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Film im Dritten Reich

Im Dokument Unterhaltungsmusik im Dritten Reich (Seite 21-25)

Der Fokus der Forschung über den nationalsozialistischen Film hat sich in den letzten Jahren immer deutlicher auf die von Gert Albrecht (1969)51 als nur „latent politisch-propagandistischen Filmen“ („nP-Filme“) und dabei besonders auf die

„heiteren Filme“ verschoben. Nach Albrecht, der mit seiner soziologischen Unter-suchung und der dazugehörigen Dokumentation (1978)52 unbestritten Standard-werke vorgelegt hat, stehen 14% „manifest politischen Filmen“ („P-Filme“) 47,8% heitere Filme, 27% ernste Filme und 11,2% aktionsbetonte Filme gegen-über.53 Obwohl der Filmalltag im Dritten Reich derart offensichtlich vor allem von politisch scheinbar harmlosen Unterhaltungsfilmen geprägt war, hat sich die For-schung zunächst intensiv über die Filme eindeutig politischen Inhalts herge-macht, während der Majorität der Filmproduktion lediglich ein systemstabilisie-render Impetus durch die Ablenkungsfunktion zugesprochen wurde. Der Schwer-punkt der Forschungen von Hull (1969),54 Welch (1983),55 Drewniak (1987),56 Toeplitz (1987)57 und Hoffmann (1988)58 liegen auf den „P-Filmen“, wobei zum Beispiel der Rezension eines in der Rezeptionswirklichkeit so unbedeutenden Durchhaltefilms wie „Kolberg“ unverhältnismäßig viel Platz eingeräumt wird.59 Die Untersuchung von Leiser (1978)60 geht gar den umgekehrten Weg der Analyse, indem Filme als Beleg für erwartete ideologischen Momente herangezogen wer-den – die Iwer-dentität von Politik und Ästhetik ist zu schnell und eindeutig bewiesen.

Eine solche Aufteilung in „böse“, weil direkt mit propagandistischen Inhalten ge-füllte „P-Filme“ und „harmlose“, weil lediglich der ablenkenden Unterhaltung die-nende „nP-Filme“ wurde von den publizistisch mitunter recht aktiven ehemaligen Protagonisten des NS-Films aufgenommen, die großteils auch in der

51 Gerd Albrecht: Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spiel-filme des Dritten Reiches, Stuttgart 1969

52 Gerd Albrecht: Der Film im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Karlsruhe 1979

53 Albrecht, 1969, S.97ff. geht dabei von einer Gesamtzahl von 1094 während der NS-Herrschaft gedrehter Filme aus.

54 David Stewart Hull: Film in the Third Reich, Berkeley 1969

55 David Welch: Propaganda and the German cinema 1933-1945, Oxford u.a. 1987

56 Boguslaw Drewniak: Der deutsche Film 1938-1945, Düsseldorf 1987

57 Jerzy Toeplitz: Geschichte des Films (aus dem Polnischen übersetzt von Lilli Kaufmann), Berlin 1982

58 Hilmar Hoffmann: „Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit.“ Propaganda im NS-Film, Frankfurt (M) 1988

59 So z.B. bei Welch, S.221ff. und Hull, S.261ff.

publik weiter arbeiteten. So behauptet beispielsweise der Regisseur Arthur Maria Rabenalt (erstmals 1958),61 die Filmbranche habe sich durch eine „Begrenzung des totalitären Anspruchs“ ausgezeichnet, ja sei gar ein Refugium für den Künst-ler in seiner „inneren Emigration“ gewesen. Rabenalts wichtigster „unpolitischer Film“ allerdings, das Rittmeisterepos „... reitet für Deutschland“ von 1941, fügt sich mit seinen antisemitischen und nationalistischen Szenen nur schwer in das entworfene Bild ein. Auch Riess (1956)62 und Fraenkel (1957)63 verfahren sehr schonend mit den Filmschaffenden aus Goebbels’ Traumfabrik, vor allem Riess schwelgt in nostalgischen Erinnerungen und Anekdoten an „die schönsten Filme unseres Lebens“. Wendtland (1986),64 der mit seiner mehrbändigen Sammlung sämtlicher Spielfilme der Jahre 1929 bis 1945 ein sehr hilf- und datenreiches Kompendium liefert65 und damit das Buch von Cadars/Courtades (1975)66 wohl-tuend ergänzt, streitet eine durchgängige Ideologisierung und klare Funktions-zuweisung seitens des RMVP an das Unterhaltungskino gar komplett ab und sieht die geringe Zahl manifest politischer Filme als Panne Goebbels’scher Politik. Wie schnell so etwas in Verklärung umschlagen kann, zeigt die revisionistische Publi-kation von Sakkara (1980),67 in der das Dritte Reich schließlich gar zur „großen Zeit des deutschen Films“ wird und der Autor dabei selbst Werken wie „Jud Süß“

historischen Wahrheitsgehalt und „menschliche Größe“ attestiert.

