schönheit der melodischen Linie nicht mehr beeinträchtigt.“68

In der Reflexion der konservativen Musikkritik war jener Trend zum symphoni-schen Jazz jedoch kein Anlass, bezüglich der Zerstörung der europäisymphoni-schen Musik-tradition durch amerikanische Importe Entwarnung zu geben, im Gegenteil.

Schröder setzt die bekannte Jazzkritik Hans Pfitzners69 mit einiger Berechtigung in Zusammenhang mit einem Besuch des Komponisten bei einem Whiteman-Konzert, von denen 1926 einige mit großem Erfolg in Berlin stattfanden. Pfitzners Bemerkungen zeigen die typische bildungsbürgerliche „dem Grauen verwandte“

Abneigung gegen Elemente der Massenkultur, „gegen Cirkus, Wintergarten und ähnliche Institute und Vergnügungen“, wie sie Maase als charakteristisch be-schrieben hat: „Die Jazzwelt bedeutet die Niedrigkeit (...) gegenüber hoher Kunstmusik“. Diese Welt der Populärkultur, die Pfitzner in ihrer Nischenexistenz zu akzeptieren bereit war, hatte sich nun aber aufgemacht, in einem Siegeszug die Welt der hohen Künste zu zerstören: „Jetzt sehe ich die eine Welt ganz

(Hrsg.): Schnittpunkte Mensch Musik. Beiträge zur Erkenntnis und Vermittlung von Musik, Re-gensburg 1985, S.129

66 Schröder 1990, S.300

67 Willy Fritsch: ...das kommt nicht wieder. Erinnerungen eines Filmschauspielers, Zürich/Stuttgart 1963, S.111

68 Marek Weber: Salon- und Jazzmusik, in: Musikblätter des Anbruch 11/1929, S.137

69 Pfitzner nahm im Vorwort der dritten Auflage seiner Schrift „Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssyndrom“ im Vorwort Stellung zur Jazzmusik. Schröder zitiert aus-zugsweise und kommentiert in seinem Buch, S.359ff.

schwinden und die andere auftauchen – ja sie ist schon da und tritt ihren Sieges-zug durch Europa an, alles zermalmende – die amerikanischen Tanks der Geis-terschlacht gegen europäische Kultur!“ Die „Tanks“, die Pfitzner in Gestalt des Jazz-Orchesters begegnen, haben nichts gemein mit den schrägen Radaukapellen der frühen 1920er, sondern sind perfekt gerüstet: „Alle Darbietungen tragen da-bei den Stempel der Vollkommenheit. (...) Es müssen hundert Proben vorherge-gangen sein. (...) Mit Neidgefühlen erlebt man diese ausgeprobte, virtuose Vollendung an einer Sache, die dem künstlerischen Gehalt nach der Sphäre des Circus, der Equilibristik, des Varieté angehört...“ Beeindruckt, verunsichert und entsetzt, erlebte Pfitzner das Potential, den unaufhaltsamen Aufstieg der Mas-senkultur („ohne Seele, ohne Tiefe und Gehalt, fern vom Bereich des Schönen, uns wesensfremd, Ohren- und Lachkitzel, Sensation, Betäubung, tönende Ge-meinheit“) in ihrer Transformation zur Basiskultur der Massengesellschaft.

Im Dokument Unterhaltungsmusik im Dritten Reich (Seite 72-76)