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5. Phase: Ausbildungsphilosophie und Leitbild

9.4.7 Lernende Gemeinschaft und Zusammenarbeit

9.4.7.1 Ziele und Praxisbeispiele

Wir leben in einer Wirtschaftkultur, die sich v. a. am Effizienzgedanken orientiert. Da es auf der individuellen Ebene keine Normen mehr gibt, hat der Mensch die Freiheit zur Lebensgestaltung ohne Vorschriften. Über einen ästhetischen Zugang, der durch eine entsprechend offene „innere Haltung" geprägt ist, kann jede Organisation der Wirtschaftswelt die schöpferischen Kräfte des Menschen nutzen, um über gegenseitige Wahrnehmung den Dialog zwischen den Individuen zu ermöglichen und sie zu Mit-Gestaltern ihrer Lebenswelt werden lassen. Durch den Dialog stehen die Mitarbeiter vor Herausforderungen, an denen sie innerlich wachsen können und spezifisch menschliche Fähigkeiten entwickeln können. Über unternehmensgerechte Bewusstseinserfahrungen steigert sich der Integrationsgrad der einzelnen Gruppen, bzw. der Menschen in der Berufsbildung und die formalen Informations- und Kommunikationsstrukturen öffnen sich zu einem produktiven Kommunikationsklima. Der kreative und motivierte Mitarbeiter ist nach diesem Verständnis der Dynamikfaktor der Organisation Berufsbildung Voith.

Exemplarische Beschreibung einer GruppenReflexion von Auszubildenden zu ihrem Ausbildungsalltag vom Mai 2004. Diese Besprechungen in den einzelnen Berufsgruppen wurden fester Bestandteil des Ausbildungsgeschehens während der Entwicklungsphasen seit September 2003. Der Focus war auf die Rolle des Ausbilders und die angewandten Lernwege gerichtet. An dem Prozess waren 20 Auszubildende zum Industriemechaniker im 2. Ausbildungsjahr, der Ausbildungsleiter und ich als Prozessbegleiter und Moderator beteiligt.

Ziele:

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(1) Persönlichkeitsbildung der Auszubildenden und Entwicklung eines veränderten Rollenverständnisses und Selbstbildes als Fachausbilder

(2) Förderung einer dialogischen Ausbildungsgestaltung (3) Steigerung der Leistungsergebnisse von Auszubildenden

Wissenschaftliche Begleitung:

(1) Teilnehmende Beobachtung

(2) Leitfaden-Interviews und qualitativ-inhaltsanalytische (3) Schriftliche Zielvereinbarung

(4) Einzel- und GruppenReflexionsgespräche

(5) gegebenenfalls Vereinbarungen von Fördermaßnahmen

9.4.7.2 GruppenReflexion mit Auszubildenden (Praxisbeispiele)

(Exemplarische Darstellung der Auswertung mit 20 Azubis zum Industriemechaniker, 2.

Ausbildungsjahr mit dem Ausbildungsleiter und mir als Moderator im Mai 2004, Dauer:

etwa 4 Stunden):

9.4.7.2.1 Ziele

- Ausbildungsqualität steigern - Offenheit für Probleme erreichen - Umgang Ausbilder - Azubis verändern

- Motivation für Lernbereitschaft und Identität verbessern - Freude für die Aufgabenstellungen entwickeln

- Inhaltsorientierte, zielorientierte und sinnvolle Aufgaben erarbeiten

- Verbesserung der persönlichen und methodischen Führung bzw. Begleitung des Ausbilders

- Gute Prüfungsergebnisse in Theorie und Praxis

9.4.7.2.2 Beschreibung der Wahrnehmungen

Was nahm/en ich/wir im Aus- bildungsalltag wahr?

Änderungsvorschläge bzw.

–wünsche:

- schlechte Erklärungen von Arbeitsauf- aufträgen

- qualifizierte und sachliche Erklärungen - wenig gemeinschaftliche Arbeit - weniger Unterbrechungen (z. B. durch

Ablenkung, Telefon)

- unnötige Arbeiten - Praxisorientierte Unterweisungen - mangelnde Kooperation zwischen Aus-

bilder und Azubi

- Projektarbeit, Beteiligung von Azubis bei Auswahl der Themen

- eintönige Arbeit - keine Massenproduktionen

- wenig Freude an der Arbeit - keine Aufgaben, die Azubis im 2. Aus- bildungsjahr unterfordern

- wenig Reflexionen (anhand des Lern- ziel- und Reflexionsbogens)

- sinnvolle Aufgaben

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- keine zusammenhängende Arbeitspla- nung, sondern Einzelanweisungen - selten Definition und Beschreibung von Lernzielen

9.4.7.2.3 Problembereiche

(1) Fachliche Lerninhalte

Anwendungsmodalitäten des Lernziel- und Reflexionsbogens (u. a. nur 3 Reflexionen seit Ausbildungsbeginn, unvollständige Durchführung, z. B. wurden Ausbildungsziele, -gang und -abschnitte nicht, bzw. wenig differenziert besprochen, Ausbildungsabschnitte waren nicht erkennbar, einzelne Ausbildungsinhalte des 2.