Angesichts der quantitativen und qualitativen Bedeutung der „nP-Filme“ – und hier vor allem der Komödien, Revuefilme und Melodrame – konnte eine Beschäf-tigung mit dieser Art der Filmproduktion im Dritten Reich nicht mehr nur im Kon-text mehr oder minder nostalgischer Erinnerungen stattfinden, sondern verlangte nach einer ernsthaften Auseinandersetzung. Nachdem sich der Sammelband von

60 Erwin Leiser: Deutschland erwache! Propaganda im Film des Dritten Reiches, Reinbeck 1989 (1978)

61 Arthur Maria Rabenalt: Film im Zwielicht. über den unpolitischen Film des Dritten Reiches und die Begrenzung des totalitären Anspruches, München 1987 (1958, 1978) und Rabenalt, Arthur-Maria: Joseph Goebbels und der “Großdeutsche Film”, München 1985

62 Curt Rieß: Das gab’s nur einmal. Das Buch der schönsten Filme unseres Lebens, Hamburg 1956

63 Heinrich Fraenkel: Unsterblicher Film: Die große Chronik, München 1957

64 Karlheinz Wendtland: Deutsche Spielfilmproduktion 1933 - 1945, Blüte des deutschen Films oder Ideologiefabrik der Nazis?, Berlin 1986

65 Karlheinz Wendtland: Geliebter Kintopp : sämtliche deutschen Spielfilme von 1929-1945 mit zahlreichen Künstlerbiographien, Berlin 1986ff.

66 Pierre Cadars / Francis Courtade: Geschichte des Films im Dritten Reich, München 1975

67 Michele Sakkara: Die große Zeit des deutschen Films: 1933-1945, Leoni 1980

Belach (1979)68 erstmals auf dem im Unterhaltungsfilm des Dritten Reiches so wichtigen Genre Revuefilm bezog, verwies Romani (1982)69 im Zusammenhang mit Intention und Funktion des (weiblichen) Starkults im Dritten Reiches erst-mals explizit auf den klaren, direkten Ton auch in der Komödie, der alle Zweifel aus dem Wege räumt, die indirekte Aufforderung zum “Nicht-Denken” und kritik-loser Akzeptanz der vorgelegten klaren Typologisierung von Gut und Böse. Eine derartige Banalisierung der politischen Botschaft funktionierte am einfachsten in leichten Filmen um Liebe, Glück, Verzicht und Opfer. Lowry (1991)70 analysiert am Beispiel der Filme „Die goldene Stadt“ und „Die große Liebe“ die Wirkungs-mechanismen von Ideologie in Unterhaltungsfilmen erstmals systematisch. Hier hat Witte (1986)71 mit seiner Dissertation zur Filmkomödie wichtige Vorarbeit geleistet. In seinem herausragenden Buch „Lachende Erben – toller Tag“

(1995)72 lehnt Witte Albrechts Einschränkung der H-Filme auf „politische Latenz”

ab und stellt dem seinen Ansatz der „Produktionsideologie” gegenüber: Wie funk-tionieren Filme im Kontext des Nationalsozialismus? Obwohl mit per se nicht fa-schistischen Kunstmitteln gearbeitet wird, wird eine Funktionalisierung der Filme nicht nur augrund ihres Ablenkungscharakters, sondern von ihren Bedingungen und Grundgedanken her möglich:73 „In der Komödie sind die Utopien leichter aufgehoben als im Propagandafilm. Propaganda wie Unterhaltung entwerfen ei-nen Zustand...“74

Sehr produktiv mit der These von der Paradigmenvermittlung als ideologische Funktion der Unterhaltungsfilme setzt sich der Sammelband von Krah (1999) auseinander: Der Film als Äußerungsakt seiner Zeit kann nicht außerhalb von Produktionszeitraum und Rezeptionskontext analysiert werden und auch nur in-nerhalb dieser Bedingungen seine Wirkung entfalten.