Ausbildungsjahres wurden nicht vermittelt, z. B. Gewinde schneiden an Drehmaschinen.)

(2) Methoden

Unterweisungen waren unverständlich erläutert und nicht detailliert erläutert, bei Fragen bekamen wir häufig nur unvollständige Antworten, selten fanden Nachbesprechungen bei der Fertigung von Prüfstücken statt, z. B. bezüglich der Arbeitsplanung, keine Projektorientierung, keine Beteiligung der Auszubildenden bei Problemstellungen, Nichterkennen von Lerneffekten, z. B. strichen Azubis wochenlang Parkbänke, zu häufig wurden Massenproduktion ohne Lerneffizienz und Gesamtzusammenhang „angeordnet“, während Schulungs- und Lernphasen waren häufig unnötige Unterbrechungen, z. B. Wartezeiten durch telefonieren des Ausbilders, gleichzeitige Bearbeitung von mehreren Arbeitsaufgaben

(3) Person des Ausbilders

Azubis hatten Ängste mit dem Ausbilder persönliche Angelegenheiten zu besprechen, Ausbilder zeigten wenig Verständnis für Problemsituationen, sie gaben selten Unterstützung, es gab kein Lob, z. B. bei guten Ergebnissen oder sonstigen Arbeitsleistungen

9.4.7.2.4 Prozessplanung

Nach der Veranstaltung (Termin: Mai 2004, Dauer: etwa vier Stunden) mit der Gesamt-gruppe wählten die Jugendlichen 3 Vertreter, die gemeinsam mit dem Ausbildungsleiter und einem Vertreter des Betriebsrates mit dem verantwortlichen Fachausbilder die Probleme besprachen.

Die Jugendlichen wurden von mir auf die Sitzung vorbereitet. Neben sprachlichen Übungen wurden die Grundlagen des Konfliktgesprächs anhand praktischer Beispiele erarbeitet und Präsentationstechniken theoretisch vermittelt und in Rollenspielen geübt.

Ziel der Konfliktbearbeitung zwischen dem Fachausbilder und den Azubis war die Vereinbarungen von konkreten Handlungsschritten zur Veränderung der Situation.

9.4.8 Entwicklungsschritte des Förderlehrgangs Voith und Aufbau einer Privaten Sonderberufsfachschule und einer Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (Aus politischen Gründen wurde die seit 1972 bestehende Qualifizierungsmaßnahme für Jugendliche ohne Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz eingestellt. Seit September 2004 werden die benachteiligten Jugendlichen in der Privaten Sonderberufsfachschule Voith und der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit auf einen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatzreife vorbereitet.)

9.4.8.1 Theorie 4 - Schriftliches Konzept und Preisschrift

- Konzept des Förderlehrgangs 1972 bis 2004. Die schriftliche Fassung entstand nach

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der grundlegenden inhaltlichen Neuorientierung im Juli 2002.

- Preisschrift zur Verleihung des Innovationssonderpreises 2002 der Otto-Wolff-Stiftung, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der Wirtschaftswoche mit dem Titel: „Entwicklungsbezogene und individuelle Förderung von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf als Voraussetzung für eine Arbeitsplatz- und Ausbildungsreife“.

9.4.8.2 Wissenschaftliche Begleitung (1) Teilnehmende Beobachtung

(2) Leitfaden-Interviews und qualitativ-inhaltsanalytische Auswertung (3) Einzel- und GruppenReflexionsgespräche

9.4.8.3 Die Leitlinien

Die Ergebnisse der Veränderungen wurden im Lehrgangsjahr 2002/2003 in einer Pilotphase umgesetzt und nach einer gründlichen Reflexion der Erfahrungen von September 2003 bis Juli 2004 in der überarbeiteten Form angewandt (siehe beiliegende Broschüre). Nach den politischen und organisatorischen Umstrukturierungen schuf die Personalleitung des Voith-Konzerns die Voraussetzungen, um ab September 2004 die sehr erfolgreiche Maßnahme in beschriebener Form weiterführen zu können.

Die Konzeption wurde qualitativ erneut überarbeitet und von dem gesamten Team (4 Fachausbilder und 6 Pädagogischen Mitarbeitern und Lehrern) in 20 Konferenzen und einer eintägigen Klausurtagung von Mai bis August 2004 erarbeitet: Die Gruppe orientierte sich konsequent an der Problemstellung:

Wie können wir als Berufsbildung Voith auch weiterhin die sozialpolitische Aufgabe erfüllen und rund 60 Jugendliche mit besonderem Förderbedarf zur Berufs- und Arbeitsplatzreife führen, ihnen eine Lebensperspektive geben und möglichst vielen den Hauptschulabschluss ermöglichen?

Die Jugendlichen gelten in der Regel als lernbehinderte und verhaltensauffällige Jugendliche, die nach dem Ende ihrer Schulzeit, meist aus Förderschulen, zu uns kommen. Mein besonderes Interesse als Prozessbegleiter war auf die Erfassung und Beschreibung von notwendigen Fähigkeiten als Voraussetzung für die dialogische Zusammenarbeit gerichtet.

Methodisch orientierte sich das Team bei der konzeptionellen Arbeit an folgenden Arbeitsschritten:

1. Geistige Phase, bzw. Ideenphase mit Zielorientierung - 2. Leitbildgestaltung - 3.

Modellbeschreibung einer Organisation - 4. Benennung der Konzeptionellen Konsequenzen - 5. Umsetzungsplanung mit Blick auf die tatsächlichen Begebenheiten - 6. Personalbesetzung.

Leitlinien der Hanns Voith-SonderBerufsFachSchule und der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme

1. Grundsätze

- Wir garantieren eine hervorragende Bildungsqualität im Sinne der Voith-Berufsbildung.

- Wir orientieren uns an den Grundgedanken Hanns Voiths und reagieren auf die jeweils gegenwärtigen inhaltlichen und methodischen Notwendigkeiten einer zeitgemäßen Berufsvorbereitung.

- Wir geben jungen Menschen Lebensorientierung und bereiten sie auf eine Berufsausbildung bzw. auf einen Arbeitsplatz vor und begleiten sie dabei.

2. Ziele

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- Bildung der Jugendlichen zu gemeinschaftsfähigen Individuen - Begleitung der Jugendlichen zur Lebenstüchtigkeit

- Förderung der Mündigkeit, Urteilsfähigkeit und Kreativität durch Anregung von schöpferischen Prozessen

- Hervorragende fachliche Vorbereitung auf das zukünftige Berufsleben verbunden mit der Entwicklung der sozialen Fähigkeiten (Schlüsselqualifikationen) und der umfassenden Qualifizierung der Basiskompetenzen Rechnen, Deutsch und Computeranwendung

- Leistungsorientierte Vorbereitung auf die Hauptschulabschlussprüfung

- Führung der Jugendlichen bei der Umsetzung eigener Ziele und Training der Fähigkeiten des Selbstlernens

3. Curriculum und Soziale Lern- und Arbeitskultur - Wir arbeiten mit einem offenen Curriculum

- Wir vereinbaren individuelle Ziele und reflektieren die Lernprozesse im Dialog - Wir fördern soziale Begegnungen

4. Inhalte

- Allgemeinbildende Fachbereiche (u. a. Deutsch, Mathematik, Wirtschaftskunde, Gemeinschaftskunde) als am Denken orientierte Angebote

- Künstlerischer Unterricht (u. a. Malen, Modellieren, Schnitzen, Theater spielen) als am Fühlen orientierte Angebote

- Handwerkliche Tätigkeiten (u. a. Sport, Holz, Metall, Dienstleistungen, Gartenge-staltung) als am Handeln orientierte Angebote

5. Methoden

- Gruppen- und Projektorientierung

- Gruppenübergreifende Aufgabenstellungen und Zusammenarbeit - Team-teaching

6. Reflexion und Individueller Förderplan

Der individuelle Förderplan bildet die Grundlage für die Begleitung der persönlichen und berufsvorbereitenden Entwicklung. Die einzelnen Lernabschnitte werden mit den Jugendlichen reflektiert. Zur Vorbereitung der Gespräche beschreiben die Ausbilder und Lehrer die Wahrnehmungen zu den jugendlichen Persönlichkeiten. Als Ergebnisse der Reflexionsprozesse werden die Zeugnisse erstellt.

7. Das Team

Wir Mitarbeiter orientieren uns bei unserer Tätigkeit am Prinzip des Dialogs, wodurch die persönlichen Begegnungen zwischen Schülern und Ausbildern bzw. Lehrern und von Mitarbeitern untereinander angestrebt wird. Die Organisation des Schulalltags wird gemeinschaftlich in den Pädagogischen Konferenzen erarbeitet.