Nähe und Differenzen des nationalsozialistischen Kinos zu Hollywood streicht Rentschler (1996)75 heraus, der sich intensiv mit dem Film „Glückskinder“ von

68 Helga Belach (Hrsg.): Wir tanzen um die Welt. Deutsche Revuefilme 1933-1945, München 1979

69 Cinzia Romani: Die Filmdivas des Dritten Reiches, München 1982 (aus dem Italienischen, Rom 1981)

70 Stephan Lowry: Pathos und Politik. Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus, Tübingen 1991

71 Karsten Witte: Filmkomödie im Faschismus, Diss. phil., Frankfurt 1986

72 Karsten Witte: Lachende Erben, Toller Tag. Filmkomödie im Dritten Reich, Berlin 1995

73 Ebd., S.240

74 Ebd., S.155

75 Eric Rentschler: The Ministry of Illusion. Nazi Cinema and ist Afterlife, Cambridge 1996

1936 in der zeitgenössischen und retrospektiven Besprechung bezieht. Den As-pekt „Starkult“ greifen Beyer (1991),76 Winkler-Mayerhöfer (1992)77 sowie Faul-stich und Korte (1997)78 in jeweils eigenen Akzentuierungen auf, Koebner (1997)79 präsentiert einen Blick auf verschiedene „Idole des deutschen Films“ wie Hans Albers oder Heinz Rühmann.

Goebbels Beziehung zum Film steht zentral in der anregenden Untersuchung von Felix Moeller (1998),80 der in diesem Zusammenhang wichtige Fragen nach dem Anteil von pragmatischem Kalkül und fixierter Ideologie in der Politik des „Film-ministers“ stellt. Constanze Quanz (2000)81 schließlich liefert einen kurzen, aber recht facettenreichen Überblick zum Thema Film als Propagandainstrument.

Die Forschung zum NS-Unterhaltungsfilm ist vor allem deshalb zentral für diese Arbeit, weil sie wichtige Anregungen und Strategien für die Beschäftigung mit der Unterhaltungsmusik des Dritten Reiches liefert: Anstatt verklärender Nostalgie oder tabuisierendem Giftschrank ist eine Analyse im Kontext von Entstehung und Rezeption notwendig, wie es zum Beispiel auch von der Osten (1998)82 fordert, um die Mechanismen von Genese und Wirkung auch jenseits der Parolen von

„Ablenken“, „Aufmuntern“ und „Durchhalten“ zu verstehen. Die Themen sind of-fensichtlich parallel angelegt und an vielen Stellen deckungsgleich: Der Unterhal-tungsfilm diente als wichtiges Distributionsmedium für den Schlager, Filmstars waren oft gleichzeitig Schlagerstars, für Film und Unterhaltungsmusik existierten ähnliche politische und personelle Kontroll- und Steuerungsmechanismen, die in den gleichen Institutionen (RMVP, RKK) beheimatet waren, aber auch die glei-chen pragmatisglei-chen Notwendigkeiten, um die systemstabilisierende Funktion des Massenunterhaltungsbetriebs sicherzustellen. Und doch existieren wichtige Un-terschiede: Unterhaltungsmusik hat mit Rundfunk, Schallplatte und Gaststätte deutlich mehr Bühnen als nur das Kino, Musik ist erheblich schneller und flexibler

76 Friedemann Beyer: Die Ufa-Stars im Dritten Reich. Frauen für Deutschland, München 1991

77 Andrea Winkler-Mayerhöfer: Starkult als Propagandamittel. Studien zum Unterhaltungsfilm im Dritten Reich, München 1992

78 Werner Faulstich / Helmut Korte (Hrsg.): Der Star: Geschichte - Rezeption - Bedeutung, Mün-chen 1997

79 Thomas Koebner (Hrsg.): Idole des deutschen Films. Eine Galerie von Schlüsselfiguren, München 1997

80 Felix Moeller: Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich, Berlin 1998

81 Constanze Quanz: Der Film als Propagandainstrument Joseph Goebbels, Köln 2000

in der Produktion und kann somit sensibler auf Zeit und Politik reagieren, Musik ist schwerer greif- und definierbar und kann sich einer eindeutigen Interpretation entziehen.

Im Dokument Unterhaltungsmusik im Dritten Reich (Seite 21-25)