9.4.8.4 Auswertung von 10 Einzelinterviews und 4 Gruppengesprächen (Thema:

Persönlichkeitsprofil als Voraussetzung für eine dialogische Zusammenarbeit)

Nach den Beschreibungen der persönlichen, teamorientierten und methodischen Entwicklungen wurden in den Gruppengesprächen Kategorien gebildet und die individuellen Ergebnisse eingearbeitet. Damit sich die Kollegen vorbereiten konnten, legte ich ihnen die Fragen einen Tag vor den Interviewterminen vor. Die Einzelgespräche dauerten zwischen 60 und 90 Minuten und die Gruppensitzungen jeweils 120 Minuten.

Ziel war die Erfassung der persönlichen, methodischen und fachlichen Merkmale, die sich bei den Mitarbeitern des Förderlehrgangs Voith während der 5jährigen dialogischen Zusammenarbeit besonders entwickelt hatten und die als Voraussetzung für eine team-orientierte dialogische Arbeitsweise angesehen werden.

Nach den Beschreibungen der Teammitglieder zu den offenen Fragestellungen wurden die Beschreibungen gemeinsam ausgewertet und folgende Merkmale definiert.

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Persönlichkeitsmerkmale:

- hohes Maß an Kritikfähigkeit, 7 Nennungen

- ausgeprägte Motivation für die Arbeit, 9 Nennungen

- Erleben von Sinn in der Tätigkeit (geistige innere Haltung), 8 Nennungen - Erfolge teilen können, 7 Nennungen

- Ständige eigene Entwicklung und Verbesserung des Selbstbewusstseins, 6 Nennungen

- Menschheitsbewusstsein, 3 Nennungen

- Begeisterungsfähigkeit und Offenheit für Neues bzw. Unbekanntes, 7 Nennungen - Annahme der Herausforderungen zur Mitgestaltung der eigenen Lebenswelt, 7

Nen-nungen

- Reflektieren der Dialog- und Begegnungsfähigkeit, 6 Nennungen - Ausbildung der Lernbereitschaft (Weltoffenheit), 8 Nennungen - Wahrnehmungsfähigkeit, 9 Nennungen

- Pflegen einer ehrlichen Toleranz gegenüber Kollegen und Jugendlichen, 5 Nennungen

- Flexibilität und geistige Lockerheit, 8 Nennungen

- Vertreten und leben ethischer Werte (geistig-moralische Klarheit), 10 Nennungen - Streben nach Idealen, 5 Nennungen

- Vorleben von Vertrauen und Verlässlichkeit, 9 Nennungen - Erkennen von Grenzen der Belastbarkeit, 7 Nennungen - Humor, „über sich selbst lachen können„, 7 Nennung - regelmäßige sportliche Betätigung, 5 Nennungen - Beziehungsfähigkeit, 6 Nennungen

- Liebesfähigkeit, 8 Nennungen

- Streben nach persönlicher Freiheit, 5 Nennungen - Lebensfreude, 4 Nennungen

Berufsspezifisch-fachliche Merkmale:

- gesellschaftspolitisches Interesse (Verantwortungsfähigkeit), 5 Nennungen - Sozialität und Offenheit für die Arbeit im Team, 6 Nennungen

- gute Allgemeinbildung, bzw. umfassendes Orientierungswissen, 9 Nennungen - hervorragende fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten, 8 Nennungen

- künstlerische Interessen, 8 Nennungen

- Interesse am Verstehen der Errungenschaften der modernen Naturwissenschaften, 2 Nennungen

- Konfliktfähigkeit, 5 Nennungen Methodische Merkmale:

- zusammen arbeiten können, 7 Nennungen

- Sozialität und Offenheit für die Arbeit im Team, 6 Nennungen - hervorragende fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten, 8 Nennungen

- methodisch vielfältige Fähigkeiten, u. a. Team-teaching, 6 Nennungen (genannt wurden u. a. Fähigkeiten der Gesprächsführung, Planungssicherheit bei Projekten, Beherrschen von Präsentations- und Visualisierungstechniken)

- Fehler zulassen, 6 Nennungen

- Lernen und einsetzen von kreativen Arbeitsmethoden (u. a. Gruppen- und Projektorientierung),

- künstlerische Interessen, 8 Nennungen

- ausgeprägte rhetorisch-sprachliche Fähigkeiten, 7 Nennungen - Therapeutisch-heilpädagogische Kenntnisse, 4 Nennungen

9.4.9 Auswertung der einjährigen Vorbereitungszeit auf die Zusatzprüfung zur Erlangung

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